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Sonntag, 13. März 2011

Es gibt kein zurück - Invokavit, 13.03.2011, Reihe III

Text: Genesis / 1. Mose 3,1-19
Liebe Gemeinde!


Es gibt kein zurück! Nein, ins Paradies, in eine Welt, in der die Menschen, die Tiere, die Schöpfung und Gott in völliger Harmonie miteinander leben, in der es kein Böses gibt, in eine solche Welt kommen wir nicht mehr. Und das alles bloß, weil die Frau mal wieder zu neugierig gewesen ist. Typisch Frau! Und das alles bloß, weil der Mann ohne nachzudenken einfach so das nimmt, was seine Frau ihm hinhält. Bisschen dumm vielleicht. Typisch Mann! Und das alles bloß, weil die Schlange Lust auf verbotene Früchte gemacht hat. Und das alles bloß, weil… - ist doch ungerecht! Ich kann doch nichts dafür! Sollen die doch büßen, die Schuld dran haben! Ich nicht, die anderen! Und schon sind wir mittendrin. Nicht in einer Geschichte, die tausende von Jahren alt ist und die auf bildliche Art erzählt, wie die Menschen das Paradies verloren haben. Wir sind mitten-drin in unserer Geschichte. In unserem Leben, das wahrlich kein Paradies ist. Wir sind mittendrin in unserer Welt, in der es an der Tagesordnung ist, Schuld erstmal von sich selbst weg zu weisen und bei anderen nach Schuld zu suchen. Nicht Guttenberg mit seiner fehlerhaften Doktorarbeit und seinem sehr wählerischen und nicht gerade offenen Umgang mit der Wahrheit war Schuld an seinem Rücktritt, sondern neidische politische Gegner und neidische Parteifreunde und die Medien. Nicht ich, die anderen - dieses Prinzip wird immer wieder rausgekramt. Seit Adam und Eva. Und es bringt uns immer wieder ein Stück weiter weg von Gott, ein Stück weiter weg vom Paradies. Es bringt nichts, sich in ein Paradies, in eine Welt perfekter Harmonie zurück zu träumen. Diese Welt haben wir verloren. Und aus eigener Kraft, wenn wir uns nur anstrengen würden und alle Menschen davon überzeugen könnten, Gutes zu tun, können wir sie nicht zurückgewinnen. Wir können sie nicht zurückgewinnen, weil wir von Anbeginn der Schöpfung an von Gott mit einer Komplettausstattung versehen wurden. Die biblischen Erzählungen von der Erschaffung des Menschen, gerade auch die Erzählung, die wir eben als Predigttext gehört haben, machen deutlich: Gott wollte kein willenloses Etwas, das sich einfach nur fortpflanzt und seinen Lebenssinn in der Zellteilung erfüllt sieht. Gott will ein Gegenüber, keine Marionette. Zum richtigen Gegenüber gehören auch die Möglichkeiten, zu zweifeln, zu denken, falsche Entscheidungen zu treffen. Die Freiheit des Scheiterns ist von Anfang an da.
Der Mensch konnte wissen, was gut ist. Gott hat ihm die Konsequenzen klar gesagt: du wirst sterben, wenn du vom Baum der Erkenntnis isst. Die Schlange hat die Hand der Frau nicht geführt. Sie hat noch nicht mal direkt gesagt: Tu doch das Verbo-tene! Sie hat die Frau selbst auf den Gedanken kommen lassen. Und der Mann hätte auch nicht zubeißen müssen. Die Frau hat keine Gewalt angewendet. Der Mensch, Mann und Frau, hätten die Chance gehabt, Nein zu sagen und Mensch bleiben können. Aber die Versu-chung, wie Gott sein zu wollen, war größer. Wichtig da-bei ist, was es in dieser Geschichte eigentlich heißt, wie Gott zu sein. Das ist eben nicht in erster Linie unbe-schränkte Macht oder Gewalt. Wie Gott zu sein heißt zuallererst hier in der Geschichte, Gut und Böse unterscheiden zu können und einen Blick auf das eigene Leben zu gewinnen.

Und der Blick auf das eigene Leben ist ernüchternd. Das erste, was Mann und Frau erkennen, ist, dass sie nackt und schutzlos sind. Der Mensch hier in der biblischen Geschichte kann diese Einsicht nicht aushalten. Er versteckt sich. Er will nicht zeigen, nicht wahrhaben, dass er im Grunde ausgeliefert und auf andere, letztlich auf Gott angewiesen ist. Und ich glaube, dass bis heute in diesem Punkt der Ursprung von ganz vielen Dingen steckt, die wir in unserer alltäglichen Sprache als Sünde bezeichnen. Ich glaube, dass hier die Wurzel für vieles von dem liegt, was wir in unserem Leben als Sünde oder falsch wahrnehmen. Nicht wenige machen im eigenen Leben oder mit anderen Menschen die Erfahrung: Ehe ich zugebe, dass ich verletzlich oder schwach sein kann und um Hilfe bitte, saufe ich mich lieber solange zu, kiffe ich lieber so lange, bis ich mich stark genug fühle und draufhauen kann, klauen kann, andere verletzen kann, damit ich mein eigenes Elend nicht sehen muss. Der relative Wohlstand, in dem wir leben, auch auf dem Richtsberg und trotz aller Armut hier, mit der Möglichkeit zu kostenloser Bildung und relativer Exis-tenzsicherung ist nicht nur deutschem Können und europäischem Fleiß, sondern auch dem Umstand geschuldet, dass nicht nur in Deutschland, sondern vor allem im Weltmaßstab Arbeit und Rohstoffe extrem ungerecht bezahlt werden und wir auf Kosten Ärmerer leben. Schwächen ausnutzen, damit eigene Schwächen nicht offenbar werden. Sicher gibt es auch ganz viele Gegenbeispiele von gelingendem Leben, von wahrgenommener Verantwortung, von selbstloser Nachbarschaftshilfe und vielem mehr. Keine Frage. Aber das, was in der alten katholischen Theologie als Todsünden beschreiben wird und was als Hauptlaster bis heute ja menschliches Miteinander schwer macht: Hochmut, Geiz, Genusssucht, Rachsucht, Maßlosigkeit, Neid und Faulheit, ist in allen seinen praktischen Ausprägungen der oft schlecht verborgene Versuch, die eigene Blöße, die eigene Nacktheit zu verbergen und an-dere stattdessen nackt und bloß dastehen zu lassen.

Auf den ersten Blick malt die Geschichte vom Sünden-fall im Paradies ein sehr trauriges Bild von uns Men-schen: Wir kommen nicht in den Zustand der Unschuld zurück. Wir sind nackt, ausgeleifert, wir sind leicht ver-führbar. Die Schlange in der Geschichte fordert die Frau ja nicht zum plumpen Regelverstoß auf, sie sät Zweifel. „Hat Gott wirklich gesagt, dass ihr von den Bäumen nicht essen dürft?“ – Hat er natürlich nicht. Die Frau sagt: „Natürlich dürfen wir, nur von dem einen nicht“ – Und schon bekommt der eine Baum eine besondere Wichtigkeit. Auf einmal wird das kleine Verbot viel wichtiger als alles, was erlaubt ist. Ja, wir sind verführ-bar. Wie gesagt, wir sind sozusagen eine Komplettliefe-rung: Mit Zweifeln, mit Denken, mit Neugier. Und mit der Möglichkeit, uns zu uns selbst, zu Gott, zu den Mit-geschöpfen zu verhalten. Mit allem guten, was dadurch möglich ist. Und mit den Schattenseiten. Mit der Entfer-nung zu Gott, weil wir uns selbst und das, was uns nicht gut tut, wichtig nehmen und ausprobieren. Wir können nicht einfach nur gut sein. Weil wir denken und bewusst handeln können. Weil wir mehr sind als ein vorprogrammierter Zellhaufen. Auf den ersten Blick also kein besonders optimistisches Bild.

Auf den zweiten Blick ergibt sich aber mehr. Das Leben ist hart nach der Vertreibung aus dem Paradies. Mühsam muss vieles der Erde abgetrotzt werden und auch die Liebe, die Beziehung hat ihre Unschuld verloren und wird nicht schmerzfrei sein. Hart – aber nicht gottverlassen. Auch wenn der Mensch, wenn ich mich von Gott entferne: Gott bleibt in der Nähe, er hilft zum Leben. Im Fortgang der Geschichte durch Kleidung, die er dem Mann und der Frau zu ihrem Schutz macht. Dadurch, dass er später selbst den Brudermörder am Leben lässt, ihn, den Schuldigen, zwar weiter in die Einsamkeit treibt, aber eben nicht unbegleitet lässt und ihm die Möglichkeit zum Leben und zur Umkehr schenkt. Ein für allemal und unübertrefflich hat er das durch seinen Sohn dann Gestalt werden lassen. Jesus, der im wahrsten Sinn Liebe und Gutes verkörpert und der durch die Schuld und wegen der Schuld der Menschen sterben musste. Schuld, Sünde trennen nicht länger endgültig von Gott. Wir können zum Leben, zu ihm umkehren. Wir werden das Paradies nicht herstellen können. Auch durch ein noch so moralisches Leben nicht. Wo Menschen dies versuchten und versuchen, da sind Hass und Diktatur nicht weit. Wo das Paradies auf Erden errichtet werden soll, ob im Namen Gottes oder im Namen einer politischen Ideologie, da geschieht genau das, was schon am Anfang zum Verlust der Einheit mit Gott geführt hat: Der Mensch will wie Gott sein und ihm nicht überlassen, was sein ist.

Wir müssen nicht Gott sein und Gott spielen. Wir dürfen Leben, trotz aller Schuld, auch wenn es oft hart ist. Wir dürfen leben und Gott geht, trotz aller Schuld, unseren Weg mit, damit wir Leben und zu ihm finden können.

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