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Freitag, 17. August 2012

Ich bin kein guter Christ - 11. Sonntag n. Trinitatis, 19.08.2012, Reihe IV

Text: Galater 2,16-21 (Zürcher)

Liebe Gemeinde!
„Wissen sie, Herr Kling-Böhm, ich bin kein guter Christ!“ – Immer wieder erzählen mir Menschen so etwas. Manche alten Menschen, die ich zu Geburtstagen oder im Altersheim besuche genauso wie manche jungen Eltern, von denen ich ein Kind taufen soll oder Paare, die heiraten möchten. Manchmal auch Konfirmanden oder Schülerinnen und Schüler. Unterschiedliches steck mit in der Aussage: „Ich finde es schön, dass sie mich besuchen, mir zum Geburtstag gratulieren, aber machen sie sich keine Hoffnung, dass ich deshalb jetzt immer in den Gottesdienst komme. Ich bin kein guter Christ, viel zu vieles in meinem Leben macht es mir schwer, einfach so an Gott zu glauben.“ „Wir finden es wichtig, dass unser Kind von Gott angenommen ist, aber wir leben ehrlich gesagt nicht so wie gute Christen leben sollten.“ „Das Standesamt allein ist uns zu wenig, aber wir haben in letzter Zeit nichts mit der Kirche zu tun gehabt!“ „Ich finde es zwar ganz okay, dass es Reli gibt und ich will konfirmiert werden, aber ich will auch meinen Spaß haben!“ Manchmal bekomme ich das so gesagt. Und wenn ich dann mal nachfrage, was  denn nach ihrer Meinung ein guter Christ wäre, dann bekomme ich  zu hören: „Ein guter Christ geht sehr regelmäßig in die Kirche. Ein guter Christ kennt sich richtig in der Bibel aus. Ein guter Christ hält sich an die 10 Gebote. Ein guter Christ zweifelt nicht, trinkt nicht, raucht nicht und ist im Wesentlichen ein asexuelles Wesen – außer zur Fortpflanzung. Ein guter Christ kennt viele Regeln und Gebote und hält sich an die.“ Ein ganz schön strammes Programm. Aber eines, das man klar nachvollziehen kann und nach dem man Menschen einteilen kann: gute Christen – schlechte Christen – gar keine Christen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir Menschen das ganz dringend brauchen: die Möglichkeit uns und damit auch andere in Kästchen einzuteilen. In drinnen und draußen, in die, die dazugehören und okay sind und die, die Außenseiter und nicht so toll sind. Funktioniert nicht nur bei der Einteilung in gute und schlechte Christen, sondern auch in gute und schlechte Eltern – „Oh, das Kind kriegt kein Bio-Gemüse? – Dann können die Eltern aber nicht so toll sein!“ In gute und schlechte Ehen, in drinnen und draußen bei vielen unterschiedlichen Gruppen und Grüppchen. Ein guter Christ macht, gute Eltern machen, ein guter Lehrer macht,  eine gute Ehefrau macht, ein guter Punker macht, ein guter Skater macht, ein cooler Zocker macht und so weiter und so weiter. Wir sehen von außen, an welche Regeln sich jemand scheinbar hält und teilen ein und urteilen.
Vielleicht können wir nicht anders. Vielleicht lohnt es sich aber öfter mal, einen anderen Ansatz zu probieren. Das ist keine Frage der heutigen Zeit, sondern das ist etwas, was wahrscheinlich schon immer in Menschen drin ist, seit wir denken können und uns in Beziehungen zusammenfinden. Drinnen und draußen, gut und schlecht. Und deshalb beschäftigt sich zum Beispiel auch Paulus in der Bibel, in seinen Briefen, mit solchen Fragen. In seinem Brief an die Galater, das sind die Christen, die in der Mitte der heutigen Türkei leben, da nimmt er Stellung zu der Frage, ob das Einhalten von Regeln und Gesetzen einen Menschen zu einem guten Christen machen. Petrus und ein paar andere haben nämlich Wert darauf gelegt, dass nur die wirklich gute Christen sind, die sich auch an die Gesetze des Alten Testaments halten und zusätzlich zum Christsein auch noch Juden werden, wenn sie es nicht schon längst waren. Petrus ging soweit, dass er dann nicht mal mehr mit denen gegessen hat, die sich als Christen nicht an die jüdischen Regeln und Gesetze gehalten haben. Paulus, der ja selber ein Jude war, schreibt dann unter anderem dazu:
Lesen: Galater 2,16-21
Zugegeben, das sind heute nicht mehr unsere Probleme. Aber ich glaube, dass wir für das Leben als Christen genauso wie für das Zusammenleben überhaupt eine Menge von Paulus lernen können, unabhängig von dem Glauben, den ein Mensch hat. Es hört sich ja erst einmal sehr merkwürdig an, wenn Paulus schreibt: Gerechtigkeit kommt nicht aus dem Gesetz und wenn sich ein Mensch an das Gesetz hält, dann wird er dadurch nicht gerecht. Paulus meint ja hier erst einmal das Gesetz Gottes, die Gebote aus der Bibel. Was er sagen will ist, glaube ich, nicht: haltet euch nicht an Regeln und macht was ihr wollt. Was er sagen will, ist eher: Du kannst Gott nicht durch
dein Handeln blenden, du wirst nicht perfekt sein und vor allem: hört doch endlich auf, euch in gute und schlechte Christen einzuteilen, indem ihr darauf schaut, wer sich an welche Regeln hält oder nicht. Es gibt Christen. Punkt. Gut oder schlecht ist kein passendes Kriterium. Was wichtig ist, ist, dass ich darauf vertraue, dass Jesus mich nicht nach meiner Schuld beurteilt, sondern mich liebt. Dass ich darauf vertraue, dass Vergebung möglich ist und dass ich die nicht dadurch kriege, dass ich mich immer verbissener an Regeln, die andere aufgestellt haben, halte, sondern dass ich die Vergebung deshalb kriege, weil ich bereit bin, mich auf die Liebe, die Gott schenkt und die Gott ist, einzulassen, weil ich mich lieben lasse und dadurch fähig werde, selber zu lieben. So einfach und so schwer ist das. Einfach, weil ich nicht ständig komplizierte Regeln im Kopf haben muss und nicht ständig denken muss: Mache ich auch ja alles richtig? Schwer, weil die Liebe Freiheit schenkt und Verantwortung und weil es sehr viel schwerer ist, Freiheit verantwortlich zu gestalten als nach starren Regeln zu leben. Auch wenn Paulus sich ziemlich kompliziert ausdrückt, ist das eigentlich gar nicht so schwer nachzuvollziehen. Kann man daraus, dass jemand sich äußerlich an die Regeln und Gesetze hält, die zum Beispiel im Alten Testament, im ersten Teil der Bibel, stehen, schließen, dass der ein guter Mensch ist und Gott liebt? Eigentlich nicht. vielleicht hält er sich an die Regeln einfach deshalb, weil’s Tradition ist und ihm nichts besseres einfällt, aber die anderen Menschen sind ihm egal und er glaubt gar nicht an Gott. Oder er hält sich aus Angst daran, weil er Angst vor Strafe hat, aber er findet es eigentlich blöd oder vielleicht hält er sich auch nur dran, damit er vor anderen gut dasteht und bewundert wird, obwohl ihn innerlich das alles gar nicht interessiert und er ein ziemlicher Egoist ist, der gar nicht an Gott glaubt und von Jesus und Vergebung nichts wissen will. Und das gilt doch auch für anderes: ich will vielleicht zu den coolen gehören, ziehe bestimmte Klamotten an und rauche, trinke, fluche, obwohl ich es blöd finde, aber so falle ich nicht auf. Ich will als guter Pfarrer gelten und rede in einer frommen, abgehobenen Sprache und tu so, als würde ich Bier blöd finden, nur damit alle denken, ich bin ein toller Pfarrer. Ich passe mich an, steh aber nicht dahinter – am Verhalten kann man die innere Einstellung nicht erkennen. Und den Glauben eines Menschen erst recht nicht. Paulus geht so weit, dass er sagt: Der Mensch sündigt gegen Gott, gegen Jesus, wenn er das Einhalten von Gesetzen, die Konzentration auf das äußerlich sichtbare Verhalten, zum Maßstab von Glauben und Liebe zu Gott macht. Jesus wäre dann umsonst gestorben, weil er doch dadurch uns von dem Zwang, uns durch äußere Anpassung selbst toll machen zu müssen, erlöst hat. Ich leugne, dass ich Jesus, die Liebe brauche, ich bin selbst der, der alles kann – das wäre wirklich Sünde. Aber reicht dann die innere Einstellung allein? Ich glaub an Jesus, ich vertraue auf ihn  - also kann ich machen, was ich will? Wäre das richtig? Das Gegenteil von „richtig“ ist zwar nicht unbedingt „gut gemeint“, aber trotzdem reicht das nicht. Wenn ich darauf vertraue, dass Jesus für alle Menschen da ist und alle Menschen liebt dann ist der Maßstab immer die Liebe zu Gott, zum Mitmenschen und zu mir selbst. Jesus sagt ja einmal, dass die einzige Regel, die man sich merken müsse, sei: „Liebe Gott von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst“. Wenn ich also auf Jesus vertraue, dann kann ich mich aus dem Glauben heraus an Regeln halten, die dabei helfen, anderen nicht zu schaden. Nicht weil ich dadurch besser werde, sondern weil sie ein Ausdruck der Anerkennung der Schutzwürdigkeit des anderen und seiner Menschenwürde sind. Nicht die Regel ist das Entscheidende, sondern der Mensch, der durch die Regel geschützt wird und dass ich erkenne, dass dieser Mensch von Gott so wie ich auch geliebt werde. Wenn das so gelebt werden kann, dann wird wahr, was Paulus schreibt, dass der alte Mensch, der glaubte, sich durch Regeln besser als andere machen zu können, tot ist und Christus, der den Menschen ins Zentrum der Liebe Gottes gestellt hat, in ihm lebt. Aber jeder, der schon eimal geliebt hat und geleibt worden ist, weiß, wie schwer das mit der Liebe klappt und wie leicht man davon weg kommt. Deshalb schriebt Paulus ja auch, dass wir Menschen immer wieder auf die Gnade angewiesen bleiben, auch jeder Christ, weil wir nicht immer nur Sachen aus Liebe tun, weil wir die Liebe, auch die Liebe Gottes, auch immer wieder verneinen. auch dadurch, dass wir uns einteilen, in gute und schlechte, vor allem auch in gute und schlechte Christen. Es gibt keine guten und schlechten. Es gibt nur Christen. Menschen, die auf Gottes Liebe vertrauen, versuchen sie zu leben und dabei immer wieder auf Jesus, auf Vergebung, angewiesen sind. Und für Gott gibt es nur Menschen. Menschen, die er liebt. Menschen, die er nicht, so wie wir, in Kästchen einteilt. Wir sind nicht Gott, wir müssen es nicht sein. Gott sei Dank bietet er auch uns seine Gnade an, wenn wir nicht diese Weite haben und uns lieblos einteilen. Amen

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