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Donnerstag, 4. März 2010

Aufrecht gehen - Invokavit, 21.02.10, Reihe II

Text: Hebräer 4,14-16
Liebe Gemeinde!
Manchmal tut es gut, einen zu haben, der die unangenehmen Aufgaben erledigt. Jemanden, der wichtige Kontakte herstellt, wenn man sich nicht traut, selbst nachzufragen. Jemanden, der vermittelt, wenn wieder was schief gegangen ist. Praktisch, wenn man solche Leute hat. Aber nicht nur praktisch, sondern manchmal auch schädlich. Es macht eigentlich bequem und abhängig, wenn man sich ständig drauf verlässt, dass andere für einen alles machen. Oder es führt dazu, dass man sich nichts zutraut. Ich kann das nicht – dafür bin ich nicht der Richtige, dafür bin ich zu alt oder zu jung, zu dumm, nicht gut genug. Das gibt es nicht nur bei unangenehmen Sachen in Schule und Beruf, nicht nur beim Ausfüllen der Steuererklärung, bei Konflikten im Haus oder anderen, alltäglichen Dingen, sondern auch im Glauben. Manchmal, wenn ich mich mit Menschen über den Glauben und die Kirche unterhalte, dann kriege ich zu hören: „Ach, ich glaub zwar irgendwie an Gott, aber ich kenn mich da nicht so aus. Da gibt’s andere, die sollen das mal machen, die können das besser!“ Andere sagen: Ich bin doch nicht gut genug. Ich hab auch Zweifel, und vor allem: Ich hab in meinem Leben schon so viel Blödsinn gemacht, das wird nichts mehr!“ Und es gibt auch Menschen, die sagen: „Für den richtigen Kontakt zu Gott brauchen wir Profis. Pfarrer, Priester, die die richtigen Gebete sprechen, die den richtigen Draht zu Gott haben. So als einfacher, normaler Mensch funktioniert das nicht.“ Ja, das gab und gibt es immer wieder. Auch Menschen, die sagen: „Ja, ich bin der Profi, der dir den richtigen Weg zu Gott zeigt. Ich kenne die richtigen Gebete, die richtigen Handlungen, wenn du das so machst, wie ich es dir vormache, dann wirst du mit Gott verbunden. Oder du lässt es mich gleich ganz machen, denn ich bin was Besonderes!“ Früher, in der Zeit von Jesus und davor, hat man solche Menschen „Hohe-priester“ genannt. Das waren die einzigen, die im Tempel in das Allerheiligste durften. Das waren die, die die Opfer und Gebete richtig machen und sprechen konnten und die sozusagen zwischen den Menschen und Gott vermittelt haben.
Von so einem Hohepriester erzählt auch der Hebräerbrief, aus dem ich eben ein kleines Stück vorgelesen habe. Aber dieser Brief erzählt ganz neu und anders von diesem Hohe-priester. Er sagt nicht: Du brauchst als Christ einen anderen Menschen, der stellvertretend für dich bei Gott tätig ist. Du bist ungeeignet, deshalb brauchst du einen besonderen Menschen zwischen dir und Gott. Er sagt etwas ganz anderes: Als Christ brauchst du keinen Menschen, der vermittelt. Jesus hat dich schon längst zu Gott gebracht. Der kennt sich wirklich aus bei Gott, der ist der einzige, der weiß, was für Gott wirklich Sache ist. Er ist „der Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat“, so sagt es der Brief. Etwas, was kein Mensch von sich sagen kann. Und der kennt sich nicht nur im Himmel aus, sondern auch auf der Erde. Jesus ist keiner, der denkt, er wäre besser als wir Menschen, sondern einer, der mitleidet. Einer, der die Schwächen und die Schwachheit von uns Menschen sieht. Einer, der nicht ignoriert, wenn es einem schlecht geht, einem, dem es nicht egal ist, wenn einer sein Leben nicht in den Griff kriegt. Jesus ist als Sohn Gottes keiner, der von oben auf die Menschen herabschaut, sich für was Besseres hält, sondern einer, der da ist, wo es weh tut. Ganz wörtlich sogar. In diesen Wochen vor Ostern erinnern wir besonders an den Weg, den er gegangen ist. An den Weg, der ihn zu den Menschen geführt hat, die wirklich etwas falsch gemacht haben, die Hilfe brauchten. Dieser Weg hat ihn ans Kreuz geführt. Er wurde verraten, gefoltert. Auch deshalb, weil er eben die Menschen direkt, ohne Umwege über andere, mit Gott in Verbindung gebracht hat.
Wozu braucht man denn dann noch einen Pfarrer? Gute Frage! Aber als Pfarrer bin ich niemand, der näher an Gott ist als Isabell oder Mirjam, als Marcos oder Marlene, als David, Maurice oder irgendjemand sonst, der an Gott glaubt und seinen Weg im Glauben gehen will. Als Pfarrer kann ich niemandem den Glauben, das Vertrauen abnehmen. Ich kann niemandem Schuld vergeben oder einen neuen Anfang schenken. Das kann nur Gott. Ich kann höchstens Anregungen zum Nachdenken geben, Anstöße. Ich kann Menschen begleiten, für Menschen da sein, wenn sie Trost, Unterstützung, Rat brauchen. Aber einen besseren, direkteren Draht zu Gott habe ich nicht. Jesus hat für jeden von uns die Leitung zu Gott freigeschaltet. Und das ist der Grund dafür, dass wir mit Zuversicht, wie es Martin Luther in seiner Übersetzung sagt, offen, freimütig, mit erhobenem Haupt, wie man auch übersetzen kann, zum Thron der Gnade, zu Gott gehen kann, um Barmherzigkeit zu empfangen und Gnade zu erlangen, wenn wir Hilfe nötig haben. Gott will uns nicht fertig machen. Es geht im Glauben nicht in erster Linie darum, zu erkennen, wo ich überall nicht toll bin, wo ich versagt habe und sich deshalb klein und dumm zu fühlen. Es geht auch nicht darum, sich das alles egal sein zu lassen und sich selbst als den Größten und tollsten zu sehen, dem nichts was anhaben kann. Es geht darum, ehrlich zu sich, ehrlich zu Gott zu sein. Zu erkennen, wo ich Hilfe brauchen. Sich für Hilfe und Hilfsbedürftigkeit nicht zu schämen, sondern sie anzunehmen. Sich nicht darauf auszuruhen, sondern sie als Ansporn, dem Leben eine neue Richtung zu geben, zu verstehen.
Jeder darf zu Gott kommen. Mit erhobenem Haupt, offen, freimütig. Nicht, weil jeder so toll ist, sondern weil Gott unsere Schwächen kennt und aushält. Weil Jesus für uns da ist. Weil er weiß, wie es ist, unten zu sein. Gott ist nicht der, der uns rausreißt, wenn’s brenzlig wird. Sondern der, der uns hilft, das Brenzlige auszuhalten, und uns hilft, wenn wir uns die Finger verbrannt haben. Damit wir es anders und besser machen.
Gott nimmt uns unser Leben nicht ab. Er erspart uns auch das Schwere nicht. Er erledigt nicht unsere Aufgaben. Aber er hilft uns, mit ihnen fertig zu werden. Und er hilft uns, uns selbst und unser Leben ehrlich anzuschauen. Nicht die rosarote Brille lässt die Liebe wachsen, sondern der offene Blick aufs Leben. Wir brauchen niemanden, der uns im Leben und im Glauben vertritt, sondern Gott traut uns zu, das selbst zu können. Offen, mit erhobenem Haupt. Als Hilfsbedürftige, klar. Aber nicht als für dumm und klein gehaltene, sondern als eigene Menschen.

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