Beliebte Posts

Montag, 22. Dezember 2008

Wurzeln im Leben - Christvesper 18 Uhr

Lk 2,1-14 i.V. mit „Wurzel Jesse“ von Marc Chagall,

Liebe Gemeinde!

Was wäre Weihnachten ohne die Familie? Kinder, die eigentlich längst ihre eigenen Wege gehen, kommen zurück zu den Eltern, Bräuche, die auf die Groß- oder Urgroßeltern zurückgehen, werden wiederbelebt. Andere Traditionen bilden sich neu, aber auch sie werden dann von den Kindern und Enkeln sicher weitergegeben. Weihnachten ist DAS Fest der Familie. Das hat sehr viele gute Seiten. Es ist schön, wenn Menschen, die füreinander wichtig sind und sonst verstreut leben, sich sammeln, miteinander feiern, Zeit haben und so ihre gemeinsamen Wurzeln pflegen. Weihnachten ist DAS Fest der Familie. Das kann sehr schön sein. Und manchmal auch sehr schwer. Wenn die Familie nicht mehr da ist. Weil man als einziger nach vielen Lebensjahrzehnten übrig geblieben ist. Oder wenn die Familie auseinander gebrochen ist und eben nicht heile Welt gefeiert werden kann. Oder wenn jemand fehlt, weil er krank, weit weg oder berufstätig ist. Oder wenn die Ahnung da ist, dass es schief gehen wird, dass wieder Streit und Unzufriedenheit da sein werden. Ob wir es genießen oder einfach nur hinnehmen oder drunter leiden oder versuchen, es zu ignorieren: Weihnachten führt uns an unsere Wurzeln zurück. Zumindest in Gedanken. Und das ist kein Zufall. Schon Josef wird, wie wir es im Evangelium eben gehört haben, an seine Wurzeln zurückgeführt. Nicht ganz freiwillig, sondern auf Befehl des römischen Kaisers macht er sich aus seiner Heimatstadt Nazareth auf nach Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, wie es die Bibel erzählt. Und dann, als Josef mit Maria bei seinen Wurzeln angekommen ist, am Heimatort seines großen Vorfahren, beginnt etwas zu wachsen, das die Welt von Grund auf verändert. Ohne Wurzeln kann nichts wachsen. Auch das, was von Gott an Weihnachten in Gang gesetzt wird, hat und braucht Wurzeln. Deshalb habe ich ihnen und euch heute Abend als kleines Geschenk ein Weihnachtsbild mitgebracht, das die Wurzel schon im Titel führt. Ein Bild, „Wurzel Jesse“ heißt es. Es ist von Marc Chagall und der untere Teil des Christusfensters der Züricher Fraumünsterkirche. Ein ungewöhnliches Weihnachtsbild. Keine Hirten, kein Stall, keine Krippe, weder Kaspar noch Melchior noch Balthasar sind zu sehen. Und das soll Weihnachten sein? Ja. Es führt an die Wurzel. Zu dem, was unbedingt wichtig ist. Zu dem Punkt, aus dem heraus dann Neues, Anderes, Mehr wachsen kann. „Wurzel Jesse“ heißt dieses Bild, weil es die prophetischen Worte Jesajas, die wir auch eben gehört haben, aufnimmt. Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. Isai ist der Vater von König David. Aus dieser Familie wird der kommen, der den Menschen Gerechtigkeit bringt. Der gerechte Herrscher, der Gott und Menschen versöhnt. So war es der Glaube im Volk Israel - so ist der Glaube unserer jüdischen Schwestern und Brüder, zu denen auch der Künstler Marc Chagall gehörte, bis heute. Jesus hat Wurzeln. Das macht die Weihnachtsgeschichte, das macht dieses Bild deutlich. Gott lässt ihn nicht wie einen Außerirdischen einfach so in die Welt plumpsen. Gott hat eine Geschichte mit den Menschen. Mit seinem Volk Israel, mit unseren Brüdern und Schwestern jüdischen Glaubens. Gott hat sein Volk immer wieder begleitet. Trotz aller menschlichen Schwäche, trotz aller menschlichen Schuld und allem Versagen hat Gott seinen Bund, seine Beziehung zu den Menschen nicht abbrechen lassen. In dem Bild erinnern die Farben des Regenbogens an diese Geschichte Gottes mit den Menschen. Nicht die Vernichtung wie in der Sintflut, sondern Bewahrung, Begleitung und auf den richtigen Weg bringen sind seine Zusagen. Gott hat sich im Leben eingewurzelt. Und aus dieser Wurzel wächst ein neuer, ein kraftvoller Zweig, der weiter geht und stärker ist als alles bisher da gewesene. Ich finde es schön, dass uns dieses Weihnachtsbild an die Wurzel der Liebe Gottes, die in Jesus Gestalt gewonnen hat, erinnert. Ich finde es schön, dass dieses Bild das, was an Weihnachten geschieht, nicht ausmalt, sondern auf das Wesentliche reduziert. Hier treffen sich wieder die biblische Botschaft und unsere Weihnachtsfeier im Jahr 2008. Im Nachdenken über die Frage: „Was ist eigentlich das Wesentliche, die Wurzel, die Halt und Leben gibt?“ Im Blick auf das, was Weihnachten geschieht, ist es die Einsicht, dass Gott die Welt nicht sich selbst überlässt, sondern den Menschen in Beziehung zu sich gesetzt hat. Und dass diese Beziehung auf Liebe beruht. Auf Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung, Vergebung. Wesentlich an Weihnachten ist, dass diese Kernbotschaft ins Leben kommt. In einem Menschen, in Jesus, kommt Gott in dieses Leben. Josef, der Vater, steht dabei für die Wurzeln in der Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Maria, die Mutter, für das Neue, Überraschende, Unfassbare. Und der Stall am Rand von Bethlehem dafür, dass Gott eben nicht hoch und fern bleibt, nicht der normalen Lebenswelt entzogen ist, sondern dass er im einfachen, normalen Leben erfahrbar sein will. Das Entscheidende ist aber, dass diese Botschaft nicht einfach so stehen bleibt, sondern dass dieser neue Zweig aus der Wurzel der Liebe Gottes zu den Menschen wächst. Und da kommen in der Weihnachtsgeschichte die Hirten und die Engel, die auf dem Weihnachtsbild hier nicht zu sehen sind, ins Spiel. Sie machen die Botschaft, die von diesem Geschehen ausgeht, bekannt. Und die Hirten nehmen diese Botschaft an und tragen sie weiter. Diese Liebe bleibt nicht beschränkt auf ein auserwähltes Volk, sondern sie wurzelt sich tief in der Welt ein, wächst in Jesus über die Grenzen von Familien, Völkern, Ländern hinaus. Weihnachten von der Wurzel her zu sehen und zu verstehen - ich finde das sehr wichtig und sehr tröstlich.

Wenn ein Baum, ein Zweig aus einer Wurzel heraus wächst, neu austreibt, dann wachsen auch manche Äste, die dürr werden. Mir geht es dann manchmal so, dass ich dann, wenn ich den Baum ansehe, zuallererst die dürren Zweige sehe - und dabei gar nicht richtig wahrnehme, wie viel Kraft und Leben noch aus der Wurzel kommt. Vielleicht ist es ja auch im Leben, gerade zu Weihnachten und mit der Weihnachtsbotschaft, manchmal ähnlich. Da sehe ich, gerade zu Weihnachten, vielleicht zuerst das, was dürr ist, was wenig Glauben an die Liebe, was wenig Gefühl von Geborgenheit aufkommen lässt. Vielleicht die gescheiterte Beziehung. Oder den Verlust eines lieben Menschen. Vielleicht das Getrenntsein von Menschen, die mir viel bedeuten. Krankheit, die Sorge bereitet. Angst davor, arbeitslos zu werden oder die Erfahrung, dass das Geld zum Leben kaum reicht. Oder die Erfahrung, dass manches, das früher als Festtradition gestimmt hat, plötzlich irgendwie fremd und unpassend wirkt. Weihnachten kann und will das alles nicht ungeschehen machen. Auch für den, der im Glauben verwurzelt ist, auch für den, der Heilig Abend in die Kirche geht, wird nicht alles schön perfekt. Weihnachten erinnert uns daran, dass Gott gerade in diese unvollkommene Welt kommt, nicht in eine unmenschliche Perfektion. Gerade da, wo es auf den ersten Blick eher provisorisch und hart zugeht, lässt Gott sich finden. Die Wurzel hat genug Kraft, den Zweig wachsen zu lassen - und er wächst trotz aller dürren Ästchen. Tröstlich kann das vielleicht sein, weil es die Hoffnung wach hält, dass Gottes Mensch gewordene Liebe auch da ist, wo ich im Moment nur Dürre sehe.

Weihnachten von der Wurzel her zu sehen - dazu gehört manchmal auch der Mut, Überflüssiges zu kappen. Äste, Blattwerk, die der Wurzel Kraft zu rauben drohen. Weihnachten lebt auch davon, dass das, was Gott in die Welt gesetzt hat, wachsen kann. Es muss nicht immer alles immer gleich sein und gleich bleiben. Gott wird Mensch - aus dem Kind in der Krippe wird der Mensch Jesus, der sich an die Seite derer gestellt hat, die Hilfe brauchten, die wenig angesehen waren. Dieser Mann endete am Kreuz - und aus dem Zeichen der Niederlage wurde ein Zeichen des Lebens. Nicht Gewalt, nicht Unrecht, nicht das Beharren auf alter Stärke bringen neues Leben. Sondern dort, wo Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Versöhnung spürbar werden, wächst Gottes Liebe weiter. Manches sieht schön aus, hört sich gut an, wirkt auf den ersten Blick anziehend - und führt doch nur weg vom Leben und macht Leben schwer.

Was ist das Wesentliche an Weihnachten? Für mich die Einladung, die Verwurzelung dieser Liebe Gottes, die allem Volk Freiheit, Gerechtigkeit und Versöhnung schenken will, im eigenen Leben zu finden. Und diese Wurzeln von Gestrüpp zu befreien, so dass ich auch in meinem Leben und durch mein Leben wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte beides erleben kann: Stärkung zu erfahren, Ruhe zu finden, wo es nötig ist auch Trost - und dann hinaus in die Welt zu gehen um Bote der Menschenfreundlichkeit Gottes zu sein.

Amen

Keine Kommentare: