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Freitag, 26. Oktober 2012

Lebt! Betet! Hofft! - 21. n. Tr., 28.10.2012, Reihe IV

Text: Jeremia 29,1.4-7.10-14
Liebe Gemeinde!
Lebt! Betet! Hofft! – Ich glaube, dass sich der Predigttext, den ich eben vorgelesen habe, auch mit diesen drei Wörtern zusammenfassen lässt. Sicher gibt’s noch ganz andere Möglichkeiten. Aber für mich ist es im Moment eben: Lebt! Betet! Hofft!
Lebt! Das ist das erste, dass der Prophet Jeremia, vielleicht auch sein Assistent Baruch, an die Menschen schreibt, die nach einem verlorenen Krieg aus Israel, ihrer Heimat , in die Fremde, nach Babylonien im heutigen Irak, weggeführt wurden. Lebt! Die Botschaft hätte auch ganz anders lauten können. Ätsch! Zum Beispiel. Jeremia hat vor dem Krieg gewarnt. Er wurde nicht nur nicht gehört, sondern ein paar von denjenigen, die jetzt aus der alten Heimat vertrieben wurden, haben sogar dafür gesorgt, dass er ins Gefängnis kam. Jeremia wurde nicht vertreiben, er durfte in der Heimat bleiben. Ätsch – ich hab’s euch doch gleich gesagt!
 Rechthaberisch hätte er sein können – vielleicht wäre ich so gewesen. Ich finde schon, dass es eine gewisse Befriedigung verschafft, Recht gehabt zu haben und zu sehen, dass andere, die ganz anderer Meinung waren, jetzt unter ihrer falschen Meinung leiden müssen.  Aber Gott sei Dank ist „Ätsch“ nicht der Weg, den Gott mit uns Menschen geht. Jeremia hätte auch sagen können: „Da, wo ihr jetzt wohnen müsst, glauben alle an andere Götter, sprechen eine andere Sprache, sind ganz anders – haltet euch also bloß raus aus allem, igelt euch ein, damit ihr eure Besonderheit nicht verliert.“ Aber weder „Ätsch!“ noch „Igelt euch ein“ ist Gottes Botschaft, die Jeremia weitergibt, sondern einfach „Lebt!“. Heiratet, vermehrt euch, baut Häuser und Gärten, genießt das, was eure Arbeit euch dort einbringt, nehmt das Leben an. Natürlich ist der Brief, den Jeremia vor ewig langer Zeit geschrieben hat, nicht an Richtsberger im Oktober 2012 gerichtet. Aber ich finde, dass er uns eine ganze Menge zu sagen hat. Das erste ist eben dieses „Lebt!“ als Botschaft von Gott.  Es gibt Menschen, auch heute, die sagen: „Glauben an Gott, das ist doch was aus der alten Zeit, vorbei, das geht heute nicht mehr. Die Welt ist so anders geworden, da kann und muss man nicht mehr an Gott glauben.“ Einige finden das nicht weiter schlimm, die haben ihren Glauben längst verloren oder suchen erst gar nicht nach dem Glauben. Andere träumen sich zurück in scheinbar gute, alte Zeiten, in denen es noch irgendwie einfacher mit dem Glauben war. Oder sie träumen davon, dass Gott die Welt endlich so verändert, dass es allen leicht fällt, an ihn zu glauben. Lebt in der Gegenwart – ich glaube, dass das eine ganz wichtige Botschaft bis heute ist. Bei allem, was wir an schöner oder schlimmer Vergangenheit mit uns rumschleppen, bei allem, was wir an Träumen, Hoffnungen oder Ängsten für die Zukunft haben: wir leben jetzt. Hier und heute. Was sich so selbstverständlich für uns anhört, ist es überhaupt nicht. Mir fallen ganz viele Gespräche mit alten Menschen ein, die aus Russland, Kasachstan oder anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zu uns gekommen sind. Sie haben schlimme Vertreibungen erlebt. Und trotzdem haben sie in der fremde, die nie Heimat war, angefangen zu heiraten, Häuser zu bauen, Gärten anzulegen, zu leben. Und eine lebenswerte neue Familiengeschichte gestartet. Die Schrecken der Vergangenheit waren nicht ungeschehen, aber sie haben das Leben nicht töten können. Klammere dich nicht an das, was irgendwann mal gewesen ist, verpasse dein Leben nicht deshalb, weil irgendwann mal eine Zukunft kommt, die ganz anders sein wird, sondern lebe jetzt. Eine mögliche Botschaft von Jeremia auch für heute.
Betet! Das ist für mich die zweite Botschaft dieses Briefes. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl. Dieser Satz aus dem Brief wird bis heute gern zitiert, wenn es darum geht, dass Menschen, die an Gott glauben, sich nicht aus der Politik oder dem Einsatz für die Öffentlichkeit heraushalten sollen. Daran ist ganz viel Wahres. Aber bevor es einfach so heißt: als Christ solltest du dich engagieren, sind drei Punkte wichtig, die leicht übersehen werden. Erstens geht es nicht um irgendeine Stadt, irgendein Land, in dem man sich wohlfühlt, in dem alle ungefähr so sind, wie ich es auch bin, in dem ich zur Mehrheitsgesellschaft gehöre. Es geht um die Hauptstadt im Land der Feinde, die das eigene Land im Krieg, in dem es auch Tote gab, besiegt haben. Es geht um eine Stadt, in der die Menschen zwangsweise sind und zu einer Minderheit gehören. Sucht das Gute, das Beste für die, die euch wehgetan haben. Das Wort, das Martin Luther hier mit „das Beste“ und dann mit „wohl, also richtig gut, gehen“, und später noch mit „Frieden“ übersetzt, ist das Wort „Schalom“. Dieses Wort meint einen Zustand, in dem es allen Menschen wirklich gut geht. Da gehören materielles gut gehen genauso zu wie körperliches Wohlergehen, Gerechtigkeit und natürlich auch Frieden. Sozialer Frieden gehört genauso dazu wie die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. Ganz schön stark. Finde ich. Denjenigen, die mir nichts Gutes getan haben, nicht die Pest an den Hals zu wünschen, sie nicht fertig zu machen, sondern dafür zu beten, dass es ihnen rundherum gut geht. Zweierlei, mindestens zweierlei, ist dabei für mich bis heute wichtig. Zum einen die Erkenntnis, dass Frieden, Gerechtigkeit, Wohlergehen unteilbar sind. Auseinandersetzungen, Unfrieden bis hin zu Kriegen entstehen dadurch, dass Unrecht geschieht, dass Lebensbedingungen so sind, dass Menschen Rechte vorenthalten werden. Gute Lebensbedingungen für alle, auch für die, mit denen ich nichts anfangen kann, auch für die, die mir nicht freundlich gesinnt sind. Frieden habe ich nie für mich allein. Das ist das eine. Das andere ist, dass es zuerst darum geht, dieses Anliegen vor Gott zu bringen. Im Gebet. Betet! Gebt das Gespräch mit Gott nicht auf. Auch nicht in enttäuschenden Situationen, in scheinbar auswegloser Fremde. Das Gebet füreinander, auch für Regierungen, auch für Menschen, die fremd sind, ist etwas ganz Wichtiges. Aus dem Gebet kann persönlicher Einsatz erwachsen, aber der persönliche Einsatz ersetzt das Gebet nicht. „Bete UND Arbeite“ – dieser alte Grundsatz der Benediktinermöche und Nonnen ist, glaube ich, auch für uns heute beachtenswert und trifft auch das, was Jeremia lange vorher sagen wollte. Das eine soll nicht ohne das andere sein. Gebet allein wird leicht zum frommen Selbstbetrug, der sich selbst genug ist, Arbeit allein wird leicht zur Selbstüberschätzung. Die Rückbindung an Gott und das Wissen, dass nicht mein Tun allein alles schaffen kann, das ist wichtig. Bei jedem Einsatz. Ob das in der Schule, in der Familie, am Richtsberg, in der Kirche oder in der Politik ist.
Lebt! Betet! Fehlt nur noch: Hofft! Auch wenn Menschen in der Gegenwart leben und wenn das Leben hier und jetzt angenommen und gestaltet werden muss, bleibt es bei Gott und durch ihn nicht ohne Zukunftsperspektive. Leben geht nicht in dem auf, was wir vor Augen haben und was wir mit unserer Kraft erreichen können. Leben lebt auch von Hoffnung. Die ist nicht grundlos und leer, schreibt Jeremia.
Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen. Gott schenkt Heimat, die niemand mehr nehmen wird. Gott führt zusammen, lässt sich finden, schenkt einen Frieden, der alles umfasst. Natürlich ist es noch nicht so weit. Aber wenn wir nur allein die Gegenwart hätten, dann bräuchten wir nicht zu taufen, dann bräuchten wir keine Kinder zu erziehen, dann würden wir darin gefangen bleiben, dass, neben vielen Dingen, die gut gelingen, am Ende doch viel zu viel nicht in unserer Hand steht und auch schief gehen kann. Gott befreit aus dem Kreislauf von Bemühen und Versagen, weil er eine Zukunftsperspektive hat, die wir uns allein nicht geben können. Lebt! Betet! Hofft! Die drei gehören zusammen. Gott sei Dank!

Amen

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