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Sonntag, 30. Januar 2011

Stürmische Zeiten - Übers Wasser laufen 4. n. Episphanias, 30.01.11, Reihe III

Text: Matthäus 14,22-33
Liebe Gemeinde!


Stürmische Zeiten. Zeiten, in denen die Angst da ist, dass alles, was wichtig ist, untergeht. Wie gut, wenn man in solchen Zeiten nicht allein ist. Wenn man sich gegenseitig unterstützt und hilft.

Stürmische Zeiten – Ich als Mensch, der in Deutschland aufgewachsen ist, die meisten jüngeren Menschen über-haupt, können sich nicht vorstellen, wie es in der Sowjetunion in den 40er, 50er, 60er und auch noch 70er Jahren war. Der Glauben an Gott war nicht nur nicht gern gesehen. Christen, noch dazu, wenn sie deutsch sprachen, wurde das Leben absichtlich schwer gemacht. In den Häusern konnte man sich treffen, miteinander beten, aus der Bibel und aus Predigtbüchern vorlesen. Gemeinden waren vom Untergang bedroht, Menschen wurden angegriffen. Aber es gab immer wieder welche, die sozusagen Wache hielten und aufpassten, dass die stürmischen Zeiten nicht allzu große Schäden anrichteten.

Stürmische Zeiten – wir können auch in Deutschland in der Gegenwart bleiben. Bei den jüdischen Gemeinden im unseren Land. Ihre Gottesdienste, ihre Schulen, Altersheime, Kindergärten, ihre Versammlungen müssen bewacht und beschützt werden, weil immer noch zu viele glauben, dass Menschen jüdischer Religion kein Recht zu leben haben. Eine Schande, dass das auch 66 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz noch so ist. Nicht nur, aber auch in Deutschland. Gut, dass es Menschen gibt, die aufpassen, dass die Gemeinden und Gottesdienste nicht untergehen.

Stürmische Zeiten. Wir können auch bei den Christen bleiben. Im Irak, in Ägypten, Nordkorea. Wo christliche Gemeinden nicht in Ruhe beten und feiern können, wo die Angst groß ist vor Verfolgung und Mord. Gut, dass es Menschen gibt, die Wache halten, die trotzdem Gottes Wort weitersagen, die trösten, beten, helfen.

Stürmische Zeiten. Wir können auch bei uns auf dem Richtsberg bleiben. Können wir uns dem Sog von Gleichgültigkeit, Gier, Egoismus, materieller und seeli-scher Not entziehen? Während anderswo die Kirchen wenigstens am Heiligabend brechend voll waren, haben bei uns in vier Gottesdiensten am oberen Richtsberg 220 Menschen Gottesdienst gefeiert. 220 von fast 2000 Ge-tauften. Werden wir in der Gleichgültigkeit untergehen? Gut, dass es Menschen gibt, die Wache halten, die mit offenen Augen Gottes Wort leben. Im Alltag, auch au-ßerhalb der Gottesdienste.

Stürmische Zeiten – und was hat das mit mir zu tun? Ich kann mir gut vorstellen, dass manche von euch Konfir-manden oder auch andere im Gottesdienst so fragen. „Was gehen mich die alten Geschichten aus Russland, die Juden, die Christen weit weg oder die Gemeinde-wirklichkeit hier auf dem Richtsberg an? Ich lebe mein eigenes Leben!“ Vielleicht denkt mancher so. Ich glaube aber, dass auch zum Leben mit 13, 14 oder auch zum Leben, dass von den Erfahrungen, von denen ich eben erzählt habe, wenig berührt ist, die Erfahrung gehört, in stürmischen Zeiten zu leben. Die Angst, unterzugehen und die Erfahrung, dass es gut ist, in solchen Zeiten, wenn man Angst hat, nicht allein zu sein, sondern sich beim Aufpassen, dass nichts passiert, abwechseln zu können. Angst, dass alles, was wichtig ist, kaputt geht – die Erfahrung machen leider viel zu viele junge Men-schen. Sorgen wegen kranker Menschen in der Familie, wegen des Geldes, das fehlt, wegen der Schule, wegen Freunden, die sich als falsche Freunde rausstellen, wegen Schwierigkeiten mit Lehrern, mit der Polizei, mit den Eltern, mit Geschwistern. Gut, wenn in den stürmischen Zeiten jemand da ist, der mit Wache hält und hilft, aufzupassen, damit das Allerschlimmste nicht passiert.

Stürmische Zeiten. Zeiten, in denen die Angst da ist, dass alles, was wichtig ist, untergeht. Wie gut, wenn man nicht allein ist in solchen Zeiten. Wenn man sich gegenseitig unterstützt und hilft.

Warum ich so ausführlich davon erzähle? Weil es auch um diese Erfahrungen in der Geschichte geht, die Matthäus von Jesus und seinen Jüngern erzählt:

Mt 14,22-33

Klar, auf den ersten Blick kann es vielleicht für manche interessanter sein, das Wunderbare an dieser Geschichte näher zu betrachten. Jesus läuft übers Wasser. Seit Jahr-hunderten versuchen Menschen, das irgendwie logisch zu erklären oder zu sagen, dass man das genau so glauben müsse, damit man wirklich Christ ist. Aber Jesus macht das doch nicht, um zu zeigen, dass er ein cooler Superheld ist, für den die Naturgesetze nicht gelten oder um den Glauben im Jahr 2011 auf eine Probe zu stellen. Die Bibel erzählt diese Geschichte, weil es um Erfahrungen mit Gott und mit Jesus geht, die auch heute noch gemacht werden können. Wir sind nicht nachts im Sturm auf dem See Genezareth. Aber Menschen, auch Menschen, die an Gott glauben, die Jesus vertrauen, machen bis heute die Erfahrung, dass sie stürmische Zeiten erleben und da erst mal ohne direkten Draht zu Gott sind. Jesus schickt die Jünger allein auf den See. Wir als Gemeinde, jeder einzelne als Christ erfährt Gott nicht nur als den, der ganz of-fensichtlich da ist, sondern manchmal auch als den, der nicht so leicht zu erkennen ist. Ich denke, dass es einmal um Erfahrungen wie die geht, dass ich angesichts von den Stürmen um mich herum, angesichts der Ratlo-sigkeit, Leid, Krankheit, Begegnungen mit dem Ende des Lebens mich manchmal wirklich frage: „Gott, wo bist du denn da?“ Es geht aber auch darum, Gott nicht von vornherein als Joker zu missbrauchen. Gott traut uns eine ganze Menge zu, was wir auch selbst machen kön-nen. Die Jünger in der Geschichte: sie vergehen erstmal nicht vor lauter Angst im Sturm. Sie tun das Nötige und Richtige. Auch wenn Jesus nicht gleich da ist. Sie halten Nachtwache, sie passen in stürmischen Zeiten aufeinan-der auf. Deshalb auch die Geschichten vom Anfang. Gott mutet uns zu, in stürmischen Zeiten eigene Mög-lichkeiten und Kräfte zu entdecken.

Das zweite in der Geschichte: Jesus taucht auf. Unvor-hersehbar, wunderbar, nicht wirklich zu erklären. Unverfügbar. Wenn mich jemand fragt, eine Konfirmandin, jemand in einem Beerdigungsgespräch, in der Schule: „Sag mir doch mal, wo ich Jesus begegnen kann!“ Dann kann ich, wenn ich ehrlich bin, nur sagen: „Ich weiß es nicht!“ Jesus begegnet oft da, wo ich ihn am wenigsten vermute. Oft ganz wunderbar. Aber auch so, dass ich ihn auf den ersten Blick vielleicht gar nicht erkenne. Die Jünger halten ihn erstmal für ein Gespenst. Sie erkennen ihn daran, dass er ihnen die Furcht, die Angst nimmt. Die Bibel erzählt hier nicht, dass sich der Sturm legt. Die Zeiten bleiben stürmisch. Aber die Angst ist weg. Für mich persönlich ist das das wichtigste Kennzeichen einer Begegnung mit Jesus. Dass er mir die Angst nimmt. Die Angst vor dem, was mein Leben durcheinanderbringt, die Angst davor, in den Stürmen des Lebens unterzugehen. Mir ganz persönlich, mir als Mensch, aber auch uns als Gemeinde. Jesus ist nicht der Zauberer, der die Zeiten einfach macht und das Schwere wegzaubert. Er ist der, der die Angst kleiner werden lässt und hilft, in Stürmen zu bestehen.

Petrus will mehr, so überliefert es uns Matthäus. Er will zu Jesus übers Wasser gehen. Er überwindet die Furcht, macht erste Schritte. Es klappt. So lange er sich an Jesus orientiert. Und dann nimmt er die Umgebung wahr, den Sturm, bekommt Angst und fängt an, zu versinken. Für mich ein gutes Bild. Auch für meinen Glauben, für den Glauben von Menschen heute. Es gibt Momente, da ist wirklich alles möglich. Da ist klar, wo Jesus steht, woran ich mich orientieren kann. Und dann kommt das Leben um mich herum mit aller Macht, mit allen Problemen und Stürmen. Es droht mich, hier im wörtlichen Sinn, wirklich runterzuziehen. Die Orientierung geht oft verloren, die Fragen werden größer als die Antworten. Jesus lässt Petrus nicht untergehen. Er zieht ihn raus. „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ So wird Petrus von Jesus gefragt. Die Frage könnte Jesus oft genug auch mir stellen. Eine Antwort von Petrus ist nicht überliefert. Ich glaube, dass die Antwort auch nicht nötig ist. Ich glaube, dass hier deut-lich werden soll: Gerade da, wo Glauben verlorenzuge-hen droht, wo nur noch ein kleiner Rest Glauben da ist, reicht Jesus die Hand. Nicht die starken Glaubenshelden, die jeder Anfechtung, jedem Zweifel, jeder Gefahr und jedem Sturm trotzen sind es, die seine Hand und seine Hilfe brauchen und bekommen. Es sind die, die, wie Petrus, erste Schritte wagen und dann an ihrem Glauben und Mut im Alltag zu verzweifeln drohen. Die Kleingläubigen. Ich.

Ja, für mich ist diese Geschichte keine, die von einem Supermann Jesus erzählt, für den Naturgesetze nicht gel-ten. Mir erzählt die Geschichte von Jesus, der nicht im-mer gleich da ist, sondern der uns was zutraut. Von Je-sus, der ganz unvorhersehbar da sein kann, unberechen-bar, manchmal schwer zu erkennen. Von Jesus, der Mut macht, auch ungewöhnliche Schritte in schweren Zeiten zu gehen.

Stürmische Zeiten. Zeiten, in denen die Angst da ist, dass alles, was wichtig ist, untergeht. Wie gut, wenn man nicht allein ist in solchen Zeiten. Wenn man sich gegenseitig unterstützt und hilft. Wie gut, wenn er dann kommt. Unvorhersehbar. Unverfügbar. Und uns heraus-zieht aus der Angst, unterzugehen. Amen.

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