Beliebte Posts

Sonntag, 5. Dezember 2010

Katastrophale Hoffnung - 2. Advent, 5.12.2010, Reihe III

Text: Matthäus 24,1-14

Liebe Gemeinde!


Morgen kommt der Nikolaus und in knapp drei Wochen das Christkind. Da gibt’s Geschenke für alle, die lieb waren – und wer war das nicht? Kleine und große Geschenke, die Freude machen sollen. Und hoffentlich tun sie das auch. Vorfreude, sie gehört zum Advent. Und Ruhe, Besinnlichkeit, Kerzen, Tee, Plätzchen, Glühwein, Freunde, Familie. Ja, es soll so sein, wie es das Christkind aus dem offenen Himmelstor Knecht Ruprecht in Theodor Storms Gedicht entgegenruft: „Alt‘ und Junge sollen nun / von der Jagd des Lebens einmal ruh’n“.

Und dann, mitten in diese schönen Erwartungen hinein, kommt so eine katastrophale Rede von Jesus, die so gar nicht zur Adventsstimmung passt und erstmal überhaupt nicht auf Weihnachten einstimmt. Sie ist ziemlich ungemütlich. Kriege, Naturkatastrophen, Hungersnöte, Hass und Abfall vom Glauben, falsche Propheten, kein Stein bleibt mehr auf dem anderen, die Welt wird zu Grunde gehen. – Alle schlechten Nachrichten des zu Ende gehenden Jahres scheinen in dieser Rede von Jesus vorzukommen. Angefangen vom Erdbeben in Haiti über den nicht enden wollenden Krieg in Afghanistan, die Terrorgefahr und die Erfahrung, dass Christen durchaus noch verfolgt werden - offen im Irak oder Nordkorea, versteckt durchaus auch da, wo Menschen lächerlich gemacht werden, die sich aus ihrer christlichen Überzeugung heraus für mehr Gerechtigkeit in Schule, Wirtschaft, in der Gesellschaft einsetzen – bis hin zu den Auswüchsen, dass Menschen sich als Christen bezeich-nen, aber dann Menschen, die anders oder gar nicht glau-ben, Rechte absprechen und sich nicht für Gerechtigkeit und Liebe, sondern für Intoleranz und Abgrenzung ein-setzen. Muss das sein, im Advent, in der Kirche? Kann man da nicht die gute Nachricht weitersagen? Erholung vom Alltag, der anstrengend genug ist – dafür ist die Kir-che doch da, oder etwa nicht? Gute Nachrichten – so wie es das Wort Evangelium, das ja nichts anderes heißt, ver-spricht!

Ja, gute Nachrichten! Ja, dafür ist Jesus da. Und alle, die behaupten, von Jesus zu reden, müssen sich, gerade in dieser Zeit, auch daran messen lassen, ob sie die gute Nachricht wirklich weiter sagen. Und die gute Nachricht ist die: Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Wir Menschen, ob Christen oder nicht, neigen dazu, den Augenblick für das Ganze zu nehmen. Wir neigen dazu, in unseren Grenzen und Schubladen zu denken und zu bleiben. Da bleibt we-nig Raum für Hoffnung. Da bleibt wenig Raum für Weite. Jesus will Mut zur Hoffnung machen. Er will nicht, dass Menschen sich von den Schwierigkeiten, die es im Alltag gibt, gefangen nehmen lassen und das für die ganze Wirk-lichkeit nehmen. Wenn wir von der Gegenwart her den-ken, dann gibt es tatsächlich wenig Grund zur Hoffnung. Grund zur Hoffnung gibt es nur, wenn wir mit Jesus von der Zukunft her denken. Ganz deutlich macht das der Wochenspruch für den 2. Advent, den wir nachher noch mal hören: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht (Lk 21,28). Wer den Kopf gesenkt hält, der wird nur einen schmalen Bereich um sich herum wahrnehmen. Auswege, Hoffnungen, all das wird dort schwer zu finden sein. Seht auf, macht den Blick weit. Erhebt den Kopf – lasst ihn nicht hängen. Erlösung ist nahe. Hoffnung ist nahe. Hoffnung ist nahe – und sie kann gesehen werden, wenn die Augen vor dem nicht zugemacht werden, was Hoffnung schwer macht. Erlösung ist nahe – und sie kann erhofft werden, wenn wir, auch wir Christen, uns frei machen von dem Gedanken, dass wir uns selbst erlösen müssten. Diese so ungemütliche, scheinbar so unadventliche Rede Jesu ist eigentlich ein richtig adventlicher Aufruf, auf das Kommen Gottes zu warten. Nicht dadurch, dass wir, ich oder du oder sie als Christ in ein stilles, gemütliches Kämmerlein gehen und dort still und heimlich die ungemütliche Wirklichkeit überleben, sondern in dem wir uns auch der ungemütlichen Wirklichkeit bewusst werden und beharrlich bei dem bleiben, was dem Leben dient.

Bevor Jesus seinen Jüngern von dem erzählt, was der totalen Umgestaltung der Welt vorausgeht, geschieht etwas, was ganz leicht überhört wird. Jesus zieht aus dem Tempel aus und er blickt zurück und sagt: Da wird kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Man kann es sich leicht machen und sagen, dass Matthäus das in Anlehnung an die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 aufgeschrieben hat. Aber es geht, denke ich, um etwas Grundsätzliches. Die feste Grenze, die Mauer, zwischen dem Bereich, in dem Gott ist, und der Welt wird brüchig. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Das Allerheiligste ist nicht mehr ummauert, sondern geht in die Welt. Ein Segen – aber nicht nur. Unsicherheit macht sich breit. Was ist denn nun Gottes Welt? Was ist denn christlich? Wann wird denn offenbar, wie die Welt nach Gottes Willen sein soll? Die Jünger wollen gern Berechnungsgrundlagen. Sie wollen sichere Zeichen, an denen sie erkennen, dass Jesus wiederkommt. Aber Jesus entlässt sie in die Unsicherheit. Die konkreten Beispiele, die er nennt: Kriege, Hungersnöte, falsche Propheten, kalt werdende Liebe, sind so konkret, dass sie in jedem Jahr, zu allen Zeiten zu finden sind. Jederzeit, tagtäglich ist Zeit, in der Glauben schwer fällt. Und immer wieder ist dieser Blick vom Ende her, von der Hoffnung her nötig, um an der Gegenwart nicht zu verzweifeln. Das Aufsehen auf die Erlösung. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen, das Allerheiligste zieht in die Welt – und macht sich dadurch verwechselbar. Uneindeutig. Wie kann das sein, fragen vielleicht manche jetzt. Christen sollen doch unverwechselbar sein, eindeutig in dieser Welt. Gott soll doch eindeutig zu erkennen sein! Jesus warnt vor falschen Propheten, vor Christussen und Christussis, die so etwas versprechen. Er warnt davor, eine erlöste Welt vorzugaukeln, wo so vieles noch auf Erlösung wartet. In dieser Welt, die noch nicht vollendet ist, die darauf wartet, dass die in Christus erschienene Liebe sich endgültig durchsetzt, ist es immer wieder verführerisch, einen einfachen Weg, der einfache Lösungen verspricht, zu predigen. Jesus spricht selbst davon, dass diejenigen, die in seinem Sinn leben, das oft gar nicht richtig erkennen. Wann haben wir dich hungrig, im Gefängnis, nackt, bedürftig gesehen? So fragen die Menschen. Wenn Christus einfach und eindeutig zu erkennen wäre, dann wäre diese Frage nicht nötig. In dieser Welt ist Gott, ist Christus verborgen. Wer einfache Wege verspricht, der führt von Christus weg. Aber auch die Ungerechtigkeit, die Menschen ja immer wieder erfahren, kann von Christus wegführen. Weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten, so heißt es im Predigttext. Alltag, glaube ich. Ich kenne es gut, auch von mir selbst. Die erste Begeisterung, voller Liebe, und dann die Erfahrung, dass eben nicht alles so läuft, wie es richtig wäre. Reiche werden immer reicher und Arme immer ärmer. Unschuldige leiden und Schuldige werden nicht bestraft. Krankheiten fressen Menschen auf, die es in meinen Augen nicht verdient haben. Wozu noch lieben, glauben, hoffen? Ungerechtigkeit lässt Liebe kalt werden. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Ja, eigentlich bleibt uns nichts anderes. Beharrlich sein. Beharrlich Gott auf seine Verheißungen, seine Liebe, seine Erlösung ansprechen. Beharrlich der Versuchung widerstehen, vorschnelle Antworten zu geben. Beharrlich nicht vom eignen Tun und Lassen die Vollendung zu erwarten. Martin Luther hat Gott mit einem glühenden Backofen voll Liebe verglichen. Gebe Gott, dass wir uns nicht verheizen und ausbrennen, indem wir nur auf unsere Liebe und unsere Möglichkeiten vertrauen, sondern dass wir diesem Back-ofen zutrauen, unseren immer wieder anzufeuern. Nicht ausbrennen – vielleicht ist das nötig, damit die Hoffnung, auf die hin und von der her wir leben, da bleiben kann. vielleicht braucht es dazu auch manchen adventlichen Rückzug in Wohlfühloasen, in Ruheräume für Leib und Seele. Nicht, damit die Wirklichkeit geleugnet wird und wir so tun, als wäre alles schon fertig, sondern damit die Hoffnung nicht stirbt und wir in dieser unerlösten Welt leben können. Damit wir getrost aufstehen, die Häupter erheben und die nahende Erlösung sehen können. Nicht im Nikolaus und auch nicht im Christkind, das Geschen-ke unter den Weihnachtsbaum legt, sondern in Christus, dem Kind, dem Mann, dem Sohn Gottes, der uns die Freiheit schenkt, Kind Gottes sein zu dürfen. Die Freiheit, leben zu dürfen. Voller Liebe, in einer Welt, die nicht immer liebevoll ist. Nicht nur im Advent.

Amen.

Keine Kommentare: