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Freitag, 1. März 2013

Lückenbüßer, kein Rechthaber! so ist er nun mal, oder? - Okuli, 03.03.2013, Reihe V

Text: Jeremia 20,7-11

Liebe Gemeinde!
Ja, wenn es dir schlecht geht, dann denkst du an Gott. Wenn die große Liebe kaputt gegangen ist, dann denkst du: Gott, warum hast du da nichts gegen gemacht? Oder: Gott, lass mich wieder eine neue Liebe finden! Und wenn sie dann da ist? Dann ist Gott doch ganz weit weg! Wenn deine Mutter schwer an Krebs erkrankt ist und wenig Hoffnung da ist, wenn ein Kind missbraucht wird, wenn ein Irrer Amok läuft und unschuldige Menschen einfach so über den Haufen schießt, wenn du in der Schule kurz vorm Sitzenbleiben stehst, wenn du feststellen musst, dass dein Kind Drogen nimmt oder dein Mann fremdgeht, wenn du wieder mal die Bilder vom Krieg in Syrien siehst oder wenn sich jemand aus deiner Nachbarschaft umgebracht hat, wenn das Geld hinten und vorne nicht reicht, wenn du das Gefühl hast, keine Freunde zu haben, wenn alles um dich herum den Bach heruntergeht: dann denkst du an Gott. Dann denkst du: „Warum ich? Warum jetzt? Wieso ist Gott so ungerecht?“ Und sonst? Wenn es dir gut geht, wenn du glücklich bist, wenn alles einfach läuft? Wenn es Weihnachten wird, dann denkst du vielleicht an Gott, ja, man könnte ja mal wieder in die Kirche gehen, erste Reihe Krippenspiel oder die tolle Kirchenmusik in der E-Kirche. Und im Hochsommer? Auch da sind die Kirchen offen. Auch da werden Gottesdienste gefeiert. Wenn die Konfirmation kurz bevor steht, dann denkst du an Gott. Aber wie ist das ein halbes Jahr später? Keine Angst, ich will jetzt niemandem einreden, dass er nicht hierher gehören würde. Und ich will auch nicht in den gerade von Pfarrern oder von hoch engagierten Christen manchmal gemachten Vorwurf einfallen: „Wenn du wirklich an Gott glaubst, dann darf Gott kein Lückenbüßer sein! An schlechten Tagen zu glauben ist doch viel zu einfach, wahrer Glaube zeigt sich dann, wenn du Gott nicht vergisst, wenn es dir gut geht!“ Natürlich wäre es unglaublich schön, wenn das so funktionieren würde. Aber es steht mir nicht zu, Menschen ihren Zugang zu Gott zu verbieten. Und ganz oft finden Menschen Zugang zu Gott durch eine Leere, die sie in ihrem Leben spüren. Durch eine Lücke, die sich aufgetan hat. Gerade durch Jesus hat Gott ein für allemal deutlich gemacht, dass er sich nicht zu schade ist, der Lückenbüßer zu sein, derjenige, der genau dahin geht, wo Menschen Leere in ihrem Leben empfinden, wo eine Gerechtigkeitslücke sich auftut, wo vielleicht auch das Gefühl da ist: ich bin Gott egal, um mich kümmert er sich ja doch nicht. Genau dahin ist Jesus gegangen, wo dieses Gefühl ganz groß war. Dorthin, wo Menschen es schon längst aufgegeben hatten, nach Gott zu suchen und nach Gott zu fragen. Gott hat sich nicht als der Gott gezeigt, der stur auf seinem Tempelberg sitzt und darauf wartet, dass man zu ihm kommt und ihn verehrt, sondern er ist zu den Menschen hin gegangen, auch dahin, wo es weh tut, auch dahin, wo Ablehnung war.
Menschen wollen Recht haben, immer wieder. Sie empfinden es als Kränkung, wenn sie nicht das bekommen, was ihnen der eigenen Meinung nach zusteht. Menschen wollen Recht haben und die eigene Meinung, den eigenen Glauben bestätigt bekommen. Ich glaube, gerade in der heutigen Zeit ist das ein menschliches Grundgefühl. „Ich habe doch das Recht, in der Schule abzuschreiben oder Referate im Internet zu klauen, wenn der Lehrer das alles nicht so erklärt, dass ich es kapiere!“ „Ich habe doch das Recht, bei der Steuer zu betrügen, wenn der Staat meine Steuern nicht so ausgibt, wie ich es für sinnvoll halte!“ „Ich habe doch das Recht, Gott lächerlich zu machen, wenn der Papst,
der Pfarrer, ein anderer, der von sich sagt, er wäre ein guter Christ sich nicht so verhält, wie ich es für einen guten Christen erwarte!“ Ich habe Recht! Und vielleicht denken manche auch: „Ich muss Recht behalten. sonst stehe ich als Schwächling, Feigling, Depp da! Wenn ich nicht Recht habe, dann bin ich nichts wert.“ Gott ist sich nicht nur nicht zu schade dafür, ein Lückenbüßer zu sein. Er ist noch dazu auch das Gegenteil von einem Rechthaber. Am Kreuz hat er auf alle Rechthaberei verzichtet, damit wir nicht am Recht zu Grunde gehen und nicht auf Recht und Schuld festgelegt werden, sondern damit wir aus dieser Spirale, nämlich notfalls auf Kosten anderer Recht haben zu wollen und zu müssen, die uns immer wieder schuldig werden lässt, herauskommen und auch dann, wenn wir nicht im Recht sind, leben dürfen.
Gott als Lückenbüßer. Gott als der, der auf das Rechthaben verzichtet. Gott als der, der so anders ist, dass es oft genug schwer ist, ihn zu sehen und sein Anderssein auszuhalten. Vielleicht sind das auch ein paar Ideen, Erkenntnisse, die Jeremia, der Prophet, lange vor Jesus hatte. Jeremia ist wohl extrem verzweifelt. Er fühlt sich von Gott getäuscht, enttäuscht, überrumpelt. Er soll Gottes Wort weitersagen. Und das ist eine harte Botschaft in seiner Zeit. Jeremia legt den Finger in die Wunden. In die Wunden der sozialen Ungerechtigkeit, in die Wunden, dass den meisten ihr Glauben völlig egal geworden ist, nur noch was für Feiertage, in die Wunden, dass das Vertrauen auf politische Spielereien und Kriegsabenteuer den Untergang bringen wird. Keiner hört das gern, keiner lässt sich gern kritisieren. Und Jeremia droht an Gott irre zu werden. Er will nichts mehr sagen, den Mund halten, seine Ruhe haben – und er kann es nicht. Gott ist stärker. Er will Gott loswerden – und er schafft es nicht. Ja, die Hoffnung, dass am Ende alles ins Lot kommt und Gott ihn ins Recht setzt, die hat er nicht aufgegeben. Aber die Gegenwart ist kaum auszuhalten. Gott ist anders, fremd. Und selbst der, der fest auf ihn vertraut und mit vielen persönlichen Nachteilen seinen Einsatz für Gott und seine Sache bezahlt, der wird nicht automatisch ein glücklicher Mensch. Wozu glauben, wozu hoffen, wozu sich für den Glauben einsetzen, wenn Gott mir noch nicht mal für die, die sich gar nicht um ihn kümmern sichtbar Recht gibt? Wozu Beleidigungen einstecken, verfolgt werden, wenn ich doch nicht sichtbar im Recht bin? Gott, du machst es mir extrem schwer, Gott, du wirst mir ziemlich fremd – und doch komme ich nicht weg von dir. Du hast mich fest im Griff. Vielleicht kann man das, was wir hier als ein Gespräch von Jeremia mit Gott gehört haben, so übersetzen.
Gott macht es Menschen nicht immer leicht, zu glauben, zu hoffen, zu vertrauen. Er ist oft so ganz anders. Und das nicht erst heute in einer Zeit, in der sich immer wieder darüber beschwert wird, dass nur Äußerlichkeiten gelten würden und dass überhaupt die Gottlosigkeit immer mehr um sich greift. Ich glaube sogar, dass unsere Zeit nicht gottferner ist als jede andere Zeit vor uns. Heute trauen sich die Menschen nur offener, über die Gottferne zu reden und heute muss, und das meine ich jetzt wörtlich, Gott sei Dank keiner mehr ums sein Leben oder sein persönliches Ansehen fürchten, wenn er sich kritisch zum Glauben äußert oder den Glauben an Gott ablehnt. Was wäre das denn für ein kleinkarierter, mickriger Gott, der als Rechthaber keine Kritik duldet? Wie kleinkariert wäre es, wenn Jesus zwar den Menschen sagen würde: „Liebe deine Feinde“, Gott aber nicht hinter diesem Anspruch stehen würde, sondern nur das fortsetzt, was unsere Rechthaberei dem Globus immer wieder an Kriegen, Auseinandersetzungen und Leid beschert hat und immer noch beschert?
Gott ist so anders, dass es provoziert, wenn die Logik der Stärke, des Rechthabenmüssens in Frage gestellt wird. Wie sehr der Glauben an Gott provoziert, habe ich diese Woche in facebook gesehen. Am letzten Donnerstag begann die neue Staffel von „Germany’s next Topmodel“. Eine Kandidatin, eine 17-jährige Schülerin, hat erstens zumindest im Moment noch keine typische Topmodelfrisur und redet vor allem zweitens offen darüber, dass sie an Gott glaubt, sich in der Kirche engagiert und vielleicht mal Pfarrerin werden will. Gerade das hat zu relativ vielen Beleidigungen in den Kommentaren zu einem Foto von ihr auf facebook geführt. Jetzt ist Jacqueline, so heißt dieses Mädchen, ganz bestimmt nicht Jeremia. Aber erstens provoziert es offensichtlich immer noch, anders zu sein und nicht das nachzuplappern, was einem manchmal viel zu viele andere vorsagen und was als normal gilt und zweitens macht es Gott Menschen, die sich zu ihm bekennen, offensichtlich nicht so leicht, dass sie automatisch für alle sichtbar im Recht sind und superglücklich werden. Ich weiß nicht, wie Jacqueline mit den Beleidigungen umgeht, ich weiß nicht, wie sie sich entwickeln wird und wie sich ihre Beziehung zu Gott entwickelt. Vielleicht wird sie auch einmal eine Leere spüren, denken: „Wenn du mich so hängen lässt, wieso sollte ich dann noch was mit dir anfangen?“ Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß ist, dass Gott sich nicht zu schade dafür ist, genau in solche Erfahrungen von Leere hineinzugehen. Was ich weiß ist, dass Gott sich nicht zu schade dafür ist, Lückenbüßer zu sein, dort, wo im Herzen, wo im Leben eine Lücke ist. Was ich weiß ist, dass Gott nicht ein Gott ist, der bedingungslose Jasager will und fördert, sondern dass er sich nicht zu schade ist, so wie von Jeremia auch in Frage gestellt zu werden.
Gott ist anders. Gott sei Dank.
Amen.

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