Eigentlich wäre ja was anderes dran, ich weiß. Aber bevor ich am 19. Januar aus der Gemeinde verabschiedet werde, wollte eine ehemalige Konfirmandin (mittlerweile ist sie 15) mit mir noch mal eine Dialogpredigt halten. Sie durfte sich den Text aussuchen und hat sich eben einen anderen aus den Perikopentexten für diesen Sonntag ausgesucht. Die Gedanken stammen tatsächlich von ihr. Deshalb an dieser Stelle noch mal vielen Dank an Melissa, die mich in den letzten zwei Jahren oft in Gottesdiensten unterstützt hat.
Text: Lukas 1,26-38
KB: Milli, bist du eigentlich schon mal
einem Engel begegnet? Hat mit dir schon mal ein Engel geredet?
Milli: Keine Ahnung, ich weiß es nicht.
Ich habe noch nie so eine Erscheinung gehabt und Stimmen gehört.
Glücklicherweise, sonst würde ich vielleicht denken, ich bin verrückt. So einem
Engel, wie er oft gemalt wird, mit Flügeln und so, bin ich nie begegnet. Aber…
KB: Aber was?
Milli: Aber manchmal, da hatte ich das
Gefühl, dass Gott ganz besonders nah bei mir ist und dass da Menschen sind, die
mir was mitteilen wollen, was von Gott kommt.
KB: Aber woher wusstest du, dass das
von Gott kam? Wenn du da keine richtigen Engel gesehen hast, dann kannst du dich
doch auch getäuscht oder dir was eingebildet haben.
Milli: Klar, das könnte sein. Ich
kann’s halt nicht wissen, so wie ich Vokabeln wissen kann oder die binomischen
Formeln in Mathe. Aber ich konnte es spüren. Das kann ich nicht richtig
erklären. Wenn ich mich mal zum Beispiel in der Schule richtig unwohl und
allein gefühlt habe, weil ich dachte, ich hätte keine richtig gute Freundin,
die zu mir hält, dann kam jemand, der mir weitergeholfen hat, der mir Mut
gemacht hat. Und ich glaube, dass er mir von Gott einfach sagen wollte: Du bist
nicht allein! Du bist was wert! So eine gute Botschaft halt von Gott. Und ich
hab mal gelernt, dass Engel eigentlich „Botschafter“ heißt, wenn man es ins
Deutsche übersetzt. Und vielleicht hab ich den dann gar nicht als Engel
erkannt, weil er ganz normal aussah und er war ein Engel. Aber wie ist das denn
mit dir?
KB: Mir geht’s da genauso wie dir.
Engel mit Flügeln oder weiten weißen Gewändern hab ich bis jetzt nur auf
Bildern gesehen. Aber manchmal merke ich auch, dass Gott mir durch andere eine
Botschaft schickt. Manchmal sogar durch Menschen, die sich dagegen wehren
würden, wenn ich ihnen sage, dass sie von Gott kommen. Anfang der Woche hat mir
ein Schüler zum Beispiel, bei dem ich manchmal das Gefühl hatte, mit dem komm
ich gar nicht klar, was total Nettes geschrieben, was mir Mut gemacht hat, weil
ich im Moment manchmal schon ein bisschen die Krise kriege, wenn ich an das
denke, was ich hier alles noch erledigen will und vor allem daran zweifle, ob
ich das, was ab Januar kommt, auch gut mache. Ich glaube nicht, dass es einen
objektiven Beweis für Engel gibt. Aber ich glaube, dass Gott uns Menschen immer
wieder Botschaften gibt, auch durch Menschen, die er sich dafür aussucht. Wir
müssen aber auch bereit sein, sie zu hören.
Milli: Ja, klar. Aber ist das mit den
Engeln in Menschengestalt nicht ein bisschen zu wenig? Wenn ich die Geschichte
vom Engel Gabriel und Maria, die wir eben gerade vorgelesen haben, mir
anschaue, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Gabriel so ein Engel war. Da
muss doch noch mehr gewesen sein. Ich glaube, dass Gott auch Wege zu Menschen
findet, die wir nicht verstehen und erklären können.
KB: Wenn das anders wäre, hieße es ja
auch Wissen und nicht Glauben… - schlechter Witz. Im Ernst. Ich glaube auch,
dass Gott da mehr Möglichkeiten hat, als wir uns vorstellen oder berechnen
können. Aber ich stelle mir diese Art von Engel nicht so richtig körperlich
vor, sondern als so eine Art Kraftfeld, wie ein Magnetfeld oder ein
elektrisches Feld, etwas, was da ist, was einen zum Schwingen bringt oder Dinge
bewirkt, aber eben nicht als objektive Gestalt zum Beispiel gemalt werden kann.
Ich glaube, dass da ganz viel von der persönlichen Begegnung abhängt.
Milli: Aber Maria ist doch sicher mehr
als einfach einem Kraftfeld begegnet. Und die Hirten bei Betlehem, von denen
Lukas ja in seiner Weihnachtsgeschichte erzählt, doch auch. Das war doch mehr
als ein reines Gefühl.
KB: Ja, schon. Aber ich glaube
trotzdem, dass alles an der persönlichen Begegnung hängt. Egal, ob das, wie bei
Maria, eine Eins-zu-Eins-Begegnung war oder wie bei den Hirten mehrere
beteiligt waren. Für andere lässt sich das nicht objektiv beschreiben oder
malen oder fotografieren. Das Entscheidende ist halt, dass ich, oder Maria oder
die Hirten oder du im entscheidenden Moment einfach den Mut hast, das was dir
begegnet, was du erlebst oder hörst als
Begegnung mit einem Boten von Gott
anzunehmen.
Milli: Also, ich würde das immer erst
hinterher können, wenn alles vorbei ist und ich in Ruhe noch mal darüber
nachdenken kann. Vielleicht spüre ich das in dem Moment, dass dieser Moment
etwas Besonderes ist. Aber die richtige Interpretation, das geht doch erst
hinterher. Und deshalb wundere ich mich ein bisschen, dass Maria so relativ
schnell einfach alles glaubt und versteht und macht. Ich hätte da viel mehr
Fragen.
KB: Na ja, zwei Fragen hat Maria ja
schon. Zuerst fragt sie ja, nach der Begrüßung durch Gabriel, zumindest in
Gedanken: „Was soll denn dieser Gruß?“ Wieso redet der ausgerechnet mich, ein
ganz einfaches, unverheiratetes junges Mädchen wie eine Königin an? Und dann
fragt sie ja ganz direkt: Wie soll ich denn schwanger werden ohne einen Mann zu
haben? Aber welche Fragen hättest du ihm denn gestellt?
Milli: Wahrscheinlich doch erstmal die
gleichen: Wieso ausgerechnet ich? Was ist an mir denn besonders? Woher soll ich
wissen, dass du nicht lügst und keinen Quatsch erzählst? Und wieso soll
eigentlich ausgerechnet mein Kind was Besonderes sein? Und überhaupt: wie soll
ich das alles schaffen? Und wie bringe
ich das meinem Verlobten und meiner Familie bei, dass ich schwanger bin? Was
werden die denn denken? Wird mich mein Verlobter nicht verlassen? Wird mich
meine Familie nicht verstoßen? Wo soll ich dann hin? Ein Gertrudisheim mit
Wohngruppe für minderjährige Mütter gab’s damals ja nicht. Und wie soll ich das
alles schaffen? Vor lauter Fragen wäre ich wahrscheinlich ganz verrückt
geworden.
KB: Und vielleicht ist Maria das ja
auch ein bisschen. Die Geschichten in der Bibel erzählen das alles ja nicht in
Echtzeit, sonst wären sie unlesbar. Lukas macht ja deutlich, dass da auch Raum
für Fragen, für Zweifel, vielleicht sogar für Angst ist. Eine Sache, die ich an
der Begegnung von Maria und dem Engel Gabriel so toll finde, ist, dass hier
deutlich wird, dass Gott die Menschen nicht überfällt und mit Gewalt zwingt.
Gott nimmt die Menschen mit auf den Weg. Er lässt eben auch Zeit zum Nachdenken
und zum Fragen. Und dann, als Maria merkt, dass sie nicht überrumpelt wird und
dass sie ernstgenommen wird, da stimmt sie dann zu. Ja, an mir soll geschehen,
was du gesagt hast. Ich denke, dass Glauben an Gott, wenn er wirklich echt und
haltbar sein soll, genau das braucht, was Maria hier hatte. Den Mut,
nachzufragen. Auch zu zweifeln. Da, wo Menschen totgequatscht werden, wo ihnen
irgendwas vorerzählt wird, was sie nur nachplappern sollen, wo kein Platz für
eine eigene Begegnung mit Gott ist, für einen eigenen Weg, da kann kein echter
Glauben entstehen. Die eine Sache ist, dass Gott den Menschen Platz lässt, die
andere aber auch, dass die Menschen, wie Maria, bereit sein müssen, hinzuhören
und nicht gleich alles abtun. Wenn Maria gesagt hätte: „Lass mich in Ruh, ich
hab jetzt Besseres zu tun!“ oder „Was bist du denn für ein komischer Vogel,
mach dich ab!“, dann wäre es schon vorbei gewesen. Gott macht ein Angebot,
lässt dem Menschen Zeit, es anzunehmen – aber der Mensch muss auch bereit sein,
sich dieses Angebot erst einmal anzuhören.
Milli: Vielleicht fehlt das manchmal
heutzutage, dass man sich Zeit nimmt und hinhört. Alles muss immer von jetzt
auf gleich gehen und wenn du dich nicht sofort entscheidest, dann hast du halt
gelitten. Oder Pech gehabt oder die Fristen verpasst. Es ist eigentlich eine
richtig schöne Sache, dass Gott nicht so ist und nicht drängelt, sondern dass
Gott uns Menschen Zeit lässt. Bei manchen Menschen geht es vielleicht ganz
schnell, dass sie bei Gott hinhören und mit ihm leben wollen und bei anderen
dauert es lange, die brauchen viel Zeit und viele Fragen – und trotzdem ist
Gott für sie da und sie sind ihm mindestens genauso willkommen wie die ganz
Schnellen. Das finde ich eigentlich schön, gerade auch in einer Welt, wo man
Angst hat, was zu verpassen, wenn man nicht sofort alles macht und sich nicht
sofort entscheidet. Gott ist glücklicherweise ganz anders.
KB: Und wie anders Gott ist, das sieht
man auch daran, dass eben ausgerechnet Maria hier Besuch von Gabriel bekommt
und dass Gott gerade durch sie im wahrsten Sinn des Wortes in die Welt kommen
will.
Milli: ja, wenn wir nach unseren
normalen Maßstäben das beurteilen, dann hätte Gott sich ja eigentlich eine
Königin oder Kaiserin aussuchen müssen oder eine frau mit guten Beziehungen und
hohem Ansehen. also, irgendjemanden, den ganz viele kennen und bewundern und
der in den Augen von den Menschen was Besseres ist. Oder jemand mit langer
Lebenserfahrung, auf die alle hören, weil sie so klug und erfahren ist. Aber
dann: ausgerechnet Maria. die war damals wahrscheinlich ungefähr so alt wie
Aurelia oder ich. Und auch nicht bekannter. Gott macht aus ganz normalen
Menschen, die andere vielleicht ständig übersehen, etwas ganz Besonderes. Und
das ist bis heute eigentlich eine ganz tolle Botschaft. Auch dann, wenn andere
denken, dass du zu jung bist oder dass du nicht schlau genug bist oder wenn
andere dir einreden wollen, du siehst nicht gut genug aus oder du hast nicht
genug Geld, um was darzustellen: für Gott bist du was Besonderes und durch dich
kann und will er die Welt besonders machen. Gott schaut nicht zuerst auf die
scheinbaren Großen, die alle toll finden, sondern er stellt die ganz normalen,
einfachen, die oft übersehen werden, in den Mittelpunkt. Wenn Gott größer und
besser ist als alles, was Menschen denken können, ist das doch schon ein
Wunder!
KB: Für mich auch. Für mich ist das
sogar eigentlich ein größeres Wunder als das, von dem Gabriel Maria dann
erzählt, dass sie schwanger werden soll, ohne mit einem Mann zu schlafen.
Eigentlich verrückt und unmöglich in einer Zeit, in der es keine künstliche
Befruchtung gab. Aber wenn Gott wirklich größer als jede denkbare Kraft ist,
dann kann ich das nicht ausschließen. Aber es ist mir persönlich egal. Jesus
selbst sagt später selbst einmal, dass man nicht wegen irgendwelcher
naturwissenschaftlichen Wunder an ihn glauben soll, sondern wegen seiner
Botschaft. Für mich ist die Botschaft Gottes nicht: „Ich kann alles!“ Im Reich
der Götter ist das keine besondere Botschaft, und heute erst recht nicht in
einer Welt, in der gerade die mit total viel Geld sagen: ich kann alles und
mach alles und kaufe mir Einfluss und politische Entscheidungen und meinen
Kindern die richtigen Noten und so weiter. Die tolle Botschaft und das Wunder
ist doch, dass Gott eben ganz anders als die Welt ist und nicht auf das schaut,
auf das alle schauen, sondern gerade im ganz einfachen das Besondere sieht und
die ganz einfachen sozusagen hochhebt und zu ganz besonderen Menschen macht.
Milli: Aber für mich ist es auch schön,
dass ich glauben kann, dass für Gott wirklich nichts unmöglich ist. Und was ich
in der Geschichte auch noch wichtig finde, ist, dass der Engel über das Kind
dann sagt, dass seine Herrschaft kein Ende hat. Alle Kaiser, Könige, Politiker,
die geglaubt haben, dass sie die Welt für immer verändern könnten, die sind
längst tot und viele Gott sei Dank an ihrer Gewalt erstickt oder umgekommen.
Aber die Botschaft von Jesus, die jedem Menschen Gottes Liebe weitersagt und
die die Menschen befreien will und die allen Menschen ein gutes Leben in Frieden
schenken will, die ist immer noch lebendig. Am Ende ist die Liebe stärker und
Gott ist immer noch bei uns, auch wenn alle, die sich selbst für Gott gehalten
haben oder über Menschen bestimmt haben, schon längst weg sind.
KB: Und Gott schickt immer noch seine
Engel, seine Boten in die Welt – auch wenn wir sie nicht an ihrem Aussehen
erkennen, sondern durch hinhören und erleben spüren, dass sie da sind. Ich
wünsche uns, dass wir gerade auch in diesen Tagen nicht nur von Engeln in der
Bibel lesen und hören oder sie auf Postkarten und Gemälden sehen, sondern dass
wir spüren und richtig erleben, dass Gott nicht nur Maria vor langer Zeit,
sondern auch uns was zu sagen hat. Amen.
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