Liebe
Gemeinde!
Lieber
Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm. Wenn es abends schnell
gehen sollte, habe ich als Kind manchmal so gebetet. Als ich dann älter wurde,
auf den Schulabschluss zuging, während meines Studiums und noch lange danach
fand ich das Gebet sehr seltsam. Eigentlich ist das Gebet theologisch völlig
richtig. Lieber Gott, MACH mich fromm: Ich kann in mir selbst weder Glauben
wirken noch mir Vergebung selbst herstellen. Glauben, Vergebung und auch die
Fähigkeit, das Richtige zu sehen und entsprechend zu handeln, sind letzten
Endes Gottes Werk. Und ein frommes Leben ist ein Leben, das sich von Gott
getragen und gehalten weiß und sich im Handeln an dem ausrichtet, was Jesus
vorgelebt und verkündigt hat. Theologisch ist es also völlig korrekt, Gott
darum zu bitten, diese Frömmigkeit zu schenken, weil ich sie selber gar nicht
herstellen kann. Und da das theologisch gesehen natürlich auch der Weg zur
Auferstehung und zu einem Leben in unzerstörbarer Einheit mit Gott ist und weil
Himmel dafür das gängige biblische Bild ist, ist auch der zweite Teil theologisch
überhaupt nicht falsch. Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel
komm. Amen. Und damit hat sich’s.
Und
trotzdem habe ich Bauchschmerzen, bis heute, bei diesem Gebet. Weil es geradezu
danach schreit, missverstanden zu werden und den Glauben an Gott, an Jesus, in
dem Gott sich offenbart, sehr stark einengen kann. Es ist auch eine Frage der
Betonung. Lieber Gott, MACH mich fromm – oder wird es nicht oft so gehört,
gesprochen verstanden, wie ich es jetzt sage: Lieber Gott, mach MICH fromm,
dass ICH in den HIMMEL komm.
Zwei
Perspektiven im Glauben, die viel zu kurz greifen, drängen sich dabei in den
Vordergrund. Die eine Perspektive ist die, Glauben und Frömmigkeit auf eine
rein persönliche und individuelle Ebene zu verengen. Mach MICH fromm, dass ICH
in den Himmel komm. Es geht um das eigene Seelenheil, um das eigene ewige Wohl,
mehr nicht. Aber schon die Verkündigung der Propheten im Alten Testament und
erst recht das Reden und Handeln Jesu lassen deutlich werden, dass ein Leben im
Einklang mit Gott immer auch die Perspektive hat, dass Gerechtigkeit, Frieden
und Lebensmöglichkeit für alle sein Wille ist. Heil ist in der Bibel ganz eng
mit dem Wohl der Armen, Schutzbedürftigen, Unterdrückten verbunden. Religion
ist Privatsache, das hat in der Öffentlichkeit und schon gar in der Politik
nichts zu suchen. Das scheint heute allgemein gültiger Konsens zu sein. Aber so
einfach ist das nicht. Natürlich ist es gut und angemessen und richtig, dass es
keine Staatsreligion ist. Es ist gut, dass jedem Menschen freisteht, sich zu
einer Religion, einer Glaubensgemeinschaft zu bekennen – oder auch nicht. Es
ist gut, dass zum Beispiel die Vergabe von Arbeitsstellen in aller Regel nicht
mehr daran hängen darf, ob jemand Evangelisch oder katholisch, Moslem oder
Jude, Atheist oder Agnostiker ist. Insofern ist Religion natürlich Privatsache.
Aber wenn ich mich zu Christus bekenne, wenn ich als Christ lebe, dann kann ich
eigentlich in der Nachfolge nicht anders, weder als Einzelner noch als
Gemeinschaft der Glaubenden, als Gemeinde vor Ort, als Landeskirche oder
Bistum, als mich einzumischen, wenn Schwachen, Unterdrückten, Armen,
Schutzbedürftigen ihr Recht und Gerechtigkeit verweigert werden. In seinen
Ursprüngen ist der buß- und Bettag eigentliche in hochpolitischer Tag. Es ging
nicht in erster Linie um persönliche Schuld und Buße, sondern es ging darum,
als Gemeinschaft, als Kirche, die damals eben im Wesentlichen identisch war mit
dem Staatsvolk, vor Gott zu treten und Schuld zu bekennen. Wie gesagt, ich
finde es gut, dass es keine Staatskirche mehr gibt und keinen Glaubenszwang.
Wichtig ist aber, und daran sollte uns der Buß- und Bettag erinnern, dass wir
bei aller Freude über die individuelle Freiheit die Perspektive
der
Gemeinschaft, in die Gott uns stellt und die erheblich größer ist als jede
Ortsgemeinde oder jede Konfession, nicht aus den Augen, aus den Gedanken, aus
dem Herzen verlieren und am Ende verkümmern, weil wir uns nur noch um uns
selbst und unser persönliches Seelenheil drehen.
Und
da bin ich an dem zweiten Punkt, warum mir das Gebet „Lieber Gott, mach mich
fromm, das sich in den Himmel komm“ manchmal Bauchschmerzen macht, obwohl es
theologisch nicht falsch ist. Der Blick geht zu leicht dahin, dass es nur auf
den Himmel in dem Sinn, dass damit ein Leben nach dem Tod gemeint wäre, ankommt
und dass Himmel ein Bild für ein Jenseits ist. Wenn Jesus vom „Himmelreich“
spricht, dann redet er immer auch von etwas, das schon jetzt, in dieser Welt,
Auswirkungen auf das Leben hat. Das wird auch in den zwei Gleichnissen
deutlich, die er vom Himmelreich erzählt. sie sind bei Matthäus überliefert.
Jesus sagt da: Das Himmelreich gleicht
einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in
seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den
Acker. 45Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen
suchte, 46und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles,
was er hatte, und kaufte sie. Jesus erzählt hier nicht, was „Himmelreich“
inhaltlich bedeutet. Aber zwei Dinge werden doch deutlich. Zum einen: das
Himmelreich ist etwas, das erkennbar ist. Schon jetzt, in dieser Welt. Manchmal
stolpert man tatsächlich zufällig drüber, wie über den Schatz im Acker.
Manchmal bedarf es einer Suche und erkennbar ist es dann ganz plötzlich, weil
es einfach besser und schöner als alle Alternativen ist. Das ist das eine. Das
andere: es lohnt sich, tatsächlich alles dafür zu geben. Alles loszulassen. Und
da wird es spannend und für mich persönlich auch traurig. ich und ich glaube, als Gemeinde, als
Gemeinschaft, als Kirche, sind wir sehr auf Sicherheit bedacht und ich will,
wir wollen gern festhalten. wir brauchen, ich brauche, Sicherheiten. Auch
materielle. Spenden ja – aber so, dass noch genügend für mich übrigbleibt, dass
es nicht weh tut. Neuanfang ja – aber so, dass möglichst viel von dem Alten
noch erhalten bleibt. Gerechtigkeit für Kinder, die zur Arbeit gezwungen
werden, ja – aber doch bitte so, dass Kleidung weiter preiswert bleibt.
Blutdiamanten, die brutale Kriege finanzieren, das geht natürlich nicht – aber
woher manche Rohstoffe in meinem Handy, meinem Tablet, meinem Computer kommen
und wer alles davon profitiert, das will ich doch lieber nicht so genau wissen.
Und wie meine Lebensversicherung ihr Geld anlegt vielleicht auch nicht so
genau, ich will ja mit 65 was rausbekommen. Wann lebst du? So fragt in diesem
Jahr die Buß- und Bettagskampagne unserer Landeskirche. Auch auf einem verstörenden
Plakat mit Kinderfüßen und den Füßen einer Leiche. Wann lebst du? Heute, jetzt,
in der Gegenwart. Wann sonst. sonst wären wir alle nicht hier. Wann lebst du?
In einer Zeit, in der Gott und sein Himmelreich ein Stück weit erfahrbar sind.
Wir leben nicht in gottlosen Zeiten. Aber sind wir bereit, diese Erfahrung zu
suchen? Sind wir bereit, mit dieser Erfahrung zu leben und lassen wir uns von
dieser Erfahrung verändern? Wann lebst du? Nicht erst dann, wenn alles perfekt
ist. Nicht erst dann, wenn Gott mich auferwecken wird und keine Tränen, kein
Lied, keine Trauer mehr sein werden. Ich, du, sie, wir leben. Jetzt. Und wir
brauchen jetzt die Besinnung auf das, was wir versäumen. Als Einzelne. Als
Gemeinschaft. Lieber Gott, mach uns fromm, denn dein Himmel ist schon längst
da. Amen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen