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Samstag, 7. September 2013

Schwache Helden - tolle Vorbilder 15. Sonntag nach Trinitatis, 08.09.2013, Reihe V

Text: Lukas 17,5+6


Liebe Gemeinde!
„Ich bin nur noch zornig und wütend“ – so endete die Mail eines Freundes aus Fulda, seit langem ein hochengagierter Christ. Zornig und wütend darüber, dass Gott es zulässt, dass ein junger Mann, ehemaliger Konfirmand von mir, mit 32 Jahren stirbt. Das allein wäre tragisch genug. Vor zwei Jahren starb die Mutter des jungen Mannes, gerade mal 49 Jahre alt, vor 7 Jahren der Vater, damals 48 Jahre alt. Alle drei waren elend lang krank. Übrig bleibt der Jüngste, gerade 26, ein guter Freund der Kinder meines Fuldaer Freundes, mir als Konfirmand und langjähriger Mitarbeiter ebenfalls sehr gut bekannt. In 7 Jahren drei Mal elendes Sterben in einer Familie, in der bisher niemand den 50. Geburtstag feiern konnte. Wie kann da der Glauben an einen guten, einen liebenden Gott, an Jesus, Freund der Menschen und Heiland, wieder wachsen? Stärke den Glauben! Ich denke, dass nicht nur mein Fuldaer Freund und der übriggebliebene junge Mann sich der Bitte der Apostel anschließen können, wenn sie überhaupt die Kraft dazu haben und nicht „Lass mich doch in Ruhe!“ sagen würden.
Stärke den Glauben – ich denke, dass vielen von uns diese Bitte auf den Lippen und im Herzen liegt. Bilder des Elends in der Welt, vom Krieg und Flüchtlingen in Syrien. Krankheit, am eigenen Leib zu spüren, die Leben schwer, manchmal unerträglich macht. Eltern, die so krank sind, dass sie sich im Moment gar nicht richtig um die Kinder kümmern können. Jugendliche, denen so Schlimmes passiert ist, dass sie sich im Leben nicht mehr zurecht finden und an der Seele richtig krank geworden sind, die dabei sind, sich selbst zu zerstören. Menschen die sagen: „Du mit deinem Jesus, du bildest dir doch was ein, Naturwissenschaften sind das einzig Wahre!“ Hohn und Spott. Oder erlebte Gleichgültigkeit, Lieblosigkeit. Stärke den Glauben! – Es ist im Alltag nicht immer leicht, Glauben zu finden und zu behalten. Glauben an Gott. Glauben an den Vater, den Schöpfer und Freund des Lebens. Glauben an Jesus, den Heiland und Erlöser. Glauben an den Heiligen Geist, der Kraft und Mut gibt, im Alltag zu lieben, zu hoffen.
Stärke den Glauben! – Es wäre super, wenn’s da ein Rezept, ein Zaubermittelchen, einen garantiert wirksamen Segen geben würde, der Zweifel und Fragen einfach wegpustet und Sicherheit gibt. Die Sicherheit, richtig zu liegen. Leider gibt’s das nicht. Und das gab’s auch nicht von Jesus direkt. Glauben ist kein Panzer um den Körper und die Seele, an dem alles Böse einfach abprallen würde und der einem ein starkes Superheldenleben garantieren könnte. Und das war er auch ganz offensichtlich für die Apostel nicht. Apostel, das sind diejenigen, die von Jesus selbst in die Welt, zu den Menschen geschickt werden und die den Auftrag haben, den Glauben an Gott und Jesus als Gottes Sohn zu verkünden, zu wecken, zu stärken. Und diese Leute, die Jesus selber kennen, ihn erleben und denen Jesus eine ganz entscheidende Aufgabe gibt und durch die wir alle letztlich ja erst den Glauben an Gott vermittelt bekommen haben, die brauchen Glaubensstärkung. Das sind also keine Superhelden, die immer einen superstarken Glauben ohne jede Anfechtung, ohne jede Frage, ohne jeden Zweifel gehabt hätten. Obwohl sie Jesus im wahrsten Sinne des Wortes direkt vor Augen gehabt haben, erfahren sie ihren eigenen Glauben nicht als etwas, das ständig nur toll ist und bergauf geht, sondern als etwas, das schwankt, müde werden kann, eben: Stärkung braucht, damit es weitergeht. Und mit diesen Leuten kann und will Jesus etwas anfangen. Und diese Leute haben das auf die  Reihe gekriegt – sonst würden wir heute ja nicht hier sitzen und nachdenken, beten, hoffen, feiern, glauben und lieben. Für mich ist das die schönste Einladung, Jesus zu vertrauen: diese Einladung, ehrlich zu sein. Nicht irgendwas Starkes vorspielen zu müssen, sondern auch Fragen, Zweifel und auch mal Wut und Zorn haben zu dürfen. Und trotzdem immer wieder eingeladen zu werden, zu glauben, zu vertrauen, zu hoffen und zu lieben. Glauben – und gerade auch die Einladung zum Glauben, die Mission, braucht keine weltfremden Superhelden,
sondern Menschen, die im Leben stehen. Menschen, die das Leben kennen. Stärke uns den Glauben – als Pfarrer oder Konfirmandin, als Rentner oder von Jesus begeisterte Mitarbeiterin, als Zweifler oder als einer, dem gerade alles gelingt – wir haben das immer wieder nötig, mit den Aposteln diese Bitte zu sprechen.
Interessant ist, wie Jesus auf diese Bitte reagiert. Ich finde wenigstens, dass das interessant ist. Jesus zaubert nicht, er legt keine Hand auf, pustet nicht an, gibt keinen Glaubensvorrat mit auf den Weg. Jesus antwortet mit einem Bild. „Wenn euer Glaube so groß wie ein Senfkorn wäre – also wirklich winzig klein – dann könntet ihr zu dem Baum sagen: Reiß dich aus, setz dich ins Meer! Und es würde passieren!“ In einem anderen Gespräch sagt Jesus auch mal, dass Glaube Berge versetzen kann. Das, was Jesus sagt, kann man doppelt missverstehen. Einmal kann man denken: Jesus kritisiert die Apostel, weil sie in seinen Augen nicht genug glauben. Wenn sie nur mehr glauben würden, dann hätten sie ganz tolle Kräfte und müssten keine so dummen Bitten äußern. Das ist falsch. Jesus will mit dem, was er sagt, die Apostel nicht zusammenfalten, sondern ihnen Mut machen. Das andere Missverständnis wäre, das Bild nicht als Bild, sondern wörtlich zu verstehen und zu glauben, dass mein Glauben nur dann richtig und stark genug wäre, wenn ich durch ihn naturwissenschaftlich unwahrscheinliche bis unmögliche Dinge erledige. Auch falsch. Glauben ist keine sinnfreie Zauberei, sondern eine Grundlage und Hilfe, mein Leben anzunehmen und mich und andere zu verstehen.
Was mir Mut macht in diesem Bild ist, dass ich nicht den Superglauben brauche, um die Wirklichkeit zu verändern. Vielleicht hilft es ja einem, der traurig, zornig, wütend ist, weil er Schlimmes erlebt hat, mehr, zu hören: „Ich halt das jetzt mit dir zusammen aus. Ich hab keine Antwort, ich hab auch Fragen. Aber ich mach mich mit dir auf die Suche nach Möglichkeiten, zu leben. Ich glaub an Gott, aber ich verstehe ihn oft auch nicht!“  als hingeknallt zu bekommen: „Jesus ist die Lösung deiner Probleme, wenn du an ihn glaubst, so wie ich seit meiner Bekehrung am 7. März 2009, dann wirst auch du sehen, das alles gut wird.“  Beim ersten fühle ICH mich angenommen, eingeladen, beim zweiten fühle ICH mich klein, weil es mir eben nicht so geht, weil ich meinen Mangel noch viel mehr spüre und mich frage, warum Gott mir am 8. September 2013 nicht das Gleiche schenkt, wie dem anderen am 7.3.2009. Hat Gott mich vergessen und nicht lieb? Glauben schafft keine Helden und braucht keine Helden, sondern Glauben braucht Menschen, die helfen, Menschlichkeit zu entdecken, zu fördern, zu leben. Denn der Kern der Menschlichkeit ist, dass wir Gottes geliebte Menschen sind. Wertvoll in seinen Augen. So wertvoll, dass er sich selbst für uns gegeben hat. Für uns, mit unseren Fragen, unseren Zweifeln, unserer Trauer, unserer Freude und unserer Fähigkeit, glauben, hoffen und lieben zu können.
Stärke uns den Glauben! Die Antwort Jesu auf diese Bitte lenkt den Blick auf die scheinbaren Kleinigkeiten, weg von der großen Show. Traut diesen Kleinigkeiten was zu! Ganz konkret ist das für mich auch in der Entstehung unserer Jugendarbeit greifbar. Der Anfang waren schlechte Erfahrungen mit Konfis und ihren Kumpels und die klitzekleine Hoffnung, dass es im Sinne Jesu vielleicht doch einen anderen Weg als Polizei und Strafe und Verbote geben könnte. Es gab noch keine Mitarbeiter, kein Geld, nichts. Außer traurigen Erfahrungen, die das bisschen Hoffnung immer wieder in Frage gestellt haben. Es ist was gewachsen. Die Wirklichkeit hat sich massiv geändert. Stärke uns den Glauben – und die Antwort Jesu: verachte den kleinen Glauben nicht, du darfst ihm was zutrauen.
Und noch etwas steckt in der Art und Weise, wie Jesus auf die Bitte der Apostel reagiert. Seine Weigerung, etwas auf Vorrat zu geben, macht deutlich, dass Glauben kein Besitz ist. Glauben ereignet sich jeden Tag, in jeder Situation neu. Glauben ist lebendig, ein Prozess, und kein Sparbuch, keine Lebensversicherung, wo ich einzahle und dann mit Zinsen hoffentlich einen kleinen Schatz anhäufe. Für mich drückt das eine Aussage von Dietrich Bonhoeffer, dem evangelischen Pfarrer, der gegen die Nazis kämpfte, dafür ins Gefängnis kam und kurz vor dem Ende ihrer Herrschaft von den Nazis umgebracht wurde, aus. Im Gefängnis, in einer eigenen Notlage, in der er auch viele Fragen und Zweifel hatte und manchmal auch seinen Glauben in Frage stellte, hat er geschrieben: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir sie brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“
Schöner kann man es meiner Meinung nach nicht sagen.

Amen.

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