Text: 1. Korinther 13
Gemeinde!
Jetzt wisst ihr wie es geht! Liebt gefälligst! Seid für den anderen da! Denkt nicht an euch! Liebt!
Amen.
Da fehlt doch was. Etwas ganz Entscheidendes: die Liebe. Also noch einmal von vorne:
Liebe Gemeinde!
Klar, es ist vielleicht einfach nur höflich, in einem freundlichen Ton zu sprechen und sie und euch alle mit „Liebe“ anzureden. Aber ich glaube schon, dass Höflichkeit und Wertschätzung ein erster Schritt zu dem sind, was Liebe wirklich meint. Gerade die Liebe, von der Paulus hier in so vielen und überschwänglichen Worten schreibt, wie ich sie vorgelesen habe. Liebe heißt doch nicht zuletzt, einem anderen Menschen zu zeigen: Du bist mir was wert. Und das fängt für mich bei scheinbar so nebensächlichen Dingen wie einer Anrede an. Gerade bei einer Predigt. Ich kann eine Predigt aus reinem Pflichtgefühl halten. Es ist mal wieder Sonntag, ich muss halt, dafür werde ich bezahlt. Ich kann denken: Ist mir doch egal, was die Gemeinde davon hält! Die Predigt könnte noch so toll formuliert sein, noch so witzig, heute vielleicht als Büttenrede, sie wäre nichts wert. Das Entscheidende sind nicht Klugheit und tolle Worte, das Entscheidende ist die Liebe. Die Liebe als die entscheidende Lebensgrundlage. Leben ohne Liebe, Glauben ohne Liebe trocknet aus. Wird zu bloßen Hülle. Außen vielleicht noch ganz passabel. Aber innen tot, hohl und leer. Natürlich weiß keiner von ihnen und euch, ob ich die Menschen im Gottesdienst, die Gemeinde hier, meine Konfis, meine Schüler, meine Frau und vor allem Gottes Wort wirklich liebe. Oder ob ich was vorspiele. Liebe, menschlich betrachtet, ist immer voller Risiko. Vor ein paar Jahren gab es ein Lied, in dem immer wieder gesungen wurde „Lass es Liebe sein“. Die Band, die es sang, war alles andere als christlich. Aber diese Zeile ist für mich so was wie ein Gebet. Gerade heute, wo auch noch der Valentinstag, der Tag der Liebenden, auf diesen Sonntag fällt. Liebe ist so groß, so schön, aber eben auch so verwirrend, so mehrdeutig, dass ich glaube, dass uns oft nichts anderes übrigbleibt, als Gott zu bitten: „Lass es Liebe sein“. Lass es nicht Überheblichkeit, nicht Stolz, Hochmut, der Wunsch nach Anerkennung sein, sondern lass es einfach Liebe sein. Mach aus dem, was wir nicht immer allein schaffen, etwas Gutes und Schönes! Lass es Liebe sein! Liebe ist alles – so heißt es auch in diesem Lied. Ich würde nicht so weit gehen. Wir brauchen schon noch ein paar andere Dinge und Fähigkeiten. Ein Chirurg, der seine Patienten liebt, aber mit dem Skalpell nicht umgehen kann, der schadet nur. Liebe ist nicht alles – aber ohne Liebe ist am Ende alles nichts! Darum geht’s doch auch bei Paulus. Ich kann noch so toll von Gott erzählen und ihm singen wie sonst nur die Engel singen, ich kann nach außen fromm sein, mich an alle Gebote halten, besser, schöner, länger beten als alle anderen, ich kann alles, was ich habe, armen Leuten spenden – ohne Liebe ist das nichts wert. Schreibt er doch. Da sind selbst die tollsten Worte und der schönste Lobgesang nicht mehr als irgendein Geplärr und Lärm. Glauben an Gott, Liebe, das ist kein Wettbewerb um Frömmigkeit, Klugheit, Schönheit. Da geht’s nicht drum, mehr zu spenden, besser zu beten, schöner zu singen, frommer zu reden, aktiver zu handeln.
Vielleicht, hoffentlich, ein Hoffnungsschimmer für alle, die denken, sie können nicht gut genug lieben, sie tun zu wenig, sie zweifeln manchmal, sie beten zu wenig oder was auch immer. Liebe und Glauben – das lässt sich nicht an Äußerlichkeiten messen. Und das macht es auch so schwer. Es wäre, denke ich, manchmal leichter mit ganz festen Regeln: Wenn Du liebst, dann hast du mindestens 10 % deines Einkommens zu spenden, dann hast du regelmäßig deiner Frau Blumen zu schenken, deinem Mann zu kochen, alles zu ertragen, was deine Kinder oder Konfis oder Schüler so machen. Wenn du glaubst, dann hast du täglich mindestens drei Abschnitte aus der Bibel zu lesen, mindestens zwei Mal täglich zu beten, sonntags in die Kirche zu gehen und mindestens 3 Stunden in der Woche in der Gemeinde ehrenamtlich zu arbeiten. Feste Regeln – aber Liebe hält sich nicht an Regeln. Es gab mal vor ein paar Jahren ein Plakat der Evangelischen Kirche in Köln. Darauf waren zwei Männer zu sehen, die sich küssen, mit der Überschrift: Gott ist die Liebe – aber manchmal verstehen wir sie nicht. Es gab viele Proteste. Ob das Bild gut und richtig war, darüber kann man lange streiten. Ich denke, wir brauchen manchmal Provokationen, auch in der Liebe, auch bei Gott, damit wir aus Selbstverständlichkeiten wachgerüttelt werden. Wir tun so, als wüssten wir was Liebe ist. Wir Pfarrer – und auch viele andere Christen – tun oft genug so, als wüssten wir, was Gottes Liebe ist – dabei wissen wir gar nichts! Und verstehen oft genug auch nichts. Denn zu verstehen ist das nicht, was Paulus da weiter schreibt. Die Liebe ist geduldig und freundlich. Sie ist nicht neidisch oder überheblich, stolz oder anstößig. Die Liebe ist nicht selbstsüchtig. Sie lässt sich nicht reizen, und wenn man ihr Böses tut, trägt sie es nicht nach. Sie freut sich niemals über Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich immer an der Wahrheit. Die Liebe erträgt alles, verliert nie den Glauben, bewahrt stets die Hoffnung und bleibt bestehen, was auch geschieht. Wie soll man das denn schaffen?! Ich glaube, dass wir hier falsch liegen, wenn wir diese Worte als Patentrezept für eine glückliche Beziehung, egal ob Mann-Frau, Eltern-Kind oder anders verstehen wollen. Paulus erzählt uns von Gottes Liebe zu uns Menschen. Sie hält es aus, wie Jesus am Kreuz, zum Opfer von Verrat und Unmenschlichkeit zu werden. Sie hält es aus, verleugnet, missachtet zu werden. Sie kommt nicht mit Pomp daher, stellt sich nicht zur Schau. Wo wir Menschen das untereinander in den Beziehungen, in denen wir leben, schaffen, da blitzt etwas von dieser großen Liebe Gottes auf. Da wird Gott in der Liebe greifbar – auch wenn wir manchmal gar nicht verstehen, wie und warum. Es gab mal ein Terroristin, Gudrun Ensslin, schon länger ist sie tot. Sie war für den Tod von vielen Menschen verantwortlich und hat wirklich viele richtig böse Sachen gemacht. Selbst umgebracht hat sie sich, als ich so etwa 12 Jahre alt war. Was mich damals als fast noch Kind beeindruckt hat, waren ihre Eltern. Die haben immer, auch bei der Beerdigung, deutlich gemacht, dass sie trotz aller Verletzungen, die ihre Tochter auch ihnen zugefügt hat, zu ihr als Mensch stehen und sie lieben, auch wenn sie ihre Taten verurteilen. Liebe redet Lieblosigkeit nicht schön. Einen Mörder, einen Schläger, einen Vergewaltiger im Namen der Liebe zu decken, nur weil er oder sie mein Kind, mein Freund, mein Mann, meine Frau, meine Freundin ist, das hat mit Liebe nichts zu tun. Aber sagen zu können: Ich hasse deine Tat, ich verurteile deine Lieblosigkeit, aber ich liebe dich – vielleicht auch dadurch, dass ich dich vor die Konsequenzen deiner Lieblosigkeit stelle ohne die Beziehung zu dir abzubrechen, das ist ein Spiegel der Liebe, mit der Gott uns Menschen liebt. Aber das kann, glaube ich, nicht trainiert werden. Es ist ein Geschenk, über das wir nicht verfügen können. Und an dem wir immer wieder scheitern. Der entscheidende Satz in diesem Absatz ist für mich „Die Liebe freut sich an der Wahrheit“. Die Liebe hilft, auch traurigen Wahrheiten ins Auge zu sehen. Wir müssen nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Wir müssen nichts schön reden. Weder die Lieblosigkeit und das Versagen von anderen noch unsere eigene Lieblosigkeit und unser eigenes Versagen. Da berührt sich dieses Reden von Gottes Liebe mit der Einsicht von Paulus, dass wir bei allem, was wir tun, selbst bei unseren ehrlichen Versuchen, es mit der Liebe ernst zu nehmen, immer nur Stückwerk und nie das Perfekte schaffen. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Das ist eigentlich mein persönlicher Lieblingsvers. Das, was wir in unserem Leben schaffen, ist immer nur ein Teil der Liebe, die eigentlich möglich ist. Manchmal verdunkelt. Durch Unfähigkeit, durch traurige Erfahrungen. Aber trotzdem da. Und vor allem: wir sind jetzt schon erkannt – von Gott als liebenswert. Und Gott wird unser Stückwerk, unsere ganzen losen Enden, unsere unsortierten Lebenspuzzleteile so zusammenfügen, dass wir seine Liebe auch in uns und durch uns erkennen. Nicht, indem wir jetzt schon versuchen, besser als andere zu sein. Nicht, indem wir versuchen, alles von uns aus perfekt zu machen. Sondern indem wir uns einlassen. Auf die Liebe Gottes. Und indem wir dann diese Liebe weiterschenken. An andere. An uns. Mit allem, was auch schief geht. Da bleibt nichts mehr zu sagen als: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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