Text: Kolosser 3,12-17
Liebe Gemeinde!
Zieht euch um! – Nein, keine Angst, ich will jetzt nicht, dass jeder nach Hause läuft und sich was anderes anzieht. Ich finde auch nicht, dass sie unpassend angezogen sind. Kleider machen Leute, sagt ein altes Sprichwort. Durch das, was ich nach außen trage, zeige ich anderen etwas von mir. Ob ich das immer bewusst mache oder nicht. Ganz egal. Ich kann zeigen, ob ich viel oder wenig Geld habe. Ob ich möchte, dass die anderen mich für seriös halten oder für flip¬pig oder cool. Ich kann zeigen, ob ich bescheiden bin oder gern das, was ich habe, herausstelle. Ich kann mich als Rebell geben, der in zerrissenen Jeans zu einer Hochzeit geht, oder als Ästhet, der sorgfältig darauf achtet, dass Anlass, Person und Kleidung gut zusammenpassen. Durch mein Äußeres zeige ich immer auch was von meinem Inneren. Von meiner Einstellung zum Leben, zu anderen Menschen. Und das ist nicht erst seit kurzem so, in unserer Zeit, wo es für jeden eine große Fülle von Kleidung gibt, aus der er oder sie aussuchen kann. Wenn wir Menschen uns gegenseitig wahr¬nehmen, haben wir ja nur das, was wir sehen, hören, was wir mit unseren Sinnen erfassen können. Ein zuverlässiger, liebenswerter Mensch, der ungewaschen ankommt, in abgerissener Kleidung rumläuft, wird es schwer haben, so gesehen zu werden, wie er wirklich in seinem Inneren ist.
Zieht euch um! Vielleicht schreibt der Apostel das genau deshalb an seine Mitchristen. Ihr seid doch was! Von Gott auserwählt, nicht im Sinn von besser als andere, sondern in dem Sinn von ausgesucht, um seine Liebe zu empfangen und weiterzugeben. Ihr seid doch längst geliebt. Ihr seid doch heilig, das heißt nichts anderes als: ihr gehört doch schon längst fest zu Gott. So seid ihr. Das schreibt der Apostel und ich glaube, dass wir uns das auch heute immer wieder sagen lassen dürfen. Wir müssen nicht wer weiß was anstellen, damit wir für Gott liebenswert werden. Für ihn müssen wir uns nicht in unsere schönsten Kleider oder Hosen stecken. Für ihn müssen wir nicht tolle, perfekte Menschen sein, die von allen bewundert werden. Bevor wir irgendwas tun können oder gar müssten, sind wir schon was. Es geht nicht darum, irgendwas zu werden, was ich noch nicht bin. Es geht darum, der zu werden, der ich bin. „Werdet die, die ihr seid, zieht euch um!“ Zeigt nach außen, durch euer Leben, in eurem Leben etwas von dem, was in euch ist.
Der Apostel stellt den Christen, auch uns, eine große Kollektion vor, die getragen werden soll. Das sind sicher nicht die neusten Modelle aus den Modemetropolen der Welt, New York, Mailand, Paris. Nichts von H&M oder Armani. Auf den ersten Blick scheint das, was er präsentiert, sogar Modelle zu sein, die aus der Mode gekommen sind. Angestaubt im Kleiderschrank der Zeiten, wiederentdeckt auf Flohmärkten und in Second-Hand-Läden. Herzliches Erbarmen, Sanftmut, Freundlichkeit, Demut, Geduld. Das wirkt nicht gerade schick. Ich glaube, das war auch in den Augen der Christen, die den Kolos-serbrief zuerst gelesen haben, nicht gerade der letzte Schrei und superschick. Die wahren Trendsetter sind aber doch nicht die, die das anziehen, was alle anziehen. Habt den Mut, aufzufallen. Setzt selbst die Modetrends und lauft nicht der Masse hinterher. Vielleicht ist das ja der Ratschlag, den der Apostel nicht nur den Christen seiner Zeit, sondern uns auch heute mitgeben will. Vielleicht sollen wir ja wirklich selber Mode machen statt uns von anderen vorschreiben zu lassen, was gerade modern ist. Sanftmut, Geduld, Freundlichkeit, Demut, Erbarmen – nein, wirklich hoch im Kurs steht das nicht. Durchsetzungsstärke, eine Portion Egoismus, Schläue, die auch bereit ist, mit Tricks zu arbeiten, Beziehungen aus-nutzen statt durch Können zu überzeugen – so läuft die Welt nun mal, oder? Es hilft nichts, zu jammern. Wenn wir als Gemeinde, als Kirche nicht überzeugend andere Modelle vorführen und die anderen Modelle selbstbewusst und offen tragen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir nicht auffallen. Geduld mit Menschen, die von anderen abgeschrieben werden, Erbarmen auch mit uns selbst und unseren Fehlern, Freundlichkeit, nicht verbittertes und ver-biestertes Kämpfen um Vorteile oder um ein kirchliches Leben, das angeblich schon immer so war. Nichts war schon immer so. auch nicht in der christlichen Gemeinde. Nichts außer dem Grund dafür, dass wir eine Gemeinschaft sind, die sich der Liebe Gottes zu den Menschen gewiss sein kann. Nichts außer der Liebe Got-tes, die in Jesus Christus Gestalt gewonnen hat. Alles andere ist lebendig. Weil Gottes Liebe dem Leben gilt und nicht dem eingefrorenen Stillstand. Zieht das an, tragt das nach außen. Auch wenn andere erst mal sagen, dass das unmodern ist: Lasst euch nicht irre machen. Werdet die, die ihr für Gott seid.
Eins darf dabei aber nicht vergessen werden: Ich kann nicht alle Kleidungsstücke, die mir gezeigt werden, nicht alles, was da ist, gleichzeitig anziehen. Vielleicht ist es ja auch mit die¬ser geistlichen Kleidung, die der Apostel beschreibt, genauso. Ich bin nicht der perfekte Superchrist, der gleichzeitig demü¬tig, sanftmütig, immer geduldig, ständig freundlich ist. Das ein oder andere muss sicher zwischendurch mal zum Auffri¬schen in die Reinigung. Ich brauche Zeiten, in denen ich mich und meine geistige Kleidung regenerieren kann, neue Kraft schöpfen kann. Irgendwann ist sonst auch der tollste Anzug abgetragen, löchrig, ein Fall für den Müll. Ertragt euch und vergebt euch, schreibt der Apostel. Er geht schon davon aus, dass niemand ständig seine geistige Kleidung in perfekter Ordnung hat. Werdet die, die ihr seid – und helft euch gegenseitig, damit ihr nicht an Vollkommenheitsan-sprüchen kaputtgeht. Macht euch auf den Weg, aber bedenkt, dass ihr noch nicht am Ziel seid. Und die anderen auch nicht. „Über alles zieht an die Liebe, sie ist das Band der Vollkommenheit“ – ja, sie ist der Gürtel, der dafür sorgt, dass die Hose nicht ständig rutscht, die Jacke nicht ständig aufgeht, das alles sitzt. Die Liebe, die um das rechte Maß weiß. Die Liebe, die modemutig macht, die uns vorangehen lässt, die hat Ausstrahlung und ist ansteckend. Eine singende, lobende, dankende Gemeinschaft, die weiß, dass sie in aller Verschiedenheit eins ist. Die Gottes Liebe und nicht die eigene Eitelkeit ins Zentrum stellt. Eine Gemeinschaft, die auch Klartext miteinander reden kann, die sich gegenseitig sagt was, gut tut und was nicht in Ordnung ist. eine Gemeinschaft, in der nicht einer dem anderen den Glauben oder die Zugehörigkeit zu Jesus abspricht, weil er oder sie gerade ein anderes Kleid trägt als das, das ich mir ausgesucht habe.
Ich denke, heute ist es wirklich an der Zeit, sich umzuziehen. Und vor allem auch einmal das Kleid der Dankbarkeit anzuziehen. Dankbarkeit für so viel Gutes, das auch hier mitten unter uns wächst. Klar, wir könnten zuerst den Blick darauf richten, dass in jedem Gottesdienst noch jede Menge Stühle frei sind und die selten von Menschen besetzt sind, die jung sind. Wir könnten darüber klagen, dass der Kindergottesdienst meistens eher spärlich besucht wird. Und natürlich auch über Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit auf dem Richtsberg, wahrscheinlich auch unter den Menschen, die zu unserer Gemeinde gehören. Der Apostel sagt ja auch nicht: Malt euch ein Idealbild und betet das an, sondern seht offen auch auf das, was nicht in Ordnung ist. Aber bleibt nicht dabei stehen, schaut doch, wie viel Grund es gibt, sich von der Liebe anstecken zu lassen und zu loben und den Mund aufzutun und zu singen, ansteckend die Liebe Gottes weiterzutragen. Ja, und deshalb können wir Gott danken, ihn loben, ihm singen. Weil seine Liebe immer wieder Menschen zusam-menbringt. wir könne Gott für jeden danken, der kommt, um mit anderen zu singen, sein Wort zu hören, zu beten. Für 19 Jugendliche, die sich auf die Konfirmation 2011 vorbereiten. Auch wenn sie es uns Erwachsenen sicher nicht immer leicht machen werden. Aber es ist doch ein Grund zu danken, dass die Mehrheit der getauften Jugendlichen auf dem Richtsberg immer noch Gott ein bisschen besser kennenlernen möchte. Neben manch anderen Gründen. Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die mich mit den Konfis nicht allein lassen, sondern die ihre guten Erfahrungen mit Gott weitergeben wollen. Und dankbar, dass Menschen, die aus verschiedenen Ecken der Welt kommen, mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen im Glauben, zusammenkommen und sich austauschen. Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die durch die Musik, die sie machen, die Herzen der Menschen erreichen und die uns helfen, ins Singen zu kommen. Nein, es ist nicht alles perfekt. Es gibt auch manches, was traurig stimmt und zu Klageliedern anregt. Aber ich wünsche mir und uns, dass wir uns trauen und wirklich dankbar für das singen, was schon da ist, dass wir geduldig auf das warten, was wird und kommt. Ich wünsche uns, dass Gottes Geist uns immer wieder Mut macht, alte Kleider abzulegen und neue anzuziehen, auch wenn wir damit vielleicht auffallen. Ich wünsche uns, dass die Liebe Gottes, in Jesus greifbar geworden, uns verbunden hält, über den Richtsberg hinaus, weltweit, in der einen Kirche, die sich in unterschiedlichen Gemeinden und Konfessionen zeigt. Damit wir immer weiter vorankommen auf dem Weg, die zu werden, die wir sind: Gottes geliebte Menschen. Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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