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Donnerstag, 9. April 2009

Wie sie sehen, sehen sie nichts - Ostersonntag 2009, Reihe I

Text: Markus 16,1-8

Liebe Gemeinde!
Wissen sie, wer den Schlüssel zur Grabeskirche hat, dem Ort, an dem Jesu Grab gewesen sein soll und an dem sich demnach die Auferstehung ereignet hat? Wenn ja, gewinnen sie jetzt leider keine Traumreise oder viel Geld, wenn nein, brauchen sie auch keinen Telefonjoker, ich verrate es ihnen: ein palästinensischer Moslem. Und wissen sie auch, warum das so ist? Wieder gibt es kein Geld zu gewinnen und für die, die es nicht wissen, verrate ich es jetzt: Weil sich sonst, die Christen, die in der Kirche eigentlich Gottesdienst feiern und die sich als Hüter dieser besonderen Stätte fühlen, gegenseitig die Köpfe einschlagen würden. Das ist leider so. Sechs ihrem Selbstverständnis nach christliche Konfessionen wachen über den Ort der Auferstehung und ihr Verhältnis untereinander ist leider von Eifersucht, Missgunst, Neid und Gewalt geprägt, so dass sie nichtchristliche Schiedsrichter brauchen. Seit über 1000 Jahren. Als ich letzte Woche im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen habe, habe ich mich geschämt. Na dann: Frohe Ostern!
Ich denke, genau so was kommt davon, wenn man Ostern nicht ernst nimmt, weil man es zu ernst, zu genau nimmt. Wir Menschen, Christen und Nichtchristen, glauben immer wieder, dass wir etwas brauchen, an dem wir uns festhalten können. Orte, Menschen, historische Wahrheiten. Wir schauen auf Gutes zurück und möchten gern, dass die Zukunft am Besten so wird wie das, was wir in der Vergangenheit als gut erlebt haben. Wir wollen absichern, versichern, besitzen - und verlieren dabei das Leben, das Jesus Christus in seiner Auferstehung schenkt. Darum geht es doch in dem Osterevangelium, das uns Markus überliefert hat. Wer dieses Evangelium, diese frohe Botschaft ernst nimmt, der wird sich nicht am Grab festhalten wollen, der wird nicht um Orte kämpfen. Die Botschaft ist doch eindeutig: Weg vom Grab - hin in das Leben. „Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Geht! Er wird vor euch hergehen - nach Galiläa! Dort werdet ihr ihn sehen.“ Das ist die Osterbotschaft. Gottes Geschichte mit den Menschen, Gottes Liebe zu den Menschen ist nicht fertig. Gott ist nicht fertig mit uns, der Tod Jesu war nicht das Ende einer Geschichte, sondern die Liebe geht weiter. Die Liebe ist lebendig und begegnet - aber nicht dort, wo der Tod ist. Der Platz ist leer. Der Tod ist überwunden. Gottes Liebe begegnet dort, wo das Leben ist. Die Bewegung, die von Ostern ausgeht, ist nach vorn gerichtet, nicht zurück.
Den Frauen macht das Angst - „und sie fürchteten sich“, so schließt die eigentlich doch frohe Botschaft. Ich glaube, auch das gehört zu Ostern bis heute mit dazu, zum Ernstnehmen der Osterbotschaft. Wir müssen erkennen, dass uns das Unbekannte, das vor uns liegt, die Zukunft, oft mehr Angst macht als die Vergangenheit, auch wenn sie, wie bei den Frauen, die den Tod eines geliebten Menschen zu beklagen hatten, traurig war. Wir wissen, was war, wir lernen, damit mehr oder weniger umzugehen. Es ist sicher. Was sein wird - das ist immer unsicher, mit Risiko behaftet. Die Frauen, die zum Grab gingen, wollten die Vergangenheit bewahren, konservieren. Mit den besten Gefühlen und den besten Absichten. Sie hatten Öle mitgebracht, um dem Toten einen letzten Liebesdienst zu erweisen. Auch wenn ihre Liebe nun nicht mehr lebendig war - sie hatten einen Ort, der sie konservierte, sie konnten und wollten etwas tun. Aber schon hier wird deutlich: Liebe lässt sich nicht konservieren, einbalsamieren, an einem Ort ablegen. Aber Liebe bringt in Bewegung. Liebe bringt Menschen dazu, aufzubrechen. Genau das tun die Frauen ja. Sie vergraben sich nicht in ihrer Trauer, sie igeln sich nicht ein, sie brechen auf. En Schritt ins Leben. Ein Schritt hin zu dem, was Ostern ausmacht. Viele Anspielungen auf das Neue, dem die Frauen begegnen werden, hat Markus in seiner frohen Botschaft verpackt. Die Frauen machen sich auf am Beginn der neuen Woche, zu Sonnenaufgang. Lauter Zeichen für den Anbruch eines Neuanfangs. Aber noch sind sie mit ihrer Liebe auf die Vergangenheit fixiert. Sie sehen das, was war, das, was jetzt eben nicht mehr so sein kann, wie es früher einmal war. Und dann der erste Schreck: der Stein, den sie in ihrem Gespräch noch fast für unüberwindlich hielten, der Stein, der das Verlorene festhält und den Verlust sozusagen besiegelt, ist schon weggerückt. Ostern ist eigentlich ein verrücktes Fest. Das, was uns felsenfest sicher scheint, wird im wahrsten Sinn des Wortes verrückt. Und so öffnen sich neue, erstmal erschreckende oder zumindest verstörende Einsichten. Das Erwartete ist nicht mehr da. Der Leichnam, der tote Jesus, die gestorbene Liebe. Einfach weg. Da sitzt nur einer, der Hinweise gibt. Der auf eine Zukunft hinweist.
Für mich ist das eigentlich das schönste Bild von Ostern. Ein leeres Grab und einer, der in das Leben weist. Einer, der darauf dringt, Schritte ins Leben zu gehen, weil nur dort dem lebendigen Christus, der lebendigen Liebe begegnet werden kann. Menschen brauchen immer wieder den Anstoß von außen, neue Wege zu gehen, an neuen Orten zu suchen, nicht in der Vergangenheit zu bleiben. Gott gönnt uns und schickt uns solche Anstöße. Menschen, die einem Horizonte öffnen, die einem neue Ideen geben, die es einem aber nicht abnehmen, den Weg dorthin selbst zu gehen. Menschen, die manchmal etwas sagen, was ich gar nicht hören will. Die Frauen wollten das gar nicht hören. Die wollten hören: Jesus wird gleich wieder hier sein. Ich will manchmal auch nicht hören, dass ich meine Blickrichtung ändern muss, dass ich etwas, was mir lieb ist, zurücklassen muss, dass ich Gewohnheiten oder Sichtweisen aufgeben muss. Die Bedeutung von Gottes Liebe in meinem Leben und für mein Leben, die Bedeutung von Ostern, die werde ich nicht erkennen, wenn ich es festhalten will, nach hinten schaue, es an Orten festmache. Liebe werde ich nicht finden, wenn mein Denken und Handeln nach hinten geht. Das ist das Eine, das ich an diesem Bild so schön finde. Die Hilfe, die wir manchmal brauchen, um das Wesentliche erfassen zu können. Das andere, was ich gerade an diesem Bild so schön finde, ist, dass hier keine Biologie betrieben wird. Das Grab ist leer. Das ist die Botschaft. Nicht wie das biologisch ausgesehen haben kann, nicht wie es historisch genau war. Das Grab ist leer. Jesus lebt. Ostern ist so unerwartet, so unerklärlich, dass Raum bleibt. Natürlich gibt es in der Bibel auch Geschichten, die die Begegnung mit dem Auferstandenen erzählen. Aber die wichtigsten dieser Geschichten haben eines gemeinsam: erstmal wird der Auferstandene nicht erkannt. Maria Magdalena, so erzählt es Johannes, begegnet er in Gestalt eines Gärtners. Den Emmausjüngern begegnet er auf dem Weg, ohne dass sie ihn erkennen, erst an seinem Handeln, am Brotbrechen, wird er erkennbar. Paulus gar schreibt, dass der Auferstandene ihm als Frühgeburt erschienen ist. Es geht eben nicht um biologische Wahrheit und biologische Korrektheit und Beschreibbarkeit. Es geht nicht um Spekulationen, dass Jesus nur scheintot war oder sein Leichnam geraubt wurde. Es geht darum, dass das Grab leer ist, dass Jesus nicht länger begraben ist und dass gerade dadurch diese lebendige Liebe Gottes neu Gestalt gewinnen kann, dass gerade dadurch, dass etwas eben nicht auf eine bestimmte Erscheinungsform festgelegt ist, Zukunft und lebendige Begegnung mit der Leben schaffenden und Leben verändernden Liebe geschehen kann. Ostern ist ein Fest des leeren Grabes. Der Tod hat seine letzte Macht eingebüßt. Wie das Leben neue Gestalt gewinnt, wie die Liebe sichtbar wird, das lässt sich nicht festlegen und festschreiben, sondern nur erleben und immer wieder neu erfahren. Den Frauen am Grab fällt es schwer, mit dieser Unsicherheit zu leben. Sie fürchten sich. Wir wahrscheinlich auch. Wir wollen wissen, genau ergründen, festhalten, verstehen. Das ist auch nicht falsch. Aber lebendige Liebe, und dafür steht Ostern, lässt sich so nicht erleben. Durch das Loslassen von alten Ängsten, durch das Loslassen von dem, was gestorben ist, empfange ich neues Leben und neue Liebe. Wer besitzen, wer festhalten will, der wird auf Dauer nicht lieben können, sondern, wie die verschiedenen Konfessionen an der Grabeskirche, sich festfahren. Ich wünsche uns als Christen und als Menschen nicht nur zu Ostern den Mut, loszulassen, damit wir die Angst besiegen und neues Leben und neue Liebe erfahren können. Ostern ist ein Fest, das in Bewegung bringt, das zu Bewegung verhilft. Gebe Gott, dass wir uns in diese Bewegung mitnehmen lassen und nicht starr bleiben.
Amen

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