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Freitag, 3. Mai 2013

Austauschen anstatt nur zu reden - Rogate, 05.05.2013, Reihe V

Text: Matthäus 6,7-15
Liebe Gemeinde!
„Beten heißt: mit Gott zu reden!“ – Ich bin schon froh, wenn im Konfirmandenunterricht oder in der Schule wenigstens das als Aussage kommt und das Gebet nicht völlig unbekannt ist. Und vor lauter Begeisterung, dass da so etwas wie eine Ahnung oder sogar eine tatsächliche Gebetspraxis ist, schließe ich dann oft noch an: „Ja, du kannst mit Gott wirklich reden, du kannst ihm alles sagen, was dir wichtig ist!“ Natürlich ist das alles nicht falsch und ist gut biblisch. Aber je älter ich werde, desto mehr denke ich, dass ich dadurch nicht nur Jugendliche auf der Suche nach ihrem eigenen Glauben, nach ihrem Zugang zu Gott, auf eine missverständliche Spur schicke. Jesus sagt hier ganz deutlich: ein Gebet braucht nicht viele Worte. Es gibt Christen, die sehr viele Worte beim Beten machen. Und manchmal scheint es mir so, als würden Menschen glauben, dass Anliegen von Gott eher wahrgenommen würden, wenn ganz viele Menschen mit möglichst vielen Worten sozusagen den Gebetsdruck pro Quadratmeter auf Gott erhöhen würden. Jesus sagt hier ganz klar: das braucht es EIGENTLICH gar nicht. Bevor ihr anfangt zu reden, weiß Gott schon, was ihr wollt. Vielleicht sollte ich, auch wenn es sich viel weniger griffig anhört, Konfis und Schülern eher sagen: „Beten heißt: sich mit Gott auszutauschen“. Zum Austausch gehört auch das Stillwerden, das Hinhören, den anderen zu Wort kommen zu lassen. Austausch mit Gott, Beziehungspflege, nicht Totlabern – für mich steckt das ganz Wesentlich auch in den wenigen Worten, die Jesus uns als Gebet geschenkt hat. Das Gebet, das Jesus den Menschen empfiehlt und das Christen auf der ganzen Welt verbindet und das uns auch mit denen verbindet, die vor uns schon auf Christus vertraut haben, das öffnet mit ganz wenigen Worten eine riesige Welt des Austausches, der lebendigen Gottesbegegnung.
Da ist die Anrede: „Unser Vater im Himmel“. Wobei die deutsche Übersetzung „Vater“ eigentlich auch schon falsche Bilder produzieren kann. Manche haben vielleicht das Bild eines sehr strengen, autoritären Vaters, der notfalls auch mal zuschlägt. Oder haben eigene Erfahrungen mit einem Vater, der sich aus dem Staub gemacht hat und seine Verantwortung nicht wahrnimmt. Oder haben vielleicht gar keine Erfahrung mit einem Vater, weil er früh gestorben ist oder weil er durch den Beruf dauernd abwesend ist oder war oder sich einfach nicht gekümmert hat. Vater als bloßer Erzeuger oder als strenger Hüter der Tradition und der Regeln – Jesus benutzt eigentlich wörtlich ein ganz anderes Bild. „Papa, Paps, Vati, Dad“ – oder wie man auch immer den anredet, mit dem man zutiefst vertraut ist und dem man wirklich vertrauen kann. Gott nicht als den strengen Übervater oder den Schöpfer, der sich dann aber verabschiedet, sondern
 als den tiefen, vertrauensvollen Grund und Halt entdecken zu können, vor dem ich ohne Scheu sein kann. als den, der mich liebt, auch wenn ich in die Irre gehe, zu dem ich zurückkommen kann, der mein Leben liebevoll zurechtbringt. Ganz eng, ganz vertraut, ganz familiär. Und sicher auch mit den Auseinandersetzungen, die zum Familienleben mit dazu gehören. Ganz nah – und doch ganz anders. Das ist die Spannung, mit der wir als Christen leben. Leben müssen. Gott geht nicht in unseren Wünschen und Vorstellungen auf. Er ist auch der ganz andere, auch der, der manchmal ganz fern zu sein scheint. Vater, Papa, Vati, Dad unser – im HIMMEL. Nähe und Weite, Nähe und Entfernung, Spannend. Aber in lebendiger Beziehung.
„Geheiligt werde DEIN Name“. Leider oft missbraucht, diese Bitte. „Nun mach mal Gott, und sorge dafür, dass alle, die nicht an dich glauben, endlich die Wahrheit erkennen – und wir helfen dir gern mit Schwertern, Gewehren und Bomben“. Radikale Irre, die sich Christen nennen, haben diese Bitte zu vielen Zeiten als Ausrede für Glaubenskriege, zur Verfolgung und Ermordung von Juden, Muslimen, Homosexuellen oder Ärzten, die Abtreibungen vornehmen, missbraucht. Wenn Beten zuallererst auch hinhören heißt, dann richtet sich diese Bitte auch an mich: „Gott, hilf mir, dass ich deinen Namen heilige. Hilf mir, dass ich erkenne, wo ich deinen Namen für eigene Interessen missbrauche. Hilf mir, von Hass und Gewalt frei zu werden. Hilf mir, Unrecht nicht mit meinem glauben an dich zu rechtfertigen.“ So verstehe ich diese Bitte. Geheiligt wird Gottes Name nicht dort, wo Menschen zwangsbekehrt werden oder anders Glaubenden und anders Lebenden ihre Würde genommen wird, sondern wo sich die Größe Gottes auch in geistiger und geistlicher Weite spiegeln darf. Denn das drückt die nächste Bitte auch aus:
„Dein Reich komme.“ Martin Luther hat schon zu Recht gesagt, dass Gottes Reich, das Jesus vorlebt und von dem er erzählt, auch ohne unser Bitten kommen wird. Aber es geht darum, mich darauf einzustimmen. Auf den Weg des Lebens, der Gerechtigkeit, des Friedens. Und offene Augen dafür zu bekommen, wo Gewalt, Unrecht, ungerechte Strukturen, an denen wir nicht schuldlos sind, diesem Reich im Weg stehen. Auch wieder eine Bitte, die mich selbst einbezieht. „Halte mich offen für deine gute Botschaft. Halte mich wach für die Ungerechtigkeit, unter der so viele leiden. Lass mich nicht bequem werden und mit dem, was ist, zufrieden sein, sondern lass mein Handeln an dem orientiert sein, was du aller Welt versprichst.“ Hinhören, offen werden für die gute Botschaft Gottes. Ein Gebet. Eine Haltung. Die ihren Höhepunkt in dem findet, was für mich selbst der Mittelpunkt des Vaterunser ist:
„Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“. Es geht nicht darum, eine willenlose Marionette zu werden, sondern Gottes Willen und meine Wünsche unterscheiden zu können. Und sich einzustimmen in das, was wirklich – und nicht nur meiner Meinung nach – sein Wille ist. Und gerade hier wird für mich besonders deutlich, dass Beten im Namen und im Sinne Jesu ganz viel mit Hinhören zu tun hat. Ob es Gottes Wille ist, eine Krankheit annehmen zu können oder Heilung zu erfahren, ob es Gottes Wille ist, eine große Familie zu gründen oder allein oder als kinderloses Paar den Weg zu gehen, der am Ende zum Leben führt, darüber kann ich nicht theoretisch reden. Ich kann nur darum bitten, Kraft auch für die Lebensmomente zu bekommen, für die Wege, die nicht meinen Wünschen entsprechen. Gotteswillen und Menschenwillen auseinanderhalten zu können, das ist eine alles andere als leichte Aufgabe. In der Praxis kann man das auch in der nächsten Bitte sehen:
„Unser tägliches Brot gib uns heute“. Martin Luther hat, wie ich finde, sehr schön beschrieben, was alles zum täglich Brot, gehört: „Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“ So sagt er in seinem Kleinen Katechismus. Eine ganze Menge. Aber hier geht es auch darum, das, was wir brauchen mit dem, was wir wollen, in Einklang zu bringen. Wir wollen mehr, als wir brauchen – wir glauben, wir bräuchten billige Smartphones, billige T-Shirts, billige Schokolade und noch viel mehr – und produzieren damit eine weltweite Ungerechtigkeit, nehmen damit anderen die Möglichkeit, wirklich ihr tägliches Brot in dem von Martin Luther gezeigten umfassenden Sinn zu bekommen und sich das zu erarbeiten. Die Armut in vielen Gegenden dieser Welt hängt auch – nicht nur, aber auch – mit unserem immer mehr und immer billiger haben wollen zusammen. Wir sind in Schuld verstrickt, und wir bleiben es, auch wenn wir uns noch so mühen. In diese Richtung weisen die nächsten Bitten. Und auch in Richtung Ausweg: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“. Wir sind auf Vergebung angewiesen. Und wir sind verführbar. Nicht nur die großen und kleinen Steuerhinterzieher, die ausnutzen, dass die Finanzverwaltungen nicht so genau prüfen können oder wollen. wir sind verführbar – Vorurteile zu unserem Vorteil einzusetzen, das Falsche zu tun, wenn niemand so genau hinsieht. Ohne Nachdenken zu handeln. Vergib uns – und mache uns so stark, dass wir auch vergeben. Menschen, die an uns schuldig werden. Erinnere uns daran, dass wir selbst immer wieder erlösungsbedürftig sind, damit wir nicht hartherzig werden oder bleiben.
„Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. In Ewigkeit. Amen“ Vielleicht nicht durch Jesus selbst in das Gebet gekommen, aber schon ganz früh Bestandteil davon. Ein Lob, ein Dank, dass Gott größer als unsere Gedanken und Möglichkeiten ist, dass er im letzten Herr der Welt ist und nicht die, die sich als Herren aufspielen. Ein Dank dafür, dass wir mit ihm lebendigen Austausch haben dürfen. Kein einseitiges Reden, sondern Austausch. Hören und Reden. Stille und Handeln.
Ohne viele Worte. Gebe Gott, dass wir Jesu Worten trauen. Dass wir nicht glauben müssen, wir müssten klug reden und Gott ein Ohr abkauen, damit er uns wahr und ernst nimmt. Gebe Gott, dass wir seine Einladung zu lebendigem Austausch immer wieder annehmen. Gebe Gott uns den Mut zum Hören, den Mut, Stille auszuhalten und Kraft für unser Leben und Handeln in der Welt und für die Welt zu empfangen. Als die, die ihn so ansprechen dürfen, wie Jesus es tat: „Vater, Paps, Vati, Papa, Dad.“ Weil er mit uns schon längst vertraut ist. Weil wir mit ihm vertraut sein dürfen. In der Liebe, die größer ist als alle Vernunft.
Amen.

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