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Dienstag, 26. März 2013

Weglachen ist auch keine Lösung - Ostersonntag 2013, Reihe V

Text: Johannes 20,11-18
Liebe Gemeinde!
Nach außen fröhlich und stark – wie es in mir drin aussieht, geht keinen was an. Es sind nicht nur Clowns und Komiker, die nach außen gute Laune verbreiten. Verkäuferinnen und Verkäufer sind erfolgreicher, wenn sie so handeln, und von Pfarrern, Lehrern, Ärzten wird eigentlich Ähnliches erwartet. Die eigenen Sorgen haben draußen zu bleiben, im Kontakt mit anderen soll Zuversicht und Positives ausgestrahlt werden. Auch in manchen Sinnsprüchen, die bei facebook gepostet werden und die das schon seit Jahrzehnten aus der Mode gekommene Poesiealbum ersetzen, wird eines deutlich: zeige deine Tränen nicht zu offen, andere könnten das als Schwäche auslegen und ausnutzen. Selbst in vielen kirchlichen Büchern, die der Vorbereitung auf Ostern dienen und mir als Pfarrer die Vorbereitung auf dieses Fest erleichtern sollen, war in den letzten 10,15 Jahren immer wieder von der Wiederentdeckung des angeblich altchristlichen Brauches vom Osterlachen die Rede, gepaart mit dem Hinweis, man sollte doch die Predigt entsprechend gestalten, dass genügend gelacht werden kann. Ich halte es da lieber mit dem Prediger Salomo, der vor langer Zeit klug feststellte: Alles hat seine Zeit. Das Lachen und das Weinen. Weinen, das das Lachen nicht kennt und verleugnet, wird unerträglich und falsch, weil es einen Teil der Wirklichkeit ausblendet. Aber auch ein Lachen, dass das Weinen nicht wahrhaben will, wird zu einem hohlen, manchmal verhöhnenden Lachen, weil es das Leben verleugnet. Ostern ist ganz gewiss ein Fest der Freude – weil wir feiern dürfen, dass das Leben stärker als der Tod ist, weil wir feiern dürfen, dass wir nicht an einen toten Gott, sondern an einen höchst lebendigen und gegenwärtigen Gott glauben.
Und trotzdem erzählt uns Johannes, der Evangelist, dass Maria aus Magdala, deren Leben von Jesus zum Guten verändert wurde, die eine enge Freundin von Jesus war, weint. Tränen gehören anscheinend auch zum Ostermorgen. Maria weint, weil sie nur ein leeres Grab findet. Das erzählt die Vorgeschichte zu dem Abschnitt, den ich eben als Predigttext vorgelesen habe. Wenigstens einen Ort der Trauer hätte sie gern gehabt. Den Leichnam als sichtbaren Beweis dafür, dass da mal was war, an Liebe, an Veränderung in ihrem Leben, an gutem Leben. Dass da mal was war und dass sie sich das nicht nur eingebildet hat. Sie sucht nach Beweisen für eine gute Vergangenheit, nach etwas, an dem sie sich festhalten kann – und sie findet das, was IST. Sie findet eine neue Gegenwart, einen neuen Aufbruch ins Leben. Ostern als Aufbruch ins Leben, Glauben an den lebendigen, auferstandenen Christus als Mittel zum Leben – aber nicht so und nicht dadurch, dass die Vergangenheit verneint wird oder die Trauer verleugnet werden muss, sondern dadurch, dass auch die Trauer ihren Raum und ihre Zeit haben darf. Neues Leben, neuer Glauben, neues Vertrauen kann nur dann und dort sein, wo vom Alten Abschied genommen werden durfte, wo eigene Schritte gegangen werden dürfen, die die Trauer verwandeln.
Wir müssen an Ostern nicht so tun, als sei unsere Welt oder unser Leben vollkommen. Ostern ist, wenn man das Johannesevangelium hier ernst nimmt, der Tag, an dem mitten im Weinen, mitten in der Trauer, die immer wieder ins Leben einbricht, auf Neues gehofft werden kann. Vielleicht steht Maria aus Magdala auch bis heute für Menschen, für uns. Für die Trauer um einen ganz wichtigen Menschen, der im Leben fehlt. Aber auch für die Trauer, die verlorengegangener Glauben, enttäuschte Hoffnung, zu Grabe getragene Träume verursachen. Der Jesus, den sie kannte, dem sie glaubte und vertraute, von dem sie erhoffte, dass er ihr Leben weiter verändert und zum Guten führt, der ist nicht mehr. Glauben in dieser Welt, Glauben in unserem Leben ist immer auch angefochtener Glauben.
Spannend und wirklich wegweisend ist das, was in dieser Situation Maria passiert und wie sie sich selbst von Ostern her ändert.
Da ist einmal die Ansprache aus dem Grab heraus. Dort, wo eben noch eine Leerstelle in ihrem Leben war, die drohte, ihr ganzes Leben praktisch aufzusaugen, nimmt sie plötzlich zwei Engel wahr. Boten Gottes, die sie ansprechen, die ihr deutlich machen: „Wir nehmen wahr und ernst, was mit dir los ist.“ Und dann ändert sich ihre Blickrichtung. „Sie wandte sich um“, so beschriebt es Johannes. Trauer ändert sich nicht dort, wo über sie hinweggegangen wird und ein Weiterleben so, als wäre nichts geschehen, verlangt wird. In einer Welt, in der nur das positive äußere Bild zählt, in der alles, was den reibungslosen Ablauf stört, weggedrückt wird, ein ungewöhnlicher Ansatz. Es geht nicht darum, in Selbstmitleid zu versinken und sich selbst immer wieder zu spiegeln, wie schlimm das eigene Leben und das eigene Schicksal ist und wie schwer der Verlust ist. Beides, eine Welt, die glattes, nach außen gerichtetes Funktionieren und Lächeln fordert, und eine Welt, die in Selbstmitleid versinkt, sind keine österlichen Welten. Es geht darum, dass eine Veränderung da sein kann, wenn die Erfahrung da ist, in der Trauer wahr- und ernstgenommen zu werden. Ostern wird dort erfahrbar, wo Verlust und Trauer wahrgenommen wird und wo aus dieser Wahrnehmung heraus der Blick wieder nach vorn gerichtet werden kann. Marias Erfahrung auf dem Friedhof lehrt uns, dass Ostern ein Fest der Gegenwart ist. Es geht darum, den Blick für die Gegenwart öffnen zu können, das Leben Jesu in der Gegenwart wahrnehmen zu könne nund daraus Hoffnung für die Zukunft, Vertrauen in Gottes Mitgehen neu schöpfen zu können. Ich weiß, dass nicht nur meine Schülerinnen und Schüler die Frage nach dem, was damals auf dem Friedhof und im Grab geschah und wie das mit der Auferstehung in einem historisch-wissenschaftlichen Sinn wirklich gewesen sei, beschäftigt. Aber das ist nicht die entscheidende Frage, weil sie den Blick in der Vergangenheit lässt. In der Vergangenheit, in dem was gewesen ist, auch dann, wenn ich es in einem historisch-wissenschaftlichen Sinn beweisen könnte, würde ich Jesus als den lebendigen Christus niemals finden. Maria richtet also ihren Blick in die Gegenwart und entdeckt den, an dem sie auf ihrem Weg zum Grab offensichtlich vorüberging ohne ihn zu bemerken. Den Mann, den sie für den Gärtner hält. Sie sieht etwas mehr von ihrer Umgebung, aber noch nicht die ganze, neue Wirklichkeit. Denn auch hier sind ihre Gedanken noch in der Vergangenheit. Er spricht sie an und sie fragt nach dem Toten. Noch hat die Hoffnung auf Veränderung ihr Herz nicht erreicht. Sie sieht, aber sie versteht noch nicht. Das kommt dann mit der persönlichen Ansprache. „Maria“ – ein Wort öffnet eine neue Welt. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ – diese Zusage aus dem Buch Jesaja erhält hier eine ganz neue Bedeutung. Maria gehen die Augen wirklich auf. Der Tod Jesu hat die Beziehung nicht zerstört und unmöglich gemacht, sondern Lässt sie in der Gegenwart neu werden. Die Gedanken bleiben nicht länger in der Vergangenheit, bei dem Leichnam, sondern sie werden frei dafür, die tiefere Wahrheit in der Gegenwart sehen zu können und aus ihr Vertrauen und Hoffnung auf Gottes Gegenwart jetzt und in Zukunft schöpfen zu können. Auferstehung erschöpft sich nicht in einem naturwissenschaftlich sehr unwahrscheinlichen Geschehen auf einem Jerusalemer Friedhof in den 30er Jahren zu Beginn unserer Zeitrechnung. Über dieses Geschehen kann niemand etwas sagen, darüber schweigen auch die biblischen Zeugnisse. Auferstehung ist erlebbar dort, wo sie die Gegenwart von Menschen berührt und verändert. Dort, wo Jesus Christus als der Lebendige wahrgenommen werden kann, dort, wo erfahren wird, dass die Beziehung zum Grund allen Seins, zur Liebe Gottes, stärker als der Tod ist. Was das biblische Zeugnis, hier bei Johannes genauso wie auch bei Lukas und bei Paulus, deutlich macht, ist, dass die Auferstehung Vergangenes nicht bruchlos fortsetzt und dass der Auferstandene offensichtlich ganz anders wahrgenommen wurde als der Jesus, den Maria und die Jünger vor der Kreuzigung kannten. Maria erkennt ihn zunächst nicht, die Emmausjünger erkennen ihn zunächst nicht. Erst dann, wenn er selbst die Beziehung aufnimmt, durch Ansprache und durch sein Handeln, dann gehen die Augen auf. Es ist also keine menschliche Leistung, zu hoffen und zu vertrauen, sondern ein Geschenk. Nichts, was durch auswendig gelernte Sätze und Bekenntnisse hergestellt werden kann, sondern etwas, das empfangen und immer wieder in der Gegenwart neu gesehen werden muss. Und Hoffnung lässt sich nicht festhalten. „Rühr mich nicht an“ – man kann auch „Halt mich nicht fest“ übersetzen – sagt Jesus zu Maria. Niemand hat Jesus fest als Besitz. Der Auferstandene lässt sich nicht handhaben. Glauben wird dort österlich, wo er Hoffnung wachhalten kann, ohne sie besitzen zu wollen. Glauben wird dort österlich, wo er vom Blick auf das Vergangene loskommen und die Gegenwart neu sehen kann. Glauben wird dort österlich, wo nicht nur das Lachen sein muss, sondern auch das Weinen sein darf und es dadurch verwandelt werden kann, dass es nicht überspielt, sondern ernstgenommen wird. Ostern verwandelt Leben. Ostern führt uns nicht in eine Scheinwelt ohne Widersprüche und Verluste, sondern Ostern hält mitten in diesem Leben mit all seinen Widersprüchen die Hoffnung wach, dass da mehr an Leben ist. Ostern widerspricht dieser Welt, die sich gierig an das Leben klammert und dabei zu viel ausklammert. Menschen, die scheinbar nicht funktionieren. Menschen, die nichts haben. Den Tod. Ostern verwandelt. So, wie auch Maria verwandelt wird. Von der, die nach dem Leichnam sucht zu der, die das Leben verkündet. Von der Trauernden zum Engel für andere. Nicht, obwohl sie weinte, sondern weil sie weinen konnte. Maria geht und verkündigt den Lebenden. Gut, dass es solche Menschen gibt. Bis heute. Amen.

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