Er kann nicht vor. Er kann nicht zurück. Er ist ein Mensch ohne Heimat. Staatenlos, so nennt man ihn. Gefangen im Transitbereich des Flughafens. Kein Land will ihn. Er richtet sich ein, im Niemandsland des Transitterminals. Heimat, weil sonst keine da sein will. Mit Tom Hanks wurde vor einigen Jahren diese wahre Geschichte verfilmt. Was hier schrullig, irgendwie liebenswert daherkommt, ist für Tausende von Menschen weltweit bittere Wirklichkeit. Ohne Papiere, immer in Angst, abgeschoben zu werden – aus „unserem“ Land, das nicht ihres sein will, in „ihr“ Land, das längst nicht mehr ihre Heimat ist. Niemandsland – nicht Heimatland, nicht Freundesland, nicht Feindesland. Unbestimmt, unsicher.
Die Verheißung, sicher zu wohnen, gehört beim Propheten Jeremia im Alten Testament zum Kern dessen, was er im Auftrag Gottes verkündigt. Bis heute ist das leider Verheißung für eine Zukunft, kein Bild der Realität. Nicht nur für Staatenlose ohne Papiere, auch für die Menschen in Israel. Befeuert von der iranischen Regierung wollen viel zu viele ihr Land auslöschen. Und, Gott sei es geklagt, auch keine Wirklichkeit für palästinensische Familien in Gaza und in den Autonomiegebieten. Niemandsland statt sicherer Wohnung. Menschen sprechen Menschen ab, sich dort, wo sie sich wohl und sicher fühlen, Heimat finden zu dürfen.
Ich kann nicht vor. Ich kann nicht zurück. Dort, wo ich bin, bin ich nicht zu Hause. Ich glaube, dass dies nicht nur ein Lebensgefühl von Flüchtlingen, von Opfern der Diplomatie und Politik, von fehlgeleiteten Ansprüchen auf Landbesitz ist. Im Niemandsland, zwischen den Grenzen, zwischen Ländern leben zu müssen, das trifft auch im übertragenen Sin auf viele zu. Sicher auf nicht wenige Jugendliche. Noch nicht Zuhause im Land der Erwachsenen. Auch, weil wir Erwachsenen ihnen die Einreise nicht immer leicht machen. „Werd‘ erst mal vernünftig. Lern erst mal was Ordentliches. Beweise erst mal, dass du zu uns gehörst!“ Bestenfalls wird ein Besuchervisum ausgestellt, für den Daueraufenthalt muss man erst mal was leisten. Aber eben auch nicht mehr zu Hause im Land der Kindheit. „Du bist dafür doch schon zu alt! Sei doch endlich mal vernünftig! Das musst du doch können!“ Rausgeworfen aus dem einen Land – was ja auch gut ist. Ohne Einreiseerlaubnis in das andere. Niemandsland. ein Land, das ja auch jede Menge Freiheiten bietet. Wo niemand zuständig ist, lässt sich vieles machen. Vieles, was auch an den Grenzen der anderen rüttelt und sie in Frage stellt. Der Theologe Paul Tillich hat einmal die Grenze als den eigentlichen, fruchtbaren Ort christlicher Existenz beschrieben. An Grenzen wachsen wir, arbeiten wir uns ab, ohne Grenzen verliert sich Leben im Nichts. Mir hat das lange eingeleuchtet.
Mittlerweile denke ich aber manchmal, dass vielleicht auch das Niemandsland unser Ort ist. Gottes Verheißungen von einem sicheren Wohnen, von einer gerechten Welt, machen es mir schwer, mich in einer Welt zu Hause zu fühlen, in der Menschenwürde auch vom richtigen Pass oder vom richtigen Stempel im eigentlich falschen Pass abhängt. In einer Welt, in der mit bestenfalls geringem Wimpernzucken Milliarden an Steuern Hoteliers geschenkt werden (ich übernachte gern in Hotels und gönne ihnen, dass sie gut laufen), die aber immer noch akzeptiert, dass Menschen für eine Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro arbeiten müssen. Nicht wirklich zu Hause in dieser Welt – aber auch noch nicht zu Hause in der Welt, in der uns Gerechtigkeit und sicheres Wohnen verheißen ist. Niemandsland – vielleicht gibt uns das ja auch den Freiraum, so wie Tom Hanks in dem Film „Terminal“, den Raum zwischen den Grenzen zu einem eignen Land zu gestalten, das diejenigen, die sich mit ihren Grenzen zu schnell zufrieden geben, zum Nachdenken bringt und in gutem Sinn anstößig ist. Und schließlich: das Niemandsland gehört niemandem. Leben ist kein Besitz. Es gehört niemandem. Vielleicht nicht mal mir selbst. Es gehört Gott. Jedes Leben. Auch das nur geduldete, illegal gemachte, papierlose.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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