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Sonntag, 6. März 2011

Mit Jesus chillen - Estomihi, 06.03.2011, Reihe III

Text: Lukas 10,38-42
Liebe Gemeinde!


Chillen, faulenzen, abhängen – ist das was Gutes? Kommt wahrscheinlich drauf an, wen man fragt. Wenn ich die Martha aus der Bibel fragen könnte, und mit ihr alle, die sich abrackern, damit es anderen gut geht, dann ist die Antwort klar: NEIN! Das ist nichts Gutes. Es ist doch gut und wichtig, anderen etwas Gutes zu tun. Für Gäste alles schön zu machen. Martha macht es ja nicht für sich. Sie hat Jesus – und mit ihm wahrscheinlich ja auch die Jünger oder andere, die mit ihm unterwegs waren - eingeladen. Und es macht viel Arbeit, etwas für andere vorzubereiten. Und die eigene Schwester setzt sich hin und chillt, hängt ab, faulenzt. Geht gar nicht. Es gibt viele, die, wie Martha, alles tun, damit es anderen gut geht. Frauen und Männer, ohne die kranke Angehörige nicht gepflegt würden. Die für ihre Kinder sich abrackern. Die in Kirchengemeinden oder Vereinen alles tun, damit es läuft und andere ihren Spaß haben. Die nicht nach Überstunden und Bezahlung fragen, sondern die für andere da sind und für andere arbeiten. Chillen, faulenzen, abhängen? Wenn alle anpacken wür-den, wäre vieles leichter und würde schneller gehen. Wenn Maria mit anpacken würde, hätte Martha auch früher Zeit, mit den Gästen da zu sitzen. Klar, dass für alle, die anpacken, die machen und tun, das nichts Gutes ist.
Und dann höre ich Schüler oder Konfis, die sagen: „Herr Kling-Böhm, chillen sie doch mal!“ Die sagen das, wenn ich sie zum Arbeiten bringen will, wenn ich will, das aufgeräumt wird oder dass es endlich losgehen kann. „Chillen sie doch mal!“ Wenn die Schüler oder die Kon-fis ein bisschen bibelfester wären und die Geschichte, die ich eben vorgelesen habe, kennen würden, dann könnten sie ja auch versuchen, mich sozusagen mit meinen eigenen Waffen, mit der Bibel, zu schlagen: „Jesus hat doch auch über Maria, die mit
ihm abhängt, mit ihm chillt, gesagt: sie hat das gute Teil gewählt. Er hat das nicht zu Martha gesagt, die sich abrackert und die will, dass ihre Schwester aufspringt und arbeitet. Also chillen sie doch auch mal!“ Wer hat jetzt Recht?

Wenn ich die Geschichte aus der Bibel ernst nehme, dann hat keiner Recht. Weder Maria und die Chiller noch Martha und die Fleißigen. Oder es haben beide Recht. Jesus sagt ja zu Martha nicht: „Du bist doch blöd, dass du arbeitest, Arbeit ist nichts wert.“ Er nimmt ihre Sorge um die Gäste, ihre Arbeit, ihre Mühe ernst. Und zu Maria sagt Jesus ja auch nicht: „Du machst es richtig! Ein bequemes Leben, in dem du andere für dich arbeiten lässt, ist das, was ich erwarte.“ Es geht nicht um das, was grundsätzlich besser wäre. Es geht darum, zur rechten Zeit das Richtige zu tun oder zu lassen. Es geht um den Wert des Zuhörens. Es geht nicht um bloßes Faulenzen. Es geht darum, die Situation richtig zu begreifen. Bleiben wir in der Geschichte: Jesus ist da. Er, der an anderer Stelle sagt: „Ich bin das Leben“. Das, was er zu sagen hat, das öffnet uns Menschen für dieses Leben. Aber auf das Wort vom Leben kann ich nicht hören, wenn ich glaube, gleichzeitig noch hundert andere Dinge erledigen zu müssen. Jesus zuzuhören, sein Wort vom Leben ins eigene Leben hineinzulassen, das braucht Zeit. Martha will für Jesus alles perfekt machen. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie Gemüse schnippelt, Salat putzt, Brot backt und das beste Geschirr sauber macht, wie sie atemlos durch die Küche wirbelt, damit es Jesus gut geht. Sie liebt ihn so sehr, dass sie ihn rundherum bedienen und alles für ihn tun will. Und Maria, in Marthas eifrigen, ruhelosen Augen ein faules Stück Schwester, sitzt einfach nur da und hört ihm zu. Das will sie doch auch und vorher ist noch so viel zu erledigen! Der Clou an dieser Geschichte ist, dass Jesus das alles gar nicht braucht. Oder zumindest nicht zuerst. Er erwartet von Martha – und auch von uns heute – nicht, dass sie die perfekte Gastgeberin und ihm dient, dass wir ihm perfekt dienen. Er ist eben nicht gekommen, damit er bedient wird, sondern damit er den Menschen, Martha, Maria, dir, ihnen, mir, dient. Mit Worten, die neu für das Leben öff-nen. Mit Worten und Taten, die Leben gut und heil machen. So haben die Konfis oder die Schüler schon manchmal recht, wenn sie mir sagen: „Chillen sie doch mal!“ Ja, ich muss mir wirklich manchmal sagen lassen, mich selbst und das, was ich tue, nicht allzu wichtig zu nehmen. Mir Zeit zu nehmen, hinzuhören. Nicht auf den Lärm des Alltags. Nicht auf die scheinbar ständig wichtigen Anforderungen, die Kirchenleitung, Kirchenkreis, Gemeinde an mich stellen. Nicht auf die Versprechungen, die mir Werbung oder falsche Heilsbringer geben wollen, sondern auf das, was Jesus mir jetzt wirklich sagen will.

So oft und so ernsthaft wie in diesem Konfirmandenjahrgang bin ich noch nie gefragt worden, wie das geht, wie Jesus, wie Gott gehört werden kann. Ich finde das wirklich gut. Eine Antwort lässt sich aber nicht so einfach geben. Ruhe, offene Ohren und ein offenes Herz sind mir dafür wirklich wichtig. Worte, Gedanken aus der Bibel, die ihre Kraft nach und nach entfalten. Die manchmal Zeit brauchen, um zu mir zu sprechen. Vielleicht, das wünsche ich allen, die da sind, können auch Gottesdienste zu Orten und Zeiten werden, in denen Gott, in denen Jesus zu Menschen spricht. Nicht, weil ich so tolle Sachen predigen würde. Das sieht jeder sicher anders und das ist wirklich zweitrangig. Wenn die Predigt zu langweilig ist, zu lang oder gar nicht die Situation anspricht, in der man selber gerade ist, bietet sie doch 10, 15 oder manchmal mehr Minuten Gelegenheit, ruhig zu werden. Nachzudenken. Hinzuhören, auf das, was eigentlich gerade dran ist. Und vielleicht werde ich auch so ruhig, dass ich höre, was Gott mit meinem Leben im Moment gerade vorhat. Und das kann ja was ganz anderes sein als das, was ich als Pfarrer der Gemeinde, ihnen und euch, gerade jetzt oder ein anderes Mal erzähle. Zuhören, nicht nur auf die eigene Kraft, die eigenen Gedanken vertrauen, sich Zeit nehmen. Sich öffnen für das Wort vom Leben. Das sieht nach außen sicher manchmal wie abhängen, wie chillen aus. Aber es ist was anderes, als zu faulenzen. Faulenzen heißt: sich aus dem Leben rausziehen. Die Jesus-Art zu chillen heißt: sich dem Leben zu öffnen. Sich Zeit nehmen, das eigene Leben besser zu verstehen und sich wirklich beschenken zu lassen. Mit Liebe. Kostet nichts und macht nicht dick.

Mit Jesus chillen, ihm zuhören, das heißt für mich aber nicht, dass ich mich dann für den Rest meines Lebens berieseln lasse. Zuhören und arbeiten, Maria und Martha – beides hat seinen Sinn und seine Zeit. Ohne die Marthas, ohne die, die ihre Kraft für andere einsetzen, da wäre das Leben unerträglich. Es wäre kalt, von lauter lauen Egoisten beherrscht, die zu faul sind, sich zu bewegen und andere Menschen in den Blick zu nehmen. Gott, Jesus in den Blick zu bekommen, ihn zu hören, das heißt ja doch auch: einen Sinn, ein Gespür für das Leben zu bekommen. Und zu meinem Leben gehören auch die bekannten und unbekannten Menschen, denen ich begegne, die, so wie ich, von Gott geliebte Menschen sind. Was ich da tun kann, wie ich was tun kann – das ist ja ganz unterschiedlich. Nicht jeder ist eine Haushalts-, Koch-, Back- und Putz-Martha. Es geht darum, die eigenen Gaben zu entwickeln, die eigenen Stärken sehen und annehmen zu können. Aber eben nicht, um Gott damit einen Gefallen zu tun oder um mich vor ihm und vor der Welt zu produzieren, sondern weil ich das kann und weil das zu dem gehört, was mir geschenkt worden ist. Arbeit ist das halbe Leben. Ja, das ist sie. Das halbe Leben. Nicht alles. Aber auch nicht Nichts. Beten und Arbeiten. Chillen und Schaffen. Maria und Martha. Das gehört zusammen. Aber, und das macht diese Geschichte deutlich: erst zuhören, dann zupacken. Damit’s kein Krampf wird.

Amen.

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