Text: Micha 5,1-4a
Liebe Gemeinde!
Es war einmal… - Es war einmal, in einer Zeit, in der glückliche Kinder in glücklichen Familien aufwuchsen, in einer Zeit, in der die Kinder brav waren und die Erwachsenen viel Zeit für die Kinder hatten. Es war einmal in einer Zeit, in der jeder zufrieden war mit dem, was er hatte, in einer Zeit, in der Neid und Habgier Fremdwörter waren. Es war einmal in einer Zeit, in der kein Mensch auf der Welt hungern musste und in der keine Kriege geführt wurden, in der jeder ein Dach über dem Kopf hatte. Es war einmal in einer Zeit, in der einfach nur ein großer Frieden in der Welt war. Es war einmal – so fangen Märchen an. Märchen erzählen oft von Sehnsüch-ten und Hoffnungen und verlegen das, was in der Gegenwart nicht möglich ist, in die gute, alte Zeit. Die aber in der Wirklichkeit selten so gut war wie in der nachträglichen Erinnerung. Es war einmal eine Welt, die gut und schön und richtig war – nein, das war nicht irgendwann einmal. Auch nicht zur Weihnachtszeit. Für die allermeisten Menschen ist Weihnachten ein Fest der Erinnerung. Gedanken gehen zurück. Und wenn die Vergangenheit, die Kindheit und Jugend, die Zeit als junge Familie als gut und beglückend empfunden wurde, dann hat man den Wunsch, das möge immer so bleiben und immer so sein. Und wenn die Erinnerungen traurig und belastend sind, dann möchte man sich wenigstens jetzt davon absetzen und alles anderes machen. Auch bei mir geht in der Weihnachtszeit der Blick öfter zurück als sonst im Jahr. Das mag auch daran liegen, dass der Keim des Weihnachtsfestes alle Jahre wieder eine Erinnerung an ein Ereignis ist, das wir uns alle bildhaft vorstellen können und das in der Lebenswelt so vieler Menschen eine Entsprechung hat: ein Kind wird geboren. Und in diesem Kind bündeln sich viele Hoffnungen und Erwartungen. Klar, die Geburt wird ausgeschmückt erzählt. Und der Herbergswirt, die Engel, Hirten, Weisen aus dem Morgenland und all das andere Personal tragen dazu bei, dass schöne Krippenspiele in Kirchen auf der ganzen Welt aufgeführt werden können, dass Krippen in Kirchen und zu Hause schön dekoriert werden können. Aber der Kern der Erinnerung ist der: ein Kind wird geboren und auf diesem Kind ruhen ganz viele Hoffnungen. Menschlich. Weihnachten ist vielleicht wirklich das menschlichste all unserer Feste. Erinnerung an den Anfang des Lebens, an dem alles noch möglich schien. Und dieses Kind in der Krippe, das lebt ja auch von der Erinnerung. Menschen erinnerten sich an Worte, die Männer Gottes, Propheten lange vor seiner Geburt sagten. Und plötzlich schienen für manche diese Worte in diesem Kind wahr zu werden. So auch die Worte, die der Prophet Micha über 700 Jahre vor der Geburt dieses Kindes sagte und die für den 1. Weihnachtstag in diesem Jahr Predigttext sind:
1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2 Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. 3 Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. 4 Und er wird der Friede sein.
Es war einmal – eine Zeit, in der diese Worte wahr wurden? Im Bewusstsein, von Gott dazu beauftragt worden zu sein, hat Micha den Menschen in Israel diese Worte nach einem katastrophal verlorenen Krieg gesagt. Der Krieg wurde angezettelt, weil die Könige sich in ihren Phantasien, eine Großmacht zu werden, verkalkuliert hatten und, vor allem, weil es im Land nicht mehr gestimmt hat. Arme wurden ausgebeutet und unterdrückt, die Reichen wurden auf Kosten der Armen immer reicher und der Glauben an Gott verkam zu einem Ritual für Feiertage. Keine gute, alte Zeit. Diesen verzweifelten Menschen macht Micha neue Hoffnung. Einer wird kommen. Und die Menschen werden sicher wohnen. Und er wird der Friede sein. Und dann, gut 700 Jahre später, fingen Menschen an, in Jesus die Erfüllung dieser Hoffnung zu sehen. Und jetzt, noch einmal 2000 Jahre später? Können wir sagen: es war einmal, eine Zeit, in der alles unfriedlich war, aber jetzt, gut 2000 Jahre nach Christi Geburt, ist das alles vergessen, hat sich alles erledigt. Jetzt wohnen die Menschen sicher und in Frieden, denn er hat ja den Frieden gebracht, so wie es die Engel den Hirten sagten: Frieden auf Erden! Können wir das sagen: Es war einmal, die böse alte Zeit, jetzt haben wir die gute Zeit des Friedens und des sicheren Wohnens? Ich denke, gerade wenn ich die Worte Michas höre und lese, daran, was Soldaten in Afghanistan, denen das vielleicht auch heute in einem Weihnachtsgottesdienst im Lager in Kundus gepredigt wird, über diese Worte denken. Ich denke an unsere christlichen Brüder und Schwestern im Irak, in Palästina. Wie hören sie wohl diese Worte? Frieden und sicheres Wohnen, das scheint für sie unendlich weit weg zu sein. Und wir brauchen gar nicht so weit weg zu gehen. Sicher wohnen – wie werden dieses Versprechen die Wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen hören, die sich in der Tagesaufenthaltsstätte der Diakonie in der Gisselberger Str. treffen? Wie werden es die Menschen auf dem Richtsberg hören, die sich unsicher fühlen, wenn viele dunkel gekleidete Jugendliche mit Kapuzenpullis dastehen und sie an ihnen vorbei müssen? Frieden – wie werden das diejenigen hören, die mit ihren Eltern im Streit leben, die gerade dabei sind, sich vom Lebenspartner zu trennen, die in der Schule oder am Arbeitsplatz gemobbt werden und die sich deshalb schon davor fürchten, wenn die Feiertage wieder vorbei sind? Sicher wohnen, Frieden haben – davon sind wir manchmal im Kleinen, bei uns selbst, im eigenen Leben, in der eigenen Familie, ganz sicher aber im Weltmaßstab immer noch sehr, sehr weit entfernt.
Und trotzdem feiern wir Weihnachten, alle Jahre wieder. Nicht als Fest einer schönen, harmonischen Vergangenheit, sondern als Fest des Anbruchs der Zukunft. Weihnachten setzt keinen Schlusspunkt hinter die Verkündigung der Propheten Israels, Weihnachten setzt einen Doppelpunkt. Die Verheißungen, die bis dahin auf den Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat, bezogen sind, sollen endgültig im Weltmaßstab gelten.
Frieden hat Jesus gebracht: Frieden zwischen Gott und den Menschen. Gott verzichtet auf Rache, Gott lädt alle ein, auch die Menschen mit Not und Schuld. In Jesus, in dem Kind in der Krippe, im Mann der Verkündigung, der Heilungen, im geschundenen Menschen am Kreuz und in seiner Auferstehung zeigt uns Gott, dass er seinen Frieden mit der Welt gemacht hat. Mit unserer Welt, die nicht gerade so ist, wie sie nach seinem Willen sein sollte. Weil er uns die Freiheit gegeben hat, eigenen Wege zu gehen. eigene Wege, die oft genug auch von ihm, von seinem Frieden wegführen. ER wird der Friede sein. Ja, die Erfüllung dieser Verheißung von Micha dürfen wir in Jesus Christus glauben. Friede zwischen Gott und den Menschen. Was oft genug fehlt, ist der Friede zwischen uns Menschen und zwischen uns Menschen und Gott. Der Friede zwischen uns und Gott, den wir oft nicht verstehen. Trotz seiner Offenbarung in Jesus scheint uns Gott manchmal der ganz Ferne zu sein. Dann, wenn wir Leid begegnen, eigenem und fremden. Dann, wenn wir zweifeln, ob die Hoffnung, ob der Glaube, den wir haben wirklich ausreicht. Friede zwischen uns und Gott fehlt – und vor allem Friede zwischen uns Menschen. Weil wir immer wieder glauben, unseren Platz im Leben selbst behaupten zu müssen – gegen andere. Weil wir oft genug unser Leben als einen Kampf um die beste Position, um das höchste Ansehen, um Vorteile für das eigen Leben verstehen. Weil wir glauben, unseren Platz nicht sicher zu haben, sondern weil uns unser Platz im Leben bedroht scheint. Dabei will Gott uns sicher wohnen lassen. Gerade in Jesus hat er uns gezeigt, dass wir um unseren Platz nicht kämpfen müssen, dass wir da sein dürfen. Gott will uns und das Leben. In Jesus hat sich Gott von Anfang an ganz besonders den Menschen zugewandt, denen Lebensrecht und Lebensraum abgesprochen wurde. Kranken, Kindern, Frauen, Menschen am Rand der Gesellschaft. Vor allem auch denen, die durch eigene Schuld sich vom Frieden mit Gott und den Menschen entfernt haben. Gott gibt in Jesus Raum zum Frieden. Raum, in dem Menschen sicher wohnen können. Wie wir Menschen diesen Lebensraum gestalten, das liegt eben auch an uns. Ob wir diesen Raum annehmen, anderen Räume öffnen, Frieden leben – oder ob wir weiter kämpfen, streiten, verzweifeln. Es liegt an uns – auch wenn wir wissen, dass wir es nicht perfekt hinkriegen und dass wir nicht fertig werden mit dem Frieden und dem sicheren Wohnen. Das kann allein Gott herstellen. Es war einmal – nein, das ist nicht die Botschaft von Weih-nachten. Kein Rückblick auf eine gute alte Zeit. Es ist – das ist ein Teil der Botschaft. Es ist Zeit, sich zu freuen, Zeit, das Geschenk, den Frieden, den Lebensraum, den Gott uns durch Jesus schenkt, anzunehmen. Es ist – und: es wird. Gottes Welt ist im Werden. Nicht gegen uns, nicht an uns vorbei, sondern mit uns. Er ist der Friede – und in seinem Namen und auf ihn hin dürfen wir, mit aller Vorläufigkeit und mit allen Rückschlägen Schritte auf dem Weg des Friedens gehen. Und sicher wohnen. In diesem Leben. Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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Freitag, 24. Dezember 2010
Donnerstag, 23. Dezember 2010
Nach Hause kommen - Homecoming - Christmette 2010
Die Ansprache wurde inspiriert vom Predigttext der Reihe III, 2. Samuel 7,1-16, ohne dass dieser Text explizit auftaucht, von dem Bild "Der brennende Dornbusch" von Nicolas Froment, dass als Klappkarte verteilt wird und allen Strophen des Liedes "Stille Nacht"
Liebe Gemeinde!
Weihnachten heißt: Nach Hause kommen! Für ganz viele Menschen in einem nahezu wörtlichen Sinn. Zurückkom-men an den Ort der Kindheit, in das Haus, in dem man aufge¬wachsen ist. Wenn ein Gottesdienstbesuch dazuge-hört, dann möglichst in der Kirche, in der man schon als Kind war. Und wenn dieses örtliche nach Hause Kommen aus verschiedenen Gründen zu schwer oder nicht mehr möglich ist, dann heißt nach Hause kommen zu Weihnachten für andere, zu den Menschen zu kommen und mit den Menschen zu feiern, die ein Gefühl des Zuhauseseins schenken können. Weihnachten bringt weltweit Millionen Menschen in Bewegung. Und nicht die Weihnachtsflüchtlinge prägen das Bild auf den Bahnhöfen, Autobahnen und an den Flughäfen, sondern die Nachhausekommer. Dieses nach Hause kommen ist nicht immer einfach. Es treffen unterschiedliche Erwar-tungen aufeinander, nicht immer glücklich, es gibt Enttäuschungen. Aber es gibt auch viel Gelingen und Ge-borgenheit. In diesem Miteinander von Unterwegssein und nach Hause kommen, von enttäuschten Erwartungen, vom Festhalten an alten Erinnerungen und vom guten Gelingen von Begegnung und Zusammengehörigkeit bildet sich für mich der Sinn des Weihnachtsfestes, der Sinn dieser Nacht ab.
Gott kommt nach Hause. „Er kam in sein Eigentum“, so beschreibt es Johannes in seinem Evangelium. Er will nicht der Gott sein, der fern von den Menschen ist, sondern: wo die Menschen sind, da will Gott sein, da ist er zu Hause. Gott kommt nach Hause. Im Kind in der Krippe, da lässt er sich finden. Aber er ist ein Gott, der immer wieder im Kommen ist. Auf einer Reise wird Jesus geboren. Nicht in einem festen Zuhause, das ein für allemal sein Haus wäre und in dem er verehrt wird. Unterwegs, ohne festes Zuhause, so ist Jesus. Wo wäre denn auch sein Zuhause? In Bethlehem, im Stall, den er mit seinen Eltern bald wieder verlassen hat? In Nazareth, wo er den größten Teil seiner Jahre auf dieser Welt zugebracht hat? Unterwegs bei den Menschen auf seiner Reise durch Galiläa, Samaria, Judäa? In Jerusalem, wo sich in Kreuz und Auferstehung vollendet, was in seiner Menschwerdung begann? Gott kommt nach Hause – und er bleibt doch der Gott ohne festes Zuhause, der Gott unterwegs. Unterwegs mit Menschen, unterwegs zu den Menschen. Gott bindet sich nicht an Orte, an denen er sich finden lässt, er bindet sich an Menschen. Gerade in der Heiligen Nacht ist mir das wichtig. Der Mensch gewordene Gott ist heute Nacht in der Thomaskirche nicht näher und nicht ferner als in der Elisabethkirche oder im Petersdom oder in der Geburtskirche in Bethlehem. Er ist unter der Brücke, die Obdachlosen wenigstens den Rest von einem Dach über den Kopf gibt, genauso nah wie in der Wohnung der Rentnerin, die über den Verlust des Mannes und des Sohnes und die kaputtgegangene Beziehung zu den Enkeln trauert. Gott kommt nach Hause – zu den Menschen. Wir können ihn nicht an einem Ort festbinden. Nicht sozialromantisch dort, wo große Not ist, aber auch nicht in der vollen Kirche mit gut inszenierter Kirchenmusik. Gott will bei uns Menschen sein. Das ist die Botschaft dieser Nacht. Und wie jedes nach Hause kommen, so trägt auch dieses die Möglichkeiten zu Enttäuschungen und zum Gelingen in sich. Gottes nach Hause kommen enttäuscht – im wahrsten Sinn des Wortes. Es befreit die Menschen von der Täuschung, dass Gott nur für besonders fromme und besonders perfekte Menschen da wäre. Es befreit von der Täuschung, dass Gott in Reichtum und Prunk zu verehren und zu finden sei. Es enttäuscht die Erwartung vom machtvollen König, der kommt, genauso wie die Erwartung vom bedingungslosen Kämpfer. Das Kind in der Krippe enttäuscht die Erwartung, dass Gott mir mein Leben abnimmt. Nein, es sagt durch sein Dasein zu uns: „Nimm mich an. Ich lebe nicht an deiner Statt, sondern du darfst und kannst mit mir gemeinsam leben.“ Die Hoffnung, dass mit dem Messias Gottes Reich gleich perfekt hergestellt wird und Schöpfer und Schöpfung in vollendeter Harmonie leben könnten, wird enttäuscht. Gottes Reich ist im Werden, so wie das Kind heranwächst und Geschichte hat und macht. Aber diese Enttäuschungen eröffnen Möglichkeiten, dass das Nachhause Kommen Gottes Gelingen schenkt. Leben, das heil wird, weil erfahren werden kann: auch da, wo Schuld ist, werde ich geliebt und wird Vergebung möglich. Krankheit schließt nicht von Menschlichkeit aus. Gerade im Blick auf Menschen mit Behinderungen ist mir das ganz wichtig in einer Zeit, in der „behindert“ eines der beliebtesten Schimpfworte unter jungen Menschen zu sein scheint. Das nach Hause Kommen Gottes schenkt Gelingen – dann, wenn auch ich spüren kann, dass die Wege und Umwege, die mein Leben hat, die Sackgassen, die Abbrüche von Gott begleitet sind. Weihnachten dürfen wir ganz bei uns sein, weil Gott ganz zu uns kommt. Nicht wir müssen ihm Häuser bauen, sondern er baut uns ein Haus. Kein Haus aus Ziegeln oder Beton. Ein lebendiges Haus. In der Bibel und ihrer Sprache bezieht sich Haus auf die Menschen, die dazugehören. Je-sus, das ist denen, die uns sein Leben überliefert haben, wichtig, Jesus gehört zum Haus Davids, dem Gott ewigen Bestand versprochen hat. Das Haus Davids, das wurde gleichbedeutend mit dem Volk des ersten Bundes, Israel, benutzt. Jesus schließt uns die Tür zu diesem Bund der Gnade und des Friedens auf, er nimmt uns mit hinein in dieses Haus. Gott baut uns ein Haus in dieser Nacht von Bethlehem, er schenkt uns ein Zuhause. Deshalb dürfen wir gerade in dieser Nacht zur Ruhe kommen, bei uns sein. Ich möchte ihnen und euch heute Nacht eine Karte mit einem Bild schenken, das für mich dieses Hineingenommensein, dieses Zuhause sein bei Gott und unterwegs sein in der Welt, den tiefen Sinn dieser Nacht ganz ungewöhnlich ausdrückt. Zu sehen ist erst einmal ein Hirte mit einer Herde und einem Engel. Aber dieser Hirte ist keiner vom Feld bei Bethlehem, sondern Mose. Wenn man die Karte aufklappt, sieht man einen brennenden Dornbusch. Die Bibel erzählt, dass Gott sich dort Mose offenbart hat. Ich werde dasein, als der ich da-sein werde, ICH-BIN-DA. Mit diesen Worten gibt sich Gott Mose zu erkennen. So soll Mose von Gott reden. Und da sein wird er als Kind in der Krippe, als Sohn der Maria, als Jesus. Das ist, so malt es der Künstler, das Zentrum des brennenden Dornbuschs. Jesus ist Gott auf dem Weg mit uns Menschen und zu uns Menschen. So, wie Matthäus in seinem Evangelium die Worte Jesajas aufnimmt, die in der aufgeklappten Karte zu lesen sind: Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): 23 »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. „Gott sucht unsere Wohngemeinschaft. Er prüft uns nicht, ob wir wert sind, ihn aufzunehmen. Es hängt nicht von uns ab, ob er bei uns einzieht.“ (Zitat: Anne- Kathrin Kruse, Christnacht, in: GPM 65/1, 53) Gott kommt zu uns, damit wir zu uns finden können. Gott baut uns ein Haus, ein Zuhause, nicht aus Steinen, sondern aus Menschen, aus Liebe, aus Gnade. Damit wir Ruhe finden, Kraft, Wege zu gehen, neue Wege. Für mich selbst drückt sich ganz viel von dem, was diese Nacht ausmacht, in dem Lied aus, das wir gleich und dann nach dem Segen singen Werden. „Stille Nacht, heilige Nacht“, das wohl bekannteste Weihnachtslied der Welt. Ich habe es lang für süßlichen Kitsch gehalten. Bis ich gelernt habe, dass wir Menschen auch ganz einfache Worte und Melodien brau-chen, mit denen Gott Herzen erreicht. Worte und Melo-dien, die vertraut sind, die ein Zuhause auf Zeit geben, aus dem ich aufbrechen darf und Wege gehen darf. Von Weihnachten in den Alltag. Und vor allem bis ich die Strophen entdeckte, die zu dem Lied gehören, die aber nicht im Gesangbuch stehen.
Stille Nacht! Heilige Nacht! /Wo sich heut alle Macht /Väterlicher Liebe ergoß / Und als Bruder huldvoll um-schloß /Jesus die Völker der Welt! / Jesus die Völker der Welt!
Jesus als Bruder der Völker der Welt. Gott lässt sich nicht in ein Land einsperren, er ist nicht nur für mich, mein Volk da.
Stille Nacht! Heilige Nacht! / Die der Welt Heil gebracht, / Aus des Himmels goldenen Höh’n / Uns der Gnade Fülle läßt seh’n / Jesum in Menschengestalt! / Jesum in Men-schengestalt!
Die Fülle der Gnade, der Reichtum des Himmels wird im Menschen Jesus sichtbar. Gott kommt nach Hause, auf diese Welt, in diese Welt, damit wir Heimat finden. Heimat im Unterwegssein. Weihnachten bringt Menschen in Bewegung. Nachhause. Gebe Gott, dass wir Teil dieser Bewegung sein und bleiben dürfen. Gebe Gott, dass wir zu ihm und zu uns finden, dass wir unser Zuhause auf dem Weg finden. Gebe Gott, dass wir auch anderen helfen, die an der Bewegung zu verzweifeln drohen, die ein Zuhause suchen und doch keins finden, helfen, Nachhause zu kommen. Nachhause zu Gott, der in Jesus sein Zuhause bei uns hat. Amen.
Lass mich doch in Frieden - Krippenspiel und Kurzansprache, Hl. Abend 2010
Hier das Krippenspiel:
Erzähler: Der Kaiser Augustus wollte wissen, wie viele Menschen in seinem Reich leben. Deshalb schickte er seine Soldaten und Beamten in alle Städte seines Landes. Sie verkündeten:
„Jeder von euch soll in die Stadt gehen, in der er geboren wurde, jeder Mann und jede Frau. Dort müsst ihr euch in Listen eintragen lassen, damit alle Leute gezählt werden können.“
Die Leute hörten zu, was die Soldaten verkündeten, und machten sich auf die Reise, denn dem Kaiser musste man gehorchen. Sie packten ein paar Sachen zusammen und zogen los: die Reichen mit einem Pferd oder einem Wagen, manche hatten vielleicht einen Esel oder einen Ochsenkarren, aber die meisten gingen sicher einfach zu Fuß. Du kannst dir sicher vorstellen, was das für ein Gedrängel auf den Straßen war.
Wenn die Leute an ihrem Zielort angekommen waren, waren sie natürlich müde und hungrig. Sie mussten an den Volkszählungs¬büros furchtbar lang anstehen und sogar am nächsten Tag noch einmal wiederkommen. Die Reise war ja so lang gewesen, dass sie nicht am gleichen Tag wieder zurücklaufen konnten. Ganz viele wollten in einem Gasthaus zu Abend essen und übernach¬ten. Für die Wirte war das ein gutes Geschäft. So einen Andrang hatten sie schon lange nicht mehr. Aber es war halt auch furcht¬bar viel Arbeit. Und so hatten die Wirte schon Grund zum Stöh¬nen, wie auch der Wirt, von dem ich heute erzählen will.
Wirt: schaut vor die Tür
So ich glaub, das war’s. Heute kommt keiner mehr. Es ist ja auch schon dunkel. Da ist bestimmt niemand mehr unterwegs.
Außerdem ist mein Gasthaus voll bis aufs letzte Bett. Sogar mein eigenes Bett hab ich vermietet. Ich schlafe heute hier auf dem Gästebett neben der Tür.
War das ein Stress heute. Und jetzt bin ich furchtbar müde. Bin ich froh, dass ich jetzt endlich auch ins Bett gehen kann.
Erzähler: Nichts schätzte der Wirt so sehr, wie einen ruhigen, ungestörten Schlaf.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Josef u. Maria kommen von hinten durch die Mitte
Josef: Maria, schau, da vorn ist ein Gasthaus. Jetzt ist es nicht mehr weit.
Maria: Hoffentlich haben sie noch ein Zimmer für uns frei. Ich bin so müde. Klopfen an die Tür
Wirt: Wacht auf, stöhnt, kommt an die Tür und macht auf
Was wollt ihr denn noch so spät?
Josef: Wir suchen ein Zimmer für die Nacht.
Wirt: Gähnt Kein Zimmer frei!
Maria: Aber wir sind müde! Wir sind schon Tag und Nacht unterwegs!
Wirt: Es gibt nur noch den Stall hinterm Haus. Hier habt ihr zwei Decken. Füllt die Anmeldung aus.
Josef: Schreibt Vielen Dank und gute Nacht. Gehen hinter die Bühne
Wirt: Liest Maria und Josef aus Nazareth.
Erzähler: Der Wirt schloss die Tür, legte sich ins Bett und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Josef: Kommt von hinten und klopft
Entschuldigung, dass ich noch einmal störe, aber könnten Sie uns noch eine dritte Decke leihen? Eine kleinere?
Wirt: Da. Eine kleinere Decke.
Josef: Dankeschön! geht zurück hinter die Bühne.
Erzähler: Der Wirt schloss die Tür, legte sich ins Bett und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Sternengel mit Stern kommt von hinten und klopft an die Tür
Wirt: Macht auf und ist geblendet
Sternengel: Entschuldigung, ich suche einen Stall, der muss hier ganz in der Nähe sein, Josef und Maria ...
Wirt: Das hat mir grade noch gefehlt! Der Stall ist hinterm Haus.
Sternengel: Vielen Dank! Geht hinter die Bühne
Erzähler: Er schloss die Tür, legte sich ins Bett, zog sich die Decke über den Kopf, weil er bei der Helligkeit sonst nicht einschlafen konnte und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Lied Gemeinde: Kommet, ihr Hirten (EG 48,1-3)
Hirte 1: Hast du auch den Engel gesehen?
Hirte 2: Nein, welchen Engel?
Hirte 3: Ein Engel war bei uns auf dem Feld. Alles war ganz hell. Auf einmal ist der da gestanden und hat gesagt: “Fürchtet euch nicht.“
Hirte 1: Ich hab mich aber trotzdem gefürchtet.
Hirte 3: Er hat gesagt: Heut ist Gottes Sohn geboren. Ihr findet ihn in Windeln gewickelt in einer Krippe in einem Stall.
Hirte 2: In welchem Stall? Hier sind so viele.
Hirte 3: Er hat gesagt, ein Stern steht drüber.
Hirten schauen sich um.
Hirte 1: Ich seh keinen.
Hirte 3: Ich auch nicht.
Hirte 2: Da vorn ist ein Gasthaus. Wir fragen einfach.
Hirten klopfen
Wirt: Was ist denn jetzt schon wieder?
Hirte 1: Wir sind drei Hirten.
Wirt: Na und? Was ist los? Die Schafe verloren?
Hirte 2: Wir suchen einen Stall.
Hirte 3: Da drüber müsste ein Stern stehen.
Wirt: Brüllt Hinterm Haus!
Hirten: Danke! gehen hinter die Bühne
Erzähler: Er schloss die Tür, legte sich ins Bett und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Lied Gemeinde: Wisst ihr noch wie es geschehen EG 52, 1+4
bei der 2. Stophe (= Strophe 4) kommen die 3 Könige von hinten durch die Mitte
Kaspar: Ich kann den Stern nicht mehr sehen.
Melchior: Er sollte uns doch den Weg zu dem neugeborenen König weisen.
Balthasar: Es muss aber hier irgendwo sein. Ich habs genau ausgerechnet.
Kaspar: Und wo ist er dann bitteschön?
Melchior: Hier ist ein Gasthaus. Wir fragen nach dem Weg. klopft
Wirt macht auf und ist sauer
Melchior: Edler Mann, entschuldigt die Störung, aber wir suchen einen Stern. Haben Sie vielleicht...
Wirt: schreit Im Stall hinterm Haus!!!
Melchior : Entschuldigung. Gehen hinter die Bühne
Erzähler: Der Wirt knallte die Türe zu, legte sich ins Bett und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental und Gesang Kinder: Seht die gute Zeit ist da
Lied Gemeinde: Vom Himmel hoch, da komm ich her EG 24, 1 3+5
Engel kommen während des Liedes von hinten durch die Mitte und verschwinden hinter dem Vorhang
Engel: Flöten vor der Türe
Wirt: Hält sich die Ohren zu
Engel: Gehen hinter die Bühne
Wirt geht vor die Tür und schimpft
Aus! Schluss! Jetzt reicht’s! Was ist heut Nacht bloß los? Da kann ja kein Mensch schlafen! Jetzt schau ich nach, was da los ist und beschwer mich!
Geht los
Erzähler: Er stampfte ums Haus stürmte zum Stall und wollte gerade losbrüllen, als ...
Vorhang auf
alle: „Psst!“,
einer: Du weckst das Baby!
Wirt: „Baby?“ ungläubig
einer: Ja, heute Nacht ist ein Baby geboren.
Wirt: Ach ja? brummig und beugt sich ärgerlich über die Krippe.
Erzähler: Und in diesem Moment schien sein ganzer Ärger unbegreiflicherweise einfach so davonzufliegen!
Wirt: Oh!, erstaunt Ist es nicht wunderschön?
Erzähler: Und er weckte alle Gäste in seinem Gasthaus auf, denn auch sie sollten in den Stall kommen und dieses ganz besondere Baby anschauen.
Wirt geht herum und holt die Kinder nach vorne
Lied Gemeinde: Seht die gute Zeit ist da, EG 18,1+2; im Kanon mit Instrumenten
Und hier die Ansprache:
Liebe Gemeinde!
Schlag die Tür nicht so laut zu! Der poltrige Wirt wird auf einmal ganz ruhig, als er das Baby in seinem Stall sieht. Eben war er noch genervt vom ganzen Trubel um ihn herum, da wollte er nur seine Ruhe haben. Und jetzt, da wird er ganz ruhig. Schlag die Tür nicht so laut zu! Klingt erst einmal ja ganz selbstverständlich, wenn es um neugeborene Kinder geht. Kennt jeder, der mit kleineren Geschwistern groß geworden ist oder in dessen Haus ein Baby war oder ist. Schlag die Tür nicht so laut zu – dieses eigentlich so selbstverständliche ist der erste Schritt zum Frieden. Das hat Franz von Sales, der vor ungefähr 400 Jahren in Frankreich gelebt hat, einmal jemandem gesagt, der wissen wollte, was er für den Frieden tun könne. Für mich ist das, wie wir gerade auch gesehen haben, ein Teil der Botschaft von Weihnachten. Schlag die Tür nicht so laut zu – Frieden fängt nicht erst da an, wo keine Waffen mehr benutzt werden, sondern da, wo ein Mensch auf den anderen Rücksicht nimmt. Frieden fängt da an, wo ich mich darauf einlassen kann, dass jemand meine Hilfe, meine Rücksicht, meine Umsicht braucht. Frieden fängt da an, wo ich den anderen nicht durch Lärm und Poltern und Geschrei beeindrucken will, sondern wo ich auf ihn zugehen kann, wo ruhig und klar geredet, geliebt und viel-leicht auch mal gestritten werden kann. „Frieden auf Erden“, das ist die Botschaft, die die Engel den Hirten mitgeben, bevor diese in den Stall gehen und im Kind in der Krippe, in einem ganz normalen Baby Gott entdecken. Frieden, das ist das, was dieses Kind, was Gott, der sich in diesem Kind zeigt, den Menschen geben möchte. Aber er tut das nicht dadurch, dass er sich groß aufspielt, mit viel Macht und Panzern und Waffen und Strafen droht, sondern indem er sich ganz klein und ganz hilfsbedürftig macht. Frieden fängt eben nicht ganz oben an, sondern ganz unten. Bei jedem von uns. Groß und Klein. Türen kann jeder leise zu machen. Das Kind nicht stören, das Poltern lassen, sich anstecken lassen davon, dass Gott als hilfsbedürftiger Helfer in diese Welt kommt. Es ist gar kein so neuer Blick auf die Welt, den Gott uns an Weihnachten schenken und öffnen will. Es ist die Erinnerung an die eigene Menschlichkeit. Gott wird Mit-Mensch, damit wir mitmenschlich sein und bleiben können, damit wir unsere Menschlichkeit neu entdecken. Gott bringt uns Frieden und stiftet uns zum Frieden an. Im Großen wie im Kleinen. Beginnen wir doch im Kleinen. Die Großen und die Kleinen. Indem wir Türen nicht zuschlagen, sondern öffnen, indem wir wahrnehmen, was der andere braucht und was wir brauchen, damit wir friedlich miteinander leben können. Indem wir nicht darauf warten, dass der andere anfängt, sondern indem wir anfangen, den Frieden, den Gott uns in dem Kind in der Krippe schenkt, einfach zu leben.
Erzähler: Der Kaiser Augustus wollte wissen, wie viele Menschen in seinem Reich leben. Deshalb schickte er seine Soldaten und Beamten in alle Städte seines Landes. Sie verkündeten:
„Jeder von euch soll in die Stadt gehen, in der er geboren wurde, jeder Mann und jede Frau. Dort müsst ihr euch in Listen eintragen lassen, damit alle Leute gezählt werden können.“
Die Leute hörten zu, was die Soldaten verkündeten, und machten sich auf die Reise, denn dem Kaiser musste man gehorchen. Sie packten ein paar Sachen zusammen und zogen los: die Reichen mit einem Pferd oder einem Wagen, manche hatten vielleicht einen Esel oder einen Ochsenkarren, aber die meisten gingen sicher einfach zu Fuß. Du kannst dir sicher vorstellen, was das für ein Gedrängel auf den Straßen war.
Wenn die Leute an ihrem Zielort angekommen waren, waren sie natürlich müde und hungrig. Sie mussten an den Volkszählungs¬büros furchtbar lang anstehen und sogar am nächsten Tag noch einmal wiederkommen. Die Reise war ja so lang gewesen, dass sie nicht am gleichen Tag wieder zurücklaufen konnten. Ganz viele wollten in einem Gasthaus zu Abend essen und übernach¬ten. Für die Wirte war das ein gutes Geschäft. So einen Andrang hatten sie schon lange nicht mehr. Aber es war halt auch furcht¬bar viel Arbeit. Und so hatten die Wirte schon Grund zum Stöh¬nen, wie auch der Wirt, von dem ich heute erzählen will.
Wirt: schaut vor die Tür
So ich glaub, das war’s. Heute kommt keiner mehr. Es ist ja auch schon dunkel. Da ist bestimmt niemand mehr unterwegs.
Außerdem ist mein Gasthaus voll bis aufs letzte Bett. Sogar mein eigenes Bett hab ich vermietet. Ich schlafe heute hier auf dem Gästebett neben der Tür.
War das ein Stress heute. Und jetzt bin ich furchtbar müde. Bin ich froh, dass ich jetzt endlich auch ins Bett gehen kann.
Erzähler: Nichts schätzte der Wirt so sehr, wie einen ruhigen, ungestörten Schlaf.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Josef u. Maria kommen von hinten durch die Mitte
Josef: Maria, schau, da vorn ist ein Gasthaus. Jetzt ist es nicht mehr weit.
Maria: Hoffentlich haben sie noch ein Zimmer für uns frei. Ich bin so müde. Klopfen an die Tür
Wirt: Wacht auf, stöhnt, kommt an die Tür und macht auf
Was wollt ihr denn noch so spät?
Josef: Wir suchen ein Zimmer für die Nacht.
Wirt: Gähnt Kein Zimmer frei!
Maria: Aber wir sind müde! Wir sind schon Tag und Nacht unterwegs!
Wirt: Es gibt nur noch den Stall hinterm Haus. Hier habt ihr zwei Decken. Füllt die Anmeldung aus.
Josef: Schreibt Vielen Dank und gute Nacht. Gehen hinter die Bühne
Wirt: Liest Maria und Josef aus Nazareth.
Erzähler: Der Wirt schloss die Tür, legte sich ins Bett und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Josef: Kommt von hinten und klopft
Entschuldigung, dass ich noch einmal störe, aber könnten Sie uns noch eine dritte Decke leihen? Eine kleinere?
Wirt: Da. Eine kleinere Decke.
Josef: Dankeschön! geht zurück hinter die Bühne.
Erzähler: Der Wirt schloss die Tür, legte sich ins Bett und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Sternengel mit Stern kommt von hinten und klopft an die Tür
Wirt: Macht auf und ist geblendet
Sternengel: Entschuldigung, ich suche einen Stall, der muss hier ganz in der Nähe sein, Josef und Maria ...
Wirt: Das hat mir grade noch gefehlt! Der Stall ist hinterm Haus.
Sternengel: Vielen Dank! Geht hinter die Bühne
Erzähler: Er schloss die Tür, legte sich ins Bett, zog sich die Decke über den Kopf, weil er bei der Helligkeit sonst nicht einschlafen konnte und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Lied Gemeinde: Kommet, ihr Hirten (EG 48,1-3)
Hirte 1: Hast du auch den Engel gesehen?
Hirte 2: Nein, welchen Engel?
Hirte 3: Ein Engel war bei uns auf dem Feld. Alles war ganz hell. Auf einmal ist der da gestanden und hat gesagt: “Fürchtet euch nicht.“
Hirte 1: Ich hab mich aber trotzdem gefürchtet.
Hirte 3: Er hat gesagt: Heut ist Gottes Sohn geboren. Ihr findet ihn in Windeln gewickelt in einer Krippe in einem Stall.
Hirte 2: In welchem Stall? Hier sind so viele.
Hirte 3: Er hat gesagt, ein Stern steht drüber.
Hirten schauen sich um.
Hirte 1: Ich seh keinen.
Hirte 3: Ich auch nicht.
Hirte 2: Da vorn ist ein Gasthaus. Wir fragen einfach.
Hirten klopfen
Wirt: Was ist denn jetzt schon wieder?
Hirte 1: Wir sind drei Hirten.
Wirt: Na und? Was ist los? Die Schafe verloren?
Hirte 2: Wir suchen einen Stall.
Hirte 3: Da drüber müsste ein Stern stehen.
Wirt: Brüllt Hinterm Haus!
Hirten: Danke! gehen hinter die Bühne
Erzähler: Er schloss die Tür, legte sich ins Bett und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental: Seht die gute Zeit ist da
Lied Gemeinde: Wisst ihr noch wie es geschehen EG 52, 1+4
bei der 2. Stophe (= Strophe 4) kommen die 3 Könige von hinten durch die Mitte
Kaspar: Ich kann den Stern nicht mehr sehen.
Melchior: Er sollte uns doch den Weg zu dem neugeborenen König weisen.
Balthasar: Es muss aber hier irgendwo sein. Ich habs genau ausgerechnet.
Kaspar: Und wo ist er dann bitteschön?
Melchior: Hier ist ein Gasthaus. Wir fragen nach dem Weg. klopft
Wirt macht auf und ist sauer
Melchior: Edler Mann, entschuldigt die Störung, aber wir suchen einen Stern. Haben Sie vielleicht...
Wirt: schreit Im Stall hinterm Haus!!!
Melchior : Entschuldigung. Gehen hinter die Bühne
Erzähler: Der Wirt knallte die Türe zu, legte sich ins Bett und schlief weiter.
Schlafmusik instrumental und Gesang Kinder: Seht die gute Zeit ist da
Lied Gemeinde: Vom Himmel hoch, da komm ich her EG 24, 1 3+5
Engel kommen während des Liedes von hinten durch die Mitte und verschwinden hinter dem Vorhang
Engel: Flöten vor der Türe
Wirt: Hält sich die Ohren zu
Engel: Gehen hinter die Bühne
Wirt geht vor die Tür und schimpft
Aus! Schluss! Jetzt reicht’s! Was ist heut Nacht bloß los? Da kann ja kein Mensch schlafen! Jetzt schau ich nach, was da los ist und beschwer mich!
Geht los
Erzähler: Er stampfte ums Haus stürmte zum Stall und wollte gerade losbrüllen, als ...
Vorhang auf
alle: „Psst!“,
einer: Du weckst das Baby!
Wirt: „Baby?“ ungläubig
einer: Ja, heute Nacht ist ein Baby geboren.
Wirt: Ach ja? brummig und beugt sich ärgerlich über die Krippe.
Erzähler: Und in diesem Moment schien sein ganzer Ärger unbegreiflicherweise einfach so davonzufliegen!
Wirt: Oh!, erstaunt Ist es nicht wunderschön?
Erzähler: Und er weckte alle Gäste in seinem Gasthaus auf, denn auch sie sollten in den Stall kommen und dieses ganz besondere Baby anschauen.
Wirt geht herum und holt die Kinder nach vorne
Lied Gemeinde: Seht die gute Zeit ist da, EG 18,1+2; im Kanon mit Instrumenten
Und hier die Ansprache:
Liebe Gemeinde!
Schlag die Tür nicht so laut zu! Der poltrige Wirt wird auf einmal ganz ruhig, als er das Baby in seinem Stall sieht. Eben war er noch genervt vom ganzen Trubel um ihn herum, da wollte er nur seine Ruhe haben. Und jetzt, da wird er ganz ruhig. Schlag die Tür nicht so laut zu! Klingt erst einmal ja ganz selbstverständlich, wenn es um neugeborene Kinder geht. Kennt jeder, der mit kleineren Geschwistern groß geworden ist oder in dessen Haus ein Baby war oder ist. Schlag die Tür nicht so laut zu – dieses eigentlich so selbstverständliche ist der erste Schritt zum Frieden. Das hat Franz von Sales, der vor ungefähr 400 Jahren in Frankreich gelebt hat, einmal jemandem gesagt, der wissen wollte, was er für den Frieden tun könne. Für mich ist das, wie wir gerade auch gesehen haben, ein Teil der Botschaft von Weihnachten. Schlag die Tür nicht so laut zu – Frieden fängt nicht erst da an, wo keine Waffen mehr benutzt werden, sondern da, wo ein Mensch auf den anderen Rücksicht nimmt. Frieden fängt da an, wo ich mich darauf einlassen kann, dass jemand meine Hilfe, meine Rücksicht, meine Umsicht braucht. Frieden fängt da an, wo ich den anderen nicht durch Lärm und Poltern und Geschrei beeindrucken will, sondern wo ich auf ihn zugehen kann, wo ruhig und klar geredet, geliebt und viel-leicht auch mal gestritten werden kann. „Frieden auf Erden“, das ist die Botschaft, die die Engel den Hirten mitgeben, bevor diese in den Stall gehen und im Kind in der Krippe, in einem ganz normalen Baby Gott entdecken. Frieden, das ist das, was dieses Kind, was Gott, der sich in diesem Kind zeigt, den Menschen geben möchte. Aber er tut das nicht dadurch, dass er sich groß aufspielt, mit viel Macht und Panzern und Waffen und Strafen droht, sondern indem er sich ganz klein und ganz hilfsbedürftig macht. Frieden fängt eben nicht ganz oben an, sondern ganz unten. Bei jedem von uns. Groß und Klein. Türen kann jeder leise zu machen. Das Kind nicht stören, das Poltern lassen, sich anstecken lassen davon, dass Gott als hilfsbedürftiger Helfer in diese Welt kommt. Es ist gar kein so neuer Blick auf die Welt, den Gott uns an Weihnachten schenken und öffnen will. Es ist die Erinnerung an die eigene Menschlichkeit. Gott wird Mit-Mensch, damit wir mitmenschlich sein und bleiben können, damit wir unsere Menschlichkeit neu entdecken. Gott bringt uns Frieden und stiftet uns zum Frieden an. Im Großen wie im Kleinen. Beginnen wir doch im Kleinen. Die Großen und die Kleinen. Indem wir Türen nicht zuschlagen, sondern öffnen, indem wir wahrnehmen, was der andere braucht und was wir brauchen, damit wir friedlich miteinander leben können. Indem wir nicht darauf warten, dass der andere anfängt, sondern indem wir anfangen, den Frieden, den Gott uns in dem Kind in der Krippe schenkt, einfach zu leben.
Sonntag, 12. Dezember 2010
Wegbereiter - 3. Advent, 12.12.10, Reihe III
Text: Lukas 3,1-14
Die Predigt wurde von Juliane Schneider, Mitarbeiterin im Konfirmandenunterricht, mit vorbereitet und mit gehalten
Liebe Gemeinde!
Juliane: Nach dieser langen Aufzählung, in welche Zeit dieses Geschehen einzuordnen ist, kommt das Wichtigste: Das Wort geschah zu Johannes. Gott hat zu Johannes gesprochen und ihm einen Auftrag gegeben. Dieser Satz ist entscheidend. Johannes hat nicht aus sich heraus die Idee, durch die Gegend zu ziehen und zur Buße aufzurufen. Er ist auch kein Spinner, der sich irgendetwas Verrücktes ausgedacht hat. Nein, Gott hat Johannes einen Auftrag gegeben. Sein Auftrag war es, ein Wegbereiter von Jesus zu sein und zur Buße, das heißt zum Bekennen der Sünden aufzurufen. Johannes ist bereit, sein bisheriges Leben für diesen Auftrag zu ändern. Bisher hat er abgeschieden in der Wüste gelebt, war vielleicht bei einigen Leuten als Eigenbrötler bekannt, aber hatte wahrscheinlich nicht viel mit Menschen zu tun. Dann spricht Gott zu ihm und gibt ihm eine Aufgabe. Auf einmal hat er einen Sinn. Und er ändert seine Lebensweise vom abgeschiedenen Eigenbrötler zu einem, der den Menschen etwas zu sagen hat. So heftig ist das, wenn Gott in ein Leben spricht!!
Johannes hat diesen Auftrag bekommen, bevor die Menschen Jesus kannten. Johannes war der Wegbereiter für Jesus. Er sollte die Menschen darauf vorbereiten, dass Jesus bald kommen würde und ihren Glauben und ihre Leben auf den Kopf stellen würde.
Heute ist der 3. Advent. Wir befinden uns genau in einer solchen Vorbereitungszeit für Jesus. An Weihnachten erinnern wir uns daran, dass Jesus als Gottes Sohn den Himmel verlassen hat und als schwaches Baby auf die Erde gekommen ist. Wir befinden uns aber auch noch in einer anderen Zeit. Jesus hat versprochen, dass er wieder auf die Erde kommen wird. Dann jedoch nicht als schwaches Baby, sondern als mächtiger Herrscher, als König.
Wir befinden uns also in einer Zeit, die darauf wartet, dass Jesus wieder kommt. Wir sind gerade in einer sehr ähnlichen Situation wie Johannes damals. Damals warteten die Menschen auf den Erlöser, heute warten wir als Christen auch auf den Erlöser. Also darauf, dass er ein zweites Mal kommt und uns mit in sein herrliches Reich nimmt.
Der Auftrag, den Gott Johannes damals gegeben hat, war: Sei ein Wegbereiter von Jesus. Sage allen, dass sie sich für Jesus baldige Ankunft bereit machen sollen! Dieser Auftrag gilt auch für uns. So wie Johannes sein bisheriges Leben hinter sich gelassen hat und bereit dazu war, den Sinn seines Lebens völlig neu festzulegen und auf Gott auszurichten, so sollen auch wir, wenn wir Nachfolger von Jesus werden, bereit sein, dem Auftrag Gottes zu folgen und unser altes Leben komplett hinter uns lassen. Wir sollen von nun an für Gott leben.
Wie geht das? Wie können wir Wegbereiter für Jesus sein und im Auftrag des Herrn unterwegs sein?? Unser Auftrag in dieser Zeit ist es, so zu leben und vorzuleben, als ob Gottes Himmelreich schon hier auf der Erde wäre. In der Bibel gibt es viele Vergleiche, wie es dort aussehen wird, wohin Jesus uns Christen mitnimmt, wenn er das zweite Mal kommt. Kranke sind dort nicht mehr krank, es gibt keine Enttäuschungen, keine Einsamkeit, niemand wird angelogen oder betrogen. Es gibt keine Außenseiter oder Mobber. Es gibt dort keine Armen und Reichen. Und vor allem werden wir alle in ganz enger Gemeinschaft mit Gott leben. Genial, oder?
Wenn wir jetzt also den Auftrag von Gott haben, so zu leben, als wäre dieses Himmelreich schon jetzt da, dann haben wir den Auftrag, für Kranke zu beten, damit sie wieder gesund werden, niemanden zu enttäuschen, zu belügen oder zu betrügen, sich mit Außenseitern und Einsamen anzufreunden, niemanden zu mobben, als Reicher den Armen etwas abzugeben und schon jetzt in ganz enger Gemeinschaft mit Gott zu leben. Der Auftrag kann jedoch auch heißen, anderen Menschen von Jesus zu erzählen, damit auch sie später in diesem herrlichen Reich wohnen können. Es kann heißen, einen Hauskreis zu gründen, wo es um Jesus geht oder auch als Missionar nach Afrika oder China zu reisen, um den Menschen dort von Jesus zu erzählen. Gott hat also große Dinge mit uns vor. Die Frage ist nur, ob wir bereit dazu sind.
Uli: Ja, Gott hat Großes mit uns vor. Und die Frage ist auch für mich: sind wir wirklich bereit dazu? Mindestens zwei Dinge sind dabei wichtig. Zum einen ist es wichtig, den Blick für den ersten und den zweiten Schritt zu behalten, und nicht vor lauter Großem, was einen ja vielleicht auch überfordern kann, das Kleine, das groß wird, aus dem Blick zu verlieren. Jesus selbst vergleicht den Glauben mit einem ganz kleinen Senfkorn, aus dem eine große Pflanze wächst. Gott selbst zeigt sich als einfacher, hilfsbedürftiger Mensch, in einem Baby, aus dem ein großer Neuanfang seiner Liebe zu uns entsteht. Nicht jeder ist geeignet, als Missionar in die Fremde zu gehen. Und Mission, das hört sich für viele verstaubt und vorgestrig an. Mission, hinweisen auf die Kraft der Liebe Gottes, das heißt zu-erst mal das, was Johannes hier deutlich macht: „Lebt so, dass niemand unter euch leidet“. Das ist es, was er den Soldaten und den Zöllnern als Ratschlag gibt. Was sich so einfach anhört, ist im Alltag schwer genug. Menschen tun einander weh. Körperlich, materiell, seelisch. Im Kleinen und im Weltmaßstab. Der Wohlstand in Europa, in der entwickelten Welt hängt immer noch daran, dass viel zu viele Menschen keinen gerechten Lohn für ihre Arbeit bekommen. Man könnte noch mehr Beispiele finden. Der erste Schritt, missionarisch, auf die Liebe Gottes hinweisend zu leben, ist es, den anderen, der mir anvertraut ist, der mir begegnet, in den Blick zu nehmen. Für mich hier auf dem Richtsberg wird das in vielen Beispielen ganz praktisch. Da gibt es Menschen, die sorgen dafür, dass sich in den Häusern, in denen sie wohnen, was tut, dass es da nicht wie der letzte Dreck aussieht. Da gibt es Menschen, die haben schon vor langer Zeit angefangen, sich um Kinder zu kümmern, die in ihren Familien manchmal nicht richtig wahrgenommen werden. Es sind die kleinen Schritte, die kleinen Anfänge, aus denen Großes wächst. „Lebt so, dass niemand unter euch leidet.“ – Ein Anfang.
Neben diesem Blick für den kleinen Anfang gehört als Zweites für mich Bereitschaft dazu, sich selbst, den Glauben, die eigenen Selbstverständlichkeiten hinterfragen zu lassen. Johannes sagt den Leuten, die zu ihm kommen: Nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Vielleicht auf den ersten Blick merkwürdig. Aber eigentlich kann man das ganz leicht übersetzen: Lebt eure Berufung! Verlasst euch nicht auf das, was ihr schon seid, sondern lebt es auch! Gott hat ja seinen Bund der Liebe mit dem Volk Israel, mit den Juden, geschlossen. Mit Abrahams Kindern. Gott hat, sichtbar in der Taufe, auch einen Bund mit uns geschlossen. Er verspricht, da zu sein. Er verspricht Liebe und Vergebung. Die Antwort, die anscheinend viele Menschen zur Zeit von Johannes gegeben haben, war: „Toll, Gott, dass du für uns da bist. Wir machen dann mal, was wir wollen, du musst uns ja liebhaben, wir sind doch Abrahams Kinder.“ Und viel-leicht ist das auch eine Antwort, die ich als Getaufter zu oft gebe: „Danke Gott, dass du für mich da bist. Aber ich bin dann mal weg und mach, was ich will!“ Lebe deine Taufe. Lebe die Liebe, mit der du geliebt wirst. Lass dich fragen, ob das, was du tust und lässt, dieser Liebe entspricht. Sei kritisch mit dir selbst. Und bleib nicht bei dir stehen. Nimm die Welt in deinen Glauben mit hinein. Gerade die erste Antwort, die Johannes der Menge gibt, als sie fragt, was sie tun sollen, zeigt das: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. Es geht nicht nur um das persönliche Seelenheil, es geht um Gerechtigkeit in der Welt. Glauben schaut nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Für mich ist das die Botschaft, die Johannes uns auch heute noch mitgibt.
Und da merke ich, dass es gut ist, dass Johannes nicht Gottes letztes Wort ist. Johannes bereitet das vor, was durch Jesus zu Ende gebracht wird. Johannes macht auf das aufmerksam, was nicht in Ordnung ist. Er hält den Menschen schonungslos den Spiegel vor. Jesus hilft uns, diesen schonungslosen Blick auf uns, auf unser Versagen auch auszuhalten. Johannes zeigt uns unsere Wunden, unsere Verletzungen und die, die wir anderen zufügen. Und Jesus verbindet und heilt sie. Die Botschaft, die er uns von Gott zeigt, ist die: Ich liebe dich trotz deiner Schuld, trotz allem, was nicht in Ordnung ist. Du darfst neu anfangen. Mach was draus. Wir brauchen beides: Den, der die Wunden aufzeigt und den, der sie verbindet und heilt. Sind wir also bereit, für das Große, das Gott vorhat und das so klein beginnt? Ich wünsche uns, dass wir in diesem Advent Großes erleben. Dass wir erleben, wie aus Not Segen werden kann, wie Kleines groß wird, wie ein ehrlicher Blick auf Schwächen und Schuld neue Liebe wachsen lässt. Gott hat Großes mit uns vor. Durch Liebe, in Liebe. Gott sei Dank.
Amen.
Die Predigt wurde von Juliane Schneider, Mitarbeiterin im Konfirmandenunterricht, mit vorbereitet und mit gehalten
Liebe Gemeinde!
Juliane: Nach dieser langen Aufzählung, in welche Zeit dieses Geschehen einzuordnen ist, kommt das Wichtigste: Das Wort geschah zu Johannes. Gott hat zu Johannes gesprochen und ihm einen Auftrag gegeben. Dieser Satz ist entscheidend. Johannes hat nicht aus sich heraus die Idee, durch die Gegend zu ziehen und zur Buße aufzurufen. Er ist auch kein Spinner, der sich irgendetwas Verrücktes ausgedacht hat. Nein, Gott hat Johannes einen Auftrag gegeben. Sein Auftrag war es, ein Wegbereiter von Jesus zu sein und zur Buße, das heißt zum Bekennen der Sünden aufzurufen. Johannes ist bereit, sein bisheriges Leben für diesen Auftrag zu ändern. Bisher hat er abgeschieden in der Wüste gelebt, war vielleicht bei einigen Leuten als Eigenbrötler bekannt, aber hatte wahrscheinlich nicht viel mit Menschen zu tun. Dann spricht Gott zu ihm und gibt ihm eine Aufgabe. Auf einmal hat er einen Sinn. Und er ändert seine Lebensweise vom abgeschiedenen Eigenbrötler zu einem, der den Menschen etwas zu sagen hat. So heftig ist das, wenn Gott in ein Leben spricht!!
Johannes hat diesen Auftrag bekommen, bevor die Menschen Jesus kannten. Johannes war der Wegbereiter für Jesus. Er sollte die Menschen darauf vorbereiten, dass Jesus bald kommen würde und ihren Glauben und ihre Leben auf den Kopf stellen würde.
Heute ist der 3. Advent. Wir befinden uns genau in einer solchen Vorbereitungszeit für Jesus. An Weihnachten erinnern wir uns daran, dass Jesus als Gottes Sohn den Himmel verlassen hat und als schwaches Baby auf die Erde gekommen ist. Wir befinden uns aber auch noch in einer anderen Zeit. Jesus hat versprochen, dass er wieder auf die Erde kommen wird. Dann jedoch nicht als schwaches Baby, sondern als mächtiger Herrscher, als König.
Wir befinden uns also in einer Zeit, die darauf wartet, dass Jesus wieder kommt. Wir sind gerade in einer sehr ähnlichen Situation wie Johannes damals. Damals warteten die Menschen auf den Erlöser, heute warten wir als Christen auch auf den Erlöser. Also darauf, dass er ein zweites Mal kommt und uns mit in sein herrliches Reich nimmt.
Der Auftrag, den Gott Johannes damals gegeben hat, war: Sei ein Wegbereiter von Jesus. Sage allen, dass sie sich für Jesus baldige Ankunft bereit machen sollen! Dieser Auftrag gilt auch für uns. So wie Johannes sein bisheriges Leben hinter sich gelassen hat und bereit dazu war, den Sinn seines Lebens völlig neu festzulegen und auf Gott auszurichten, so sollen auch wir, wenn wir Nachfolger von Jesus werden, bereit sein, dem Auftrag Gottes zu folgen und unser altes Leben komplett hinter uns lassen. Wir sollen von nun an für Gott leben.
Wie geht das? Wie können wir Wegbereiter für Jesus sein und im Auftrag des Herrn unterwegs sein?? Unser Auftrag in dieser Zeit ist es, so zu leben und vorzuleben, als ob Gottes Himmelreich schon hier auf der Erde wäre. In der Bibel gibt es viele Vergleiche, wie es dort aussehen wird, wohin Jesus uns Christen mitnimmt, wenn er das zweite Mal kommt. Kranke sind dort nicht mehr krank, es gibt keine Enttäuschungen, keine Einsamkeit, niemand wird angelogen oder betrogen. Es gibt keine Außenseiter oder Mobber. Es gibt dort keine Armen und Reichen. Und vor allem werden wir alle in ganz enger Gemeinschaft mit Gott leben. Genial, oder?
Wenn wir jetzt also den Auftrag von Gott haben, so zu leben, als wäre dieses Himmelreich schon jetzt da, dann haben wir den Auftrag, für Kranke zu beten, damit sie wieder gesund werden, niemanden zu enttäuschen, zu belügen oder zu betrügen, sich mit Außenseitern und Einsamen anzufreunden, niemanden zu mobben, als Reicher den Armen etwas abzugeben und schon jetzt in ganz enger Gemeinschaft mit Gott zu leben. Der Auftrag kann jedoch auch heißen, anderen Menschen von Jesus zu erzählen, damit auch sie später in diesem herrlichen Reich wohnen können. Es kann heißen, einen Hauskreis zu gründen, wo es um Jesus geht oder auch als Missionar nach Afrika oder China zu reisen, um den Menschen dort von Jesus zu erzählen. Gott hat also große Dinge mit uns vor. Die Frage ist nur, ob wir bereit dazu sind.
Uli: Ja, Gott hat Großes mit uns vor. Und die Frage ist auch für mich: sind wir wirklich bereit dazu? Mindestens zwei Dinge sind dabei wichtig. Zum einen ist es wichtig, den Blick für den ersten und den zweiten Schritt zu behalten, und nicht vor lauter Großem, was einen ja vielleicht auch überfordern kann, das Kleine, das groß wird, aus dem Blick zu verlieren. Jesus selbst vergleicht den Glauben mit einem ganz kleinen Senfkorn, aus dem eine große Pflanze wächst. Gott selbst zeigt sich als einfacher, hilfsbedürftiger Mensch, in einem Baby, aus dem ein großer Neuanfang seiner Liebe zu uns entsteht. Nicht jeder ist geeignet, als Missionar in die Fremde zu gehen. Und Mission, das hört sich für viele verstaubt und vorgestrig an. Mission, hinweisen auf die Kraft der Liebe Gottes, das heißt zu-erst mal das, was Johannes hier deutlich macht: „Lebt so, dass niemand unter euch leidet“. Das ist es, was er den Soldaten und den Zöllnern als Ratschlag gibt. Was sich so einfach anhört, ist im Alltag schwer genug. Menschen tun einander weh. Körperlich, materiell, seelisch. Im Kleinen und im Weltmaßstab. Der Wohlstand in Europa, in der entwickelten Welt hängt immer noch daran, dass viel zu viele Menschen keinen gerechten Lohn für ihre Arbeit bekommen. Man könnte noch mehr Beispiele finden. Der erste Schritt, missionarisch, auf die Liebe Gottes hinweisend zu leben, ist es, den anderen, der mir anvertraut ist, der mir begegnet, in den Blick zu nehmen. Für mich hier auf dem Richtsberg wird das in vielen Beispielen ganz praktisch. Da gibt es Menschen, die sorgen dafür, dass sich in den Häusern, in denen sie wohnen, was tut, dass es da nicht wie der letzte Dreck aussieht. Da gibt es Menschen, die haben schon vor langer Zeit angefangen, sich um Kinder zu kümmern, die in ihren Familien manchmal nicht richtig wahrgenommen werden. Es sind die kleinen Schritte, die kleinen Anfänge, aus denen Großes wächst. „Lebt so, dass niemand unter euch leidet.“ – Ein Anfang.
Neben diesem Blick für den kleinen Anfang gehört als Zweites für mich Bereitschaft dazu, sich selbst, den Glauben, die eigenen Selbstverständlichkeiten hinterfragen zu lassen. Johannes sagt den Leuten, die zu ihm kommen: Nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Vielleicht auf den ersten Blick merkwürdig. Aber eigentlich kann man das ganz leicht übersetzen: Lebt eure Berufung! Verlasst euch nicht auf das, was ihr schon seid, sondern lebt es auch! Gott hat ja seinen Bund der Liebe mit dem Volk Israel, mit den Juden, geschlossen. Mit Abrahams Kindern. Gott hat, sichtbar in der Taufe, auch einen Bund mit uns geschlossen. Er verspricht, da zu sein. Er verspricht Liebe und Vergebung. Die Antwort, die anscheinend viele Menschen zur Zeit von Johannes gegeben haben, war: „Toll, Gott, dass du für uns da bist. Wir machen dann mal, was wir wollen, du musst uns ja liebhaben, wir sind doch Abrahams Kinder.“ Und viel-leicht ist das auch eine Antwort, die ich als Getaufter zu oft gebe: „Danke Gott, dass du für mich da bist. Aber ich bin dann mal weg und mach, was ich will!“ Lebe deine Taufe. Lebe die Liebe, mit der du geliebt wirst. Lass dich fragen, ob das, was du tust und lässt, dieser Liebe entspricht. Sei kritisch mit dir selbst. Und bleib nicht bei dir stehen. Nimm die Welt in deinen Glauben mit hinein. Gerade die erste Antwort, die Johannes der Menge gibt, als sie fragt, was sie tun sollen, zeigt das: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. Es geht nicht nur um das persönliche Seelenheil, es geht um Gerechtigkeit in der Welt. Glauben schaut nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Für mich ist das die Botschaft, die Johannes uns auch heute noch mitgibt.
Und da merke ich, dass es gut ist, dass Johannes nicht Gottes letztes Wort ist. Johannes bereitet das vor, was durch Jesus zu Ende gebracht wird. Johannes macht auf das aufmerksam, was nicht in Ordnung ist. Er hält den Menschen schonungslos den Spiegel vor. Jesus hilft uns, diesen schonungslosen Blick auf uns, auf unser Versagen auch auszuhalten. Johannes zeigt uns unsere Wunden, unsere Verletzungen und die, die wir anderen zufügen. Und Jesus verbindet und heilt sie. Die Botschaft, die er uns von Gott zeigt, ist die: Ich liebe dich trotz deiner Schuld, trotz allem, was nicht in Ordnung ist. Du darfst neu anfangen. Mach was draus. Wir brauchen beides: Den, der die Wunden aufzeigt und den, der sie verbindet und heilt. Sind wir also bereit, für das Große, das Gott vorhat und das so klein beginnt? Ich wünsche uns, dass wir in diesem Advent Großes erleben. Dass wir erleben, wie aus Not Segen werden kann, wie Kleines groß wird, wie ein ehrlicher Blick auf Schwächen und Schuld neue Liebe wachsen lässt. Gott hat Großes mit uns vor. Durch Liebe, in Liebe. Gott sei Dank.
Amen.
Sonntag, 5. Dezember 2010
Katastrophale Hoffnung - 2. Advent, 5.12.2010, Reihe III
Text: Matthäus 24,1-14
Liebe Gemeinde!
Morgen kommt der Nikolaus und in knapp drei Wochen das Christkind. Da gibt’s Geschenke für alle, die lieb waren – und wer war das nicht? Kleine und große Geschenke, die Freude machen sollen. Und hoffentlich tun sie das auch. Vorfreude, sie gehört zum Advent. Und Ruhe, Besinnlichkeit, Kerzen, Tee, Plätzchen, Glühwein, Freunde, Familie. Ja, es soll so sein, wie es das Christkind aus dem offenen Himmelstor Knecht Ruprecht in Theodor Storms Gedicht entgegenruft: „Alt‘ und Junge sollen nun / von der Jagd des Lebens einmal ruh’n“.
Und dann, mitten in diese schönen Erwartungen hinein, kommt so eine katastrophale Rede von Jesus, die so gar nicht zur Adventsstimmung passt und erstmal überhaupt nicht auf Weihnachten einstimmt. Sie ist ziemlich ungemütlich. Kriege, Naturkatastrophen, Hungersnöte, Hass und Abfall vom Glauben, falsche Propheten, kein Stein bleibt mehr auf dem anderen, die Welt wird zu Grunde gehen. – Alle schlechten Nachrichten des zu Ende gehenden Jahres scheinen in dieser Rede von Jesus vorzukommen. Angefangen vom Erdbeben in Haiti über den nicht enden wollenden Krieg in Afghanistan, die Terrorgefahr und die Erfahrung, dass Christen durchaus noch verfolgt werden - offen im Irak oder Nordkorea, versteckt durchaus auch da, wo Menschen lächerlich gemacht werden, die sich aus ihrer christlichen Überzeugung heraus für mehr Gerechtigkeit in Schule, Wirtschaft, in der Gesellschaft einsetzen – bis hin zu den Auswüchsen, dass Menschen sich als Christen bezeich-nen, aber dann Menschen, die anders oder gar nicht glau-ben, Rechte absprechen und sich nicht für Gerechtigkeit und Liebe, sondern für Intoleranz und Abgrenzung ein-setzen. Muss das sein, im Advent, in der Kirche? Kann man da nicht die gute Nachricht weitersagen? Erholung vom Alltag, der anstrengend genug ist – dafür ist die Kir-che doch da, oder etwa nicht? Gute Nachrichten – so wie es das Wort Evangelium, das ja nichts anderes heißt, ver-spricht!
Ja, gute Nachrichten! Ja, dafür ist Jesus da. Und alle, die behaupten, von Jesus zu reden, müssen sich, gerade in dieser Zeit, auch daran messen lassen, ob sie die gute Nachricht wirklich weiter sagen. Und die gute Nachricht ist die: Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Wir Menschen, ob Christen oder nicht, neigen dazu, den Augenblick für das Ganze zu nehmen. Wir neigen dazu, in unseren Grenzen und Schubladen zu denken und zu bleiben. Da bleibt we-nig Raum für Hoffnung. Da bleibt wenig Raum für Weite. Jesus will Mut zur Hoffnung machen. Er will nicht, dass Menschen sich von den Schwierigkeiten, die es im Alltag gibt, gefangen nehmen lassen und das für die ganze Wirk-lichkeit nehmen. Wenn wir von der Gegenwart her den-ken, dann gibt es tatsächlich wenig Grund zur Hoffnung. Grund zur Hoffnung gibt es nur, wenn wir mit Jesus von der Zukunft her denken. Ganz deutlich macht das der Wochenspruch für den 2. Advent, den wir nachher noch mal hören: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht (Lk 21,28). Wer den Kopf gesenkt hält, der wird nur einen schmalen Bereich um sich herum wahrnehmen. Auswege, Hoffnungen, all das wird dort schwer zu finden sein. Seht auf, macht den Blick weit. Erhebt den Kopf – lasst ihn nicht hängen. Erlösung ist nahe. Hoffnung ist nahe. Hoffnung ist nahe – und sie kann gesehen werden, wenn die Augen vor dem nicht zugemacht werden, was Hoffnung schwer macht. Erlösung ist nahe – und sie kann erhofft werden, wenn wir, auch wir Christen, uns frei machen von dem Gedanken, dass wir uns selbst erlösen müssten. Diese so ungemütliche, scheinbar so unadventliche Rede Jesu ist eigentlich ein richtig adventlicher Aufruf, auf das Kommen Gottes zu warten. Nicht dadurch, dass wir, ich oder du oder sie als Christ in ein stilles, gemütliches Kämmerlein gehen und dort still und heimlich die ungemütliche Wirklichkeit überleben, sondern in dem wir uns auch der ungemütlichen Wirklichkeit bewusst werden und beharrlich bei dem bleiben, was dem Leben dient.
Bevor Jesus seinen Jüngern von dem erzählt, was der totalen Umgestaltung der Welt vorausgeht, geschieht etwas, was ganz leicht überhört wird. Jesus zieht aus dem Tempel aus und er blickt zurück und sagt: Da wird kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Man kann es sich leicht machen und sagen, dass Matthäus das in Anlehnung an die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 aufgeschrieben hat. Aber es geht, denke ich, um etwas Grundsätzliches. Die feste Grenze, die Mauer, zwischen dem Bereich, in dem Gott ist, und der Welt wird brüchig. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Das Allerheiligste ist nicht mehr ummauert, sondern geht in die Welt. Ein Segen – aber nicht nur. Unsicherheit macht sich breit. Was ist denn nun Gottes Welt? Was ist denn christlich? Wann wird denn offenbar, wie die Welt nach Gottes Willen sein soll? Die Jünger wollen gern Berechnungsgrundlagen. Sie wollen sichere Zeichen, an denen sie erkennen, dass Jesus wiederkommt. Aber Jesus entlässt sie in die Unsicherheit. Die konkreten Beispiele, die er nennt: Kriege, Hungersnöte, falsche Propheten, kalt werdende Liebe, sind so konkret, dass sie in jedem Jahr, zu allen Zeiten zu finden sind. Jederzeit, tagtäglich ist Zeit, in der Glauben schwer fällt. Und immer wieder ist dieser Blick vom Ende her, von der Hoffnung her nötig, um an der Gegenwart nicht zu verzweifeln. Das Aufsehen auf die Erlösung. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen, das Allerheiligste zieht in die Welt – und macht sich dadurch verwechselbar. Uneindeutig. Wie kann das sein, fragen vielleicht manche jetzt. Christen sollen doch unverwechselbar sein, eindeutig in dieser Welt. Gott soll doch eindeutig zu erkennen sein! Jesus warnt vor falschen Propheten, vor Christussen und Christussis, die so etwas versprechen. Er warnt davor, eine erlöste Welt vorzugaukeln, wo so vieles noch auf Erlösung wartet. In dieser Welt, die noch nicht vollendet ist, die darauf wartet, dass die in Christus erschienene Liebe sich endgültig durchsetzt, ist es immer wieder verführerisch, einen einfachen Weg, der einfache Lösungen verspricht, zu predigen. Jesus spricht selbst davon, dass diejenigen, die in seinem Sinn leben, das oft gar nicht richtig erkennen. Wann haben wir dich hungrig, im Gefängnis, nackt, bedürftig gesehen? So fragen die Menschen. Wenn Christus einfach und eindeutig zu erkennen wäre, dann wäre diese Frage nicht nötig. In dieser Welt ist Gott, ist Christus verborgen. Wer einfache Wege verspricht, der führt von Christus weg. Aber auch die Ungerechtigkeit, die Menschen ja immer wieder erfahren, kann von Christus wegführen. Weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten, so heißt es im Predigttext. Alltag, glaube ich. Ich kenne es gut, auch von mir selbst. Die erste Begeisterung, voller Liebe, und dann die Erfahrung, dass eben nicht alles so läuft, wie es richtig wäre. Reiche werden immer reicher und Arme immer ärmer. Unschuldige leiden und Schuldige werden nicht bestraft. Krankheiten fressen Menschen auf, die es in meinen Augen nicht verdient haben. Wozu noch lieben, glauben, hoffen? Ungerechtigkeit lässt Liebe kalt werden. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Ja, eigentlich bleibt uns nichts anderes. Beharrlich sein. Beharrlich Gott auf seine Verheißungen, seine Liebe, seine Erlösung ansprechen. Beharrlich der Versuchung widerstehen, vorschnelle Antworten zu geben. Beharrlich nicht vom eignen Tun und Lassen die Vollendung zu erwarten. Martin Luther hat Gott mit einem glühenden Backofen voll Liebe verglichen. Gebe Gott, dass wir uns nicht verheizen und ausbrennen, indem wir nur auf unsere Liebe und unsere Möglichkeiten vertrauen, sondern dass wir diesem Back-ofen zutrauen, unseren immer wieder anzufeuern. Nicht ausbrennen – vielleicht ist das nötig, damit die Hoffnung, auf die hin und von der her wir leben, da bleiben kann. vielleicht braucht es dazu auch manchen adventlichen Rückzug in Wohlfühloasen, in Ruheräume für Leib und Seele. Nicht, damit die Wirklichkeit geleugnet wird und wir so tun, als wäre alles schon fertig, sondern damit die Hoffnung nicht stirbt und wir in dieser unerlösten Welt leben können. Damit wir getrost aufstehen, die Häupter erheben und die nahende Erlösung sehen können. Nicht im Nikolaus und auch nicht im Christkind, das Geschen-ke unter den Weihnachtsbaum legt, sondern in Christus, dem Kind, dem Mann, dem Sohn Gottes, der uns die Freiheit schenkt, Kind Gottes sein zu dürfen. Die Freiheit, leben zu dürfen. Voller Liebe, in einer Welt, die nicht immer liebevoll ist. Nicht nur im Advent.
Amen.
Liebe Gemeinde!
Morgen kommt der Nikolaus und in knapp drei Wochen das Christkind. Da gibt’s Geschenke für alle, die lieb waren – und wer war das nicht? Kleine und große Geschenke, die Freude machen sollen. Und hoffentlich tun sie das auch. Vorfreude, sie gehört zum Advent. Und Ruhe, Besinnlichkeit, Kerzen, Tee, Plätzchen, Glühwein, Freunde, Familie. Ja, es soll so sein, wie es das Christkind aus dem offenen Himmelstor Knecht Ruprecht in Theodor Storms Gedicht entgegenruft: „Alt‘ und Junge sollen nun / von der Jagd des Lebens einmal ruh’n“.
Und dann, mitten in diese schönen Erwartungen hinein, kommt so eine katastrophale Rede von Jesus, die so gar nicht zur Adventsstimmung passt und erstmal überhaupt nicht auf Weihnachten einstimmt. Sie ist ziemlich ungemütlich. Kriege, Naturkatastrophen, Hungersnöte, Hass und Abfall vom Glauben, falsche Propheten, kein Stein bleibt mehr auf dem anderen, die Welt wird zu Grunde gehen. – Alle schlechten Nachrichten des zu Ende gehenden Jahres scheinen in dieser Rede von Jesus vorzukommen. Angefangen vom Erdbeben in Haiti über den nicht enden wollenden Krieg in Afghanistan, die Terrorgefahr und die Erfahrung, dass Christen durchaus noch verfolgt werden - offen im Irak oder Nordkorea, versteckt durchaus auch da, wo Menschen lächerlich gemacht werden, die sich aus ihrer christlichen Überzeugung heraus für mehr Gerechtigkeit in Schule, Wirtschaft, in der Gesellschaft einsetzen – bis hin zu den Auswüchsen, dass Menschen sich als Christen bezeich-nen, aber dann Menschen, die anders oder gar nicht glau-ben, Rechte absprechen und sich nicht für Gerechtigkeit und Liebe, sondern für Intoleranz und Abgrenzung ein-setzen. Muss das sein, im Advent, in der Kirche? Kann man da nicht die gute Nachricht weitersagen? Erholung vom Alltag, der anstrengend genug ist – dafür ist die Kir-che doch da, oder etwa nicht? Gute Nachrichten – so wie es das Wort Evangelium, das ja nichts anderes heißt, ver-spricht!
Ja, gute Nachrichten! Ja, dafür ist Jesus da. Und alle, die behaupten, von Jesus zu reden, müssen sich, gerade in dieser Zeit, auch daran messen lassen, ob sie die gute Nachricht wirklich weiter sagen. Und die gute Nachricht ist die: Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Wir Menschen, ob Christen oder nicht, neigen dazu, den Augenblick für das Ganze zu nehmen. Wir neigen dazu, in unseren Grenzen und Schubladen zu denken und zu bleiben. Da bleibt we-nig Raum für Hoffnung. Da bleibt wenig Raum für Weite. Jesus will Mut zur Hoffnung machen. Er will nicht, dass Menschen sich von den Schwierigkeiten, die es im Alltag gibt, gefangen nehmen lassen und das für die ganze Wirk-lichkeit nehmen. Wenn wir von der Gegenwart her den-ken, dann gibt es tatsächlich wenig Grund zur Hoffnung. Grund zur Hoffnung gibt es nur, wenn wir mit Jesus von der Zukunft her denken. Ganz deutlich macht das der Wochenspruch für den 2. Advent, den wir nachher noch mal hören: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht (Lk 21,28). Wer den Kopf gesenkt hält, der wird nur einen schmalen Bereich um sich herum wahrnehmen. Auswege, Hoffnungen, all das wird dort schwer zu finden sein. Seht auf, macht den Blick weit. Erhebt den Kopf – lasst ihn nicht hängen. Erlösung ist nahe. Hoffnung ist nahe. Hoffnung ist nahe – und sie kann gesehen werden, wenn die Augen vor dem nicht zugemacht werden, was Hoffnung schwer macht. Erlösung ist nahe – und sie kann erhofft werden, wenn wir, auch wir Christen, uns frei machen von dem Gedanken, dass wir uns selbst erlösen müssten. Diese so ungemütliche, scheinbar so unadventliche Rede Jesu ist eigentlich ein richtig adventlicher Aufruf, auf das Kommen Gottes zu warten. Nicht dadurch, dass wir, ich oder du oder sie als Christ in ein stilles, gemütliches Kämmerlein gehen und dort still und heimlich die ungemütliche Wirklichkeit überleben, sondern in dem wir uns auch der ungemütlichen Wirklichkeit bewusst werden und beharrlich bei dem bleiben, was dem Leben dient.
Bevor Jesus seinen Jüngern von dem erzählt, was der totalen Umgestaltung der Welt vorausgeht, geschieht etwas, was ganz leicht überhört wird. Jesus zieht aus dem Tempel aus und er blickt zurück und sagt: Da wird kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Man kann es sich leicht machen und sagen, dass Matthäus das in Anlehnung an die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 aufgeschrieben hat. Aber es geht, denke ich, um etwas Grundsätzliches. Die feste Grenze, die Mauer, zwischen dem Bereich, in dem Gott ist, und der Welt wird brüchig. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Das Allerheiligste ist nicht mehr ummauert, sondern geht in die Welt. Ein Segen – aber nicht nur. Unsicherheit macht sich breit. Was ist denn nun Gottes Welt? Was ist denn christlich? Wann wird denn offenbar, wie die Welt nach Gottes Willen sein soll? Die Jünger wollen gern Berechnungsgrundlagen. Sie wollen sichere Zeichen, an denen sie erkennen, dass Jesus wiederkommt. Aber Jesus entlässt sie in die Unsicherheit. Die konkreten Beispiele, die er nennt: Kriege, Hungersnöte, falsche Propheten, kalt werdende Liebe, sind so konkret, dass sie in jedem Jahr, zu allen Zeiten zu finden sind. Jederzeit, tagtäglich ist Zeit, in der Glauben schwer fällt. Und immer wieder ist dieser Blick vom Ende her, von der Hoffnung her nötig, um an der Gegenwart nicht zu verzweifeln. Das Aufsehen auf die Erlösung. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen, das Allerheiligste zieht in die Welt – und macht sich dadurch verwechselbar. Uneindeutig. Wie kann das sein, fragen vielleicht manche jetzt. Christen sollen doch unverwechselbar sein, eindeutig in dieser Welt. Gott soll doch eindeutig zu erkennen sein! Jesus warnt vor falschen Propheten, vor Christussen und Christussis, die so etwas versprechen. Er warnt davor, eine erlöste Welt vorzugaukeln, wo so vieles noch auf Erlösung wartet. In dieser Welt, die noch nicht vollendet ist, die darauf wartet, dass die in Christus erschienene Liebe sich endgültig durchsetzt, ist es immer wieder verführerisch, einen einfachen Weg, der einfache Lösungen verspricht, zu predigen. Jesus spricht selbst davon, dass diejenigen, die in seinem Sinn leben, das oft gar nicht richtig erkennen. Wann haben wir dich hungrig, im Gefängnis, nackt, bedürftig gesehen? So fragen die Menschen. Wenn Christus einfach und eindeutig zu erkennen wäre, dann wäre diese Frage nicht nötig. In dieser Welt ist Gott, ist Christus verborgen. Wer einfache Wege verspricht, der führt von Christus weg. Aber auch die Ungerechtigkeit, die Menschen ja immer wieder erfahren, kann von Christus wegführen. Weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten, so heißt es im Predigttext. Alltag, glaube ich. Ich kenne es gut, auch von mir selbst. Die erste Begeisterung, voller Liebe, und dann die Erfahrung, dass eben nicht alles so läuft, wie es richtig wäre. Reiche werden immer reicher und Arme immer ärmer. Unschuldige leiden und Schuldige werden nicht bestraft. Krankheiten fressen Menschen auf, die es in meinen Augen nicht verdient haben. Wozu noch lieben, glauben, hoffen? Ungerechtigkeit lässt Liebe kalt werden. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Ja, eigentlich bleibt uns nichts anderes. Beharrlich sein. Beharrlich Gott auf seine Verheißungen, seine Liebe, seine Erlösung ansprechen. Beharrlich der Versuchung widerstehen, vorschnelle Antworten zu geben. Beharrlich nicht vom eignen Tun und Lassen die Vollendung zu erwarten. Martin Luther hat Gott mit einem glühenden Backofen voll Liebe verglichen. Gebe Gott, dass wir uns nicht verheizen und ausbrennen, indem wir nur auf unsere Liebe und unsere Möglichkeiten vertrauen, sondern dass wir diesem Back-ofen zutrauen, unseren immer wieder anzufeuern. Nicht ausbrennen – vielleicht ist das nötig, damit die Hoffnung, auf die hin und von der her wir leben, da bleiben kann. vielleicht braucht es dazu auch manchen adventlichen Rückzug in Wohlfühloasen, in Ruheräume für Leib und Seele. Nicht, damit die Wirklichkeit geleugnet wird und wir so tun, als wäre alles schon fertig, sondern damit die Hoffnung nicht stirbt und wir in dieser unerlösten Welt leben können. Damit wir getrost aufstehen, die Häupter erheben und die nahende Erlösung sehen können. Nicht im Nikolaus und auch nicht im Christkind, das Geschen-ke unter den Weihnachtsbaum legt, sondern in Christus, dem Kind, dem Mann, dem Sohn Gottes, der uns die Freiheit schenkt, Kind Gottes sein zu dürfen. Die Freiheit, leben zu dürfen. Voller Liebe, in einer Welt, die nicht immer liebevoll ist. Nicht nur im Advent.
Amen.
Sonntag, 21. November 2010
Alles neu! - Ewigkeitssonntag, 21.11.10, Reihe II
Text: Offenbarung 21,1-7
Liebe Gemeinde!
Alles wird neu, anders, besser. Diesmal nutze ich die Chance. Ich lerne mehr in der Schule, verspricht Niki. Ich häng nicht mehr mit den Leuten rum, die mich runterziehen. Ich will nicht mehr so viel Ärger haben und nicht mehr so viel Ärger machen. Ich mache was aus meinem Leben. Alles wird neu, anders, besser. Ich trink nicht mehr, verspricht der Mann. Ich trinke nicht mehr, ich kümmere mich um Arbeit. Und ihr müsst keine Angst mehr haben, dass ich um mich schlage, wenn ich voll bin. Alles wird neu, anders, besser. Ich betrüge dich nicht mehr, ich gehe nicht mehr fremd. Ich stehe zu dir, zu unserer Familie. Gib uns noch eine Chance. Alles wird neu, anders, besser. Yes, we can. Ja, gemeinsam schaffen wir es, unser Land, die Welt besser, sicherer zu machen. Ich zeige euch den Weg. Alles wird neu, anders, besser. Ich will jetzt wirklich ernst¬haft an Gott glauben, ganz auf Jesus vertrauen. Ich will nicht mehr wie früher gleichgültig sein oder über Leute, die an Gott glauben, lächeln. Alles wird neu, anders, besser. Und wie lange? Was ist, wenn die Freunde nur noch „Streber“ sagen, einen schneiden, von tollen Wochenenden erzählen, an de¬nen Niki selbst nur gelernt hat? Was ist, wenn statt der er¬hofften Arbeit nur Absagen kommen, wenn Meinungsverschiedenheiten da sind und das Gefühl, dass alles zu viel wird? Was ist, wenn einem die Kumpels abends in der Kneipe sagen, dass die Evi gut im Bett ist und nur auf ihn wartet, er kann das doch? Was ist, wenn die politische Wirklichkeit kommt und Wahlkampfversprechen mühsamen Kompromissen wei-chen? Wie ist das, wenn eine schwere Krankheit und der quälende Tod eines geliebten Menschen dann doch Zweifel an dem gütigen Gott aufkommen lassen? Alles wird neu, besser, anders – tatsächlich für immer oder nur bis zur ersten, zweiten oder spätestens dritten Schwierig-keit?
Menschen zweifeln, wenn ihnen versprochen wird, dass alles neu, anders, besser wird. Weil sie bei anderen und bei sich selbst aus eigener Erfahrung merken, dass die Kraft zu wirklicher Veränderung oft nicht lang anhält und dann alles weiter geht wie gewohnt – manchmal eben wirklich alles andere als gut. Menschen zweifeln. Aus Enttäuschung. Über sich selbst, über andere. Und weil wir Menschen die Erfahrung machen, dass Veränderungen manchmal sehr weh tun. Gerade heute. Alles wird anders – 29 Namen werden gleich vorgelesen. 29 Namen von 29 Menschen, die in unserer Gemeinde seit dem letzten Ewigkeitssonntag gestorben sind. 29 Menschen, die fehlen. 29 Leben von Kindern, Ehemännern und Ehefrauen, Geschwistern, Verwandten, Freunden, die sich geändert haben. Was soll das Gerede von einem neuen Himmel, einer neuen Erde, wenn ein wichtiger Teil des eigenen Lebens unter diesem Himmel und auf dieser Erde fehlt? Wieder so eine Vertröstung, „alles wird gut“, wo doch nichts gut ist? Wieder so ein Warten, das kein Ende nehmen will? Nein, vertrösten und von harter Wirklichkeit ablenken wollen diese Worte aus der Bibel nicht. Sie wollen helfen, über eine harte und traurige Welt hinauszusehen und Gott mehr zuzutrauen, als Menschen je zu tun in der Lage wären. Der Seher Johannes, eine Art Prophet, schreibt vor diesem Bild von einer schönen, neuen Welt in ganz viel düsteren Bildern, die den neuen Harry Potter und alle düsteren Filme, die je im Kino gelaufen sind, weit in den Schatten stellen, von der Wirklichkeit der Christen seiner Zeit. Von Verfolgung und Bedrohung. Von Lebensgefahr. Von der Schwäche, aus Angst Gott und sich selbst zu verraten. Von der Gleichgültigkeit. Und er schreibt von dem Leid, das durch Hass, Rache, Gleichgültigkeit und aus der Erfahrung, dass wir Menschen unser Leben ganz und gar nicht im Griff haben, entsteht. Er schreibt davon in Bil-dern, die schwer zu verstehen sind. Er redet nichts schön. Er macht den Menschen nicht vor, dass sie nur ganz fest glauben müssten und schon bliebe ihnen das alles erspart. Im Gegenteil. Oft scheint es ja denen, die nicht auf Gott vertrauen, die zynisch leben, die sich am Leid und der Angst anderer freuen, besser zu gehen. Denen, die skrupellos andere ausnutzen, damit sie im Vorteil sind. Denen, die sagen, es ist doch nicht schlimm, wenn ein Mensch stirbt, eine Ansammlung von Molekülen weniger in dieser Welt, mehr nicht. Denen, die vor Krieg, Vergewaltigung, Menschenhandel und Mord nicht zurückschrecken, um Gewinn zu machen. Denen, die mit dem Tod Geschäft machen und aufgeschnittene Körper ausstellen, die den Menschen als eine Art Maschine sehen. Nein, schonungslos wird die Wirklich-keit erzählt. Zu der Leid und Trauer gehören. Leid, Trauer, Zweifel, auch einem, der noch so fest und vertrauensvoll glauben kann, bleibt das nicht erspart. Im Vertrauen auf die neue Wirklichkeit, die Gott in Jesus hat anbrechen lassen, schreibt Johannes aber auch von dieser neuen Welt. Johannes erzählt davon, dass Gottes Ziel für das Leben nicht ist, dass wir im Sumpf der Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit, der Trauer und des Verlustes steckenbleiben oder uns nur an ein irgendwie schöneres Gestern klammern könnten, weil alles, was kommt, nur schlechter als die Vergangenheit sein könnte. Nein, es gibt eine Zukunft. Eine Zukunft, von der nur in Bildern erzählt werden kann. Eine Zukunft, die ans Licht bringen wird, was wirklich stark ist. Es gibt eine Zukunft, die die Hoffnung auf eine gute, gerechte Welt, auf einen Sieg des Lebens rechtfertigt. Gott wird mitten unter den Menschen wohnen: siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er selbst wird bei ihnen wohne. Gottes Hütte oder, so kann es auch übersetzt sein, Zelt. Ein Bild, das auf das Alte Testament zurückgeht. Gott, so erzählt die Bibel, zog wie in einem Zelt mit dem Volk Israel. Wo dieses Zelt, diese Hütte auf der langen Wanderung von Ägypten in das gelobte Land aufgeschlagen wurde, da war Gott wirklich da. Eine tolle Vorstellung und für mich die Grundlage des Glaubens. Gott wohnt nicht in einem Palast oder im Himmel, sondern mitten unter den Menschen. In Jesus hat er das ganz deutlich gemacht. In ihm war Gott in dieser Welt, in diesem Leben erfahrbar. Nicht weit weg. Nicht wir müssen uns auf einen weiten Weg zu Gott machen, sondern bevor wir uns aufmachen, hat Gott sich schon zu uns aufgemacht. Gott kommt zu uns. Und er wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Der Tod behält nicht das letzte Wort. Das Leben im Glauben ist kein Leben ohne Tränen und ohne Leid, aber ein Leben, das wissen darf, dass Trost wartet. Auch in Zeiten, in denen er noch so fern zu sein scheint. Das alles steht un-ter der Verheißung: Siehe, ich mach alles neu! Der, der das von sich sagt, Gott, macht alles neu. Er ist es, der die Hoffnung wachhält, dass sich Leben lohnt, dass sich Ge-rechtigkeit und Frieden durchsetzen, dass Leid und Unterdrückung ein Ende haben. Er macht alles neu. Wo Menschen alles neu machen wollen, wo Menschen endgültige Erlösung versprechen, wird es schiefgehen. Wir Menschen bleiben mit unseren Möglichkeiten begrenzt. Das, was wir tun, wird nie perfekt sein und unglaublich viel Leid entsteht dadurch, dass Menschen andere mit Gewalt zu ihrem Glück oder zu einem Glauben zwingen wollen, der angeblich glücklich macht. Wir Menschen müssen und dürfen uns nicht an Gottes Stelle setzen und absolute Herrschaft über das Leben und Sterben anderer ausüben wollen. Wir können uns gegenseitig keine endgültige Erlösung verschaffen. Was wir können ist es, zu hoffen und aus dieser Hoffnung heraus zu leben. Vorzuleben, was dem Leben dient, weil das Leben von Anfang an Gottes Wille ist. Die Zukunft hat begonnen. Sie ist noch nicht da, noch nicht fertig. Wir dürfen an der Zukunft, an Gott Zukunft für die Welt mit bauen. Durch Vertrauen, das wir trotz aller Versagenserfahrungen uns gegenseitig schenken. Weil wir hoffen dürfen, dass Gott auch das, was scheitert, zum Guten führen kann. Wir dürfen mit bauen, mitarbeiten, besser machen. Aber wenn wir glauben, es fertig machen zu müssen, werden wir uns und die Menschen, die mit uns leben, letztlich wirklich fertigmachen und scheitern.
Es ist nicht die Erfahrung, die dafür spricht, dass alles anders, besser, alles neu wird. Gute Absichten scheitern. Menschen verletzen sich gegenseitig, weil wir nicht in der Lage sind, perfekt zu sein. Es ist nicht die Erfahrung, die uns Hoffnung schenkt. Zu oft erfahren wir, das Leben abbricht, das Abschied weh tut. Es ist der hoffende Glaube, das Vertrauen, das Gott wirklich A und O ist, Anfang und Ende, dass Gott alles Reden, Tun und Handeln umfasst. In ihm ist der Anfang und das Ziel des Lebens und das Ziel ist gut. Das Ziel liegt im Leben, das Gott schenkt. Im Leben, das getröstet und gut ist. Das Ziel ist ein Geschenk. Wir können darauf hin leben und glauben. Mit Rückschlägen und Umwegen. Wir müssen es nicht zwingen. Wir dürfen leben.
Amen
Liebe Gemeinde!
Alles wird neu, anders, besser. Diesmal nutze ich die Chance. Ich lerne mehr in der Schule, verspricht Niki. Ich häng nicht mehr mit den Leuten rum, die mich runterziehen. Ich will nicht mehr so viel Ärger haben und nicht mehr so viel Ärger machen. Ich mache was aus meinem Leben. Alles wird neu, anders, besser. Ich trink nicht mehr, verspricht der Mann. Ich trinke nicht mehr, ich kümmere mich um Arbeit. Und ihr müsst keine Angst mehr haben, dass ich um mich schlage, wenn ich voll bin. Alles wird neu, anders, besser. Ich betrüge dich nicht mehr, ich gehe nicht mehr fremd. Ich stehe zu dir, zu unserer Familie. Gib uns noch eine Chance. Alles wird neu, anders, besser. Yes, we can. Ja, gemeinsam schaffen wir es, unser Land, die Welt besser, sicherer zu machen. Ich zeige euch den Weg. Alles wird neu, anders, besser. Ich will jetzt wirklich ernst¬haft an Gott glauben, ganz auf Jesus vertrauen. Ich will nicht mehr wie früher gleichgültig sein oder über Leute, die an Gott glauben, lächeln. Alles wird neu, anders, besser. Und wie lange? Was ist, wenn die Freunde nur noch „Streber“ sagen, einen schneiden, von tollen Wochenenden erzählen, an de¬nen Niki selbst nur gelernt hat? Was ist, wenn statt der er¬hofften Arbeit nur Absagen kommen, wenn Meinungsverschiedenheiten da sind und das Gefühl, dass alles zu viel wird? Was ist, wenn einem die Kumpels abends in der Kneipe sagen, dass die Evi gut im Bett ist und nur auf ihn wartet, er kann das doch? Was ist, wenn die politische Wirklichkeit kommt und Wahlkampfversprechen mühsamen Kompromissen wei-chen? Wie ist das, wenn eine schwere Krankheit und der quälende Tod eines geliebten Menschen dann doch Zweifel an dem gütigen Gott aufkommen lassen? Alles wird neu, besser, anders – tatsächlich für immer oder nur bis zur ersten, zweiten oder spätestens dritten Schwierig-keit?
Menschen zweifeln, wenn ihnen versprochen wird, dass alles neu, anders, besser wird. Weil sie bei anderen und bei sich selbst aus eigener Erfahrung merken, dass die Kraft zu wirklicher Veränderung oft nicht lang anhält und dann alles weiter geht wie gewohnt – manchmal eben wirklich alles andere als gut. Menschen zweifeln. Aus Enttäuschung. Über sich selbst, über andere. Und weil wir Menschen die Erfahrung machen, dass Veränderungen manchmal sehr weh tun. Gerade heute. Alles wird anders – 29 Namen werden gleich vorgelesen. 29 Namen von 29 Menschen, die in unserer Gemeinde seit dem letzten Ewigkeitssonntag gestorben sind. 29 Menschen, die fehlen. 29 Leben von Kindern, Ehemännern und Ehefrauen, Geschwistern, Verwandten, Freunden, die sich geändert haben. Was soll das Gerede von einem neuen Himmel, einer neuen Erde, wenn ein wichtiger Teil des eigenen Lebens unter diesem Himmel und auf dieser Erde fehlt? Wieder so eine Vertröstung, „alles wird gut“, wo doch nichts gut ist? Wieder so ein Warten, das kein Ende nehmen will? Nein, vertrösten und von harter Wirklichkeit ablenken wollen diese Worte aus der Bibel nicht. Sie wollen helfen, über eine harte und traurige Welt hinauszusehen und Gott mehr zuzutrauen, als Menschen je zu tun in der Lage wären. Der Seher Johannes, eine Art Prophet, schreibt vor diesem Bild von einer schönen, neuen Welt in ganz viel düsteren Bildern, die den neuen Harry Potter und alle düsteren Filme, die je im Kino gelaufen sind, weit in den Schatten stellen, von der Wirklichkeit der Christen seiner Zeit. Von Verfolgung und Bedrohung. Von Lebensgefahr. Von der Schwäche, aus Angst Gott und sich selbst zu verraten. Von der Gleichgültigkeit. Und er schreibt von dem Leid, das durch Hass, Rache, Gleichgültigkeit und aus der Erfahrung, dass wir Menschen unser Leben ganz und gar nicht im Griff haben, entsteht. Er schreibt davon in Bil-dern, die schwer zu verstehen sind. Er redet nichts schön. Er macht den Menschen nicht vor, dass sie nur ganz fest glauben müssten und schon bliebe ihnen das alles erspart. Im Gegenteil. Oft scheint es ja denen, die nicht auf Gott vertrauen, die zynisch leben, die sich am Leid und der Angst anderer freuen, besser zu gehen. Denen, die skrupellos andere ausnutzen, damit sie im Vorteil sind. Denen, die sagen, es ist doch nicht schlimm, wenn ein Mensch stirbt, eine Ansammlung von Molekülen weniger in dieser Welt, mehr nicht. Denen, die vor Krieg, Vergewaltigung, Menschenhandel und Mord nicht zurückschrecken, um Gewinn zu machen. Denen, die mit dem Tod Geschäft machen und aufgeschnittene Körper ausstellen, die den Menschen als eine Art Maschine sehen. Nein, schonungslos wird die Wirklich-keit erzählt. Zu der Leid und Trauer gehören. Leid, Trauer, Zweifel, auch einem, der noch so fest und vertrauensvoll glauben kann, bleibt das nicht erspart. Im Vertrauen auf die neue Wirklichkeit, die Gott in Jesus hat anbrechen lassen, schreibt Johannes aber auch von dieser neuen Welt. Johannes erzählt davon, dass Gottes Ziel für das Leben nicht ist, dass wir im Sumpf der Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit, der Trauer und des Verlustes steckenbleiben oder uns nur an ein irgendwie schöneres Gestern klammern könnten, weil alles, was kommt, nur schlechter als die Vergangenheit sein könnte. Nein, es gibt eine Zukunft. Eine Zukunft, von der nur in Bildern erzählt werden kann. Eine Zukunft, die ans Licht bringen wird, was wirklich stark ist. Es gibt eine Zukunft, die die Hoffnung auf eine gute, gerechte Welt, auf einen Sieg des Lebens rechtfertigt. Gott wird mitten unter den Menschen wohnen: siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er selbst wird bei ihnen wohne. Gottes Hütte oder, so kann es auch übersetzt sein, Zelt. Ein Bild, das auf das Alte Testament zurückgeht. Gott, so erzählt die Bibel, zog wie in einem Zelt mit dem Volk Israel. Wo dieses Zelt, diese Hütte auf der langen Wanderung von Ägypten in das gelobte Land aufgeschlagen wurde, da war Gott wirklich da. Eine tolle Vorstellung und für mich die Grundlage des Glaubens. Gott wohnt nicht in einem Palast oder im Himmel, sondern mitten unter den Menschen. In Jesus hat er das ganz deutlich gemacht. In ihm war Gott in dieser Welt, in diesem Leben erfahrbar. Nicht weit weg. Nicht wir müssen uns auf einen weiten Weg zu Gott machen, sondern bevor wir uns aufmachen, hat Gott sich schon zu uns aufgemacht. Gott kommt zu uns. Und er wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Der Tod behält nicht das letzte Wort. Das Leben im Glauben ist kein Leben ohne Tränen und ohne Leid, aber ein Leben, das wissen darf, dass Trost wartet. Auch in Zeiten, in denen er noch so fern zu sein scheint. Das alles steht un-ter der Verheißung: Siehe, ich mach alles neu! Der, der das von sich sagt, Gott, macht alles neu. Er ist es, der die Hoffnung wachhält, dass sich Leben lohnt, dass sich Ge-rechtigkeit und Frieden durchsetzen, dass Leid und Unterdrückung ein Ende haben. Er macht alles neu. Wo Menschen alles neu machen wollen, wo Menschen endgültige Erlösung versprechen, wird es schiefgehen. Wir Menschen bleiben mit unseren Möglichkeiten begrenzt. Das, was wir tun, wird nie perfekt sein und unglaublich viel Leid entsteht dadurch, dass Menschen andere mit Gewalt zu ihrem Glück oder zu einem Glauben zwingen wollen, der angeblich glücklich macht. Wir Menschen müssen und dürfen uns nicht an Gottes Stelle setzen und absolute Herrschaft über das Leben und Sterben anderer ausüben wollen. Wir können uns gegenseitig keine endgültige Erlösung verschaffen. Was wir können ist es, zu hoffen und aus dieser Hoffnung heraus zu leben. Vorzuleben, was dem Leben dient, weil das Leben von Anfang an Gottes Wille ist. Die Zukunft hat begonnen. Sie ist noch nicht da, noch nicht fertig. Wir dürfen an der Zukunft, an Gott Zukunft für die Welt mit bauen. Durch Vertrauen, das wir trotz aller Versagenserfahrungen uns gegenseitig schenken. Weil wir hoffen dürfen, dass Gott auch das, was scheitert, zum Guten führen kann. Wir dürfen mit bauen, mitarbeiten, besser machen. Aber wenn wir glauben, es fertig machen zu müssen, werden wir uns und die Menschen, die mit uns leben, letztlich wirklich fertigmachen und scheitern.
Es ist nicht die Erfahrung, die dafür spricht, dass alles anders, besser, alles neu wird. Gute Absichten scheitern. Menschen verletzen sich gegenseitig, weil wir nicht in der Lage sind, perfekt zu sein. Es ist nicht die Erfahrung, die uns Hoffnung schenkt. Zu oft erfahren wir, das Leben abbricht, das Abschied weh tut. Es ist der hoffende Glaube, das Vertrauen, das Gott wirklich A und O ist, Anfang und Ende, dass Gott alles Reden, Tun und Handeln umfasst. In ihm ist der Anfang und das Ziel des Lebens und das Ziel ist gut. Das Ziel liegt im Leben, das Gott schenkt. Im Leben, das getröstet und gut ist. Das Ziel ist ein Geschenk. Wir können darauf hin leben und glauben. Mit Rückschlägen und Umwegen. Wir müssen es nicht zwingen. Wir dürfen leben.
Amen
Sonntag, 14. November 2010
It's the Hope, Stupid... - Hoffnung ist (fast) alles?!, Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 14.11.2010, Reihe II
Text: Römer 8,18-25
Liebe Gemeinde!
Können Sie sich an die Zeit vor 35000 Jahren erinnern? Kleine Gedächtnishilfe: damals entstanden die allerersten Höhlenmalereien. Mitten in der Steinzeit. Lange her. Natürlich jenseits unserer Vorstellungskraft. Aber in 35000 Jahren wird das Plutonium, das heute als Atommüll aus unserem Stromverbrauch eingelagert wird, immer noch lebensgefährlich strahlen. Menschen haben letztes Wochenende gegen diesen Müll demonstriert. Allein der Polizeieinsatz hat so viel Geld gekostet, dass 1600 Familien, die Hartz IV bekommen, ein Jahr lang davon unterstützt werden könnten. Jeden Tag verschwinden Regenwaldflächen von der mehrfachen Größe Marburgs für immer. Jeden Tag sterben in Eritrea, Somalia und Äthiopien unzählige Menschen an Hunger und vermeidbaren Krankheiten, weil dort Krieg geführt wird. Christen im Irak werden immer häufiger bedroht und umgebracht, die Welt schaut staunend zu, auch wir Christen in sicheren Ländern. Auch 65 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs und der Massenvernichtung von Juden und Andersdenkenden gibt es immer noch genügend Menschen, die Menschen mit jüdischer Religion als Unglück für unser Volk ansehen und die sich mehr oder weniger heimlich einen neuen Hitler wünschen, der für Ordnung sorgt. Keine Angst, ich habe die Predigt nicht mit den Fernsehnachrichten, mit hart aber fair, Anne Will oder Menschen bei Maischberger verwechselt. Es geht nicht um politische Propaganda. Es geht nicht darum, dass ich als Pfarrer jetzt erst mal allen sagen will, was richtig und was falsch ist. Es geht um das Erbe, das Paulus uns mit dem hinterlassen hat, was er an die Gemeinde in Rom lange vor unserer Zeit geschrieben hat. Als Christ, noch dazu als Pfarrer, bekomme ich öfter mal zu hören: „Weißt du, die Bibel, das ist doch was für das Privatleben. Eigentlich gar nicht mehr aktuell. Fürs stille Kämmerlein und die seelische Erbauung in schlechten Zeiten vielleicht gut.“ Das, was Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefs schreibt, hat aber mit Rückzug ins stille Kämmerlein und mit Beschränkung auf die eigene Seele rein gar nichts zu tun. Er macht den Blick ganz weit. Es geht eben nicht nur um mich und meine Seele, um meine Familie, meine Kirche oder mein Land, mein Volk. Mit Jesus hat Gott ein Zeichen der Hoffnung für die ganze Schöpfung aufgerichtet. Die Hoffnung, die Erlösung, die Liebe, macht vor den Grenzen, die wir immer wieder gern ziehen, nicht halt. Seine Liebe, die Erlösung durch ihn, ist maß- und grenzenlos. Gott nimmt die Welt, die Schöpfung in den Blick. Und als Christ, als Mensch, der sich zu Jesus bekennt, der auf ihn seine Hoffnung setzt, kann ich deshalb die Augen nicht vor der Welt zu machen. Der Theologieprofessor und Pfarrer Karl Barth soll vor ungefähr 90 Jahren mal sinngemäß gesagt haben: als Pfarrer, als Christ, muss ich immer die Bibel in der einen und die Zeitung in der anderen Hand haben. Heute würde man vielleicht sagen, mit einem Auge muss ich in die Bibel und mit dem anderen ins Internet und ins Fernsehen schauen. Es geht darum, dass ich die Welt sehe, wie sie ist, wahrnehme, was in der Welt los ist. Denn diese Welt ist Gottes Welt. Diese Welt ist es, der Gott Erlösung verspricht. Nicht meine kleine, private Welt, in der ich es mir so einrichte, dass es mir passt. Wer mit offenen Augen, Ohren und Herzen in der Welt unterwegs ist, der hört ganz bestimmt eine Menge von dem Seufzen der Schöpfung, der bekommt etwas mit vom ängstlichen Warten darauf, dass sich endlich mal was zum Guten ändert. Und das ist ja nicht nur bei anderen und irgendwo in der Welt so. Auch im eigenen Leben gibt es manches, was Angst macht. Ich erspare mir, euch und ihnen mal, Beispiele aufzuzählen. Gott sei es geklagt, viel zu viel ist da, wo Erlösung dringend nötig ist. Aber ich glaube, über alle ganz persönlichen Probleme und Angstmacher hinaus gibt es zwei, drei Dinge, die grundlegend Angst machen und die Paulus in diesen Versen aus dem Römerbrief auch anspricht.
Da ist einmal die Erfahrung der Vergänglichkeit. Leben in dieser Welt hat ein sichtbares Ende. Und von Menschen, die für mein Leben wichtig sind, muss ich immer wieder Abschied nehmen. Und zuletzt sicher auch von dem Wunsch, ewig jung und kraftvoll bleiben zu können und ohne Leid leben zu können. Nichts von dem, was Menschen sich in ihrem Leben aufbauen, bleibt ewig.
Zum anderen ist da, und das hängt mit der Erfahrung der Vergänglichkeit zusammen, das Erleben des Gefühls von Überforderung und auch Resignation. Von mir selbst kenne ich ganz gut den Gedanken: „Ich muss anpacken, ich muss selbst dafür sorgen, dass das was wird.“ Und dann merke ich doch mehr oder weniger schnell, dass ich eben nicht jedem das geben kann, was er braucht und mich nicht für jedes Problem, das dringend ist, einsetzen kann. Manche wollen vielleicht auch die Hilfe, die ich anbieten kann, gar nicht. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wer sich nicht von vornherein gegen alles abschirmt und sagt: das geht mich nichts an, der wird heute mit einer solchen Fülle von Nachrichten, Eindrücken und Möglichkeiten bombardiert, dass es er sich schnell ganz klein und ohnmächtig fühlt und sich dann doch aus Frust, nicht alles, was wichtig ist, tun zu können, zurückzieht. Paulus verabreicht uns aber durch das, was er hier im Römerbrief schreibt, eine Art Frustschutzmittel.
Erstens erwartet er nicht von Christen, dass sie Super-männer und Superfrauen sind, die sich für alles einsetzen und perfekt sind. Wir stehen als Christen in einer Reihe mit der ganzen Schöpfung, die auf die Erlösung wartet. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes, schreibt er. Zweitens ist die Offenbarung der Herrlichkeit, das Ende aller Leiden, die Vollendung zum Guten nichts, was Menschen herstellen können. Auch noch so gute Christen nicht. Wir alle unterliegen der Vergänglichkeit. Alles, was wir tun und lassen ist vorläufig, nicht ewig. Wo das verwechselt wird, wo Menschen sich anmaßen, allein die Welt zum Guten bringen zu können, ist Diktatur und Unterdrückung nicht weit. Gottesstaaten, Führerstaaten, der Sozialismus mit menschlichem Gesicht – alle Versuche, als Mensch vollkommenes Glück, und sei es auch nur für das eigene Volk oder die eigene Glaubensgemeinschaft, herstellen zu wollen, scheitern und führen zu Gewalt, Maßlosigkeit und Unterdrückung. In Nord-Korea und im Iran, in China, früher in der Sowjetunion, erst recht in Deutschland zur Zeit der Nazis, aber auch in dem Gottesstaat, der vor fast 500 Jahren in Genf eingerichtet wurde oder bei den Verfolgungen von sogenannten Ketzern oder Hexen. Wo Menschen Erlösung herbeizwingen wollen bleibt die Menschlichkeit auf der Strecke. Heute, am Volkstrauertag, wird vielerorts an die Opfer solcher Unmenschlichkeit, von Krieg, Nazidiktatur und Stalinismus erinnert. Zu Recht. Damit wir nicht ver-gessen, wohin es führt, wenn Menschen sich an Gottes Stelle setzen. Und sei es manchmal auch angeblich im Namen Gottes. Nicht ich, nicht wir müssen letzte Erlösung schaffen. Der zweite Teil des Frustschutzmittels Römerbrief.
Der dritte Teil ist die Hoffnung, von der Paulus erzählt. Die Hoffnung, dass die Herrlichkeit Gottes alle Leiden überstrahlt, nicht ungeschehen, aber erträglich macht. Die Hoffnung, dass wir und mit uns die Welt durch Gott von allem Leiden, von aller Vorläufigkeit und Vergänglichkeit erlöst wird. Eine Hoffnung, die manchmal dem widerspricht, was sichtbar ist. Hoffnung als Widerspruch gegen das, was als normal, als unabwendbar hingestellt wird. Ein, wie ich finde, schöner Gedanke. Auch bei dem, was offene Augen einem alles zeigen: die ungelösten Fragen beim Atommüll, Gewalt und Leid in Kriegen, Verfolgungen wegen des Glaubens, Menschen, die glauben, andere zu Menschen zweiter oder dritter Klasse machen zu müssen. Hoffnung als Widerspruch gegen das Sichtbare. Paulus macht uns Mut, so zu hoffen. Wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. So schreibt es Paulus. Hoffnung. Nicht, weil wir Träumer sind, die ihre Augen vor der Wirklichkeit zumachen. Sondern weil wir wissen, dass die Wirklichkeit, die Gott schenken wird, mehr bringt als das, was wir kennen und uns vorstellen können. Hoffen, nicht, in dem wir unsere Hände in den Schoß legen oder mit Gewalt unsere Hoffnung durchsetzen. Sondern in dem wir uns für das Leben, das Gott bereit hält, einsetzen. Ohne dabei unseren Willen mit Gottes Willen zu verwechseln. Was in 35000 Jahren sein wird, wissen wir nicht. Aber wir können heute Hoffnung leben und so Zeichen für das Leben setzen.
Amen
Liebe Gemeinde!
Können Sie sich an die Zeit vor 35000 Jahren erinnern? Kleine Gedächtnishilfe: damals entstanden die allerersten Höhlenmalereien. Mitten in der Steinzeit. Lange her. Natürlich jenseits unserer Vorstellungskraft. Aber in 35000 Jahren wird das Plutonium, das heute als Atommüll aus unserem Stromverbrauch eingelagert wird, immer noch lebensgefährlich strahlen. Menschen haben letztes Wochenende gegen diesen Müll demonstriert. Allein der Polizeieinsatz hat so viel Geld gekostet, dass 1600 Familien, die Hartz IV bekommen, ein Jahr lang davon unterstützt werden könnten. Jeden Tag verschwinden Regenwaldflächen von der mehrfachen Größe Marburgs für immer. Jeden Tag sterben in Eritrea, Somalia und Äthiopien unzählige Menschen an Hunger und vermeidbaren Krankheiten, weil dort Krieg geführt wird. Christen im Irak werden immer häufiger bedroht und umgebracht, die Welt schaut staunend zu, auch wir Christen in sicheren Ländern. Auch 65 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs und der Massenvernichtung von Juden und Andersdenkenden gibt es immer noch genügend Menschen, die Menschen mit jüdischer Religion als Unglück für unser Volk ansehen und die sich mehr oder weniger heimlich einen neuen Hitler wünschen, der für Ordnung sorgt. Keine Angst, ich habe die Predigt nicht mit den Fernsehnachrichten, mit hart aber fair, Anne Will oder Menschen bei Maischberger verwechselt. Es geht nicht um politische Propaganda. Es geht nicht darum, dass ich als Pfarrer jetzt erst mal allen sagen will, was richtig und was falsch ist. Es geht um das Erbe, das Paulus uns mit dem hinterlassen hat, was er an die Gemeinde in Rom lange vor unserer Zeit geschrieben hat. Als Christ, noch dazu als Pfarrer, bekomme ich öfter mal zu hören: „Weißt du, die Bibel, das ist doch was für das Privatleben. Eigentlich gar nicht mehr aktuell. Fürs stille Kämmerlein und die seelische Erbauung in schlechten Zeiten vielleicht gut.“ Das, was Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefs schreibt, hat aber mit Rückzug ins stille Kämmerlein und mit Beschränkung auf die eigene Seele rein gar nichts zu tun. Er macht den Blick ganz weit. Es geht eben nicht nur um mich und meine Seele, um meine Familie, meine Kirche oder mein Land, mein Volk. Mit Jesus hat Gott ein Zeichen der Hoffnung für die ganze Schöpfung aufgerichtet. Die Hoffnung, die Erlösung, die Liebe, macht vor den Grenzen, die wir immer wieder gern ziehen, nicht halt. Seine Liebe, die Erlösung durch ihn, ist maß- und grenzenlos. Gott nimmt die Welt, die Schöpfung in den Blick. Und als Christ, als Mensch, der sich zu Jesus bekennt, der auf ihn seine Hoffnung setzt, kann ich deshalb die Augen nicht vor der Welt zu machen. Der Theologieprofessor und Pfarrer Karl Barth soll vor ungefähr 90 Jahren mal sinngemäß gesagt haben: als Pfarrer, als Christ, muss ich immer die Bibel in der einen und die Zeitung in der anderen Hand haben. Heute würde man vielleicht sagen, mit einem Auge muss ich in die Bibel und mit dem anderen ins Internet und ins Fernsehen schauen. Es geht darum, dass ich die Welt sehe, wie sie ist, wahrnehme, was in der Welt los ist. Denn diese Welt ist Gottes Welt. Diese Welt ist es, der Gott Erlösung verspricht. Nicht meine kleine, private Welt, in der ich es mir so einrichte, dass es mir passt. Wer mit offenen Augen, Ohren und Herzen in der Welt unterwegs ist, der hört ganz bestimmt eine Menge von dem Seufzen der Schöpfung, der bekommt etwas mit vom ängstlichen Warten darauf, dass sich endlich mal was zum Guten ändert. Und das ist ja nicht nur bei anderen und irgendwo in der Welt so. Auch im eigenen Leben gibt es manches, was Angst macht. Ich erspare mir, euch und ihnen mal, Beispiele aufzuzählen. Gott sei es geklagt, viel zu viel ist da, wo Erlösung dringend nötig ist. Aber ich glaube, über alle ganz persönlichen Probleme und Angstmacher hinaus gibt es zwei, drei Dinge, die grundlegend Angst machen und die Paulus in diesen Versen aus dem Römerbrief auch anspricht.
Da ist einmal die Erfahrung der Vergänglichkeit. Leben in dieser Welt hat ein sichtbares Ende. Und von Menschen, die für mein Leben wichtig sind, muss ich immer wieder Abschied nehmen. Und zuletzt sicher auch von dem Wunsch, ewig jung und kraftvoll bleiben zu können und ohne Leid leben zu können. Nichts von dem, was Menschen sich in ihrem Leben aufbauen, bleibt ewig.
Zum anderen ist da, und das hängt mit der Erfahrung der Vergänglichkeit zusammen, das Erleben des Gefühls von Überforderung und auch Resignation. Von mir selbst kenne ich ganz gut den Gedanken: „Ich muss anpacken, ich muss selbst dafür sorgen, dass das was wird.“ Und dann merke ich doch mehr oder weniger schnell, dass ich eben nicht jedem das geben kann, was er braucht und mich nicht für jedes Problem, das dringend ist, einsetzen kann. Manche wollen vielleicht auch die Hilfe, die ich anbieten kann, gar nicht. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wer sich nicht von vornherein gegen alles abschirmt und sagt: das geht mich nichts an, der wird heute mit einer solchen Fülle von Nachrichten, Eindrücken und Möglichkeiten bombardiert, dass es er sich schnell ganz klein und ohnmächtig fühlt und sich dann doch aus Frust, nicht alles, was wichtig ist, tun zu können, zurückzieht. Paulus verabreicht uns aber durch das, was er hier im Römerbrief schreibt, eine Art Frustschutzmittel.
Erstens erwartet er nicht von Christen, dass sie Super-männer und Superfrauen sind, die sich für alles einsetzen und perfekt sind. Wir stehen als Christen in einer Reihe mit der ganzen Schöpfung, die auf die Erlösung wartet. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes, schreibt er. Zweitens ist die Offenbarung der Herrlichkeit, das Ende aller Leiden, die Vollendung zum Guten nichts, was Menschen herstellen können. Auch noch so gute Christen nicht. Wir alle unterliegen der Vergänglichkeit. Alles, was wir tun und lassen ist vorläufig, nicht ewig. Wo das verwechselt wird, wo Menschen sich anmaßen, allein die Welt zum Guten bringen zu können, ist Diktatur und Unterdrückung nicht weit. Gottesstaaten, Führerstaaten, der Sozialismus mit menschlichem Gesicht – alle Versuche, als Mensch vollkommenes Glück, und sei es auch nur für das eigene Volk oder die eigene Glaubensgemeinschaft, herstellen zu wollen, scheitern und führen zu Gewalt, Maßlosigkeit und Unterdrückung. In Nord-Korea und im Iran, in China, früher in der Sowjetunion, erst recht in Deutschland zur Zeit der Nazis, aber auch in dem Gottesstaat, der vor fast 500 Jahren in Genf eingerichtet wurde oder bei den Verfolgungen von sogenannten Ketzern oder Hexen. Wo Menschen Erlösung herbeizwingen wollen bleibt die Menschlichkeit auf der Strecke. Heute, am Volkstrauertag, wird vielerorts an die Opfer solcher Unmenschlichkeit, von Krieg, Nazidiktatur und Stalinismus erinnert. Zu Recht. Damit wir nicht ver-gessen, wohin es führt, wenn Menschen sich an Gottes Stelle setzen. Und sei es manchmal auch angeblich im Namen Gottes. Nicht ich, nicht wir müssen letzte Erlösung schaffen. Der zweite Teil des Frustschutzmittels Römerbrief.
Der dritte Teil ist die Hoffnung, von der Paulus erzählt. Die Hoffnung, dass die Herrlichkeit Gottes alle Leiden überstrahlt, nicht ungeschehen, aber erträglich macht. Die Hoffnung, dass wir und mit uns die Welt durch Gott von allem Leiden, von aller Vorläufigkeit und Vergänglichkeit erlöst wird. Eine Hoffnung, die manchmal dem widerspricht, was sichtbar ist. Hoffnung als Widerspruch gegen das, was als normal, als unabwendbar hingestellt wird. Ein, wie ich finde, schöner Gedanke. Auch bei dem, was offene Augen einem alles zeigen: die ungelösten Fragen beim Atommüll, Gewalt und Leid in Kriegen, Verfolgungen wegen des Glaubens, Menschen, die glauben, andere zu Menschen zweiter oder dritter Klasse machen zu müssen. Hoffnung als Widerspruch gegen das Sichtbare. Paulus macht uns Mut, so zu hoffen. Wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. So schreibt es Paulus. Hoffnung. Nicht, weil wir Träumer sind, die ihre Augen vor der Wirklichkeit zumachen. Sondern weil wir wissen, dass die Wirklichkeit, die Gott schenken wird, mehr bringt als das, was wir kennen und uns vorstellen können. Hoffen, nicht, in dem wir unsere Hände in den Schoß legen oder mit Gewalt unsere Hoffnung durchsetzen. Sondern in dem wir uns für das Leben, das Gott bereit hält, einsetzen. Ohne dabei unseren Willen mit Gottes Willen zu verwechseln. Was in 35000 Jahren sein wird, wissen wir nicht. Aber wir können heute Hoffnung leben und so Zeichen für das Leben setzen.
Amen
Sonntag, 7. November 2010
Ich bin... - Wirklich? Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 7.11.2010, Reihe II
Predigttext: Römer 14,7-9
Eingangsdialog
Lisa: Wer bin ich?
Marcel: Na, Lisa natürlich!
Lisa: Das weiß ich selbst! Aber wer bin ich eigentlich?
Marcel: Du bist fast meine Nachbarin und die Tochter von Sabiene Kellermann.
Lisa: Ja, schon klar. Aber das reicht doch nicht! Ich bin doch mehr!
Marcel: Also gut, von mir aus: du bist die Schwester von Maurice und Raphael, du bist Schülerin der Martin-Luther-Schule, du bist Konfirmandin…
Lisa: Das weiß ich doch, aber da muss doch noch mehr sein! Wer bin ich denn wirklich?
Marcel: Also, da kann ich dir jetzt auch nicht weiterhelfen. Wer du bist, wer soll das denn wissen, wenn du das nicht weißt?
Liebe Gemeinde!
Spinnereien von Jugendlichen, Haarspaltereien, Kleinkram – so kann man das Gespräch von Lisa und Marcel abtun. Typisch Pubertät, nicht mehr richtig Kind, längst noch nicht erwachsen, irgendwo dazwischen, da ist man halt verwirrt und fragt sich so komisches Zeug, wer man denn nun ist. Ja, als Erwachsener, da muss man im Leben stehen und wissen, wer man ist. Aber weiß ich wirklich, wer ich bin? Der Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der im Konzentrationslager saß, weil er ein Attentat auf Hitler vorbereitete und der von den Nazis umgebracht wurde, hatte da auch als Erwachsener so seine Zweifel. Er schrieb an einen Freund: Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer? Bin ich beides zugleich? Wer bin ich? Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott! Klar, auch bei ihm könnte man sagen: der hat halt im Gefängnis zu viel Zeit zum Nachdenken gehabt und das KZ hat ihn unsicher gemacht. Als Erwachsener weiß man, wer man ist. Kann man sagen. Man. Ich nicht. Zu vielfäl-tig ist das, was mich zu dem gemacht hat, der ich im Moment bin. Und meine Eltern nehmen mich anders wahr als meine Frau. Meine Schüler anders als die Menschen im Altersheim, die ich besuche. Und was denke ich über mich? An Tagen, an denen alles klappt und ich net-ten Menschen begegne oft, dass ich ein ganz guter Kerl bin. Aber leider gibt’s auch andre Tage. Mit dem Ich ist das doch so eine Sache. Keiner von uns kommt als unbe-schriebenes Blatt zur Welt. Nicht nur genetisch geben uns unsere Eltern etwas mit. Und die Umgebung, in die wir hineinwachsen, lässt uns auch nicht unberührt. Niemand kann was für seine Eltern. Und trotzdem steht schon eine Menge auf unserem Lebensblatt, wenn wir die ersten Atemzüge außerhalb des Mutterleibes machen. Eine Menge können wir dann selbst auf das Blatt unseres Le-bens schreiben. Aber es ist schlicht falsch, einfach zu sagen: jeder ist seines Glückes Schmied und hat sein Schicksal selbst in der Hand. Wer bin ich also? Dietrich Bonhoeffer hat eine Antwort gefunden: Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott! Eine Antwort, die eigentlich schon viel älter ist als die fast 70 Jahre, die der Brief von Bonhoeffer an seinen Freund auf dem Buckel hat. Paulus schreibt nämlich in seinem Brief an die Gemeinde in Rom im 14. Kapitel: Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
Ja, keiner lebt sich selber. Hört sich altmodischer an, als es ist. Keiner lebt, weil er das für sich selbst entschieden hätte, aus eigenem Antrieb und aus eigenem Willen. Und keiner lebt für sich allein. Binsenweisheiten. Aber es tut gut, sich immer mal wieder klar zu machen, dass es weder mein Verdienst noch meine Schuld ist, dass ich lebe. Und das alles, was ich tue oder lasse, auch Auswirkungen auf andere hat. Ich kann andere zum Lachen oder zum Weinen bringen, ich kann ihnen Gutes tun oder schaden. Selbst Gleichgültigkeit kann manchmal gut tun, wenn sie dem anderen zeigt: mach ruhig, was du für richtig hältst. Gleichgültigkeit kann aber auch schaden, weil eine eigentlich nötige Hilfe nicht geleistet wird. Keiner lebt sich selber – und keiner stirbt sich sel-ber. Scheinbar ganz banal: jeder Tod hat Auswirkungen auf das Leben von anderen, und sei es vielleicht auch nur dadurch, dass ein Platz in einem Seniorenheim frei wird, wenn keiner da ist, der wirklich trauert. Aber hinter beidem, hinter keiner lebt sich selber und hinter keiner stirbt sich selber steckt sehr, sehr viel mehr. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Dem Herrn leben, Gott zu leben, das heißt nicht, dass wir mit unserem Leben Gott dadurch eine Freude machen sollen, dass wir immer schön dass machen, wovon andere sagen, dass Gott es so will. Dem Herrn zu le-ben, das heißt, Gott die Ehre zu geben. Und zwar dadurch, dass wir unser Leben wirklich als unser Leben annehmen. Dadurch, dass wir die Verantwortung annehmen, die Gott uns für unser Leben gibt. Und dass wir daraufhin leben, der oder die zu werden, den oder die Gott in uns sieht. Typisch komplizierter Kling-Böhm-Satz, denken manche vielleicht mal wieder. Dem Herrn, also Gott, zu leben, das heißt erstmal, kein anderer sein zu wollen und Verantwortung für das Leben nicht abzuschieben. Eigentlich Trost und Freiheit. Ich bin was wert, auch wenn ich die Erwartungen meiner Eltern oder meiner Kinder, je nach Blickwinkel, nicht erfülle. Ich bin ein Christ, auch wenn ich nicht alles mache, von dem andere sagen, dass es unbedingt dazugehört. Wir leben nicht, um vor anderen gut da zu stehen, wir leben nicht, um von anderen geliebt zu werden, sondern um selbst zu lieben. Die Menschen und Gott. Wir leben, weil wir geliebt werden. Von Gott. Paulus schreibt seine Be-trachtung über das Leben und Sterben in einem ganz kon-kreten Zusammenhang. Ganz verkürzt könnte man sagen: es ging unter anderem darum, ob ich als Christ Fleisch essen darf oder nicht. Keiner von euch steht höher als der andere, schreibt Paulus dann. Jeder steht mit seinem Glauben und seinem Leben vor Gott. Jeder muss sich für sein Leben, für seinen Glauben verantworten. Gott schenkt uns Freiheit, und wenn du daraus ableitest, dass es keine Gebote über das Essen gibt, dann iss das Fleisch mit gutem Gewissen. Aber du hast es doch nicht nötig, andere zu provozieren. Wenn solche dabei sind, die sich dadurch angegriffen fühlen, dann halte dich ruhig auch mal zurück. Das sind doch alles vorletzte Dinge. Mach nichts wichtiger als es ist. Und wenn es für dich wichtig ist, kein Fleisch zu essen, dann akzeptiere auch, dass es für andere anders sein kann. Vor Gott muss sich der andere verantworten, nicht vor dir! Gelassenheit im Glauben, Gelassenheit im Umgang miteinander. Gelassenheit, nicht Gleichgültigkeit. Gelassenheit, aus der Liebe wachsen kann. Weil ich weder mich noch den anderen ständig umformen muss, sondern weil ich mich und mein Leben ganz Gott anvertrauen darf und weiß, dass der der andere das auch darf. Auch dann, wenn er ganz anders ist als ich. Ich glaube, dass diese Denkweise bis heute wichtig und leider immer seltener anzutreffen ist. Viel zu viel Energie wird aufs Rechthaben verschwendet und die fehlt dann beim rechten Handeln. Wer bin ich nun also? Da kann ich keine Antwort drauf geben. Niemanden. Denn die Frage kann nie abstrakt einfach so beantwortet werden. Immer nur in Beziehung. Wer bin ich – für mich, für meine Freunde, für meine Familie, für die Gemeinde, für den Menschen, der mir morgen früh begegnet? Und die Antworten werden ver-schieden ausfallen. Wer bin ich – am Ende lässt sich das nur von Gott beantworten. Niemand von uns überblickt sein Leben, sein Tun und Lassen, die Konsequenzen davon ganz und gar. Wer bin ich – ein Mensch. Dessen Leben einen sichtbaren Anfang und ein sichtbares Ende hat. Dessen Leben aber vor Gott und für Gott mehr ist als diese sichtbare Zeitspanne. Ein Mensch mit Freiheit und Verantwortung. Ein Mensch, der sich auf das verlassen darf, was Paulus auch schreibt: Dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über tote und Lebendige Herr sei. Gott lässt uns nicht im Tod, nicht in unserer Schuld stehen. Gott wird uns vor unser Leben, vor unsere Verantwortung, vor das Gelungene und vor die Schuld stellen. Wir werden die Konsequenzen sehen. Aber wir können sie tragen, weil Gottes Liebe, die er uns in Christus gezeigt hat, uns trägt. Wir können leben. Wir müssen dabei nicht ein anderer werden, sondern wir dürfen wir selbst werden. Weil Gott mein Leben will. Weil Gott mein Leben hält. Mein Leben. Und nicht ein fremdes Leben, das ich vorspiele, um anderen zu gefallen.
Amen
Eingangsdialog
Lisa: Wer bin ich?
Marcel: Na, Lisa natürlich!
Lisa: Das weiß ich selbst! Aber wer bin ich eigentlich?
Marcel: Du bist fast meine Nachbarin und die Tochter von Sabiene Kellermann.
Lisa: Ja, schon klar. Aber das reicht doch nicht! Ich bin doch mehr!
Marcel: Also gut, von mir aus: du bist die Schwester von Maurice und Raphael, du bist Schülerin der Martin-Luther-Schule, du bist Konfirmandin…
Lisa: Das weiß ich doch, aber da muss doch noch mehr sein! Wer bin ich denn wirklich?
Marcel: Also, da kann ich dir jetzt auch nicht weiterhelfen. Wer du bist, wer soll das denn wissen, wenn du das nicht weißt?
Liebe Gemeinde!
Spinnereien von Jugendlichen, Haarspaltereien, Kleinkram – so kann man das Gespräch von Lisa und Marcel abtun. Typisch Pubertät, nicht mehr richtig Kind, längst noch nicht erwachsen, irgendwo dazwischen, da ist man halt verwirrt und fragt sich so komisches Zeug, wer man denn nun ist. Ja, als Erwachsener, da muss man im Leben stehen und wissen, wer man ist. Aber weiß ich wirklich, wer ich bin? Der Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der im Konzentrationslager saß, weil er ein Attentat auf Hitler vorbereitete und der von den Nazis umgebracht wurde, hatte da auch als Erwachsener so seine Zweifel. Er schrieb an einen Freund: Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer? Bin ich beides zugleich? Wer bin ich? Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott! Klar, auch bei ihm könnte man sagen: der hat halt im Gefängnis zu viel Zeit zum Nachdenken gehabt und das KZ hat ihn unsicher gemacht. Als Erwachsener weiß man, wer man ist. Kann man sagen. Man. Ich nicht. Zu vielfäl-tig ist das, was mich zu dem gemacht hat, der ich im Moment bin. Und meine Eltern nehmen mich anders wahr als meine Frau. Meine Schüler anders als die Menschen im Altersheim, die ich besuche. Und was denke ich über mich? An Tagen, an denen alles klappt und ich net-ten Menschen begegne oft, dass ich ein ganz guter Kerl bin. Aber leider gibt’s auch andre Tage. Mit dem Ich ist das doch so eine Sache. Keiner von uns kommt als unbe-schriebenes Blatt zur Welt. Nicht nur genetisch geben uns unsere Eltern etwas mit. Und die Umgebung, in die wir hineinwachsen, lässt uns auch nicht unberührt. Niemand kann was für seine Eltern. Und trotzdem steht schon eine Menge auf unserem Lebensblatt, wenn wir die ersten Atemzüge außerhalb des Mutterleibes machen. Eine Menge können wir dann selbst auf das Blatt unseres Le-bens schreiben. Aber es ist schlicht falsch, einfach zu sagen: jeder ist seines Glückes Schmied und hat sein Schicksal selbst in der Hand. Wer bin ich also? Dietrich Bonhoeffer hat eine Antwort gefunden: Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott! Eine Antwort, die eigentlich schon viel älter ist als die fast 70 Jahre, die der Brief von Bonhoeffer an seinen Freund auf dem Buckel hat. Paulus schreibt nämlich in seinem Brief an die Gemeinde in Rom im 14. Kapitel: Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
Ja, keiner lebt sich selber. Hört sich altmodischer an, als es ist. Keiner lebt, weil er das für sich selbst entschieden hätte, aus eigenem Antrieb und aus eigenem Willen. Und keiner lebt für sich allein. Binsenweisheiten. Aber es tut gut, sich immer mal wieder klar zu machen, dass es weder mein Verdienst noch meine Schuld ist, dass ich lebe. Und das alles, was ich tue oder lasse, auch Auswirkungen auf andere hat. Ich kann andere zum Lachen oder zum Weinen bringen, ich kann ihnen Gutes tun oder schaden. Selbst Gleichgültigkeit kann manchmal gut tun, wenn sie dem anderen zeigt: mach ruhig, was du für richtig hältst. Gleichgültigkeit kann aber auch schaden, weil eine eigentlich nötige Hilfe nicht geleistet wird. Keiner lebt sich selber – und keiner stirbt sich sel-ber. Scheinbar ganz banal: jeder Tod hat Auswirkungen auf das Leben von anderen, und sei es vielleicht auch nur dadurch, dass ein Platz in einem Seniorenheim frei wird, wenn keiner da ist, der wirklich trauert. Aber hinter beidem, hinter keiner lebt sich selber und hinter keiner stirbt sich selber steckt sehr, sehr viel mehr. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Dem Herrn leben, Gott zu leben, das heißt nicht, dass wir mit unserem Leben Gott dadurch eine Freude machen sollen, dass wir immer schön dass machen, wovon andere sagen, dass Gott es so will. Dem Herrn zu le-ben, das heißt, Gott die Ehre zu geben. Und zwar dadurch, dass wir unser Leben wirklich als unser Leben annehmen. Dadurch, dass wir die Verantwortung annehmen, die Gott uns für unser Leben gibt. Und dass wir daraufhin leben, der oder die zu werden, den oder die Gott in uns sieht. Typisch komplizierter Kling-Böhm-Satz, denken manche vielleicht mal wieder. Dem Herrn, also Gott, zu leben, das heißt erstmal, kein anderer sein zu wollen und Verantwortung für das Leben nicht abzuschieben. Eigentlich Trost und Freiheit. Ich bin was wert, auch wenn ich die Erwartungen meiner Eltern oder meiner Kinder, je nach Blickwinkel, nicht erfülle. Ich bin ein Christ, auch wenn ich nicht alles mache, von dem andere sagen, dass es unbedingt dazugehört. Wir leben nicht, um vor anderen gut da zu stehen, wir leben nicht, um von anderen geliebt zu werden, sondern um selbst zu lieben. Die Menschen und Gott. Wir leben, weil wir geliebt werden. Von Gott. Paulus schreibt seine Be-trachtung über das Leben und Sterben in einem ganz kon-kreten Zusammenhang. Ganz verkürzt könnte man sagen: es ging unter anderem darum, ob ich als Christ Fleisch essen darf oder nicht. Keiner von euch steht höher als der andere, schreibt Paulus dann. Jeder steht mit seinem Glauben und seinem Leben vor Gott. Jeder muss sich für sein Leben, für seinen Glauben verantworten. Gott schenkt uns Freiheit, und wenn du daraus ableitest, dass es keine Gebote über das Essen gibt, dann iss das Fleisch mit gutem Gewissen. Aber du hast es doch nicht nötig, andere zu provozieren. Wenn solche dabei sind, die sich dadurch angegriffen fühlen, dann halte dich ruhig auch mal zurück. Das sind doch alles vorletzte Dinge. Mach nichts wichtiger als es ist. Und wenn es für dich wichtig ist, kein Fleisch zu essen, dann akzeptiere auch, dass es für andere anders sein kann. Vor Gott muss sich der andere verantworten, nicht vor dir! Gelassenheit im Glauben, Gelassenheit im Umgang miteinander. Gelassenheit, nicht Gleichgültigkeit. Gelassenheit, aus der Liebe wachsen kann. Weil ich weder mich noch den anderen ständig umformen muss, sondern weil ich mich und mein Leben ganz Gott anvertrauen darf und weiß, dass der der andere das auch darf. Auch dann, wenn er ganz anders ist als ich. Ich glaube, dass diese Denkweise bis heute wichtig und leider immer seltener anzutreffen ist. Viel zu viel Energie wird aufs Rechthaben verschwendet und die fehlt dann beim rechten Handeln. Wer bin ich nun also? Da kann ich keine Antwort drauf geben. Niemanden. Denn die Frage kann nie abstrakt einfach so beantwortet werden. Immer nur in Beziehung. Wer bin ich – für mich, für meine Freunde, für meine Familie, für die Gemeinde, für den Menschen, der mir morgen früh begegnet? Und die Antworten werden ver-schieden ausfallen. Wer bin ich – am Ende lässt sich das nur von Gott beantworten. Niemand von uns überblickt sein Leben, sein Tun und Lassen, die Konsequenzen davon ganz und gar. Wer bin ich – ein Mensch. Dessen Leben einen sichtbaren Anfang und ein sichtbares Ende hat. Dessen Leben aber vor Gott und für Gott mehr ist als diese sichtbare Zeitspanne. Ein Mensch mit Freiheit und Verantwortung. Ein Mensch, der sich auf das verlassen darf, was Paulus auch schreibt: Dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über tote und Lebendige Herr sei. Gott lässt uns nicht im Tod, nicht in unserer Schuld stehen. Gott wird uns vor unser Leben, vor unsere Verantwortung, vor das Gelungene und vor die Schuld stellen. Wir werden die Konsequenzen sehen. Aber wir können sie tragen, weil Gottes Liebe, die er uns in Christus gezeigt hat, uns trägt. Wir können leben. Wir müssen dabei nicht ein anderer werden, sondern wir dürfen wir selbst werden. Weil Gott mein Leben will. Weil Gott mein Leben hält. Mein Leben. Und nicht ein fremdes Leben, das ich vorspiele, um anderen zu gefallen.
Amen
Sonntag, 24. Oktober 2010
Das Böse und der Alltag - von kleinen und großen Kämpfen, 24.10.2010, 21. nach Trinitatis, Reihe II
Text: Epheser 6,10-17
Liebe Gemeinde!
Es ist ein ganz normaler Abend. Wie fast jeden Abend steht die Clique zusammen. Einer hat Bier organisiert, reichlich Bier. Tim steht dabei. Trinkt weniger als die anderen. Er spürt schon: Wenn das Bier alle ist, wird’s wieder ungemütlich. Irgendwas geht heute noch zu Bruch. Er hat keine Lust mehr, will heim. Doch die anderen sind an ihm dran. „Du gehörst doch zu uns! Mach mit! Du bist doch kein Opfer! Wenn du jetzt gehst, brauchst du nicht mehr wiederzukommen.“ Einfach so haut Stefan ihm eine rein. „Du Opfer, wehr dich!“ Und jetzt? Wehren? Mitmachen? Abhauen?
Es ist ein ganz normaler Abend. Herr Müller kommt nach Hause. Schlecht gelaunt. Die Arbeit macht ihm keinen Spaß mehr. Zwei, drei Bier hat er nach Feierabend mit den Kollegen schon gekippt. Ein paar Schnäpschen zum Entspannen können ja jetzt nichts schaden. Die Frau hat gekocht, er hat keine Lust dran. Es setzt die ersten lauten Worte, eine Ohrfeige. Der Sohn kommt heim, bringt eine 5 in Mathe mit, es wird laut, Gläser und Fäuste fliegen.
Ein ganz normaler Abend. Maxi kommt heim. Die Mutter steht schon in der Tür. „Die Polizei hat gerade angerufen. Du sollst morgen für eine Zeugenaussage kommen. Anna hat Jerome angezeigt, der soll ihr 50 Euro in der Schule geklaut haben, Geld für die Klassenfahrt. Jerome hat dich als Entlastungszeugen angegeben.“ Dabei hat Maxi gesehen, wie Jerome das Geld nahm. Lügen für den Freund, damit er nicht selbst das nächste Opfer wird? Was wird morgen? Ein ganz normaler Abend. Die Schmerzen von Frau Schulze sind unerträglich. Der Krebs hat sich im ganzen Körper ausgebreitet. Niemand ist bei ihr. Und da sind wieder die Gedanken: soll ich nicht einfach die letzten Kräfte zusammennehmen, zum Balkon gehen? Aus dem 6. Stock auf den Parkplatz, das müsste doch reichen! Ein ganz normaler Abend…
Ich kann auch schöne Sachen von ganz normalen Aben-den erzählen. Von einem Ehepaar, das gern miteinander isst und sich vom Tag erzählt. von einer Mutter, die nach einem langen eigenen Arbeitstag ihrer Tochter bei den Hausaufgaben hilft. Von einem Vater, der es sich nicht nehmen lässt, seinem kleinen Sohn abends noch eine Ge-schichte zu erzählen. Gott sei Dank ist das Leben auch so.
Aber es ist, manchmal auf viel zu viele Arten, oft genug auch ein Kampf. Ein Kampf gegen die feurigen Pfeile des Bösen, um es mal so auszudrücken, wie es der Schreiber des Epheserbriefs in der Bibel sagt.
Von Kämpfen, von einer Rüstung, von einem Abwehr-panzer erzählt dieser Brief. Ja, und ich glaube, dass wir Menschen das brauchen und es uns immer wieder wün-schen. Eine Rüstung, einen Panzer, der uns vor dem Bö-sen schützt. Manchmal kommt dieser Panzer fast von al-lein. Wer Böses erlebt, kann ganz schön hart werden. Wie eine Schale legt sich dieser Panzer um die Seele. Wenn ich geschlagen werde, dann wehre ich mich mit Gewalt. Das Opfer ist mir egal, so ist dann die Reaktion. Oder Betäubung, um den Schmerz nicht zu spüren. Alkohol, Drogen, die scheinbare Selbstbestätigung, jede Frau, jedes Mädchen aufreißen zu können oder mit jedem Mann Sex haben zu können. Auch so ein Panzer. Oder Zynismus, die Haltung „mir ist doch alles egal, jeder soll sich um sich selbst kümmern.“ Augen zu und durch. Jeder ist sich selbst der Nächste, mir hilft ja auch keiner. Lauter kleine und große Seelenpanzer. Die vor Bösem schützen sollen, die aber im Endeffekt das Böse nur reflektieren und dadurch verstärken.
Die Bibel, der Brief an die Epheser, redet von einer Rüs-tung, von einem Kampf, von Stärke im Kampf gegen das Böse. Der Glauben, der wird mit einem Abwehrschild gegen die Pfeile des Bösen verglichen. Ja, es wäre gut, wenn ich allen, die leiden, allen, für die die normalen Abende keine guten Abende sind, sagen könnte: glaubt an Gott, glaubt daran, dass er euch in Jesus Christus seine Liebe gezeigt hat – und schon erlebt ihr keine solchen inneren und äußeren Kämpfe mehr. Aber leider würde ich dann lügen. Auch Menschen, die fest an Gott glauben, werden schwer krank, schreiben schlechte Noten in der Schule, werden enttäuscht, enttäuschen auch mal andere, werden ausgenutzt und können schwach sein. Nein, der Glauben ist kein Panzer, der hart macht. Kein Angriffswerkzeig, das alle anderen platt macht. Sondern ein Hilfsmittel, sich den Kämpfen, denen wir nicht ausweichen können , zu stellen und sich durchzustehen, ohne kaputt zu gehen und ohne die Liebe zu verraten. Der Epheserbrief redet nicht von einem Glaubenskrieg gegen Andersgläubige, die niedergerungen werden müssten, auch nicht von einer Vernichtung anderer. Er redet zuallererst von dem Kampf zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Liebe und Hass, zwischen dem Wissen um das, was eigentlich gut und richtig ist und der Versu-chung, den anderen, falschen Weg zu gehen, weil der leichter aussieht. Wenn hier von dem Teufel die Rede ist, dann ist damit kein überirdisches Wesen mit Hörnern gemeint. Das griechische Wort, das hier steht und das im Deutschen mit Teufel übersetzt wird, heißt „Verwirrer, Durcheinanderwerfer“. Ja, es ist verwirrend. Nicht nur für Jugendliche. Lüge setzt sich oft scheinbar durch. Wer die Wahrheit sagt, steht oft als der Dumme da. Tricksereien, Schummeleien, das bringt weiter. Warum Geld für Downloads ausgeben? Warum bei der Steuer nicht ein bisschen Schummeln? Macht doch jeder! Wenn der sich nicht wehrt, ist er doch selber schuld, wenn er eins in die Fresse kriegt. Und fremdgehen? Einmal ist keinmal. Ist doch nur Sex! Ich glaube, jedem einzelnen fallen genügend eigene Beispiele ein. Die großen Kämpfe um das, was leben voranbringt, um die Wahrheit, um das Leben selbst, fangen oft genug klein und eher unspektakulär an. Und es sind diese viele kleinen Kämpfe um die Wahrheit, die müde machen. Und die vielen Gemeinheiten, Ausbeutungen und Ungerechtigkeiten, die viel zu viele an ganz normalen Abenden und auch Tagen erleben und aushalten müssen. Gott ist auf der Seite der Menschen, die ihre Schwächen und ihre Schwachheit eingestehen, nicht auf der Seite der Menschen, die mit Gewalt, Lüge, Hinterlist sich groß und andere klein machen. In Jesus hat er das gezeigt. Jesus hat im Garten Gethsemane, kurz vor seiner Kreuzigung, eingestanden, dass er sich schwach fühlt. Er hat keine Gewalt angewendet, auch als ihn Jünger mit Gewalt verteidigen wollten. Er hat sich dem gestellt, dass Menschen die Liebe ausrotten wollen, weil sie die Sprache der Liebe nicht so gut verstehen wie die Sprache gewalttätiger Macht. Aber er hat das nicht gemacht, um ein kleines Opfer zu bleiben, sondern weil das der Weg war, auf dem sich das Leben am Ende durchgesetzt hat. Jesus und seine Anhänger sollten vernichtet werden – in 200 Jahren hat das nicht funktioniert. Nicht Hitler, nicht Stalin haben die Oberhand behalten. Und in denen, die ihren Glauben leben wollten, waren am Ende auch nicht die mächtig, die Kreuzzüge gepredigt haben, sondern die, wie Elisabeth, wie Franz von Assisi, wie Martin Luther King und viele andere, die für den Frieden eingetreten sind. Gott ist kein Gott der Gewalt und des Krieges. Die Rüstung der Wahrheit, der Gerechtigkeit dient dazu, das Evangelium des Friedens weiterzutragen. Eben mit Wahr-heit und Gerechtigkeit und nicht mit Lüge und Unrecht und Unterdrückung. Stark müssen und können wir nicht aus uns selbst sein, sondern stark können wir, in aller Schwäche sein, weil Gottes Stärke der Liebe unsere Stärke ist.
Aber was hilft das, wenn ein ganz normaler Abend bedeutet, dass Gewalt da ist, Schmerzen, dass ich die Frage stellt, ob ich lügen soll, dass ich mich bedroht fühle? Was hilft das an diesen Tagen, an diesen Abenden, wenn ich mich elend und schwach fühle, wenn ich denke, ich würde mitmachen, Schluss machen, reinhauen, mich zudröhnen müssen, weil ich keine Liebe mehr sehe oder spüre, keine Zukunft, keine Hoffnung? Der erste Schritt zu neuer Kraft ist es, die eigene Schwäche nicht vertuschen zu müssen, sondern eingestehen zu dürfen und zu können. Der zweite Schritt kann sein, dass ich gerade in meiner Schwäche spüre kann, dass trotz allem die Liebe und Zuwendung Gottes da ist. Und das hoffentlich Menschen, für die normale Tage, normale Tage Gott sei Dank anders aussehen, mich in der Kraft, die ihnen Gottes Liebe gibt, stützen. Dass es Hoffnung gibt. Lüge wird nicht dadurch wahr, dass viel zu viele sie aussprechen. Gewalt wird nicht dadurch richtig, dass viel zu viele sie ausüben. Liebe verschwindet nicht dadurch, dass nicht alle Menschen lieben. Wir müssen nicht allein kämpfen. Gott will uns helfen.
Amen
Liebe Gemeinde!
Es ist ein ganz normaler Abend. Wie fast jeden Abend steht die Clique zusammen. Einer hat Bier organisiert, reichlich Bier. Tim steht dabei. Trinkt weniger als die anderen. Er spürt schon: Wenn das Bier alle ist, wird’s wieder ungemütlich. Irgendwas geht heute noch zu Bruch. Er hat keine Lust mehr, will heim. Doch die anderen sind an ihm dran. „Du gehörst doch zu uns! Mach mit! Du bist doch kein Opfer! Wenn du jetzt gehst, brauchst du nicht mehr wiederzukommen.“ Einfach so haut Stefan ihm eine rein. „Du Opfer, wehr dich!“ Und jetzt? Wehren? Mitmachen? Abhauen?
Es ist ein ganz normaler Abend. Herr Müller kommt nach Hause. Schlecht gelaunt. Die Arbeit macht ihm keinen Spaß mehr. Zwei, drei Bier hat er nach Feierabend mit den Kollegen schon gekippt. Ein paar Schnäpschen zum Entspannen können ja jetzt nichts schaden. Die Frau hat gekocht, er hat keine Lust dran. Es setzt die ersten lauten Worte, eine Ohrfeige. Der Sohn kommt heim, bringt eine 5 in Mathe mit, es wird laut, Gläser und Fäuste fliegen.
Ein ganz normaler Abend. Maxi kommt heim. Die Mutter steht schon in der Tür. „Die Polizei hat gerade angerufen. Du sollst morgen für eine Zeugenaussage kommen. Anna hat Jerome angezeigt, der soll ihr 50 Euro in der Schule geklaut haben, Geld für die Klassenfahrt. Jerome hat dich als Entlastungszeugen angegeben.“ Dabei hat Maxi gesehen, wie Jerome das Geld nahm. Lügen für den Freund, damit er nicht selbst das nächste Opfer wird? Was wird morgen? Ein ganz normaler Abend. Die Schmerzen von Frau Schulze sind unerträglich. Der Krebs hat sich im ganzen Körper ausgebreitet. Niemand ist bei ihr. Und da sind wieder die Gedanken: soll ich nicht einfach die letzten Kräfte zusammennehmen, zum Balkon gehen? Aus dem 6. Stock auf den Parkplatz, das müsste doch reichen! Ein ganz normaler Abend…
Ich kann auch schöne Sachen von ganz normalen Aben-den erzählen. Von einem Ehepaar, das gern miteinander isst und sich vom Tag erzählt. von einer Mutter, die nach einem langen eigenen Arbeitstag ihrer Tochter bei den Hausaufgaben hilft. Von einem Vater, der es sich nicht nehmen lässt, seinem kleinen Sohn abends noch eine Ge-schichte zu erzählen. Gott sei Dank ist das Leben auch so.
Aber es ist, manchmal auf viel zu viele Arten, oft genug auch ein Kampf. Ein Kampf gegen die feurigen Pfeile des Bösen, um es mal so auszudrücken, wie es der Schreiber des Epheserbriefs in der Bibel sagt.
Von Kämpfen, von einer Rüstung, von einem Abwehr-panzer erzählt dieser Brief. Ja, und ich glaube, dass wir Menschen das brauchen und es uns immer wieder wün-schen. Eine Rüstung, einen Panzer, der uns vor dem Bö-sen schützt. Manchmal kommt dieser Panzer fast von al-lein. Wer Böses erlebt, kann ganz schön hart werden. Wie eine Schale legt sich dieser Panzer um die Seele. Wenn ich geschlagen werde, dann wehre ich mich mit Gewalt. Das Opfer ist mir egal, so ist dann die Reaktion. Oder Betäubung, um den Schmerz nicht zu spüren. Alkohol, Drogen, die scheinbare Selbstbestätigung, jede Frau, jedes Mädchen aufreißen zu können oder mit jedem Mann Sex haben zu können. Auch so ein Panzer. Oder Zynismus, die Haltung „mir ist doch alles egal, jeder soll sich um sich selbst kümmern.“ Augen zu und durch. Jeder ist sich selbst der Nächste, mir hilft ja auch keiner. Lauter kleine und große Seelenpanzer. Die vor Bösem schützen sollen, die aber im Endeffekt das Böse nur reflektieren und dadurch verstärken.
Die Bibel, der Brief an die Epheser, redet von einer Rüs-tung, von einem Kampf, von Stärke im Kampf gegen das Böse. Der Glauben, der wird mit einem Abwehrschild gegen die Pfeile des Bösen verglichen. Ja, es wäre gut, wenn ich allen, die leiden, allen, für die die normalen Abende keine guten Abende sind, sagen könnte: glaubt an Gott, glaubt daran, dass er euch in Jesus Christus seine Liebe gezeigt hat – und schon erlebt ihr keine solchen inneren und äußeren Kämpfe mehr. Aber leider würde ich dann lügen. Auch Menschen, die fest an Gott glauben, werden schwer krank, schreiben schlechte Noten in der Schule, werden enttäuscht, enttäuschen auch mal andere, werden ausgenutzt und können schwach sein. Nein, der Glauben ist kein Panzer, der hart macht. Kein Angriffswerkzeig, das alle anderen platt macht. Sondern ein Hilfsmittel, sich den Kämpfen, denen wir nicht ausweichen können , zu stellen und sich durchzustehen, ohne kaputt zu gehen und ohne die Liebe zu verraten. Der Epheserbrief redet nicht von einem Glaubenskrieg gegen Andersgläubige, die niedergerungen werden müssten, auch nicht von einer Vernichtung anderer. Er redet zuallererst von dem Kampf zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Liebe und Hass, zwischen dem Wissen um das, was eigentlich gut und richtig ist und der Versu-chung, den anderen, falschen Weg zu gehen, weil der leichter aussieht. Wenn hier von dem Teufel die Rede ist, dann ist damit kein überirdisches Wesen mit Hörnern gemeint. Das griechische Wort, das hier steht und das im Deutschen mit Teufel übersetzt wird, heißt „Verwirrer, Durcheinanderwerfer“. Ja, es ist verwirrend. Nicht nur für Jugendliche. Lüge setzt sich oft scheinbar durch. Wer die Wahrheit sagt, steht oft als der Dumme da. Tricksereien, Schummeleien, das bringt weiter. Warum Geld für Downloads ausgeben? Warum bei der Steuer nicht ein bisschen Schummeln? Macht doch jeder! Wenn der sich nicht wehrt, ist er doch selber schuld, wenn er eins in die Fresse kriegt. Und fremdgehen? Einmal ist keinmal. Ist doch nur Sex! Ich glaube, jedem einzelnen fallen genügend eigene Beispiele ein. Die großen Kämpfe um das, was leben voranbringt, um die Wahrheit, um das Leben selbst, fangen oft genug klein und eher unspektakulär an. Und es sind diese viele kleinen Kämpfe um die Wahrheit, die müde machen. Und die vielen Gemeinheiten, Ausbeutungen und Ungerechtigkeiten, die viel zu viele an ganz normalen Abenden und auch Tagen erleben und aushalten müssen. Gott ist auf der Seite der Menschen, die ihre Schwächen und ihre Schwachheit eingestehen, nicht auf der Seite der Menschen, die mit Gewalt, Lüge, Hinterlist sich groß und andere klein machen. In Jesus hat er das gezeigt. Jesus hat im Garten Gethsemane, kurz vor seiner Kreuzigung, eingestanden, dass er sich schwach fühlt. Er hat keine Gewalt angewendet, auch als ihn Jünger mit Gewalt verteidigen wollten. Er hat sich dem gestellt, dass Menschen die Liebe ausrotten wollen, weil sie die Sprache der Liebe nicht so gut verstehen wie die Sprache gewalttätiger Macht. Aber er hat das nicht gemacht, um ein kleines Opfer zu bleiben, sondern weil das der Weg war, auf dem sich das Leben am Ende durchgesetzt hat. Jesus und seine Anhänger sollten vernichtet werden – in 200 Jahren hat das nicht funktioniert. Nicht Hitler, nicht Stalin haben die Oberhand behalten. Und in denen, die ihren Glauben leben wollten, waren am Ende auch nicht die mächtig, die Kreuzzüge gepredigt haben, sondern die, wie Elisabeth, wie Franz von Assisi, wie Martin Luther King und viele andere, die für den Frieden eingetreten sind. Gott ist kein Gott der Gewalt und des Krieges. Die Rüstung der Wahrheit, der Gerechtigkeit dient dazu, das Evangelium des Friedens weiterzutragen. Eben mit Wahr-heit und Gerechtigkeit und nicht mit Lüge und Unrecht und Unterdrückung. Stark müssen und können wir nicht aus uns selbst sein, sondern stark können wir, in aller Schwäche sein, weil Gottes Stärke der Liebe unsere Stärke ist.
Aber was hilft das, wenn ein ganz normaler Abend bedeutet, dass Gewalt da ist, Schmerzen, dass ich die Frage stellt, ob ich lügen soll, dass ich mich bedroht fühle? Was hilft das an diesen Tagen, an diesen Abenden, wenn ich mich elend und schwach fühle, wenn ich denke, ich würde mitmachen, Schluss machen, reinhauen, mich zudröhnen müssen, weil ich keine Liebe mehr sehe oder spüre, keine Zukunft, keine Hoffnung? Der erste Schritt zu neuer Kraft ist es, die eigene Schwäche nicht vertuschen zu müssen, sondern eingestehen zu dürfen und zu können. Der zweite Schritt kann sein, dass ich gerade in meiner Schwäche spüre kann, dass trotz allem die Liebe und Zuwendung Gottes da ist. Und das hoffentlich Menschen, für die normale Tage, normale Tage Gott sei Dank anders aussehen, mich in der Kraft, die ihnen Gottes Liebe gibt, stützen. Dass es Hoffnung gibt. Lüge wird nicht dadurch wahr, dass viel zu viele sie aussprechen. Gewalt wird nicht dadurch richtig, dass viel zu viele sie ausüben. Liebe verschwindet nicht dadurch, dass nicht alle Menschen lieben. Wir müssen nicht allein kämpfen. Gott will uns helfen.
Amen
Sonntag, 10. Oktober 2010
Ankommen - Ablegen - Auftanken - Anfangen - 19. Sonntag n. Tr., Reihe II, 10.10.2010
Text: Epheser 4,22-32
Liebe Gemeinde!
Komm rein! Macht es dir bequem! Zieh die Jacke aus, du musst nicht gleich wieder los. Du darfst einfach da sein. Erfrisch dich! Leg ab! Die Jacke, die Schuhe – voll vom Alltagsstaub. Leg ab – deine Traurigkeit, deine Sorgen. Fühl dich wie zu Hause. Und falls du dich zu Hause im Moment gar nicht gut fühlst – hier darfst du Pause davon machen. Leg ab, was dir im Moment Sorgen macht. Mach Pause vom Alltag. Erhole dich, erfrische dich, werde neu! Du bist willkommen!
Ich wünsche mir, dass Menschen – du, sie – so bei uns im Gottesdienst sitzen. Oder sonst in die Gemeinde kommen. Ich wünsche mir, dass ich so hier vorne stehe und predige. Nicht, weil ich muss oder dafür bezahlt werde. Sondern weil da einer oder zwei oder mehr sind, der sagt, die denken: „Schön, dass du davon erzählst, was du glaubst. Das hilft mir, selbst zu denken und regt mich an zu glauben.“ Ich wünsche mir, dass ich so hier vorne stehe, weil ich selber etwas geschenkt kriege, für mich, für meinen Glauben, für mein Leben, wenn ich meine Gedanken sortiere und sage und andere angeregt werden, mir ihre Fragen zu sagen, ihre Gedanken. Oder weil sie einfach kommen und neugierig sind. Und ich wünsche mir, dass Menschen da sind, die so kommen. Nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie sagen: da ist mal eine Stunde in der Woche, in der ich einfach da sein kann. In der ich mit anderen da sein kann, ohne gleich reden oder irgendwas machen zu müssen. In der ich Zeit habe. In der ich loswerden kann, was meinen Alltag manchmal schwer macht. In der ich ablegen kann. Ich wünsche mir, dass es so ist. Frommer Wunsch – oder Wirklichkeit? Vielleicht nicht immer und vielleicht nicht bei jedem Wirklichkeit. Aber ich hoffe, dass Gottesdienste, Predigten, Gebet, die Art, wie wir hier auf dem Richtsberg Gottes Wort sagen und miteinander leben, dazu einlädt, sich zu erfrischen und neu, gestärkt zu werden. Das liegt nicht nur und nicht zuerst in meiner, deiner, ihrer Hand.
Menschen hören, sehen, fühlen ganz unterschiedlich. Es kann sein, dass Menschen aus der Gemeinde in Ephesus vor 2000 Jahren genauso wie Menschen heute den Bibel-abschnitt, den ich eben vorgelesen habe, vor allem so hö-ren: „Wenn du ein Christ sein willst, dann musst du dich nach folgenden Regeln richten“ - und dann kommen ja ganz viele einzelne Sachen wie nicht lügen, nicht stehlen, kein dummes Zeug reden und einiges mehr. Und mancher hört das vielleicht bis heute auch so: bevor du zu Gott kommst, musst du – und denkt dann bei sich, das schaffe ich sowieso nicht, dann gehöre ich halt nicht dazu. Aber am Anfang steht kein „Du musst“, das mir erstmal ganz viel auflegt, was ich vielleicht im Moment gar nicht alles tragen kann, sondern ein „Du darfst“ – ablegen, was los werden. „Legt den alten Menschen ab“ – gib ab, was Leben schwer macht.
Klar, auch das Ablegen von dem, was Leben schwer macht, kann zur Leistungsschau werden. „Bekenne doch endlich, was du schon alles falsch gemacht hast, posaune es raus, dass es jeder hören kann!“ Druck wird gemacht, sich sozusagen öffentlich auszuziehen. Manche ziehen sich aber auch gern aus und erzählen gleich allen ungefragt, wie schlecht sie waren und was sie alles Böses gemacht haben, um dann vielleicht allen zu zeigen, wie viel vom neuen Menschen sie schon angezogen haben und um richtig gut da zu stehen. Und es gibt sicher auch den Druck, der so aussehen kann: „Jetzt erzähl doch endlich, was dir auf dem Herzen liegt, sprich es aus, dann geht es dir besser. Mir kannst du doch alles sagen!“ Ablegen als Leistungsschau, die sich von den Selbstdarstellungen, die es sonst in der Welt gibt, nicht unterscheidet. Germany’s next Topchrist, Hessens nächster Superpfarrer, Marburgs Topgemeinde. Nein danke! Leistungsschau, das passt nicht zum Glauben. Die Botschaft, die Gott uns in Jesus geschenkt hat, heißt nicht: „Du musst dir alles erkämpfen und verdienen und vor anderen an der Spitze stehen.“ Sie heißt: „Für dich bin ich da. Dir gilt meine Liebe. Du darfst da sein!“ Vielleicht lädt ja ein Gottesdienst, in dem ich einfach denken, glauben, da sein darf, in dem ich nichts laut ausplaudern muss, sondern mit Gott und mit mir selbst ins Reine kommen darf, in der ich meinen Alltag ablegen darf, auch dazu ein, das, was mir im Alltag Leben schwer macht, auch an eigener Schuld, auszusprechen und abzulegen. Vor Gott und vor Menschen, die mir das Gefühl geben, dass ich ihnen vertrauen kann. Ablegen dürfen, was im Alltag Leben schwer macht – mit dieser Einladung fängt der Predigttext heute an. Und wenn da in der Übersetzung von Martin Luther, aus der ich eben vorgelesen habe, „erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn“ steht, dann führt das ein wenig in die Irre. Wörtlich steht in der Sprache, in der Paulus oder ein Schüler von ihm diesen Brief geschrieben hat, lasst euch erneuern. Die neuen Kleider, die wir anziehen können, wenn wir die Kleider, die uns den Alltag schwer machen, abgelegt haben, sind ein Geschenk. Jesus schenkt sie uns. Gott. Er macht uns neu. Nicht wir selbst. Gott lässt uns nicht nackt da stehen. Er nutzt unsere Alltagsschwächen, unsere Ehrlichkeit beim Ablegen nicht aus. Eine Erfah-rung, die im Alltag Menschen untereinander leider nicht immer machen. Wer da Schwächen zugibt, wird oft genug bloßgestellt. Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Lasst auch im Alltag die Geschenke Gottes sichtbar sein, trennt nicht künstlich zwischen einem Glauben für besondere Zeiten und dem Alltag, in dem angeblich un-umstößliche Gesetzte gelten. In dem das Recht des Stär-keren gilt. In dem der gilt, der keine Schwächen zeigt. In dem Menschen ganz schnell in Schubladen gesteckt und durch Vorurteile festgelegt werden. Macht es anders, gebt etwas von dem, was euch geschenkt ist, weiter. Ja, so kann man das hören und verstehen, was hier im Epheser-brief steht. Wenn wir hoffentlich nicht dem Missverständnis unterliegen, dass wir dadurch perfekt würden oder eine perfekte Welt schaffen könnten. Was mir an diesem Stück aus der Bibel so gut gefällt, ist der herrlich realistische Blick, den es für unseren Alltag hat. Auch die neuen Kleider, die Gott uns bereitlegt, werden im Alltag schmutzig. Auch noch so gute Gemeinden und Christen sind alles andere als vollkommen. Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst kein faules, dummes Geschwätz aus eurem Mund gehen; Bitterkeit, Zorn, Geschrei, Lästerung sei fern von euch. Der Apostel müsste das nicht schreiben, wenn die Leute perfekt gewesen wären. Die Frage ist doch nicht, ob ich als Christ zum Beispiel zornig sein darf oder nicht, die Frage ist, wie ich damit umgehe. Lasst die Sonne nicht untergehen über eurem Zorn. Lass dich nicht auffressen davon, bringe es wieder ins Reine – bei diesem Satz muss ich immer an meine Oma denken, die mir das wirklich für mein Leben mitgegeben hat. Seid aber unter euch freundlich und herzlich und – jetzt kommt das für mich Entscheidende - vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus. Ja, da wird deutlich, wie schnell der Alltag den neuen Menschen, die neu angezogenen Kleider wieder mit Staub belegt. Vergebung, das braucht oft mehr als nur einen Tag. Das braucht manchmal mehr Zeit, als uns lieb ist. Und das braucht immer auch von beiden Seiten die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Und damit es Vergebung werden kann und kein bloßes unter den Teppich kehren aus Bequemlichkeit wird, braucht es manchmal auch, dass die Schwere der Verletzung und der Enttäuschung erst mal eingestanden wird und ein Satz wie „Der andere hat mir so weh getan, das sich mir wünschen würde, er wäre gar nicht mehr da“ erst mal ausgesprochen werden kann. Ja, auch das darf ich sagen, ablegen und abgeben. Nur so kann ich erneuert werden. Nur wenn der Hass raus darf, der Zorn, kann Platz werden für die Liebe. Ja, unser neuer Mensch, unsere neuen Kleider werden im Alltag schmutzig, unansehnlicher. Aber wir dürfen kommen, wiederkommen, ablegen und uns immer wieder neue holen. Ich wünsche mir, dass ich nicht nur davon rede, sondern dass auch tue. Und ich wünsche mir, dass sich Menschen erfrischen lassen, gern ablegen, sich erholen, gestärkt in den Alltag gehen. Mit neuen Kleidern. Immer wieder.
Amen
Liebe Gemeinde!
Komm rein! Macht es dir bequem! Zieh die Jacke aus, du musst nicht gleich wieder los. Du darfst einfach da sein. Erfrisch dich! Leg ab! Die Jacke, die Schuhe – voll vom Alltagsstaub. Leg ab – deine Traurigkeit, deine Sorgen. Fühl dich wie zu Hause. Und falls du dich zu Hause im Moment gar nicht gut fühlst – hier darfst du Pause davon machen. Leg ab, was dir im Moment Sorgen macht. Mach Pause vom Alltag. Erhole dich, erfrische dich, werde neu! Du bist willkommen!
Ich wünsche mir, dass Menschen – du, sie – so bei uns im Gottesdienst sitzen. Oder sonst in die Gemeinde kommen. Ich wünsche mir, dass ich so hier vorne stehe und predige. Nicht, weil ich muss oder dafür bezahlt werde. Sondern weil da einer oder zwei oder mehr sind, der sagt, die denken: „Schön, dass du davon erzählst, was du glaubst. Das hilft mir, selbst zu denken und regt mich an zu glauben.“ Ich wünsche mir, dass ich so hier vorne stehe, weil ich selber etwas geschenkt kriege, für mich, für meinen Glauben, für mein Leben, wenn ich meine Gedanken sortiere und sage und andere angeregt werden, mir ihre Fragen zu sagen, ihre Gedanken. Oder weil sie einfach kommen und neugierig sind. Und ich wünsche mir, dass Menschen da sind, die so kommen. Nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie sagen: da ist mal eine Stunde in der Woche, in der ich einfach da sein kann. In der ich mit anderen da sein kann, ohne gleich reden oder irgendwas machen zu müssen. In der ich Zeit habe. In der ich loswerden kann, was meinen Alltag manchmal schwer macht. In der ich ablegen kann. Ich wünsche mir, dass es so ist. Frommer Wunsch – oder Wirklichkeit? Vielleicht nicht immer und vielleicht nicht bei jedem Wirklichkeit. Aber ich hoffe, dass Gottesdienste, Predigten, Gebet, die Art, wie wir hier auf dem Richtsberg Gottes Wort sagen und miteinander leben, dazu einlädt, sich zu erfrischen und neu, gestärkt zu werden. Das liegt nicht nur und nicht zuerst in meiner, deiner, ihrer Hand.
Menschen hören, sehen, fühlen ganz unterschiedlich. Es kann sein, dass Menschen aus der Gemeinde in Ephesus vor 2000 Jahren genauso wie Menschen heute den Bibel-abschnitt, den ich eben vorgelesen habe, vor allem so hö-ren: „Wenn du ein Christ sein willst, dann musst du dich nach folgenden Regeln richten“ - und dann kommen ja ganz viele einzelne Sachen wie nicht lügen, nicht stehlen, kein dummes Zeug reden und einiges mehr. Und mancher hört das vielleicht bis heute auch so: bevor du zu Gott kommst, musst du – und denkt dann bei sich, das schaffe ich sowieso nicht, dann gehöre ich halt nicht dazu. Aber am Anfang steht kein „Du musst“, das mir erstmal ganz viel auflegt, was ich vielleicht im Moment gar nicht alles tragen kann, sondern ein „Du darfst“ – ablegen, was los werden. „Legt den alten Menschen ab“ – gib ab, was Leben schwer macht.
Klar, auch das Ablegen von dem, was Leben schwer macht, kann zur Leistungsschau werden. „Bekenne doch endlich, was du schon alles falsch gemacht hast, posaune es raus, dass es jeder hören kann!“ Druck wird gemacht, sich sozusagen öffentlich auszuziehen. Manche ziehen sich aber auch gern aus und erzählen gleich allen ungefragt, wie schlecht sie waren und was sie alles Böses gemacht haben, um dann vielleicht allen zu zeigen, wie viel vom neuen Menschen sie schon angezogen haben und um richtig gut da zu stehen. Und es gibt sicher auch den Druck, der so aussehen kann: „Jetzt erzähl doch endlich, was dir auf dem Herzen liegt, sprich es aus, dann geht es dir besser. Mir kannst du doch alles sagen!“ Ablegen als Leistungsschau, die sich von den Selbstdarstellungen, die es sonst in der Welt gibt, nicht unterscheidet. Germany’s next Topchrist, Hessens nächster Superpfarrer, Marburgs Topgemeinde. Nein danke! Leistungsschau, das passt nicht zum Glauben. Die Botschaft, die Gott uns in Jesus geschenkt hat, heißt nicht: „Du musst dir alles erkämpfen und verdienen und vor anderen an der Spitze stehen.“ Sie heißt: „Für dich bin ich da. Dir gilt meine Liebe. Du darfst da sein!“ Vielleicht lädt ja ein Gottesdienst, in dem ich einfach denken, glauben, da sein darf, in dem ich nichts laut ausplaudern muss, sondern mit Gott und mit mir selbst ins Reine kommen darf, in der ich meinen Alltag ablegen darf, auch dazu ein, das, was mir im Alltag Leben schwer macht, auch an eigener Schuld, auszusprechen und abzulegen. Vor Gott und vor Menschen, die mir das Gefühl geben, dass ich ihnen vertrauen kann. Ablegen dürfen, was im Alltag Leben schwer macht – mit dieser Einladung fängt der Predigttext heute an. Und wenn da in der Übersetzung von Martin Luther, aus der ich eben vorgelesen habe, „erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn“ steht, dann führt das ein wenig in die Irre. Wörtlich steht in der Sprache, in der Paulus oder ein Schüler von ihm diesen Brief geschrieben hat, lasst euch erneuern. Die neuen Kleider, die wir anziehen können, wenn wir die Kleider, die uns den Alltag schwer machen, abgelegt haben, sind ein Geschenk. Jesus schenkt sie uns. Gott. Er macht uns neu. Nicht wir selbst. Gott lässt uns nicht nackt da stehen. Er nutzt unsere Alltagsschwächen, unsere Ehrlichkeit beim Ablegen nicht aus. Eine Erfah-rung, die im Alltag Menschen untereinander leider nicht immer machen. Wer da Schwächen zugibt, wird oft genug bloßgestellt. Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Lasst auch im Alltag die Geschenke Gottes sichtbar sein, trennt nicht künstlich zwischen einem Glauben für besondere Zeiten und dem Alltag, in dem angeblich un-umstößliche Gesetzte gelten. In dem das Recht des Stär-keren gilt. In dem der gilt, der keine Schwächen zeigt. In dem Menschen ganz schnell in Schubladen gesteckt und durch Vorurteile festgelegt werden. Macht es anders, gebt etwas von dem, was euch geschenkt ist, weiter. Ja, so kann man das hören und verstehen, was hier im Epheser-brief steht. Wenn wir hoffentlich nicht dem Missverständnis unterliegen, dass wir dadurch perfekt würden oder eine perfekte Welt schaffen könnten. Was mir an diesem Stück aus der Bibel so gut gefällt, ist der herrlich realistische Blick, den es für unseren Alltag hat. Auch die neuen Kleider, die Gott uns bereitlegt, werden im Alltag schmutzig. Auch noch so gute Gemeinden und Christen sind alles andere als vollkommen. Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst kein faules, dummes Geschwätz aus eurem Mund gehen; Bitterkeit, Zorn, Geschrei, Lästerung sei fern von euch. Der Apostel müsste das nicht schreiben, wenn die Leute perfekt gewesen wären. Die Frage ist doch nicht, ob ich als Christ zum Beispiel zornig sein darf oder nicht, die Frage ist, wie ich damit umgehe. Lasst die Sonne nicht untergehen über eurem Zorn. Lass dich nicht auffressen davon, bringe es wieder ins Reine – bei diesem Satz muss ich immer an meine Oma denken, die mir das wirklich für mein Leben mitgegeben hat. Seid aber unter euch freundlich und herzlich und – jetzt kommt das für mich Entscheidende - vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus. Ja, da wird deutlich, wie schnell der Alltag den neuen Menschen, die neu angezogenen Kleider wieder mit Staub belegt. Vergebung, das braucht oft mehr als nur einen Tag. Das braucht manchmal mehr Zeit, als uns lieb ist. Und das braucht immer auch von beiden Seiten die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Und damit es Vergebung werden kann und kein bloßes unter den Teppich kehren aus Bequemlichkeit wird, braucht es manchmal auch, dass die Schwere der Verletzung und der Enttäuschung erst mal eingestanden wird und ein Satz wie „Der andere hat mir so weh getan, das sich mir wünschen würde, er wäre gar nicht mehr da“ erst mal ausgesprochen werden kann. Ja, auch das darf ich sagen, ablegen und abgeben. Nur so kann ich erneuert werden. Nur wenn der Hass raus darf, der Zorn, kann Platz werden für die Liebe. Ja, unser neuer Mensch, unsere neuen Kleider werden im Alltag schmutzig, unansehnlicher. Aber wir dürfen kommen, wiederkommen, ablegen und uns immer wieder neue holen. Ich wünsche mir, dass ich nicht nur davon rede, sondern dass auch tue. Und ich wünsche mir, dass sich Menschen erfrischen lassen, gern ablegen, sich erholen, gestärkt in den Alltag gehen. Mit neuen Kleidern. Immer wieder.
Amen
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