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Sonntag, 12. September 2010

Selbstbewusst statt Selbstverliebt - 15. nach Trinitatis, 12.09.10, Reihe II

Text: 1. Petrus 5,5b-11
Liebe Gemeinde!


Manchmal macht es einem die Bibel gar nicht so leicht, zu verstehen, was da eigentlich gemeint ist. Da werden Wörter benutzt, die Konfirmanden wahrscheinlich gar nicht mehr kennen. Demut ist so ein Wort, das völlig aus der Mode gekommen ist. Wobei die Erfahrung, gedemütigt zu werden, leider nicht genauso aus dem Alltag verschwunden ist. Ich glaube, dass viele ältere genau wissen, was das ist. Ich denke an ältere und alte Menschen, die aus Russland zu uns gekommen sind. Bis zum zweiten Weltkrieg konnten sie in ihrer angestammten Heimat an der Wolga leben. Dann waren sie auf einmal die Faschisten, wurden vertrieben, zur Zwangsarbeit geknechtet, mussten unter unwürdigen Be-dingungen leben. Nur, weil Deutsch ihre Muttersprache war. Die Sprache wurde verboten, lange auch Gottesdienste und öffentlich zu bekennen, dass man an Gott glaubt. „Ihr seid weniger wert als wir Russen“, das bekamen viele jeden Tag zu spüren. Und dann kamen immer mehr nach Deutschland. Hier waren sie dann zwar nicht mehr die Faschisten, aber plötzlich doch „die Russen“. Und wenn es irgendwo Probleme gab, dann wurde schnell gesagt: „Das sind doch die Russen, die saufen zu viel, die sprechen zu schlecht Deutsch!“ Funktioniert ja auch mit jeder Menge anderer Menschen. Demütigen, das heißt doch nichts anderes, als einem Menschen klar zu machen: „du bist weniger wert, du bist das Letzte!“ Jugendliche heute würden wahrscheinlich nicht „demütigen“ sagen, sie würden „mobben“ oder „dissen“ sagen oder einfach „das sind die Opfer“. Das Wort „demütigen“ ist aus der Mode gekommen. Dum-merweise aber nicht die Versuchung, dass Menschen sich gegenseitig schlecht machen, Schwächere unterdrücken und ausnutzen und manchmal auch noch stolz drauf sind, dass sie ganz oben stehen und auf Opfer herunterschauen können.

Und dann schreibt da einer im 1. Petrusbrief in der Bibel demütigt euch unter die Hand Gottes. Soll das jetzt hei-ßen: „Lasst euch von Gott zum Opfer machen! Lasst euch kleinmachen, unterdrücken!“? Das ergibt doch kei-nen Sinn! Nein, es ist etwas anderes, was hier gemeint ist. „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“, so beginnt der Teil des Briefes, der für heute Predigttext ist. Gott ist nicht auf der Seite der Menschen, die sich für etwas Besseres halten. Er ist nicht auf der Seite der Menschen, die Opfer brauchen, damit sie sich gut und wichtig fühlen. Er lässt sich nicht blenden von klugem Geschwätz oder Reichtum. Menschen, die glauben, dass sie was Besseres sind – leider gibt es viel zu viele Beispiele dafür. Besonders ekelhaft finde ich Menschen, die Gott auch noch für ihren Hochmut missbrauchen. Prediger, die behaupten, sie würden Gottes Wort verkünden und dann davon erzählen, dass Christen, vor allem die, die so an Gott glauben, wie diese Prediger behaupten, dass es der richtige Weg sei, besser seien als Menschen mit einer anderen Religion. Christen, die behaupten, Muslime wären vom Teufel oder man müsse den Koran verbrennen – das ist widerwärtiger Hochmut. Islamische Fanatiker, die es ja gibt, sind kein Grund, als christlicher Glaube getarnte Dummheit zu entschuldigen. Menschen, die behaupten, Araber oder Afrikaner seien auf Grund ihrer Gene weniger intelligent, Menschen, für die Menschsein erst mit dem Abitur anfängt – oder Menschen, die behaupten, Gymnasiasten wären arrogant oder hätten keine Ahnung von der Wirklichkeit, die könne man ruhig mal verprügeln oder abziehen. Arroganz, Hochmut gibt es viel zu oft. Gott lässt sich von Blendern nicht irre machen. Wenn das Hochmut ist, dann heißt Demut nicht, sich fertigmachen lassen oder sich klein und schlecht fühlen müssen, sondern sich mit seinen Grenzen als Mensch unter Menschen zu ak-zeptieren. Demut in diesem Sinn, wie es hier in der Bibel gebraucht wird, heißt, nicht besserwisserisch andere bevormunden zu wollen, sondern als Gleicher unter Gleichen zu leben, gemeinsam unter der Hand und dem Schutz Gottes zu leben. In der Bibel steht ja nicht: Lasst euch von Menschen demütigen! Es steht dort: demütigt euch unter die Hand Gottes – erkennt, dass ihr Menschen seid, die nicht über andere vernichtende Urteile fällen müssen, sondern die miteinander vor Gott leben.

Dem, der diesen Brief in der Bibel geschrieben hat, geht es um ein ganz konkretes Problem. Es gab einige Älteste in den Gemeinden, Gemeindeleiter also, die kraftlos geworden waren. Ihnen ging es vor allem darum, durch die Spenden der Gemeinden eine Absicherung zu bekommen und durch ihr Amt besser dazustehen als andere. Sie glaubten, nur weil sie dieses Amt hatten, seien sie mehr wert. Und es gab einige junge Leute, die sagten: „Das, was die Alten machen, ist Quatsch! Wir wissen, wie Glauben richtig gelebt werden kann, die Alten haben doch längst keine Ahnung mehr!“ In dieser Situation schreibt der Petrusbrief: „Seid nicht hochmütig, denkt nicht, dass ihr besser wäret. Ihr steht gemeinsam vor und unter Gott. Gebt zu, dass ihr auch klein seid, Grenzen habt, nicht alles könnt und wisst.“ Alle eure Sorge werft auf ihn, auf Gott, denn er sorgt für euch! Das ist die große Zusage, die Gott uns macht. Ihr müsst nicht darum kämpfen, der Größte, Stärkste, Beste zu sein. Ihr müsst nicht gegeneinander arbeiten, damit ihr am Ende ganz oben steht. Ihr braucht keine Angst davor zu haben, zu klein, zu alt, zu jung zu sein. Gott kann mit euch etwas anfangen. Und auch dann, wenn ihr das Gefühl habt, mit euch selbst gar nicht mehr zurecht zu kommen, will er da sein und euch geben, was ihr zum Leben braucht.

Ich gebe zu, dass es im normalen Alltag schwer fällt, da-rauf zu vertrauen. Da erlebe ich, dass nicht diejenigen vorn sind, die sich zurückhalten können. Durchsetzungs-fähige Kämpfer scheinen gefragter zu sein. Selbstbewuss-te, die anführen können und von sich überzeugt sind. Ge-gen Selbstbewusstsein ist ja nichts zu sagen, im Gegen-teil. Nur leider wird viel zu oft Selbstbewusstsein mit Selbstverliebtheit verwechselt. Wirklich stark, wirklich selbstbewusst ist doch eigentlich der, der auch mal verzichten kann, der anderen zu ihrem Vorteil und zu ihrem Recht verhelfen kann, ohne dabei zu kurz zu kommen. Selbstbewusst ist doch der, der weiß: Ich bin was wert, auch wenn ich nicht immer an erster Stelle stehe oder wenn ich mal im Unrecht bin. In Jesus hat Gott uns doch gezeigt, dass die wahre Kraft und Stärke darin liegt, vor Niederlagen, vor dem Leid nicht davonzulaufen. Aus der scheinbaren Niederlage, aus dem Tod am Kreuz ist der Sieg des Lebens geworden. Macht über das Leben hat der, der das ganze Leben in sich aufnimmt – nicht der, der vor den Schattenseiten da-vonläuft oder sie ständig überspielt und versteckt.

Und da sind wir jetzt bei der Versuchung, von der der Brief auch erzählt. Er erzählt vom Teufel, der wie ein brüllender Löwe Leben verschlingen will. Der Teufel, das Böse – das ist keine Gestalt mit Hörnern und Pferdefuß, die Menschen frisst. Das Böse, das ist das, was Menschen an Möglichkeiten haben, einander weh zu tun. Das ist die Macht, die Menschen haben, einander Schreckliches anzutun. Das Böse ist da – aber nicht als gegengöttliche Person, sondern als Versuchung, die eigene Macht gegen andere auszuspielen. Als Versuchung, sich selbst auf den Thron zu setzen, der Gott gebührt. Das gibt es im persönlichen Bereich wie im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Die Versuchung ist da, Schwächere auszunutzen, einen Vorteil daraus zu ziehen, das andere Lügen nicht gleich durchschauen, das andere einem Vertrauen schenken. Die Versuchung ist da, von Gott nichts mehr wissen zu wollen und ihn für das verantwortlich zu machen, was Menschen einander antun. Kriege oder sinnloses Leid und Verfolgung. Die Versuchung ist da, wenn auch in Kirchen, Gemeinden, in der Politik, nach Sündenböcken zu suchen: früher Juden, heute Muslime und Einwanderer. Die Versuchung ist da, den eigenen Lebensstil, die eigene Politik nicht nur für gut zu halten, sondern anderen aufzwingen zu wollen. Das alles und noch viel mehr nährt das Böse. Überheblichkeit ist eine der großen Grundversuchungen, eine Wurzel des Bösen. Das Gefühl: ich muss mehr haben, ich muss besser sein, nur dann gelte ich was. Es ist der einfachere Weg im Le-ben, weil er scheinbar schnell zu sichtbarem Erfolg führt. Das, was mit Demut beschrieben wird, sich zurückneh-men können, aufeinander achten, Selbstbewusstsein nicht als Selbstverliebtheit zu leben, sondern als Wissen: Ich bin was wert, egal wo ich auf welcher Rangliste auch immer stehe, ist der härtere Weg. Im besten Fall erntet man mitleidiges Lächeln, im schlimmsten Fall ertragen die, die ihre Lebensenergie aus Demütigungen beziehen dieses Leben nicht – wie bei Dietrich Bonhoeffer, dem Pfarrer, der von den Nazis ermordet wurde, Martin Luther King, der sich für die Gleichberechtigung der Rassen eingesetzt hat. Aber dieser Weg der Demut mit großem Selbstvertrauen ist der, von dem Gott verspricht, dass er sich durchsetzt und ewig sein wird.

Amen

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