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Montag, 22. Dezember 2008

Männer am Rand und Kinder der Liebe - Christmette 2008


Mt 1,18-25

Liebe Gemeinde!

Josef, lieber Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindelein, Gott, der wird dein Lohner sein im Himmelreich der Jungfrau Sohn Maria. / Gerne, liebe Maria mein, helf ich dir wiegen dein Kindelein, Gott, der wird mein Lohner sein im Himmelreich der Jungfrau Sohn Maria.“

„Das ist doch mal wieder typisch“ würde er vielleicht denken, unser Josef, wenn er dieses Lied hätte hören müssen. „IHR Kind. Und was ist mit mir? Als ob ich nicht dazugehöre, ein Babysitter, mehr nicht! Als er erwachsen war, da hatten mich die Menschen noch nicht vergessen. Sohn des Zimmermanns, so haben sie ihn genannt. Ich war für ihn da. Habe ihn in dem, was ich konnte, ausgebildet. Ich wusste, dass er eines Tages seinen, Gottes Weg geht und nicht in meine Fußstapfen tritt. Und trotzdem war und blieb er immer mein Sohn. Der Sohn des Zimmermanns. Natürlich war er auch ihr Kind. Marien Sohn. Er war unser Kind. Doch dann haben mich die Menschen nach und nach vergessen. Sie schmückten seine Geburt immer mehr aus. Sie sangen von ihr, sie malten sie. Und wenn ich überhaupt noch vorkam, dann stand ich immer ein bisschen am Rand. Sie ließen mich alt aussehen. Da die junge wunderschöne Mutter. Und hier der Greis, der nicht der Vater, sondern der Opa sein könnte. Damit ja niemand auf die Idee käme, dass wir uns geliebt hätten. Maria und ich. Ich als Opa für’s Praktische! Dabei haben wir uns geliebt, Maria und ich. Er war, ist und bleibt unser Kind! Ein Kind der Liebe!“

Könnten das die Gedanken von Josef sein? Fragen können wir ihn nicht. Aber ich finde, dass es sich lohnt, Weihnachten nicht nur von Maria, den Hirten, dem Stall, den Engeln und dem Jesuskind her zu sehen. Matthäus blendet in seinem Evangelium das ganze Drumherum der Geburt zunächst aus. Mich hat das als 5-jährigen Knirps so irritiert, dass ich am Heiligabend in unserer vollbesetzten Dorfkirche aufstand und unserem damaligen Pfarrer ein protestierendes „Das stimmt so nicht“ entgegen rief, weil er mal nicht die Weihnachtsgeschichte nach Lukas vorgelesen hatte, sondern die nüchterne Schilderung von Matthäus und mich so meiner geliebten Engel und Hirten beraubte. Josef steht im Mittelpunkt - eine ganz normale Geburt. Das irritiert. Und lenkt vielleicht den Blick doch ein bisschen mehr als sonst darauf, dass es von Anfang an um Beziehungen geht, wenn Gott in diese Welt kommt, wenn er sich im Menschen Jesus erfahrbar macht. „Er war, ist und bleibt unser Kind! Ein Kind der Liebe!“ Ich glaube tatsächlich, dass Josef diese Sätze sagen könnte und dass Maria ihm wohl zugestimmt hätte.

Die Beziehung zu einem Kind hängt nicht in erster Linie von den Umständen der Zeugung oder der Geburt ab, egal wie natürlich oder übernatürlich-wunderbar sie gewesen sein mögen. Denn jedes Kind will und muss adoptiert werden. „Vater werden ist nicht schwer - Vater sein dagegen sehr“. Eines der wahrsten Sprichwörter. Im Blick auf jedes Kind, auch auf Josefs und Marias Kind Jesus. Zeugung ist die eine Sache. Viel wichtiger und schwerer ist es allerdings, das Kind als Teil des eigenen Lebens anzunehmen, hinzu zu erwählen, das Kind Teil des eigenen Lebens sein zu lassen. Nichts anderes bedeutet Adoption ja. Sich kümmern, sich sorgen, helfen - und dann, wenn es soweit ist, auch den eigenen Weg gehen lassen, so schwer das auch oft genug fällt. Auch Müttern ist das nicht automatisch mitgegeben. Eines der großen Tabuthemen sind Kindbettdepressionen. Viel verbreiteter als man denkt, die Schwierigkeit von Müttern, ihre Kinder anzunehmen. Und doch wird es vorausgesetzt. Dabei hatte selbst Maria ihre Zweifel und brauchte etwas, bis sie dem Kind, das sie erwartete, zustimmen konnte. Davon erzählt Lukas in der Geschichte, in der der Engel Maria die Geburt Jesu verkündigt.

Aber zurück zu unserem Josef. Gott hilft ihm, die Bibel erzählt: durch einen Traum, seine Vaterschaft anzunehmen. „Du wirst es schaffen. Du wirst dieses Kind als dein eigenes annehmen können und du wirst diesem Kind helfen können, der zu werden, der er ist: Retter, Erlöser der Menschen.“ So sagt es ihm im Traum der Engel. Und Josef vertraut und nimmt die Herausforderung an. Er ist es, der dem Kind, wie damals als Vater üblich, den Namen gibt: Jesus - Gott hilft! „Jesus ist unser Kind“ - Josef kann das mit jedem Recht sagen. Und auch: „Er ist ein Kind der Liebe!“ Als Josef wegen Marias Schwangerschaft verwirrt ist, geht es ihm nicht um seinen eigenen Ruf oder seine Zweifel. Maria soll nicht in Schanden gebracht werden. Er liebt sie, auch wenn er sich nicht sicher ist, ob das wirklich auf Gegenseitigkeit beruht. Das Vertrauen in die Botschaft, die Gott ihm zukommen lässt, lässt ihn auch zu seiner Liebe stehen, lässt die Liebe stark werden. Stärker als alle Zweifel und Ängste, die manchmal auch zur Liebe dazugehören. Gerade zu Weihnachten finde ich diesen Gesichtspunkt wichtig. Jesus als Mensch gewordene Liebe Gottes ist von Anfang an eng mit der Liebe zwischen Menschen verschränkt. Gottes Liebe zu den Menschen ist keine Liebe, die einfach so über Zweifel und Fragen hinweggehen würde. Sie überwindet diese nicht durch Verschweigen oder Plattmachen, sondern durch Vertrauen, Zuwendung, durch Zeit, die Liebe zum Wachsen braucht. Gott wird Mensch und gibt den Menschen Zeit und Gelegenheit, menschlich sein zu dürfen.

Josef zeigt von Anfang an, dass Gott Menschen nicht zwingen will oder an den Menschen vorbei irgendwie als Alien auf die Erde plumpst, sondern dass die Botschaft „Gott wird Mensch“ von Anfang an für den Menschen gedacht ist und den Menschen menschlich werden und sein lässt. „Er ist unser Kind“ - weil Josef dies sagen konnte, weil Josef und Maria der Mensch werdenden Liebe Gottes Raum gegeben haben, weil sie „unser Kind“ nicht als Besitz verstanden, sondern dieses Kind zum Menschen Jesus, zum Christus am Kreuz haben werden lassen, weil sie auch ihre eigenen Vorstellungen und Ängste von dem, was dieses Kind werden und machen und sein sollte, sein lassen konnten und ihm den Raum gegeben haben, dass zu werden was es ist, können auch wir mit Recht sagen: „Es ist unser Kind“. Gott ist auch für uns Mensch geworden, damit wir Liebe und Versöhnung erfahren, damit wir Vertrauen in die Liebe finden können, damit wir wachsen können - auf die Liebe hin. Gott setzt auf Beziehungen. Von Anfang an. Nicht auf blinden Gehorsam. So, wie wir es bei Josef erfahren dürfen. Gott lässt uns Menschen, Gott lässt Josef nicht alt aussehen - auch wenn er oft so dargestellt wird. Und Josef vielleicht zu Recht damit unzufrieden wäre. Ob er das auch mit dem Bild wäre, dass ich ihnen in dieser Nacht mitgeben möchte? Auch da hat er graue Haare und einen grauen Bart, aber sein Gesicht wirkt lebendig, lustig, liebenswert. Es ist ein Ausschnitt aus einem über 600 Jahre alten Altarbild in der Wildunger Stadtkirche, gemalt von Conrad von Soest. Eines der wenigen Bilder mit Josef im Vordergrund. Die Umstände der Geburt, klassisch dargestellt, treten ganz nach hinten. Wichtig sind die drei vorne. Maria, das Kind und Josef. Josef, der das Feuer anbläst. Josef, der den Schritt von Weihnachten in den Alltag geht. Josef, der erkennt, dass zum Alltag der Mensch gewordenen Liebe Gottes eben auch das Essen und Wachsen gehört. Josef, der Verantwortung übernimmt, damit das geschieht.

Gott wird Mensch. Ganz und gar. Mit Haut und Haaren. Und er sucht und findet Menschen, die diese Botschaft, die diese Liebe ins Leben lassen. In ihr eigenes und dadurch auch ins Leben von anderen. Gott ist mitten im Leben. Gott findet die Menschen. Mitten im Leben. Manchen noch, bevor sie ihn richtig gesucht haben. So wie Josef. Gott findet Menschen. In Liebe und durch die Liebe.
Und so drückt sich der Sinn von Weihnachten für mich nicht nur in dem Bild von Conrad von Soest aus, sondern auch in der folgenden Betrachtung zu diesem Fest und zur Menschwerdung Gottes:

Gott fährt in die Knochen
geht unter die Haut
wird Mensch

unter unauffälligen und schrillen
musterfamilien und beziehungschaoten
heiligen und teufeln
asketen und huren
bankiers und müllmännern

herzlich fröhlichen und abgrundtief traurigen
glaubenden und zweiflern
leg dein licht an wie ein kleid
such dich durch die nacht
du wirst gefunden

Du wirst gefunden! Ja, das ist Weihnachten. Du wirst gefunden. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft…

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