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Dienstag, 26. März 2013

Mitten in der Nacht wird Gott radikal - Gründonnerstag 2013, Reihe V

Liebe Gemeinde!
Mitten in der Nacht. Eigentlich die ruhigste Zeit überhaupt. Die Zeit, in der das Rascheln einer Maus laut wie ein Orkan zu sein scheint. Mitten in der Nacht blöken die Lämmer, als sie geschlachtet werden. Mitten in der Nacht prasseln die Grillfeuer. Mitten in der Nacht besuchen sich Nachbarn. Mitten in der Nacht schleichen sich die Hausväter nach draußen und bestreichen die Türpfosten mit Blut. Mitten in der Nacht – die stillste Zeit des Tages wird geschäftig. Mitten in der Nacht bleiben die Sklaven munter. Und die Herren, die beunruhigt das nicht. Mitten n der Nacht schlafen sie in der Sicherheit, dass sich die Ordnung, die sie mit Gewalt aufrechterhalten, nicht ändern wird. Mitten in der Nacht sind sie ruhig. Aber ihre Nachtruhe ist trügerisch. Denn mitten in der Nacht wird Gott ganz radikal. Nicht ihr Gott, der Könige zu Göttern macht, sondern der Gott der Sklaven. Der Gott, der Freiheit und Gerechtigkeit fordert und schenkt. Mitten in der Nacht beginnt die Freiheit. Aber die Freiheit hat ihren Preis. Und der wird teuer mitten in der Nacht bezahlt.
Abenteuer beginnen oft in der Nacht. In der Nacht, die manches vor den Augen verbirgt. In der Nacht, in der das Erschrecken oft größer ist als am Tag. Und es ist ein Abenteuer, von dem uns in der Bibel erzählt wird. Sie erzählt uns von dem Abenteuer, Gott wirklich zu begegnen.  Und hier berühren sich unsere Geschichte, auf dem Richtsberg im Gottesdienst am Gründonnerstag 2013 und die Geschichte des Volkes Gottes, der Israeliten, der Juden, des Passamahls und dem Punkt, an dem dieses Fest der Feste der Juden in der Geschichte Gottes mit seinem Volk, seinen Menschen festgemacht wird. Sklaven waren sie in Ägypten, so erzählt es die Bibel. 430 Jahre lang. Seit Generationen hat wirklich keiner mehr eine lebendige Erinnerung daran, was Freiheit heißen könnte. Die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland hat 12 Jahre gedauert, die Unfreiheit im DDR-Sozialismus 40 Jahre, die Unterdrückung in Nordkorea dauert seit gut 60 Jahren an, die kommunistische Herrschaft in der ehemaligen Sowjetunion hat gut 70 Jahre gedauert. Die Hoffnung, dass etwas anders sein könnte, die gab es noch. Aber nach 430 Jahren?  Trotz aller Unfreiheit, trotz aller Unterdrückung, die vielleicht im Alltag oft gar nicht mehr zu spüren war, weil sie als unveränderlich und beinahe normal angesehen wurde, hielten die Menschen im Glauben an ihren Gott, der durch seinen Sohn lange nach dieser Zeit auch unser Gott wurde, fest. Und sie glaubten Mose und sie trauten Gott zu, auch nach 430 Jahren Unterdrückung und Unrecht, dass er ein Gott der Freiheit und der Gerechtigkeit ist. Ein Wunder. Nicht nur mitten in der Nacht, sondern jeden Tag, an dem die Menschen glaubten, vertrauten, neu. Ein Abenteuer, weil es keine
 Sicherheit gibt, dass sich die Verheißungen und Hoffnungen erfüllen. Ein Abenteuer, weil keiner weiß, wie das Land der Freiheit und Gerechtigkeit aussieht. Ein Abenteuer, weil keiner auch nur eine Ahnung davon hat, wie der Weg dorthin aussieht. Die Menschen lassen sich darauf ein – und sie begegnen dabei Gott. Einem faszinierenden Gott, der die Leiden seiner Menschen ernst nimmt. Einem Gott, der sich zuwendet, der sein Volk auch vor den Folgen seines Zorns schützt. Das Blut an der Tür soll, wie die biblische Überlieferung erzählt, ja ein Schutzzeichen sein. In jedem Haus, in jedem Stall, auf jedem Feld wird das erstgeborene Kind, das erstgeborene Vieh sterben – nur in den Häusern der Sklaven, die diesem Gott vertrauen, obwohl sie auf der Verliererseite stehen, nicht. Weil sie im Vertrauen auf diesen Gott auf das Wort seines Boten hin, ein Zeichen an ihre Tür machen. Weil sie dem Wort Vertrauen schenken. Sie begegnen Gott. Dem Gott, der ihnen Freiheit schenkt – der aber auch unbegreiflicherweise Leben nimmt. Einem Gott, der auch Angst machen kann. Einem Gott, der nicht zu verstehen ist, der nicht dadurch klein gemacht werden kann, dass man sein Wesen bis ins Letzte erklärt, sondern Gott, der den Menschen immer auch fremd ist. In der Nacht begegnen beide Seiten Gottes: die schöne, zugewandte, liebevolle, nahe Seite ebenso wie die ganz fremde, die gern verdrängt wird.
Aber das Abenteuer hört nicht mit der Befreiung auf. Das Abenteuer der Begegnung mit Gott geht weiter. Bis zu uns. Wir feiern heute nicht die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei. Es ist das Fest des Volkes Israel, das es, Gott sei Dank, in der Erinnerung an Gottes befreiendes Handeln bis heute feiern darf, weil Gottes Liebe zu seinem Volk sich stärker erwiesen hat als aller menschlicher Vernichtungswille, den Menschen, gerade auch Christen, gerade auch Deutsche, dem Volk Gottes, den Juden, gegenüber immer wieder gezeigt haben.
Es ist nicht unser Fest, das Fest von dem der Predigttext heute erzählt. Aber es war das Fest, das Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat, in der Nacht, als er verraten wurde. Wir feiern anders. Wir feiern nicht nur einmal im Jahr, sondern an vielen Feiertagen, an vielen Sonntagen, in manchen Kirchen auch wöchentlich oder fast täglich. Wir sind in der Feier nicht an diesen Abend gebunden. Aber in wenigstens zwei Punkten berührt sich unsere Feier mit dieser Feier, von der das zweite Buch Mose erzählt. Da ist einmal die Erinnerung an ein befreiendes Handeln Gottes, das zwar keiner von uns historisch persönlich miterlebt hat, aber in das wir alle mit hineingenommen sind. Christus befreit zum Leben. Aber – und da sind wir wieder auch an diesem Abend bei der dunklen Seite, der Nachtseite – er tut das dadurch, dass er diese Befreiung nicht jenseits von allem Leid durch übermenschliche Kräfte vollzieht, sondern dadurch, dass er – und in ihm Gott – sich dem Leid und dem Tod aussetzt. Die Befreiung zum Leben geschieht dadurch, dass Leiden nicht ausgeblendet wird. „Mein Leib, mein Blut für euch“ – das ist die Erinnerung, die WIR mit diesem Abend verbinden. Mein Leid, damit ihr in eurem Leid nicht allein seid, damit euer Leid verwandelt werden kann. In Jesus zeigt sich, dass ist der zweite Berührungspunkt, eben in erster Linie nicht der liebe Gott, der nette Onkel, der Kinder in die Arme nimmt und segnet und Kranke heilt, sondern der liebende Gott, der Gott, der uns mit dem ganzen Leben konfrontiert, auch mit den dunklen Seiten. Der Gott, der eben nicht auf eine einfach handhabbare Seite reduziert werden kann, der nicht bequem für die schönen Tage ist, sondern der Gott, der uns auch mit unseren Schattenseiten und unseren Grenzen konfrontiert und der sich auch in manchem unserem Denken, unserem Lieben, unserem Glauben entzieht.
Mitten in der Nacht, in der Dunkelheit, in der Gottferne tut sich was. Befreiung. Gott ist auf der Seite der Schwachen, der Unterdrückten. Aber er ordnet keinen Sklavenaufstand an, kein gesteigertes Blutvergießen, keinen blutigen Krieg im Nehmen der Freiheit. Menschen greifen nicht zu den Waffen, um im Namen Gottes Recht zu schaffen. Gott selbst schafft Recht. Blut fließt – und bei aller Kritik an diesem uns so fremden Handeln Gottes – es ist kein Blutrausch, keine Spirale der Gewalt, sondern, anders als wir es bei modernen Revolutionen im Namen der Freiheit und Befreiung erleben, ein Eingrenzen der Gewalt, kein Vernichten des Gegners. Mitten in der Nacht, an die wir uns heute erinnern, fließt dann auch kein anderes Blut mehr als sein, als Gottes Blut. Die Feier des Abendmahles ist ein Ausdruck der Hoffnung darauf, dass zur echten Befreiung keine Gewalt mehr nötig ist. Das Gott allem Blutvergießen ein Ende setzen will und vor allem, dass keiner sich herausnehmen darf, im Namen Gottes anderen Gewalt anzutun. Christen sind schuldig geworden. Immer wieder, immer noch. In Kriegen, die angeblich der Freiheit dienen, die aber Menschen das Leben kosten. In gewaltsamen Auseinandersetzungen, in denen sie Gottes Namen für das eigene Interesse missbrauchen. Und dadurch, dass sie Menschen mit anderem Glauben, nicht zuletzt dem Volk, dem Gott die Freiheit schenkt, seinem Volk, das Recht auf Leben absprechen. Die dunkle Seite der Menschheit, die Nacht der Unmenschlichkeit. Mitten in der Nacht tut sich was. Im Abendmahl, in der Erinnerung an Gottes befreiendes Handeln durch Jesus Christus, im Annehmen seiner Gegenwart lädt Gott zu Umkehr, zum Aufbruch ein. Aufbruch in die Freiheit. Wie die aussieht? Da geht es uns wie dem Volk Israel: wir erfahren es erst dann, wenn wir uns auf den Weg machen. Es ist immer wieder ein Aufbruch ins Unbekannte. Mitten in der Nacht tut sich was. Gott lädt uns ein, sich mit ihm auf den Weg zu machen. Gestärkt in dem Mahl, in dem wir seine Gegenwart feiern. In dem wir uns daran erinnern, dass Christus uns mit Gott versöhnt. In dem er uns stärken will, auch an den Nachtseiten Gottes nicht irre zu werden, sondern Gott als den zu entdecken, als der er sich offenbart hat: als den liebenden, der ganz nah ist, dessen Größe ihn aber auch immer wieder als den ganz Fremden erscheinen lässt. Mitten in der Nacht tut sich was. Gott befreit – und wir können aufbrechen. Gebe Gott uns den Mut und die Kraft dazu.
Amen.

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