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Freitag, 5. Oktober 2012

Mein rechter Platz ist leer, da setz ich mir den ... her - 18. So. n. Trinitatis, Reihe IV

Text: Jakobus 2,1-13 (die Zitate im Text sind aus der Basisbibel)
Liebe Gemeinde!
Stellen Sie sich doch mal vor, unsere Kirche wäre brechend voll, alle Plätze besetzt. Kommt zwar leider nicht jeden Sonntag vor, aber manchmal ist es ja so, letzten Sonntag zum Beispiel. Die Tür geht auf, einer der Alkoholiker vom Marktplatz kommt rein. Noch nicht total besoffen, es ist ja früher Sonntagmorgen. Aber er riecht von gestern noch unangenehm und seine Kleidung ist nicht gerade sauber. Trotzdem hat er das Bedürfnis, in den Gottesdienst zu kommen. Und dann geht die Tür noch mal auf und Herr Vaupel, unser Oberbürgermeister, kommt herein. Beide müssten stehen. Wem von beiden würde wohl zuerst ein Platz angeboten werden? Wenn ich zu mir selber ehrlich bin, würde ich eher Herrn Vaupel einen Platz anbieten als einem der Alkoholiker. – Jetzt ist der Oberbürgermeister nicht furchtbar reich und trägt auch nicht viele goldene Ringe und zumindest einer der Alkoholiker ist auch nicht arm an Geld. Aber ich fühle mich von dem Predigttext aus dem Jakobusbrief  doch ein bisschen ertappt. Vielleicht geht es ja auch anderen so.
Ich könnte es mir einfach machen mit dem Predigttext, gerade bei uns in unserer Gemeinde auf dem Richtsberg. Bei uns gibt es sehr viel mehr Menschen, die nicht viel haben, als wirklich reiche Menschen. Und da wir an normalen Sonntag auch leider keine Platzprobleme haben, könnte ich mit dem Finger auf andere zeigen und sagen: Ja, so ist es doch! Schaut euch die Familie Pohl an, die haben viel Geld und können in Marburg machen, was sie wollen, so soll das nicht sein, da müssen wir als Christen was unternehmen. Und wir auf dem Richtsberg oder im Waldtal haben zu wenig Geld, da müsste doch viel mehr gemacht werden! Und außerdem soll die Kirche nicht so viel Geld für teure Kirchenmusik ausgeben, lieber mehr direkt an Arme weitergeben! Es lebe das Vorurteil, es lebe das Klischee! Gut, wenn man mit dem Finger nach außen auf andere zeigen kann, sich behaglich zurücklehnen kann, auch wenn wir uns damit etwas vormachen.
Mir ist es zu einfach, wenn wir einfach mal schnell uns an Vorurteile dranhängen und sagen: „Die Reichen sind böse, und wenn sie was spenden, dann doch nur, um ihr Gewissen zu beruhigen oder sich als Wohltäter aufzuspielen!“ Weder sind alle Reichen böse Menschen noch arme Leute gute Menschen nur weil sie wenig haben. Man kann mit diesem Predigttext ganz prima ablenken und auf alle Reichen in der Welt schimpfen und ein Lied auf den Segen der Armut singen. Natürlich hat Gott, durch Jesus noch einmal sehr viel kräftiger, den Armen sein Reich zugesagt. Und natürlich betont Jesus
 mehr als einmal, dass Reichtum und materieller Besitz Menschen leicht von Gott wegbringen und man nicht Gott und dem Geld gleichzeitig dienen kann. Aber wenn im Jakobusbrief geschrieben wird „Beurteilt andere nicht nach dem Ansehen der Person“ und auch „Legt ihr dann (wenn ihr nach Äußerlichkeiten urteilt) nicht unterschiedliche Maßstäbe an und werdet zu Richtern, die Fehlurteile fällen?“, dann lässt sich das auch auf die platte Umkehr der Vorurteile münzen. Es geht darum, im anderen den Menschen zu sehen. Es geht um Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe. Ganz klar schreibt das der Autor des Briefes, der sich Jakobus nennt: „In der Heiligen Schrift steht: Liebe deinen Mitmenschen, deinen Nächsten, wie dich selbst. Wenn ihr dieses wahrhaftig königliche Gebot befolgt, handelt ihr richtig. Wenn ihr dagegen andere nach dem Ansehen der Person beurteilt, macht ihr euch schuldig. […] Denn ein unbarmherziges Urteil erwartet den, der selbst kein Erbarmen gehabt hat. Aber wer barmherzig gewesen ist, kann sich im Gericht zu Recht darauf berufen.“ Es geht um ein barmherziges Urteil über den anderen, erstmal völlig unabhängig von seinem Reichtum oder seiner Armut oder seiner Kleidung oder seinem Beruf. Es geht darum, gerade in der Gemeinde, der Gemeinschaft der Menschen, die sich auf Jesus, auf  das, was er gesagt und getan hat, berufen, den anderen Mensch sein zu lassen. Es geht darum, den anderen Menschen nicht dadurch zu kränken, dass die Würde, Mensch zu sein, von etwas anderem als dem einfachen Menschsein abhängig gemacht wird.
Der Jakobusbrief ist uralt. Und trotzdem spricht er Probleme an und weist auf Folgen unseres Handelns oder Nichthandelns hin, die heute noch mindestens genauso aktuell sind wie zu den Zeiten am Anfang des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, als dieser Brief geschrieben wurde. Christen und Gemeinden leben nicht abgeschlossen von der Welt. Und die Gefahr ist da, damals wie heute, dass wir verwechselbar werden. Wir reden von Jesus – und handeln so, als ob unser Reden keine Rolle spielen würde. Die Frage nach dem Geld zum Beispiel. Sie ist nach wie vor heikel. Daniel als Jugendarbeiter können wir nur deshalb anstellen, weil es Menschen mit genug Geld gibt, die dafür gespendet haben. Menschen aus unserer Gemeinde, aber auch christliche Unternehmer aus anderen Teilen Deutschlands. Ich selber lebe ja auch davon, dass Menschen, die gut verdienen, nicht aus der Kirche austreten, sondern ihre Kirchensteuer bezahlen, auch wenn sie selber nicht in die Gottesdienste gehen. Ich selber bin ein großer Fan der Kirchensteuer. Aus mehreren Gründen. Einmal kann ich natürlich durch sie so bezahlt werden, wie es jemand anders mit meiner Ausbildung anderswo auch wird. Aber, und das ist mir viel wichtiger: Ich weiß dadurch gar nicht, wer in der Gemeinde wie viel bezahlt. Und Menschen, die wenig Einkommen haben, Rentner, Arbeitslose, kinderreiche Familien, die zahlen wenig oder gar nichts und kriegen trotzdem die volle Leistung. Wer gut verdient, zahlt mehr, wer wenig oder nichts verdient, wenig oder gar nichts und in der Gemeinde weiß niemand, wer wie viel zahlt, damit gar nicht erst der Verdacht aufkommt, die, die viel zahlen, würden bevorzugt. Das finde ich richtig gut. Aber das Geld aus der Kirchensteuer wird weniger und schon kommen viele, viele Aufforderungen, wir müssten die Spendeneinnahmen steigern und Events anbieten, die attraktiv für mögliche Spender, also Menschen mit dem nötigen Kleingeld, sind. Ich sehe das sehr, sehr kritisch. Wir begeben uns damit schnell auf den Weg, Kirche für die Gutverdiener zu machen und ihnen eine Spielwiese zu geben, sich dadurch gut zu fühlen, dass sie ja ein bisschen was für Ärmere tun. Unser Projekt „Auja-Mobil“ wird ja von der Landeskirche gefördert und zu dem Programm gehört auch ein regelmäßiger Austausch mit anderen sozialen Projekten. Fast alle Projekte berichten davon, dass es nicht so schwer ist, Menschen zu gewinnen, gut ausgebildete mit Geld und Zeit, die was für sogenannte Arme tun. Aber wenn die so genannten Armen selber mitmachen wollen, dann ist das von vielen nicht so gern gesehen, die sind halt anders. FÜR DIE tut man was, aber MIT DENEN arbeitet man halt nicht so gern zusammen.
Ich glaube, dass genau hier tatsächlich der Jakobusbrief ansetzt. Jesus verändert den Blick auf den Menschen. Er nimmt den Menschen als Menschen in den Blick. Nicht als Armen, nicht als Reichen, nicht als Klugen, nicht als Dummen, nicht als Gesunden, nicht als Behinderten, nicht als Inhalt einer Schublade, in die er gesteckt wird, sondern als Menschen. Natürlich nimmt er ihn damit auch als Bedürftigen in den Blick. Kranke brauchen Gesundheit und viele erfahren durch Jesus Heilung. Arme brauchen nicht nur Mitleid, sondern oft ganz konkrete Hilfe, und auch die gewährt Jesus oder er motiviert dazu. Und Reiche brauchen Erlösung davon, sich über Geld und wirtschaftliche Macht zu definieren und ihren Lebensinhalt so zu verengen und ihre Not aus dem Blick zu verlieren. Sich gegenseitig als Bedürftige wahrnehmen, sich selbst als Bedürftiger sehen zu können. Dazu kann der Jakobusbrief vielleicht die Augen öffnen. Barmherzig zu sein, nicht knallhart auf Äußerlichkeiten festnageln  -weder andere noch sich selbst. Dazu will er Mut machen. Das ist der Weg, den Gott durch Jesus mit uns geht. Er legt uns nicht fest, nicht auf unser Versagen, nicht auf unsere Schuld, nicht auf unser Ansehen bei den Menschen. Nachfolge heißt nicht nur, das zu hören und für sich und sein Leben anzunehmen, sondern diese Haltung mit eigenem Leben zu füllen. Und was ich an Jesus, am Glauben an Gott, der die Liebe ist, so schön finde, ist, dass es nicht nur um die geistige Welt geht, sondern um das Hier und Jetzt. Und das deshalb für ihn auch die Hinwendung zum materiell Armen, nicht als Objekt, an dem ich meine Überlegenheit auf angenehme Weise zeigen kann, sondern als Subjekt, das ein Recht darauf hat, in Würde zu leben, mit Würde behandelt zu werden, auch materielle Gerechtigkeit zu erfahren, unbedingt zum Glauben mit dazu gehört.
Wem würden wir Platz machen? Ich wünsche mir, dass ich mit allen anderen, die schon da sind, so stark wäre, zusammenzurücken, dass jeder bei uns den Platz findet, den er bei Gott schon längst hat.

Amen

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