Text: Epheser 5,1-8
Liebe Gemeinde!
Nochmal davongekommen! Gerade so die Kurve gekriegt. „Folgt Gottes Beispiel! Lebt in der Liebe! Von Unzucht, dummem Geschwätz oder Habsucht soll noch nicht mal die Rede sein!“ Es sind extrem hohe Ansprüche. Christen sollen erkennbar sein. Nicht nur daran, dass sie irgendwie ganz nett und lieb und freundlich zu anderen sind. Sondern daran, dass sie Liebe wirklich leben. Pornografie, Bordellbesuche, Sex mit ständig wechselnden Partnern, das soll keinen Platz haben in ihrem Leben. Und auch kein dummes Geschwätz, das andere Menschen lächerlich und verächtlich macht. Habsucht natürlich erst recht nicht. Nochmal davongekommen, sich jetzt allzu viele Gedanken über sich selbst und das eigene Leben zu machen. Schließlich gibt es ja im Moment genug, auf die mit dem Finger gezeigt werden kann. Seit Wochen beherrschen vor allem katholische Geistliche, die Kinder und Jugendliche sexuell oder durch Bestrafungen anders körperlich und seelisch missbraucht haben, die Schlagzeilen. Und Bischöfe, die in den Augen der Öffentlichkeit viel zu lasch damit umgehen. Nochmal davongekommen – gut, dass die katholische Kirche so ein schlechtes Bild abgibt und so davon ablenkt, dass es gerade in den 50er und 60er Jahren in Kinderheimen, die von der evangelischen Kirche geführt wurden, ähnlich schlimme Zustände gab. Die Glaubwürdigkeit der Kirche ist erschüttert. Respekt hat ihr ein bisschen die Konsequenz verschafft, mit der Frau Käßmann nach ihrer Trunkenheitsfahrt zurücktrat. Sie hat, anders als leider manche Politiker, nicht nach billigen Ausflüchten gesucht. Ich will nicht ablenken und uns evangelische Christen als besser hinstellen. Auch wenn der Rücktritt Respekt verdient, höre ich doch Sätze wie „Wenn die Oberen nicht besser sind als ich selbst, dann brauch ich die Kirche doch nicht!“ So schlimm wie die Missbrauchsfälle auch sind, so falsch eine Fahrt im besoffenen Kopf auch ist: das alles kann prima als Entschuldigung für eigene Bequemlichkeit missbraucht werden. Kirche sind nicht Bischöfe, Priester, Pfarrer. Jeder getaufte Christ ist Teil der Kirche. Für mich wird hier deutlich, was Paulus im 1. Korintherbrief schreibt: „Wir sind ein Leib! Wenn ein Glied leidet, leiden alle mit!“ Es sind viele, zu viele, aber Gott sei Dank immer noch Einzelne und alles andere als die Mehrheit der Pfarrer, Priester, Bischöfe, Lehrer und Erzieher, die solche Schuld auf sich geladen haben. Trotzdem leidet das Ansehen der GANZEN Kirche darunter. Umgekehrt gilt aber auch. Wenn der Kopf Probleme macht, gibt es immer noch die Beine, die ihn zum Arzt tragen können. Für mich ist das der Liebesdienst, mit dem unser Predigttext heute beginnt. „Folgt Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe“. Für mich heißt das auch: „Benutzt die Fehler, die Unglaubwürdigkeit anderer nicht als bequeme Ausrede zur Vertuschung eigener Fehler. Bleibt glaubwürdig, bliebt in der Liebe und helft denen, die lieblos sind, dadurch wieder zurechtzukommen.“ Wenn wir Jesus Christus ernst nehmen, dann geht es doch nicht darum, Menschen zu ver-dammen, sondern Schuld aufzudecken und so zu ermögli-chen, dass neue Wege gegangen werden können. Gott liebt uns nicht deshalb, weil wir so sind, wie wir sind, sondern obwohl wir so sind, wie wir sind. Weder als einzelner Christ noch als Priester oder Bischöfin sind wir frei von Schuld. Gott liebt den Sünder, nicht die Sünde.
Uns wird was zugetraut. Damit beginnt der Abschnitt aus dem Epheserbrief, der heute Predigttext ist. Uns wird nicht zuerst gesagt, was wir alles nicht tun sollen oder falsch machen. Uns wird zugetraut, in der Liebe, die uns Gott durch Jesus geschenkt hat, zu leben und einander und anderen Menschen mit Liebe zu begegnen. Christsein findet seinen Ausdruck nicht in Vorwürfen und Ablenkungsmanövern von eigener Schwäche, sondern in Liebe. Schöne Aussichten. Und von da aus ergibt sich eigentlich das andere, was sich nicht nur hart anhört, sondern auch hart ist, wenn man es wirklich umsetzt. Weil die Welt bis heute wirklich anders tickt. Meidet die Unzucht! Ja, das ist jahrhundertelang so ausgelegt worden, als sollten Christen keine Freude an ihrer Sexualität haben und als wäre es gut, wenn die Frau ihren Mann zum ersten Mal auszieht, wenn sie ihm das Totenhemd anzieht. Darum geht es gar nicht. Es geht um ganz moderne Lebenseinstellungen. Es geht um die Befriedigung der eige-nen Triebe, der eigenen Lust, am besten sofort, ohne Rück-sicht auf den anderen, ohne Rücksicht auf die Konsequen-zen. Körper werden zur Ware gemacht, Frauen nach der Größe ihrer Brüste, Männer nach der Festigkeit ihres Pos beurteilt. Nicht nur Kindern und Jugendlichen wird vorgemacht, dass Schönheit allein auf einen vom anderen Geschlecht begehrenswerten Körper reduziert werden kann. Die Bibel will nicht Spaß und Freude verbieten und lauter langweilige oder prüde und verklemmte Menschen. Jesus will Menschen. Nicht Körper. Liebe, die mehr ist als ausschließlich Triebbefriedigung. Das kann und darf ganz viel Spaß machen. In dieser etwas alten biblischen Sprache steht Unzucht für alles, was den Menschen klein macht und ihn reduziert. Und da geht es eben nicht nur darum, zu schauen, wo andere das machen, sondern wo bei mir, in meinem Leben die Gefahr da ist. Menschen klein zu machen. Das ist auch gemeint mit den närrischen Reden, von denen im Epheserbrief die Rede ist. Hört sich ja vielleicht so an, als ob man als Christ keine Witze machen dürfte und Spaßverbot hätte. Gemeint ist aber dummes Geschwätz, das andere herabsetzt und verletzt. Nicht Witze an sich sind gemeint, sondern Witze auf Kosten von anderen. Witze, die dem anderen keinen Ausweg lassen. Witze über Schwule, über Politiker, über katholische Priester zum Beispiel, die den anderen nur als Deppen da stehen lassen. Als Objekt, an dem man die eigene Lust, größer und besser als andere zu sein, ausleben kann. Mit Habsucht ist das eigentlich das gleiche. Ich will mich auf Kosten anderer bereichern. Ich will das haben, was der andere hat – egal, ob ich es brauche, egal, ob es mir hilft. Ich gönne dem anderen wenig, weil ich alles haben will. „Folgt Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe“. Ja, für mich heißt das zuerst: so, wie Gott dich, mich, Mensch sein lässt, so soll das auch im Umgang mit anderen sein. Christsein soll nicht für ein spaßfreies, sondern für ein menschenwürdiges Leben stehen. Für ein Leben, das seinen Reichtum nicht aus der Armut anderer bezieht. Für ein Leben, dass nicht deshalb groß ist, weil andere klein gemacht werden, sondern weil es weiß, dass es aus der Liebe leben darf. Aus der Liebe, die dem Menschen gilt – nicht unbedingt seinem Verhalten. Aus der Liebe, die dem Menschen, mir, hilft, sein Leben mit offenen und ehrlichen Augen zu sehen, auch die Schuld zu sehen, und es so möglich macht, umzukehren. Dort, wo Menschen sich gegenseitig zu Objekten machen, mit denen man skrupellos umgehen kann, dort entsteht Schuld.
Kinder des Lichts sind wir, sagt der Epheserbrief. Das heißt nicht, dass wir hier im Gottesdienst oder in der evangelischen Kirche oder in den christlichen Kirchen überhaupt die guten wären und alle anderen die Bösen. Kinder des Lichts – das heißt, dass wir die Wahrheit aushalten und weitersagen können. Dass Christus die Wahrheit über das Leben aufdeckt und wir diese Wahrheit aushalten und daraus Konsequenzen ziehen. Nicht zuallererst aus der manchmal schrecklichen Wahrheit des Lebens anderer, sondern aus der oft genug erschreckenden Wahrheit über unser eigenes Leben. Weder in meinem Leben noch im Leben von ihnen und euch, die heute Gottesdienst mitfeiern ist alles nur hell und schön und Licht. Aber Gottes Liebe gibt die Kraft, in all dem Grau das Licht zu ahnen. Die Liebe, die den Grauschleier wegwischt. Lebt als Kinder des Lichts. Diese Aufforderung aus dem Epheserbrief, dieses Vertrauen, das Gott nicht in Bischöfe, Pfarrer oder Glaubensprofis, sondern in jeden setzt, die will uns weg bringen von dem Weg, sich auch durch die Schuld anderer besser zu fühlen. Sie will uns Mut machen, dort, wo Finsternis und Dunkelgrau vorherrscht, in Liebe das Licht zu suchen. Miteinander. Nicht durch das Kleinmachen von Menschen, nicht durch Befriedigung eigener Bedürfnisse auf Kosten anderer, sondern durch die Liebe Gottes, die in mir und den anderen den Menschen sieht.
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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