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Dienstag, 31. Juli 2012

MENSCHENWÜRDE - gesundheitspolitisches Montagsforum

Die folgende Ansprache wurde am 30.07.12 beim gesundheitspolitischen Montagsforum in der Elisabethkirche Marburg gehalten. Sie ergänzte ein "Wort zur Sache" der Betreibsratsvorsitzenden des Uniklinikums Marburg

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,


und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?

Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,

mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.

Der Mensch, gottähnlich, da kommen nicht nur positive Gedanken hoch. Manchen ist das vielleicht zu viel. Da kommen Bilder von Menschen hoch, die sich, beinahe gottgleich, an die Spitze setzen und im Namen Gottes, im Namen der Wissenschaft, im Namen ihrer Geburtsrechte oder was auch immer unter Berufung auf eine angeblich göttliche Schöpfungsordnung die Welt, die Natur, andere Menschen ausbeuten. Der Mensch, wenig niedriger als Gott – man mag skeptisch sein angesichts dessen, wozu Menschen fähig sind, angesichts der Fehlbarkeit auch von Menschen guten und besten Willens. Skepsis hat jede Menge gute Gründe.

Aber für mich gibt es gute Gründe, in das Staunen des Psalmbeters vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden einzustimmen. „Was ist ausgerechnet der Mensch, diese unvollkommene Ansammlung von Zellen, dass Gott sie mit so vielen Möglichkeiten, so vielen Freiheiten, so viel Würde ausgestattet hat und ihr mit so viel Liebe begegnet?“ „Was ist der Mensch?“ – Da fängt für mich das wunderbare an dieser Betrachtung schon an. Es wird nicht unterschieden zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, zwischen Wohlhabenden und Armen, zwischen Gebildeten und ganz einfachen, zwischen Kranken und Gesunden. Was ist der Mensch? Die Professorin und der Hausmeister, der Arzt und die Reinigungskraft, die Krankenschwester und der Vorstandsvorsitzende, der Pfarrer und die von Gott Enttäuschte, der Olympiasieger und die bettlägerige Seniorin, die Bundeskanzlerin und der Patient im PKH, die Betriebsrätin und der phlegmatische, vom Leben Enttäuschte, der Mensch eben. In der Vielfalt seiner Daseinsmöglichkeiten. Dem Menschen wird von Gott Würde zugesprochen. Die Würde der Beziehungsfähigkeit, die Würde der Freiheit, auch wenn sie als einzelner Mensch immer wieder Grenzen hat, die Würde der LiebensWÜRDIGKEIT. Dem Menschen, nicht nur dem gesunden, gebildeten, wohlhabenden Menschen, nicht nur den sogenannten Stützen der Gesellschaft.

Diese grundsätzliche, unaufhebbare Würde des Menschen ist es, die Fragen an die Systeme stellt, in denen wir leben und arbeiten. An unser Gesundheitssystem, an Kliniken, an Universitäten, an Kommunen, Staaten, Kirchen, Schulen – Ist die Art und Weise, wie wir die Systeme gestalten, in denen wir leben, hilfreich, um möglichst allen Menschen dabei zu helfen, die Würde, die ihnen zu eigen ist, zu finden, zu behalten, wiederzuentdecken? Oder behindert oder verhindert das System dieses? Jedes System, das von Menschen erdacht und gestaltet wird, ist daran zu messen, ob es dabei hilft, Menschen in Würde zu leben.

Dazu gehört ganz konkret: sehe ich im anderen den Menschen oder einen Kostenfaktor und eine Möglichkeit, Gewinne zu machen und Einnahmen zu generieren? Ökonomie ist Teil des Menschseins, aber wo die ökonomische Verwertbarkeit des Menschen im Vordergrund steht, läuft ein System aus dem Ruder. Das gilt für Gesundheitssysteme genauso wie für Bildungssysteme, für Sozialsysteme ebenso wie für Kirchen.

Zur Würde gehört für mich auch der verantwortungsvolle Umgang mit Sprache. Wie rede ich mit Menschen, wie rede ich von und über Menschen? Mitarbeiter oder Humankapital? Nur eine von ganz, ganz vielen Möglichkeiten, bis in den Alltag von jedem und jeder von uns. Zur Würde gehört für mich auch, das Anderssein und die Freiheit des Anderen zu respektieren und damit auch zu respektieren, dass ein anderer Meinung sein kann. Zur Würde gehört auch, angstfrei anderer Meinung sein zu dürfen.

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,

und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?

Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,

mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.

Dort, wo wir einander helfen und ermöglichen, diese Würde, diese Ehre und Herrlichkeit zu sehen – im eigenen Leben genauso wie im Leben des anderen, dort wird die Welt ein wenig menschlicher. Weil etwas von dem wahr wird, zu was wir bestimmt sind – nicht dazu, egoistisch-überhebliche Halb- oder Dreiviertelgötter zu sein, sondern Menschen, die in ihrer Gesamtheit als Menschheit von Gott begabt und geliebt und mit würde versehen sind.

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