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Montag, 23. August 2010

Stop! - Alles auf Neuanfang - 12. n. Trinitatis, 22.08.10, Reihe II

Text: Apostelgeschichte 9,1-20
Liebe Gemeinde!


Alles wird anders! Manchmal ist die Hoffnung auf Veränderung, auf einen Neuanfang, die einzige Hoffnung, die bleibt. Dann, wenn im Moment die ganze Welt gegen eine zu stehen scheint. In der Schule klappt’s gar nicht, weder mit den Lehrern noch in der Klasse. Mit den Eltern auch nicht, die haben immer was zu meckern, da macht man im Moment alles falsch. Alles wird anders – hoffentlich! Wenn die Sorge um das Geld, die Arbeitslosigkeit, um die Alkoholsucht beim Ehepartner, beim Kind oder Enkel das Leben beherrscht. Alles wird anders – hoffentlich! Wenn die Flutwelle das ganze Hab und Gut weggespült hat. Wenn die Trauer über einen Menschen, der gestorben ist, übermächtig wird. Wenn einem die Kindheit gestohlen wird, weil man für die Familie arbeiten muss, weil Vater und Mutter sich aus dem Staub gemacht haben. Alles wird anders - hoffent-lich! Oder auch: Bloß nicht! Alles wird anders - keine schöne Vorstellung, wenn man sich gerade wohl fühlt, viele Freunde hat, ganz genau weiß, was man will. Alles wird anders – bloß nicht, wenn man gerade glaubt, wirklich Halt gefunden zu haben. Bloß keine Veränderungen! Alles, was anders ist oder wird, scheint eine Bedrohung zu sein. So dachte wohl auch Saulus, als er sich auf den Weg nach Damaskus machte. Wieso glauben Menschen anders an Gott als ich? Mein Glauben ist richtig, da muss doch alles andere Gotteslästerung sein! Gott gebührt die Ehre – und deshalb müssen alle, die anders von ihm reden, anders an ihn glauben, mundtot gemacht werden. Saulus kann das nicht ertragen. Es macht ihn wütend. Und deshalb möchte er alle, die vom richtigen Glauben, so wie er ihn überliefert bekommen hat, abweichen, verhaften, anklagen, bestra-fen. Bloß keine Veränderung! Aber Jesus stellt sich ihm in den Weg. Unsichtbar, aber doch spürbar, hörbar. Sau-lus ändert sich nicht sofort. Er kann nicht mehr weitermachen wie bisher. Er braucht Zeit. Er sieht nichts mehr. Er, der so aktiv war, muss sich nun auf andere ver-lassen. Er braucht Zeit, um mit sich und Gott ins Reine zu kommen. Alte Geschichte aus der Bibel – kann man sagen, ganz klar. Fast 2000 Jahre alt. Aber aufgeladen mit viel Hoffnung für heute. Jesus tritt Saulus in den Weg, der auf dem Weg ist, Hass, Intoleranz, Unrecht zu verbreiten. Er tritt ihm in den Weg, als er auf einem völlig falschen Weg ist. Für mich ein Grund, die Hoffnung für Menschen, die sich auf solche Wege begeben, nicht völlig aufzugeben. Umkehr zum Leben, das ist nicht nur eine Sache des guten Willens, sondern es braucht den, der einem dabei in den Weg tritt. Vielleicht auch ein Teil der Hoffnung, mit der Eltern ihr Kind taufen. Dann, wenn wir es loslassen müssen, wenn es eigene Wege geht, die auch mal in die Irre führen können, wird Jesus ihm hoffentlich in den Weg treten und ihm die Chance geben, umzukehren und sich dem Weg und einen neuen Weg zu gehen. Gott gibt niemanden verloren. Menschen können sich verändern. Dazu gehört aber eben auch die Bereitschaft, in sich zu gehen und das Verhältnis zu sich selbst und zu Gott in Ordnung zu bringen. Drei Tage tut Saulus nichts anderes. Auch das muss gerade ich mir immer wieder sagen lassen und eingestehen – es ist eine Sache, wahrzunehmen, zu hören, dass ich auf einem Weg bin, der zu nichts Gutem führt – es ist eine andere Sache, diese Einladung zur Umkehr wirklich anzunehmen und sich und Gott die Zeit zu geben, den Neuanfang zu starten. Wann nehme ich mir denn mal drei Tage Zeit, so wie Saulus, um mich auf den Weg, den Gott mit mir gehen will, einzustimmen. Da ist die Kirchenvorstandssitzung, die Mitarbeiterbesprechung, die Konferenz, die Predigt für den Sonntagsgottesdienst, die Schule, der Seniorennachmittag, die Beerdigung, die Taufe, der Gottesdienst im Altersheim, der Geburtstagsbesuch – lauter wichtige Sachen, die erledigt werden müssen. Zeit zum Hören ist vielleicht noch da. Das geht schnell. Aber Zeit, um das von Gott Gehörte zu verarbeiten, mit Leben zu füllen? Wir müssen nicht bei den ganz schlimmen und bösen Menschen, bei Verbrechern, bei Menschen, die andere wegen ihres Glau-bens oder ihrer Nationalität verfolgen, anfangen. Wir können, das lehrt mich die Geschichte von Saulus, ruhig bei uns anfangen, wenn’s darum geht, das Gott auf falschen Wegen durchaus in den Weg tritt, das Umkehr aber auch heißt, sich Zeit zu nehmen und Verhältnisse in Ordnung zu bringen.

Saulus nimmt sich die Zeit. Vielleicht zwangsweise, durch seine Blindheit. Aber er nimmt sie sich. Und dann taucht für mich der eigentliche menschliche Star dieser Geschichte auf: Hananias. Für mich ist er der eigentliche Held der Geschichte. Alles wird anders – manchmal sind ja auch Zweifel angebracht. Saulus, derjenige, der ihn und die Gemeinde verfolgen wollte, der ihnen Böses wollte, der in Kauf genommen hätte, dass sie wegen ihres Glaubens umgebracht würden – hat der sich wirklich verändert? Kann wirklich alles anders werden? Können sich Menschen wirklich ändern oder gilt: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht…“? Hananias hat seine Zweifel, aber er traut seinem Glauben, er traut Jesus zu, dass die Begegnung mit ihm Menschen verändert. Letztlich ja eben auch ihn. Er ist bereit, auf Saulus zuzugehen, ihm den Weg in ein neues Leben zu öffnen.

Es ist schon nicht leicht, umzukehren. Es ist schon nicht leicht, Fehler, Schuld einzusehen, einzugestehen und um Vergebung zu bitten. Aber wieviel schwerer ist es, diese Vergebung zu leben und dem, der schuldig geworden ist, neue Wege ins Leben zu öffnen?! Die Begegnung mit Hananias, mit einem Menschen, der bereit ist, zu verge-ben, öffnet Saulus die Augen und lässt ihn dann endgültig zu einem neuen Menschen werden. Hananias überwindet seine Zweifel und lässt sich von Gott anstecken, die Vergebung und den Neuanfang, den Gott Saulus schenkt, mit konkretem Leben zu füllen. Für mich ist das der entscheidende Schritt, damit aus dem Christenverfolger Saulus der Missionar Paulus, der vielen Menschen den Zugang zu Gott geöffnet und erleichtert hat, werden kann. Hananias ist bereit, Saulus Vergebung zu gewähren und einen Neuanfang zu schenken. Er ist bereit, Jesus auch an dieser Stelle wirklich nachzufolgen. Für mich ist das die ganz große Anfrage, an mich persönlich, an uns als Gemeinde, an jeden von uns, der als Christ lebt: Bist du bereit, dort, wo Gott vergibt und einen Neuanfang schenkt, auch zu vergeben und so anderen einen Neuanfang, offene Augen für das Leben, zu schenken? Eine Frage, die sich leicht mit „Ja“ beantworten lässt, wenn’s einen nicht wirklich betrifft. Wenn ich an mich denke: Es fällt mir nicht schwer, einem Schüler, der von einer anderen Schule strafversetzt wurde, der sich bemüht, die Chance, die ihm gegeben wird, zu ergreifen, freundlich zu begegnen und ihn oder sie zu unterstützen. Ich denke, da findet jede und jeder auch andere Beispiele für sich selbst. Schwerer ist es da, wo ich weiß, dass mich jemand beklaut oder angelogen hat. Da zu vergeben, darauf zu vertrauen, dass der Neuanfang, den ich ihm schenke, letztlich von Gott gegeben ist und sich zum Guten auswirkt und von dem, der geklaut hat, nicht als Zeichen von Schwäche gesehen wird, ist sehr viel schwerer. Und wenn’s darum gehen würde, dass jemand mir, meiner Familie, meinen Freunden nach dem Leben getrachtet hätte – so wie da ja bei Saulus und Hananias der Fall war – ich weiß nicht, ob ich die Größe von Hananias gehabt hätte, zu Saulus zu gehen, zu dem, von dem ich weiß, dass er mein Leben, meinen Glauben verfolgte und mich hasste. Hananias ist für mich die wichtigste Person in der Geschichte. Ohne ihn, ohne seine Bereitschaft, die Vergebung, die Gott schenkt, mit eigener Vergebungsbereitschaft zu füllen, wären Saulus nie die Augen aufgegangen. Mich per-sönlich stellt Hananias noch sehr viel deutlicher vor die Frage, ob ich bereit bin, der Veränderung, dem Neuanfang, den Gott durch Jesus schenkt, wirklich zu trauen. Alles wird anders – zum Guten! Kann ich das Hören? Und wenn ja, kann ich das nicht nur hören, sondern auch annehmen und mit Leben füllen? Und wenn ja, gilt das nur für mich und mein Leben oder traue ich auch den Neuanfängen, die Gott anderen schenkt und bin ich bereit, wirklich auf sie zuzugehen und Gott mehr zu trauen als meinen Vorbehalten? Unsere Lebenswirklichkeit lehrt uns, nicht jedem Menschen zu vertrauen. Gebe Gott, dass wir den Mut bekommen, ihm dafür umso mehr zu trauen und Schritte aufeinander zuzugehen. Gebe Gott, dass dadurch uns und anderen die Augen geöffnet werden, dass immer mehr Menschen wirklich zum Leben umkehren. Gebe Gott, dass alles anders wird – für Menschen, die sich in ihrem Hass verrannt haben genauso wie für die Flutopfer, für ausgebeutete, missbrauchte Kinder genauso wie für alle, die in ihrem Misstrauen und in ihrer Angst gefangen sind. Durch Jesus, der Menschen in den Weg tritt. Durch Men-schen, die bereit sind, sich Zeit zu nehmen und in sich zu gehen. Durch Menschen, die bereit sind, Gottes Verge-bung mit Leben zu füllen. Auch durch mich? Auch durch uns?
Amen

Sonntag, 15. August 2010

Ich bin gut! - 11. Sonntag n. Trinitatis, 15.08.2010, Reihe II

Es war ein relativ unruhiger Taufgottesdienst, so dass ich weitestgehend frei gepredigt habe. Die vielen Redundanzen des Skripts habe ich hoffentlich dabei vermieden. Trotzdem: Hier ist das Skript!

Text: Epheser 2,4-10

Liebe Gemeinde!


Sind SIE ein guter Mensch? Machen wir doch einfach mal eine kleine Probeabstimmung. Wer sagt von sich: Ja, ich bin ein guter Mensch? Wer sagt: Nein, das trifft wohl so nicht zu? Und wer sagt: Kann ich nicht sagen, da müssen Sie andere fragen?

Ja, ich glaube, dass die meisten sich mit einer klaren Ant-wort auf diese Frage schwer tun. Erstens möchte man ja nicht eingebildet erscheinen. „Hochmut kommt vor dem Fall“, sagt ein Sprichwort. Etwas biblischer: „Gott wider-steht dem Hochmütigen, aber dem Demütigen gibt er Gnade“, ein Vers aus dem 1. Petrusbrief, der Wochenspruch für diese Woche. Zweitens ist es ja sehr menschlich, wenn ich sage: „Natürlich kenne ich meine Stärken und guten Seiten, aber ich kenne auch deutlich meine Schwächen, auch wenn ich das vielleicht nicht jedem gleich auf die Nase binde“. Und drittens ist es ja sowieso einfacher, keine allzu klaren Aussagen zu machen, mit denen ich angreifbar werde. Lieber die anderen was sagen lassen, da kann ich mich dann notfalls drauf zurückziehen.

Genau das wollte ich auch machen, als mir eine Journalistin vor ein paar Tagen diese Frage stellte. Die Antwort wird öffentlich, was soll ich da nur sagen? Bin ich ein guter Mensch? Ich wollte schon sagen: Das müssen andere beurteilen. Aber dann habe ich mich getraut, eine klare Antwort zu geben. Ja, ich bin ein guter Mensch. Wahrscheinlich stimmen mir die meisten Schüler aus den ehemaligen Jahrgängen 6 und 8 der Richtsberggesamtschule, vor allem die, die meine Noten ungerecht fanden, nicht unbedingt zu. Die ehemalige Klasse 9e vielleicht eher. Ganz sicher stimmen mir Menschen, die mich anbettelten und denen ich kein Geld gab, auch nicht zu. Und Menschen, die sich gewünscht hätten, ich hätte Zeit für sie, und für die ich mir nicht so viel Zeit nehmen konnte, wie sie brauchten, stimmen mir wohl auch nicht zu. Und sicher andere aus anderen Gründen auch nicht. Gut bin ich nicht, weil ich besonders viele gute Werke tun würde oder perfekt für Frieden und Gerechtigkeit sorgen würde. Gut bin ich, weil ich gut genug bin, um von Gott geliebt zu werden. Gut bin ich, weil Gottes Liebe und vor allem seine Gnade mir die Chance gibt, Gutes zu tun und gut zu sein. Und nicht nur mir, sondern eigentlich jedem von uns. Der Punkt, auf den es ankommt, ist der, nicht zu denken: Gut sein ist eine Leistung, es ist mein Verdienst, dass ich gut bin. Sondern es kommt darauf an, dass Geschenk der Liebe, das Geschenk der Gnade, des Gut-sein-Könnens an-nehmen zu können. Die Liebe und Gnade Gottes, sichtbar geworden in Jesus, ist keine Leistung, sondern ein Ge-schenk. Es ist nichts, was mich über andere stellt, worauf ich mir irgendwie was einbilden kann, sondern etwas, das mich vor mein Menschsein stellt. Auch mit allen Tiefen, mit aller Ungerechtigkeit und allem Versagen. Trotz die-ser Liebe werde ich eben nicht perfekt sein.

Für mich ist das etwas, was ich auch aus dem Abschnitt aus dem Epheserbrief, den ich eben vorgelesen habe, er-fahren kann. Der Satzbau ist furchtbar kompliziert und wahrscheinlich ist es auch schwer, einfach nur durch Zuhören richtig mitzubekommen, was da eigentlich steht.

Paulus oder vielleicht ein Schüler von ihm, der den Brief geschrieben hat, so genau weiß man das nicht, fängt mit einer Wahrheit über das Leben an, die man heute gar nicht mehr gern hört.
Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden.
 Es gibt ein Leben in Sünde, das dem Tod verfallen ist. Jetzt kann man da prima ausmalen, was alles dazugehören könnte und dann sagen: Gut, dass es bei mir besser ist! Aber damit würde man total danebenliegen. Gut und befreit leben zu können ist erstens keine eigene Leistung, sondern ein Geschenk. Nichts kann ich mir darauf einbilden. Und zweitens heißt ein befreites Leben im Glauben, im Vertrauen auf Gott zu führen also auch, nicht einfach so weiter zu machen wie immer, sondern umzukehren von Wegen, die sich als falsch herausgestellt haben. Und an jeder Weggabelung in unserem Leben, bei jeder Entscheidung, die wir treffen, stehen wir erstens immer wieder davor, auch das falsche wählen und tun zu können und zweitens dann vor der Notwendigkeit, wieder neu umzukehren. Glauben, Vertrauen, Leben als Christ – das ist nichts, was sich mit der Taufe oder einem Bekehrungs- oder Erweckungserlebnis erledigt hätte, sondern immer wieder neu eine Anfechtung für den Alltag, immer wieder neu etwas, was mich aus meinem Alltag, aus meinen Gewohnheiten, aus dem, was mir für gut und richtig und normal verkauft wird, herausreißt. Ich kann mit dem Strom schwimmen, das ist einfach. Mein Vertrauen auf meine Kraft allein setzen, es normal finden, dass es weni-ge Reiche und viele Arme gibt, es normal finden, dass Menschen zu Opfern gemacht werden, es normal finden, dass an erster Stelle immer wieder ich selbst stehe sollte, die, die mir nahe sind, und dann lange nichts kommt. Geht alles und ist der leichtere Weg. Aber ich kann auch, und das heißt für mich Glauben, die Hand ergreifen, die mir hingehalten wird, um da herauszukommen. Um ein leben zu entdecken, das anders ist. Um Kraft für ein Le-ben zu bekommen, in dem es um mehr geht. Um Ehrlich-keit, um ein ehrliches Ansehen der Schuld und um die Chance, da wieder herauszukommen. Um die Kraft, nicht nur für sich, sondern auch für andere Gutes zu tun. Da-rauf zu vertrauen und darauf hinzuleben, dass es mehr gibt als das, was wir sehen und dass am Ende wirklich die Gerechtigkeit gilt, die Gott will. Glauben heißt, mehr zu sehen als das, was im Alltag zu sehen ist. Glauben heißt, ein Leben zu entdecken, das sich schon vor dem Tod lohnt, das aber mit dem Tod noch nicht am Ende ist. Glauben heißt, loslassen zu können und Freiheit zu fin-den. Loslassen zu können: Das Stück Holz, die Luftmat-ratze, die mich auf dem Strom des Alltags und der Schuld schwimmen lässt, loszulassen und die Hand, die mich da rausholen will, zu ergreifen. Und wie das bei Fluten, die einen wegreißen, so ist: sie kommen immer mal wieder. Sieht man ja auch jetzt in der Natur. Deshalb heißt glau-ben ja auch, sich immer wieder neu auf diese Hand, die mich rausziehen will, einlassen. Es wird Zeiten geben, in denen ich ein Stück weit fortgetragen werde. Aber Gottes Hand, seine Liebe, sein Angebot ist da. Ich darf neu zugreifen. Nicht ich ziehe mich raus aus dem Strom, in dem man untergeht, sondern Gott. Ich schlage im Glauben sozusagen ein in seine Hand. So verstehe ich den Vers:
aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glau-ben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es
 aus dem Predigttext. Gottes Angebot der Liebe anzunehmen, seine Hand nicht auszuschlagen, Glauben, das macht mich nicht besser als andere. Aber es lässt mich gut sein und Gutes tun. Weil Gott die Augen öffnet. Weil er hilft, das zu entdecken, was dem Leben wirklich dient. Schön finde ich den Gedanken dass wir eigentlich bei dem Guten, was zu tun ist, damit Leben für alle wirklich gut wird, nur zugreifen müssen. Wir sind Gottes Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen. So drückt es der Epheserbrief aus. Gutes tun, Gut zu sein ist gar nicht so schwer. Gott lässt es uns sein, Gott lässt es uns tun. Wir brauchen einfach nur zuzugreifen. Einfach nur so? Gebe Gott, dass es wirklich einfach wird und wir uns nicht allzu schwer damit tun.

Amen

Montag, 2. August 2010

Richten, nicht hinrichten - 9. n. Trinitatis, 01.08.2010, Marginaltext

Text: 1. Könige 3,16-28
Liebe Gemeinde!


Irgendetwas fehlt. Irgendwas ist anders. Mitten in er Nacht, alles ist noch dunkel, wacht die Frau auf. Verwirrt, weil irgendwas anders als sonst ist. Zuerst ahnt sie nur, doch dann ist es, als ob ein Blitz sie getroffen und ihr innerstes zerrissen hätte. Der Atem fehlt. Der Atem des Kindes neben ihr, ihres Kindes ist nicht mehr zu hören und zu spüren. Sie horcht, sie drückt, sie schüttelt. Nichts passiert. Das Kind atmet nichtmehr. Sie wollte es wärmen, schützen gegen die Kühle der Nacht. Und statt des wärmenden Schutzes hat ihr Körper dem Kind den Tod gebracht. Erstickt. All ihre Träume, all ihre Sehnsucht. Mitgestorben. Aus und vorbei. Sie hätte am liebsten losgeheult, ihren Schmerz herausgeschrien. Aber dann wären ja die Freundin und ihr Kind aufgewacht. Die Freundin und ihr Kind? Ein Gedanke zuckt durch ihren Kopf. Nein, das kannst du nicht machen. Doch. Ich bin die Ältere. Sie ist in meinem Haus. sie ist noch jung, hat noch so viele Chancen. Ist das nicht ungerecht? Ich habe ihr Gastfreundschaft gewährt und jetzt bin ich so unglücklich. Es muss gehen! Es wird schon nicht auffallen. Und wenn doch? Egal! Vorsichtig steht sie auf, liebkost ihr totes Kind ein letztes Mal. vorsichtig legt sie es ab. direkt neben die Freundin. Ein letztes Mal beschleichen sie Skrupel. Kann ich das wirklich? Doch dann nimmt sie das atmende, lebende, warme Kind der Freundin in ihren Arm. Es wacht nicht mal auf. Glück. Trauer. Schlechtes Gewissen. Sie weiß gar nicht, was ihr in diesem Moment alles durch den Kopf geht. Und dann graut der Morgen. Die Freundin erwacht. Sie dreht sich nach ihrem Kind um. Will es in die Arme schließen, noch einmal vor dem Stillen liebkosen. Doch dann…

Doch dann – was dann kommt, haben wir gerade gehört. Eine traurige Geschichte. In meiner Kinderbibel wurde sie als kalte, herzlose Frau dargestellt. Die Mutter, deren Kind gerade gestorben war und die mit aller Macht ein lebendiges Kind in den Armen halten wollte. Und ich glaube, dass das bei fast allen, die diese Geschichte hören, die erste Reaktion ist. Was für eine kalte, herzlose Frau. Nimmt einer anderen einfach ihr Kind weg! Heute frage ich mich, ob sie nicht einfach nur verzweifelt war. Es gibt wohl kaum eine größere Katastrophe, als das Sterben des eigenen Kindes mitzuerleben. Ich denke heute nicht nur an die Eltern der 21 jungen Menschen, die am vergangenen Wochenende in Duisburg starben, nicht nur an die Eltern der beiden Kinder, die in den Ferien bei einem Tauchunfall starben. Ich denke auch an die Mütter und Väter, denen kein Unfall und keine absehbare Krankheit, sondern ein unerklärlicher plötzlicher Kindstod das Kind, auf das sie sich freuten, in dem ihre Hoffnung lebte, nahm. Müssen wir diese Frau, die eine solche persönliche Katastrophe erlebte, verurteilen? Ich tue mich heute sehr viel schwerer damit als in den Zeiten, in denen ich in meiner Kinderbibel gelesen habe. Ich bin froh, dass der weise König Salomo in dieser biblischen Geschichte auf so kluge Art ein Urteil gesprochen hat, dass der einen Frau zu ihrem Recht verhalf, ohne die andere Frau wirklich zu bestrafen. Er setzt nicht noch eins drauf, tritt nicht nach, obwohl diese Frau natürlich Schuld auf sich geladen hatte.

So weit, so gut – oder auch nicht. Eine Geschichte aus der Bibel, die von traurigen Erlebnissen erzählt, von einem guten Richter und König. Und gar nicht von Gott. Oder besser: fast gar nicht. Im allerletzten Satz, den ich eben aus der Bibel vorgelesen habe, kommt Gott dann tatsächlich vor: Und ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte, und sie fürchteten den König; denn sie sahen, dass die Weisheit Gottes in ihm war, Gericht zu halten. Im Handeln von Menschen, in der Art und Weise, wie sie Verantwortung für das Leben, für Gerechtigkeit übernehmen, ist etwas vom Wesen Gottes zu erkennen und zu spüren. Darum geht es in dieser Geschichte. Nicht um lange und komplizierte Erklärungen, wer Gott denn nun sei und wie er auf übernatürliche Weise das Schicksal von Menschen beeinflusst. Gott ist der, der Menschen befähigt, für ein lebenswertes, gerechtes Miteinander zu sorgen. Von König Salomo wird erzählt, dass er in einem Gebet Gott nicht darum gebeten hat, ihn reich und stark und mächtig zu machen, sondern dass er Gott darum gebeten hat, ein hörendes Herz zu bekommen, das zwischen gut und böse unterscheiden kann und das ihn in die Lage versetzt, seiner Verantwortung als Richter gerecht zu werden. Diese Geschichte der beiden streitenden Mütter soll drastisch vor Augen führen, dass Gott dieser Bitte entsprochen hat. Auch wenn König Salomo seit fast dreitausend Jahren tot ist, bleibt für mich einiges übrig, was diese Geschichte bis heute wichtig macht. Für mich macht sich das an den drei Hauptpersonen der Geschichte fest. Da ist einmal Salomo: Dort, wo Menschen zu ihrer Verantwortung stehen, wo sie bereit sind, Verantwortung für Recht und Gerechtigkeit zu übernehmen, wo sie sich auf die Seite des Lebens stellen, kann Gottes Wesen spürbar werden. Hohe Ansprüche, sicher. Und wie man leider aktuell sieht, alles andere als selbstverständlich. Da wird sich vor Verantwortung gedrückt. Nicht nur in Duis-burg. Und da verhelfen Menschen mit Macht nicht immer den Schwachen zu ihrem Recht. Sicher, die Fragen nach einer Gesundheitsreform, nach der Einkommenssicherheit im Alter oder nach der richtigen Verteilung von Reichtum nicht nur in unserem Land, sondern weltweit, lassen sich nicht so einfach lösen wie das Problem, wem das Kind nun eigentlich gehört. Aber manchmal fehlt das Gefühl, dass Menschen bereit sind, nur auf von Gott geschenkte Weisheit und offene Herzen zu setzen, statt auf Macht, Stärke, Reichtum. Und bevor ich oder wir anfangen, auf „die da oben“ zu schimpfen, sollte sich jeder fragen, wovon er oder sie sich beeindrucken lässt. Von Weisheit, Klugheit, Gerechtigkeit oder von Stärke und Geld.

Neben Salomo ist da die Mutter, der ihr Kind weggenommen wurde. Um das Leben ihres Kindes zu retten, ist sie bereit, es im wahrsten Sinn des Wortes loszulassen. Für mich ist das auch eine Botschaft, die Gott uns in dieser Geschichte schenkt. Loslassen ermöglicht Leben. Wo Menschen nicht ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte, nicht ihre eigenen, ja durchaus berechtigten Ansprüche, sondern das Leben des anderen in den Mittelpunkt stellen, dort besteht die Chance, Gott zu begegnen, dort besteht die Chance, das Leben wirklich zu gewinnen.

Bleibt noch die Mutter, die in ihrer Trauer oder Verzweiflung oder auch nur ihrem Egoismus völlig falsch gehandelt hat. Sie wird nicht denunziert. Sie wird nicht hingerichtet und es gibt keine Rache an ihr. Für mich heißt das bis heute: Gott richtet. Er sorgt für Leben, für Gerechtigkeit. Gott richtet, aber er richtet nicht hin. Er verbaut nicht die Chance zu einem Neuanfang. In dieser Geschichte ist das angelegt, was in Jesus Christus dann für alle Welt sichtbar geworden ist. Selbst denen, die Schuld auf sich geladen haben, verbaut Gott nicht die Rückkehr ins Leben. Gott ist der Gott des Lebens. Ohne wenn und aber. Gebe Gott, dass wir dies wirklich erfassen. Gebe Gott, dass wir ein hörendes, offenes Herz haben, Weisheit und Verantwortungsbereitschaft, wenn wir die Macht haben, zu urteilen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Gebe Gott, dass wir die Bereitschaft haben, loszulassen, Menschen, an denen wir hängen, eigene Wünsche und Sehnsüchte, wenn es dem Leben dient und wir durch Loslassen Leben gewinnen können. Und gebe Gott, dass wir auch hören und annehmen können, dass wir dann, wenn wir schuldig werden, nicht hingerichtet werden, sondern dass uns der Weg zum leben, zur Umkehr neu geöffnet wird.

Amen.