Text: Jes 25,8+9
Liebe Gemeinde!
Man muss schon ein bisschen verrückt sein, um an Gott zu glauben. Man muss schon ein bisschen verrückt sein, um hoffen und predigen und glauben zu können: der Tod hat keine Macht mehr. Gott wird alle Tränen abwischen. Die, die ihr Vertrauen auf Gott setzen, haben Grund zum Jubeln, haben jede Menge Grund, fröhlich zu sein. Sind wir alle verrückt? Ich auf der Kanzel, dass ich das alles zu ihnen sage? Elena, die sich heute hat taufen lassen und die in drei Wochen konfirmiert wird? „Gott sagt: Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen“ hat sie sich als Taufspruch ausgesucht, wissen kann sie das nicht. Und sie weiß, dass im Leben manches schief gehen kann und sie weiß auch, dass sie nicht immer ein perfektes Leben lebt. Ich auch nicht. Sind wir verrückt? Sind sie alle verrückt, heute Morgen, Ostermontag, wo man ja auch viele andere Dinge machen könnte, im Gottesdienst zu sein und sich anzuhören: Gott hat den Tod auf ewig besiegt, die Tränen werden abgewischt und wir alle werden Grund zum Jubeln haben? Ja, ich bin verrückt. Und Elena ist verrückt. Und sie alle, die sie heute Gottesdienst mitfeiern sind es auch. Verrückt nicht im Sinn von geisteskrank. Sondern verrückt in dem Sinn, dass wir alle eben aus der Spur dessen gerückt sind, was im Alltag als normal angesehen wird, als unveränderlich. Wir sind verrückt, weil wir nicht nur auf das schauen, was uns das scheinbar so normale Leben vorgibt und dieser Spur folgen, sondern weil wir ein bisschen rechts, ein bisschen links neben der Spur stehen und auf anderes sehen, Neues entdecken, das Hoffnung wecken und wachhalten kann, da, wo der Alltag, das scheinbar so normale Leben, uns eigentlich zur Verzweiflung treiben müsste.
Der Tod hat keine Macht mehr, die Tränen werden abgewischt: das sind keine Hoffnungen, die unser Alltag machen oder wachhalten könnte. Und ein bisschen leben wir als Organisation Kirchen, lebe ich als Pfarrer ja auch davon, dass das noch nicht so ist. Not lehrt beten, sagt ein altes Sprichwort. Und Gott sei Dank suchen Menschen immer noch Beistand in der Kirche, in Gemeinden, bei Pfarrerinnen und Pfarrer, wenn der Tod im Alltag seine Macht beweist, wenn Tränen sich eben nicht einfach so mit dem nächsten Tempotaschentuch trockenen lassen. Ich denke da an Trauergottesdienste anlässlich von Amokläufen und großen Unglücksfällen, ich denke an die Einsätze als Notfallseelsorger bei schweren Unglücken und Selbstmorden, ich denke an die Beerdigungen von jungen Müttern und Vätern, aber auch an viele Beerdigungen, die man so leicht „normal“ nennt, weil jemand mit 75, 85 oder 90 Jahren stirbt. Der Kirche, der Pfarrerin, dem Pfarrer wird zugetraut, anlässlich des unsagbaren Leids Worte zu finden, die anderen fehlen. Trost zu spenden, wo man spürt: ich selber kann jetzt keinen Trost finden. Gerade bei Menschen, die nicht an fast jedem Sonn- oder Feiertag Gottesdienste in der Kirche mitfeiern, hängt die Erfahrung, dass Kirche und Glauben an Gott sinnvoll sein können und man, obwohl man Kirche eigentlich nur selten nutzt, doch noch dafür bezahlt, davon ab, dass Pfarrerinnen und Pfarrer sinnvolle Worte und Gesten und Handlungen nicht nur bei den schönen Momenten im Leben anbieten, sondern auch dann, wenn die Tränen kommen, sinnvoll begleiten können. Also bin ich als Pfarrer vielleicht sogar doppelt verrückt, weil ich nicht nur von einer Hoffnung rede, die neben dem liegt, was der Alltag „normal“ erscheinen lässt, sondern auch noch von einer Hoffnung die mich selbst und meinen Arbeitgeber am Ende überflüssig macht? Ja,
vielleicht bin ich das.
Aber ich hoffe wirklich von ganzem Herzen, dass der Tag kommt, auf den schon die Propheten des ersten Bundes Gottes mit den Menschen hofften, wie hier der Prophet, der als Jesaja bekannt ist. Der Tag, an dem sich die Welt endgültig verwandelt. Der Tag, an dem die Menschen sich nicht mehr als Gegeneinander von Völkern, Sprachen, Rassen, Religionen, definieren, sich nicht mehr voneinander abgrenzen, sondern an dem Gott die Welt endlich endgültig zum Guten verwandelt. Der Tag, an dem sich die Menschen als die eine Familie der geliebten Kinder Gottes verstehen. Gerade zu Ostern, wenn wir eigentlich feiern können, dass dieser Sieg über den Tod durch Jesus schon errungen ist, wird mir schmerzlich bewusst, dass auch wir Christen viel zu selten ein Bild der Hoffnung für das Leben abgeben. Ich denke an die Streitereien und Rechthaberin von uns, die wir uns Christen nennen, untereinander. Da wird den einen abgesprochen, wahre Christen zu sein, weil sie Kinder taufen oder nach Meinung mancher nicht inbrünstig genug beten oder weil sie sich trauen, auch Fragen an Gott zu stellen und nicht alles wortwörtlich nehmen, was in der Bibel steht. Da wird den anderen abgesprochen, Christen zu sein, weil sie anders in der Bibel lesen oder sich trauen, Heilungsgottesdienste zu machen. Da kämpfen bis heute mancherorts, wie in Nordirland, Protestanten gegen Katholiken, wie auf dem Balkan Orthodoxe gegen Katholiken. Da wird darüber gestritten, ob Menschen, die das gleiche Geschlecht lieben, überhaupt das Recht hätten, an Gott zu glauben. Da ist wenig Mut da, wirklich mal verrückt zu sein und allem lebensfeindlichen zu widersprechen, weil wir von Ostern her auf das Leben hoffen dürfen. Weil schon die Propheten des ersten Bundes Gottes mit seinem Volk Israel die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass Gott die Menschen miteinander versöhnt und dass der Tod endgültig seine Macht verliert.
Dort, wo wir Menschen anderen ihr Menschsein absprechen, dort, wo andere als minderwertig angesehen werden, weil sie anders denken, glauben, handeln, lieben als wir, dort befinden wir uns noch im Machtbereich des Todes. Dort sind wir nicht verrückt genug, der frohen Botschaft, dass die Macht des Todes durchbrochen werden kann und dass Gott durch Jesus uns Menschen unsere Menschlichkeit zurückgegeben hat und uns mit sich versöhnt hat, wirklich zu trauen.
Aber wir haben, so glaube ich, wirklich Glück. Weil Gott noch viel verrückter ist, als wir das je sein könnten. Er ist so verrückt, uns Menschen zu lieben und uns Vergebung und Versöhnung anzubieten, obwohl wir immer wieder uns gegenseitig beweisen, zu wie viel Bösem wir in der Lage sind. Obwohl wir uns oft genug mehr als nur schwer damit tun, andere zu vergeben, will er uns vergeben. Obwohl er die Macht dazu gehabt hätte, hat er sich nicht dem Leid und dem Tod entzogen, sondern hat in Jesus Christus selber gelitten und ist gestorben. Und das Verrückte: das war nicht sein letztes Wort. Die Liebe ist stärker. Bis heute ist es Menschen nicht gelungen, die Hoffnung zu zerstören, die Liebe zu zerstören. Bis heute erleben Menschen, dass die Verrückte Botschaft von der Hoffnung ansteckend sein kann und sich nicht mit dieser Welt, wie sie oft scheinbar so unveränderlich ist, zufrieden gibt. Gott hat einen Aufstand für das Leben angezettelt. Keinen blutigen, der seine Opfer fordert, sondern einen Aufstand, der die Menschen versöhnt. Über alle Grenzen, die wir ziehen hinweg. Einen Aufstand, der uns eins sein lässt in der Liebe Gottes. Verrückt, das zu glauben. Gut, dass so viele den Mut haben, sich aus dem Normalen wegrücken zu lassen, verrückt zu sein, zu glauben, zu lieben, zu hoffen. Nicht nur an Ostern. Gut, dass Gott verrückt genug ist, an uns zu glauben. Gut, dass wir verrückt genug sind, lieben zu können. Nicht erst dann, wenn alles perfekt ist, sondern schon jetzt. Amen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen