Liebe
Gemeinde!
So
ist es, oder? Die, die am lautesten schreien, am meisten nerven, die, die am
unverschämtesten sind, die kriegen am Ende ihren Willen. Und selbst wenn man im
Recht ist, bekommt man das, was einem zusteht, oft nur, wenn man hartnäckig ist
und immer wieder und wieder nervt. Mit Versicherungen habe ich schon solche
Erfahrungen gemacht. Mit unserer Kirchenleitung im Landeskirchenamt auch. Mit
der Stadt, mit Kollegen, ganz oft. Und wahrscheinlich können viele auch eigene
Erfahrungen erzählen. Schülerinnen und Schüler, die zurückhaltend sind, die
glauben, sie würden auch durch ruhiges Arbeiten Aufmerksamkeit gewinnen, gehen
leider viel zu oft unter und bei den Noten kommt am Ende der Störenfried, der
sich in den letzten vier Wochen vor der Notenbesprechung einigermaßen
zurückhält, oft besser weg, als derjenige, der immer da ist, aber im ganzen
eben ruhig das macht, was gefordert wird. Kenne ich, ehrlich gesagt, auch aus
der Erfahrung als Lehrer, der Noten geben muss, und ich bin nicht immer stolz
auf meine Noten. Manchmal könnte man vielleicht auch denken, das Sprichwort
„Ehrlich währt am längsten“ könnte auch umgeschrieben werden. „Penetrant und
nervig geht am besten!“ oder ähnlich. Und die Aussage, dass brave Mädchen zwar
in den Himmel, böse aber überall hin kommen, ist mehr als eine witzig gemeinte
Aufforderung, mal mehr zu probieren. Wenn man sich ansieht, wie und über wen im
Internet, im Fernsehen, in Zeitschriften berichtet wird, wie über Menschen
geredet wird, wem Respekt gegeben wird, nicht nur von Jugendlichen, sondern von
Menschen im sogenannten besten Alter, spiegelt dieser Satz leider viel zu viel
egoistische und für mich wenig lebenswerte Wirklichkeit wider.
Und
jetzt also auch in der Bibel, oder? Recht bekommt die Frau, die nervig ist, die
dem Richter auf den Senkel geht und ihn dazu bringt, Angst vor Schlägen zu
haben. Und das soll ein Gleichnis fürs Beten sein? Kriegt also auch bei Gott
der seinen Willen, der ihn am meisten nervt, der sich vordrängelt?
Ich
lese mir ja immer am Anfang der Woche durch, was am Sonntag als Predigttext
dran ist. Als ich das gesehen habe, habe ich gedacht: das kann ich nicht
predigen! Und dann fiel mir auf, dass sich da mal wieder viel zu schnell mit
meiner Meinung und meinen Vorurteilen war und mal wieder nicht genau hingehört,
oder in diesem Fall besser: gelesen, habe, was Jesus eigentlich sagt. Da ist
mir wieder aufgefallen, dass es für Pfarrer genauso wie für Konfis, für Rentner
genauso wie für Jugendarbeiter, für Lehrer genauso wie für Busfahrer wichtig
ist, mal nachzudenken, wenn’s um Gott, um Jesus und den Glauben geht. Da
hilft’s wenig, einfach mal kurz drüber zu gucken, was in der Bibel steht, zu
sagen: kapier ich eh nicht, hat keinen Zweck, oder: ah klar, weiß Bescheid –
nein, dann verpasst man ganz viel. Glauben, der mit der Bibel zu tun hat, der
nicht bloß eine eigene Einbildung ist, der braucht auch Zeit, mal nachzudenken,
kritisch zu sein, nicht gleich zu glauben, alles verstanden zu haben, auch mal
hinter die Worte zu schauen und sich nicht mit den oberflächlichen Worten
zufrieden zu geben und vor allem braucht Glauben auch das Hören, das Beten, die
Bitte darum, das Gott einem beim Verstehen hilft.
Zurück
zur Geschichte: Ich verpasse, habe ich gemerkt, ganz viel, wenn ich die
Geschichte so verstehe, als ob es bei Gott genauso wäre wie bei diesem Richter
und die Nervensägen am Ende die Belohnten sind und die Ruhigen als Deppen leer
ausgehen. Jesus
sagt, nachdem er das Gleichnis erzählt hat, zu den Leuten, die
ihm zugehört haben: „Hört genau hin, was der ungerechte Richter sagt! Wenn
schon so einer in der Lage ist, Leuten zu ihrem Recht zu verhelfen, obwohl ihm
die Menschen eigentlich total egal sind und er sich um Gott überhaupt nicht
kümmert – wie ist das denn erst bei Gott, bei dem das ganz anders ist?“ Gott
sind die Menschen eben nicht egal, Gott liebt die Menschen – umso mehr wird er
ihnen doch zu ihrem Recht verhelfen. Und er wird nicht lange damit warten. Traut
euch, Gott darauf anzusprechen. Der Punkt, um den es in dem Gleichnis geht, ist
nicht, dass Gott mit dem Richter identisch wäre. Sondern der, dass Gott eine ganz andere Art
Richter ist, der nicht aus Angst, eine zu fangen, sondern aus Liebe den Menschen
zu ihrem Recht verhilft. Und der ein offenes Ohr hat, für die, die Recht
brauchen und denen keiner Recht schaffen will. Die Witwe ist eigentlich eine
ganz wichtige Person in diesem Gleichnis.
Heute
denkt man meistens: Okay, Witwen sind manchmal einsam, weil sie, wenn die Ehe
gut war, einen ganz lieben und wichtigen Menschen verloren haben. Ist nicht
immer so, eine Frau, die mir sehr, sehr lieb war, ist nach dem Tod ihres
Mannes, der ein echter Stinkstiefel gewesen sein muss, richtig aufgeblüht - aber Gott sei Dank ist es doch oft so, dass
Ehen gut sind und Menschen wirklich fehlen. Also: Witwen sind manchmal einsam.
Und manchmal auch eher arm. Es ist nicht richtig, dass Familienarbeit, Kindererziehung,
Pflege von Eltern und Schwiegereltern, bei der Rente nur unzureichend
berücksichtigt wird und Frauen, die fast ihr ganzes Leben lang für andere da
waren, materiell oft sehr schlecht gestellt sind. Einsamkeit, manchmal
schlechte materielle Versorgung – alles nicht gut, aber ansonsten ist an Witwen
heute wenig Besonderes. Zur Zeit von Jesus aber waren Witwen aber am äußersten
Rand der Gesellschaft. Sie durften als unverheiratete Frauen keine
selbständigen Rechtsgeschäfte abschließen, sie waren auf Spenden und Almosen
von männlichen Verwandten angewiesen und vor Gericht durften sie auch nicht
selbst erscheinen, sondern sie mussten sich von einem männlichen
Familienmitglied vertreten lassen. Und so eine Frau, die eigentlich nichts
darf, der niemand was zutraut, die traut sich hier was. Die nimmt es mit einem
Richter auf, dem alle egal sind. Ich glaube, dass Jesus mit diesem Gleichnis
gerade denen, denen der Mund verboten wird, denen niemand was zutraut, denen
niemand zuhören will, die Gerechtigkeit brauchen, die ihnen oft nicht gegeben
wird, Mut machen will. Versteckt euch nicht. Sagt das, was wichtig und richtig
ist. Und das könnt ihr weltlichen Machthabern sagen, die das nicht gerne hören.
Und erst recht könnt ihr Gott sagen, was ihr braucht. Gott hat ein offenes Ohr
und Herz für die, die am Rand stehen, die übersehen und vergessen werden, die
mundtot gemacht werden. Der Wert einer menschlichen Gesellschaft und
Gemeinschaft bemisst sich nicht an der Summe der Vermögen, sondern daran, wie
sie mit den Schwächsten umgeht. Der Wert einer Gemeinde in der Nachfolge Jesu bemisst
sich nicht an der Größe und Ausstattung der Kirche, nicht an der technischen
Ausstattung der Gottesdienstsäle oder daran, dass dem Prediger die Herzen
zufliegen, sondern daran, welche Aufmerksamkeit denen geschenkt wird, die Gott
besonders am Herzen liegen – und das sind ganz bestimmt diejenigen, denen
keiner zuhören will, diejenigen, die gern übersehen werden.
Aber
bei allem habe ich doch ein Problem mit dem, was Jesus hier sagt. Jesus sagt:
„Gott wird denen, die Hilfe brauchen, schnell helfen.“ Wie ist das mit der
Erhörung von Gebeten? Klar, wenn ich drum bete, dass ich eine 2 in Mathe
kriege, nicht lerne und dann eine 5 kassiere, kann ich mir das erklären. Und ob
ich Gott um viel Geld, einen Lottogewinn, eine Schönheitskönigin als Frau oder
einen sportlichen, humorvollen Alleskönner als Mann bitten muss, wage ich auch zu bezweifeln.
Aber wie ist das, wenn ich dafür bete, dass ein Kind wieder gesund wird und es
doch stirbt und die Ehe der Eltern daran zerbricht? Wie ist das, wenn ich dafür
bete, dass das Abschlachten in Syrien aufhören möge und die Menschen zur
Vernunft kommen sollen und sich nichts bewegt? Ich habe auch nach über 48
Jahren als Mensch und über 20 Jahren als Pfarrer keine fertigen Antworten und
ich kann nichts Einfaches und Billiges sagen. Ich kann nur sagen, was ich
glaube und das auch nur vorsichtig und mit einem vielleicht davor. Vielleicht
erhört Gott ja Gebete ganz oft anders, als wir es wollen und denken und
vielleicht überhören wir dadurch manchmal die Antwort. Und vielleicht traut
Gott uns Menschen in dieser Welt ja mehr zu, als wir uns selbst oft zutrauen.
Gebet öffnet erst einmal. Mich für die Welt, für die Not, für die Freude von
anderen –und mir. Mich für Gott. Ich sehe mich, wenn ich bete. Als Mensch unter
Menschen. Als Mensch vor Gott. Als Mensch, der was wert ist. Als Mensch, der
nicht alles allein schaffen kann und muss. Beten öffnet für die Wirklichkeit.
Und so auch für die Erkenntnis von Schuld und Versagen.
Und
vielleicht, wirklich nur vielleicht, lässt Gott auch dort, wo wir Not und Elend
sehen, Gott Vertrauen darauf wachsen, dass diese Welt, dieses Leben nicht sein
letztes Wort ist und wir auch zum Beispiel abgrundtief traurige Tode, die uns
sprachlos und hart werden lassen, in seine Liebe geben dürfen und das, was wir
als Ende erleben, nicht das Ende ist. Und vielleicht wird ein Gebet auch
dadurch erhört, dass Menschen Not wahrnehmen, andere zur Seite stehen, sich der
Sache anderer annehmen und ein Stück Gerechtigkeit in der Welt verwirklichen.
Und sei es dadurch, dass sie vor der Trauer anderer nicht weglaufen. Vielleicht
ist es manchmal auch eine Gebetserhörung, dass wir es lernen, das Leben in
dieser Welt auszuhalten, mit- und füreinander zu leben und auf mehr zu hoffen.
Jesus fragt ja auch in diesem Gespräch, ob er wohl Glauben und Vertrauen finden
wird. Er weiß, dass das nicht selbstverständlich und einfach ist. Auch nicht in
seiner Nachfolge. Gebe Gott, dass wir den Mut finden, ihn nach Recht und
Gerechtigkeit zu fragen, zu beten – und seine Antwort und nicht unseren Wunsch
zu hören.
Amen.
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