Liebe Gemeinde!
Alles, von dem man gedacht hat, dass es für immer fest steht, geht kaputt - und das soll gut sein? Angst wird sich unter den Menschen breit machen, weil sie nicht mehr wissen, worauf sie sich wirklich verlassen können. Mir kommt es so vor, als wäre der Anfang des Predigttextes, den ich eben vorgelesen habe, wie gemacht für den 2. Advent 2008. Nicht, dass wir heute Angst davor hätten, dass der Himmel über uns einstürzt. Da sind wir Menschen heute viel weiter als die Menschen vor 2000 Jahren. Unsere Furcht vor einem Weltuntergang sieht heute ganz anders aus. Was uns verbindet mit den Menschen vor vielen tausend Jahren ist die Angst davor, dass das, von dem wir glaubten, es wäre für immer und man könnte sich ganz fest darauf verlassen, plötzlich brüchig wird. Und da bietet der Winter 2008 eine ganze Menge Stoff. Jahrelang dachte man, es geht immer nur aufwärts mit der Wirtschaft. Wenn man den Reichen nur genug Spielraum lässt, dann werden auch die Armen profitieren - und jetzt bricht gerade alles so richtig zusammen. Wer im Moment noch Arbeit hat, muss sich fragen, wie lange das noch so sein wird. Letzte Woche war es zwar richtig kalt und winterlich und von Klimaerwärmung wenig zu spüren, trotzdem: die Nachrichten über extreme Wetterbedingungen, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind, Erdrutsche in Brasilien, riesige Feuer wegen Trockenheit in den USA und vieles mehr, häufen sich. Und auch im Kleinen gibt es manchmal solche Gefühle, dass plötzlich alles irgendwie unsicher wird. Manchmal merke ich das, wenn ich mich mit Schülern unterhalte, die kurz vor ihrem Abschluss stehen oder die gerade ihren Abschluss gemacht haben. Natürlich freuen sie sich, dass die Schule bald vorbei ist - aber wie geht es danach weiter? Man sieht eben nicht mehr jeden Morgen die gewohnten Leute, man weiß nicht mehr, wie man zurechtkommen wird, kann sich nicht ausrechnen, was kommt. Die Welt, die einem so vertraut und so sicher war, stürzt ein. Und das soll was Gutes sein? Die Bibel erzählt hier, dass dann, wenn Jesus wiederkommt, um die Welt radikal umzugestalten, um aus der Welt den Ort zu machen, der eindeutig gut ist, den Ort zu machen, an dem nichts als Gottes Liebe, als Gerechtigkeit und Frieden sichtbar wird, dass dann alles, was sicher schien, die ganze bekannte Welt eben, ins Wanken gerät und einstürzt. Ist also der Advent 2008 tatsächlich der letzte Advent bevor Gott durch Jesus die Welt radikal gut macht? Unsicher genug sind die Zeiten ja, viele Menschen leben ja ängstlich genug.
Der Haken bei allen solchen zeitlichen Berechnungen und Deutungen ist, dass keiner von uns Gott ist. Schon oft hatten Menschen Angst, schon oft hat sich die bekannte Welt tatsächlich total geändert, schon oft hatten Menschen das Gefühl, die Welt müsste doch jetzt untergehen und Gott kommen - und bis heute ist die Welt immer noch so, wie sie ist. Es geht in diesen Geschichten aus der Bibel, die vom Ende der Welt erzählen, nicht darum, dass wir Menschen Berechnungen anstellen sollen, wann das nun so weit sein könnte. Das Entscheidende sind keine Spekulationen über den Zeitpunkt des Weltendes. Das Entscheidende sagt der Vers, der auch Wochenspruch für die Woche, die mit dem heutigen 2. Advent beginnt, ist: „Wenn das geschieht, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
Wie gehe ich damit um, wenn scheinbar auf katastrophale Art und Weise alles, was mir so sicher schien, alles, worauf ich dachte, mich stützen zu können, wenn die ganze Welt auf einmal in sich zusammenstürzt und unsicher wird? Zieh ich den Kopf ein und versuche, alles nicht wahrhaben zu wollen? Versuche ich, mit gesenktem Kopf nur noch den Blick auf das zu richten, was unmittelbar vor mir ist? Trau ich mich nicht, nach links und rechts und so richtig nach vorne zu schauen? Menschlich wäre und ist das - ich kenne es von mir selber mehr als genug. Wenn ich unsicher werde, dann traue ich mich gar nicht, weit nach vorne zu sehen, dann beschränke ich mich auf meine allernächste Umgebung, in der ich mich sicher fühle. Traut euch, stellt euch, seht euch um - denn nur mit offenen Augen und erhobenen Hauptes könnt ihr sehen, dass da mehr ist als nur Chaos, Schrecken und Unsicherheit. So kann man den Sinn des Verses mit dem erhobenen Haupt umschreiben.
Für mich ist an diesem Vers gerade die Rede, dass wir erhobenen Hauptes in der Welt stehen und durch die Welt gehen sollen, wichtig. Für Menschen, die jünger als ich sind, schon ganz und gar für Schülerinnen und Schüler, hört sich die Formulierung „erhobenen Hauptes“ wahrscheinlich ziemlich altertümlich an. Sie kommt ja auch aus einer Zeit, in der man sich Regierenden und Mächtigen nur gebückt nähern und ihnen schon gar nicht in die Augen sehen durfte. Die Zeiten sind vorbei. Aber auch heute gibt es Menschen und Mächte, die davon ausgehen, dass andere vor ihnen in Ehrfurcht erstarren und sie ehren und sich für weniger wert halten. Für mich gehört ganz aktuell ein süddeutscher Milliardär dazu, der einen Teil des Vermögens seiner Firmen an der Börse verzockt hat und nun möchte, dass die Steuerzahler für die Verluste aufkommen. Für mich gehören Menschen dazu, die Wissen nicht teilen wollen, die andere für dumm verkaufen und dumm halten wollen. Politiker, Wissenschaftler, so genannte Experten, die so kompliziert reden, dass nur Eingeweihte sie verstehen und die Rückfragen für dumm halten. Erhobenen Hauptes sehen zu können, das heißt: du kannst selbstbewusst sein. Du musst dich nicht von anderen klein machen und klein halten lassen. Erhobenen Hauptes zu sehen - ohne hochnäsig zu sein oder zu werden. Denn das wird schnell zur Gefahr. Dass ich denke, mir kann keiner was und mir auch von Menschen, die tatsächlich manches besser wissen oder besser sehen als ich nichts mehr sagen lasse. Erhobenen Hauptes, selbstbewusst die Welt zu sehen - auch das Ende von vielem zu sehen, auch das Wegbrechen von Sicherheiten zu sehen, das ist für mich tatsächlich ein wichtiger Teil der Advents- und Weihnachtsbotschaft. Advent heißt warten zu können. Nicht alles von sich erwarten zu müssen, sondern das Wichtigste von Gott erwarten zu dürfen. Advent heißt, nicht menschlichen Heilsversprechen hinterherlaufen zu müssen, sondern dem göttlichen Heilsversprechen trauen zu dürfen. Wo Menschen eine heile Welt mit ihren eigenen Mitteln herstellen wollten, war das Grauen nicht mehr weit. Der Kommunismus war angetreten, den Landlosen, Kleinbauern und Arbeitern Fortschritt zu bringen und endete mit Unterdrückung, Folter und einem vollständigen Zusammenbruch. Der Kapitalismus, das pure Vertrauen auf den Reiz des Geldes verschärfte die ungerechte Verteilung von Macht, Bildung und den Möglichkeiten, Zugang zu guter medizinischer Versorgung zu haben, immens. In den USA gibt es sicher mit die besten Ärzte und Kliniken der Welt - aber der größte Teil der Bevölkerung hat gar nichts davon, weil sie zu arm sind, sich eine medizinische Versorgung zu leisten und weil es Krankenversicherungen, wenn überhaupt, nur für Menschen gibt, die arbeiten.
Dort, wo Menschen letztes Heil und letzten Sinn versprechen, kehrt Unheil ein - auch wenn auf den Dollarnoten bis heute steht „In God We Trust“ - „Wir vertrauen auf Gott“. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich finde trotz allem, dass die USA kein schlechtes Land sind, war oft dort und werde gern wieder hinfahren.
„Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht“ - Das ist ein weiterer wichtiger Satz aus dem Predigttext. Wir müssen damit leben lernen, dass alles in dieser Welt vorläufig ist. Wir müssen damit leben lernen, dass das Leben, das wir kennen, keine letzte Sicherheit bieten kann, auch wenn wir Menschen uns noch so sehr anstrengen auch wenn wir noch so viel Wissenschaft betreiben oder Geld anhäufen. Leben in dieser Welt, die Welt, die wir kennen, ist vorläufig, ist Fragment. Man kann in ihr, auch und gerade in allem Chaos, viel Gutes sehen und entdecken. Neues Leben, neue Kraft, die dort sprießt, wo Altes abgeworfen wird. So wie in dem Bild vom Baum, der nach dem Winter wieder anfängt zu grünen. Aber letzten Grund, letzten Halt kann nur das geben, was Gott auch durch das Weihnachtsgeschehen deutlich gemacht hat: Dass er mit seiner Liebe diese Welt verwandeln wird. Dass seine Liebe dieser Welt gilt. Dass er uns Menschen mit unseren Fehlern und Schwächen, auch mit unserer Schuld nicht aufgibt, sondern dass er uns liebt und uns zutraut, dass wir selbst lieben und Verantwortung übernehmen können. Durch Jesus ist Gott selbst mitten im Leben. Er bleibt nicht hoch und fern, sondern er kommt in die Welt - alles wird anders. Advent heißt: warten können, sich vorbereiten, sich einstimmen. Nicht alles vorwegzunehmen, sondern in allem, was ablenkt, den Blick für das Wesentliche zu schärfen. Um dann entspannt feiern zu können. Wir leben im Advent - nicht nur in den Wochen vor Weihnachten. Das, was mit der Menschwerdung der Liebe Gottes begonnen hat, ist noch nicht am Ziel. Uns bleibt nichts, als zu warten, bis die Liebe sich durchsetzt und alles verwandelt. Aber uns bleibt auch mehr, als dabei nur die Hände in den Schoß zu legen. Uns bleibt, uns vorzubereiten, uns einzustimmen, auch durch die Liebe, die wir schenken, andere Mitzunehmen auf dem Weg, uns bleibt, den Kopf zu heben und zu schauen was kommt. Ohne Angst - und hoffentlich voller Hoffnung. Amen.
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