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Freitag, 24. Dezember 2010

Es war einmal? - Es wird einmal! 1. Weihnachtstag 2010, Reihe III

Text: Micha 5,1-4a
Liebe Gemeinde!


Es war einmal… - Es war einmal, in einer Zeit, in der glückliche Kinder in glücklichen Familien aufwuchsen, in einer Zeit, in der die Kinder brav waren und die Erwachsenen viel Zeit für die Kinder hatten. Es war einmal in einer Zeit, in der jeder zufrieden war mit dem, was er hatte, in einer Zeit, in der Neid und Habgier Fremdwörter waren. Es war einmal in einer Zeit, in der kein Mensch auf der Welt hungern musste und in der keine Kriege geführt wurden, in der jeder ein Dach über dem Kopf hatte. Es war einmal in einer Zeit, in der einfach nur ein großer Frieden in der Welt war. Es war einmal – so fangen Märchen an. Märchen erzählen oft von Sehnsüch-ten und Hoffnungen und verlegen das, was in der Gegenwart nicht möglich ist, in die gute, alte Zeit. Die aber in der Wirklichkeit selten so gut war wie in der nachträglichen Erinnerung. Es war einmal eine Welt, die gut und schön und richtig war – nein, das war nicht irgendwann einmal. Auch nicht zur Weihnachtszeit. Für die allermeisten Menschen ist Weihnachten ein Fest der Erinnerung. Gedanken gehen zurück. Und wenn die Vergangenheit, die Kindheit und Jugend, die Zeit als junge Familie als gut und beglückend empfunden wurde, dann hat man den Wunsch, das möge immer so bleiben und immer so sein. Und wenn die Erinnerungen traurig und belastend sind, dann möchte man sich wenigstens jetzt davon absetzen und alles anderes machen. Auch bei mir geht in der Weihnachtszeit der Blick öfter zurück als sonst im Jahr. Das mag auch daran liegen, dass der Keim des Weihnachtsfestes alle Jahre wieder eine Erinnerung an ein Ereignis ist, das wir uns alle bildhaft vorstellen können und das in der Lebenswelt so vieler Menschen eine Entsprechung hat: ein Kind wird geboren. Und in diesem Kind bündeln sich viele Hoffnungen und Erwartungen. Klar, die Geburt wird ausgeschmückt erzählt. Und der Herbergswirt, die Engel, Hirten, Weisen aus dem Morgenland und all das andere Personal tragen dazu bei, dass schöne Krippenspiele in Kirchen auf der ganzen Welt aufgeführt werden können, dass Krippen in Kirchen und zu Hause schön dekoriert werden können. Aber der Kern der Erinnerung ist der: ein Kind wird geboren und auf diesem Kind ruhen ganz viele Hoffnungen. Menschlich. Weihnachten ist vielleicht wirklich das menschlichste all unserer Feste. Erinnerung an den Anfang des Lebens, an dem alles noch möglich schien. Und dieses Kind in der Krippe, das lebt ja auch von der Erinnerung. Menschen erinnerten sich an Worte, die Männer Gottes, Propheten lange vor seiner Geburt sagten. Und plötzlich schienen für manche diese Worte in diesem Kind wahr zu werden. So auch die Worte, die der Prophet Micha über 700 Jahre vor der Geburt dieses Kindes sagte und die für den 1. Weihnachtstag in diesem Jahr Predigttext sind:

1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2 Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. 3 Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. 4 Und er wird der Friede sein.

Es war einmal – eine Zeit, in der diese Worte wahr wurden? Im Bewusstsein, von Gott dazu beauftragt worden zu sein, hat Micha den Menschen in Israel diese Worte nach einem katastrophal verlorenen Krieg gesagt. Der Krieg wurde angezettelt, weil die Könige sich in ihren Phantasien, eine Großmacht zu werden, verkalkuliert hatten und, vor allem, weil es im Land nicht mehr gestimmt hat. Arme wurden ausgebeutet und unterdrückt, die Reichen wurden auf Kosten der Armen immer reicher und der Glauben an Gott verkam zu einem Ritual für Feiertage. Keine gute, alte Zeit. Diesen verzweifelten Menschen macht Micha neue Hoffnung. Einer wird kommen. Und die Menschen werden sicher wohnen. Und er wird der Friede sein. Und dann, gut 700 Jahre später, fingen Menschen an, in Jesus die Erfüllung dieser Hoffnung zu sehen. Und jetzt, noch einmal 2000 Jahre später? Können wir sagen: es war einmal, eine Zeit, in der alles unfriedlich war, aber jetzt, gut 2000 Jahre nach Christi Geburt, ist das alles vergessen, hat sich alles erledigt. Jetzt wohnen die Menschen sicher und in Frieden, denn er hat ja den Frieden gebracht, so wie es die Engel den Hirten sagten: Frieden auf Erden! Können wir das sagen: Es war einmal, die böse alte Zeit, jetzt haben wir die gute Zeit des Friedens und des sicheren Wohnens? Ich denke, gerade wenn ich die Worte Michas höre und lese, daran, was Soldaten in Afghanistan, denen das vielleicht auch heute in einem Weihnachtsgottesdienst im Lager in Kundus gepredigt wird, über diese Worte denken. Ich denke an unsere christlichen Brüder und Schwestern im Irak, in Palästina. Wie hören sie wohl diese Worte? Frieden und sicheres Wohnen, das scheint für sie unendlich weit weg zu sein. Und wir brauchen gar nicht so weit weg zu gehen. Sicher wohnen – wie werden dieses Versprechen die Wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen hören, die sich in der Tagesaufenthaltsstätte der Diakonie in der Gisselberger Str. treffen? Wie werden es die Menschen auf dem Richtsberg hören, die sich unsicher fühlen, wenn viele dunkel gekleidete Jugendliche mit Kapuzenpullis dastehen und sie an ihnen vorbei müssen? Frieden – wie werden das diejenigen hören, die mit ihren Eltern im Streit leben, die gerade dabei sind, sich vom Lebenspartner zu trennen, die in der Schule oder am Arbeitsplatz gemobbt werden und die sich deshalb schon davor fürchten, wenn die Feiertage wieder vorbei sind? Sicher wohnen, Frieden haben – davon sind wir manchmal im Kleinen, bei uns selbst, im eigenen Leben, in der eigenen Familie, ganz sicher aber im Weltmaßstab immer noch sehr, sehr weit entfernt.

Und trotzdem feiern wir Weihnachten, alle Jahre wieder. Nicht als Fest einer schönen, harmonischen Vergangenheit, sondern als Fest des Anbruchs der Zukunft. Weihnachten setzt keinen Schlusspunkt hinter die Verkündigung der Propheten Israels, Weihnachten setzt einen Doppelpunkt. Die Verheißungen, die bis dahin auf den Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat, bezogen sind, sollen endgültig im Weltmaßstab gelten.

Frieden hat Jesus gebracht: Frieden zwischen Gott und den Menschen. Gott verzichtet auf Rache, Gott lädt alle ein, auch die Menschen mit Not und Schuld. In Jesus, in dem Kind in der Krippe, im Mann der Verkündigung, der Heilungen, im geschundenen Menschen am Kreuz und in seiner Auferstehung zeigt uns Gott, dass er seinen Frieden mit der Welt gemacht hat. Mit unserer Welt, die nicht gerade so ist, wie sie nach seinem Willen sein sollte. Weil er uns die Freiheit gegeben hat, eigenen Wege zu gehen. eigene Wege, die oft genug auch von ihm, von seinem Frieden wegführen. ER wird der Friede sein. Ja, die Erfüllung dieser Verheißung von Micha dürfen wir in Jesus Christus glauben. Friede zwischen Gott und den Menschen. Was oft genug fehlt, ist der Friede zwischen uns Menschen und zwischen uns Menschen und Gott. Der Friede zwischen uns und Gott, den wir oft nicht verstehen. Trotz seiner Offenbarung in Jesus scheint uns Gott manchmal der ganz Ferne zu sein. Dann, wenn wir Leid begegnen, eigenem und fremden. Dann, wenn wir zweifeln, ob die Hoffnung, ob der Glaube, den wir haben wirklich ausreicht. Friede zwischen uns und Gott fehlt – und vor allem Friede zwischen uns Menschen. Weil wir immer wieder glauben, unseren Platz im Leben selbst behaupten zu müssen – gegen andere. Weil wir oft genug unser Leben als einen Kampf um die beste Position, um das höchste Ansehen, um Vorteile für das eigen Leben verstehen. Weil wir glauben, unseren Platz nicht sicher zu haben, sondern weil uns unser Platz im Leben bedroht scheint. Dabei will Gott uns sicher wohnen lassen. Gerade in Jesus hat er uns gezeigt, dass wir um unseren Platz nicht kämpfen müssen, dass wir da sein dürfen. Gott will uns und das Leben. In Jesus hat sich Gott von Anfang an ganz besonders den Menschen zugewandt, denen Lebensrecht und Lebensraum abgesprochen wurde. Kranken, Kindern, Frauen, Menschen am Rand der Gesellschaft. Vor allem auch denen, die durch eigene Schuld sich vom Frieden mit Gott und den Menschen entfernt haben. Gott gibt in Jesus Raum zum Frieden. Raum, in dem Menschen sicher wohnen können. Wie wir Menschen diesen Lebensraum gestalten, das liegt eben auch an uns. Ob wir diesen Raum annehmen, anderen Räume öffnen, Frieden leben – oder ob wir weiter kämpfen, streiten, verzweifeln. Es liegt an uns – auch wenn wir wissen, dass wir es nicht perfekt hinkriegen und dass wir nicht fertig werden mit dem Frieden und dem sicheren Wohnen. Das kann allein Gott herstellen. Es war einmal – nein, das ist nicht die Botschaft von Weih-nachten. Kein Rückblick auf eine gute alte Zeit. Es ist – das ist ein Teil der Botschaft. Es ist Zeit, sich zu freuen, Zeit, das Geschenk, den Frieden, den Lebensraum, den Gott uns durch Jesus schenkt, anzunehmen. Es ist – und: es wird. Gottes Welt ist im Werden. Nicht gegen uns, nicht an uns vorbei, sondern mit uns. Er ist der Friede – und in seinem Namen und auf ihn hin dürfen wir, mit aller Vorläufigkeit und mit allen Rückschlägen Schritte auf dem Weg des Friedens gehen. Und sicher wohnen. In diesem Leben. Amen

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