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Samstag, 13. April 2013

"Schatz, hast du mich lieb??" - von nervigen Fragen und klugen antworten Misericordias Domini, 14.04.2013, Reihe V

Text: Johannes 21,15-19 (Zürcher Bibel)
Liebe Gemeinde!
„Schatz, liebst du mich?“ – „Ja, klar“ – „Liebst du mich wirklich?“  - „Natürlich, das weißt du doch!“ – „Aber liebst du mich so richtig?“ – Wer als derjenige oder diejenige, der oder die gefragt wird, nicht schon bei der zweiten Frage die Augen gerollt hat, ist spätestens jetzt dem Wahnsinn nahe und kurz vor dem Ausrasten. Ich glaube fast jeder, der schon einmal die unglaublich schöne Erfahrung einer liebevollen Beziehung zu einem anderen Menschen gemacht hat, kennt diese oder ganz ähnliche Dialoge. Und zwar meistens von beiden Seiten. Als der, der so hartnäckig fragt oder als derjenige, der bei der dritten Frage genervt nicht mehr weiß, was er oder sie noch alles sagen soll. Ich glaube auch, dass diese Erfahrung relativ altersunabhängig ist. Von der ersten großen Liebe bis zur goldenen oder diamantenen Hochzeit nach vielen Ehejahrzehnten solche Gespräche schleichen sich ein. Eigentlich weiß ja fast jede und jeder, dass solche Gesprächsgänge wenig bis gar nichts bringen, außer vielleicht dem Gefühl der Gereiztheit. Über Liebe kann man schlecht reden, Liebe spürt man. Aber trotzdem: ich glaube, dass jede und jeder manchmal einfach Bestätigung braucht und sie auch durch solche Fragen sucht. Da kann es sein, dass so viel im Leben gerade schief läuft, dass in der Schule nichts passt oder in der Familie Streit ist oder im Beruf viel Stress ist oder eine Krankheit das Leben ganz schwer macht oder, oder, oder. Und da will ich an einem Punkt wissen, dass ich sicher bin. Dass ich neues Selbstvertrauen schöpfen kann. Als Mensch brauche ich einfach immer wieder mal Bestätigung.
Vielleicht ein bisschen seltener, aber auch nicht ganz unbekannt sind Fragen im Freundeskreis: „Hey, wir zwei sind doch dickere Freunde als ich mit dem Rest, oder?“ Oder auch in der Familie: „Mama, du hast mich doch lieber als Papa mich lieb hat, oder?“ Auch da steckt auf der Seite des Fragenden oft eine Menge Unsicherheit dahinter, manchmal aber auch der Versuch, einen Keil zwischen den, der gefragt wird und die anderen zu schieben. Und was soll man als Gefragter darauf antworten? „Klar, ich bin besser, liebevoller, verlässlicher als die anderen, als der andere?“ Es ist nicht immer leicht, der Versuchung zu widerstehen, sich gegen andere und auf Kosten von anderen in ein gutes Licht zu stellen und durch solche Fragen, Spielchen und Antworten zu profilieren. Genauso menschlich wie die Sehnsucht nach Bestätigung.
Und weil das alles so menschlich ist und so einen komischen Beigeschmack hat, kann man sich schon wundern, dass Johannes von so einem merkwürdigen Gespräch zwischen dem auferstandenen Jesus und Petrus erzählt. Hat Jesus das etwa nötig? Ist er so wenig selbstbewusst, dass er sich so Bestätigung holen muss? Will er einen Keil zwischen die Jünger treiben? Spielt er mit Petrus? Ich glaube, dass wir uns wirklich wundern müssen und wundern dürfen, wenn wir so scheinbarmenschliche Geschichten  dem Auferstandenen, in der Bibel lesen und nicht zu schnell einfach sagen: „Das ist alles doch anders gemeint!“ Die Bibel ist kein glattes Lesebuch, keine nette Lektüre für den entspannten Sommerurlaub am Meer im Liegestuhl, sondern sie ist interaktiv, wie es heute so schön heißt. Sie will anregen, Fragen zu finden, sich in Frage stellen zu lassen, Selbstverständliches nicht als selbstverständlich hinzunehmen und dabei Wahrheiten zu finden, die tiefer liegen, als es uns unsere mittlerweile oft auf oberflächliche Schönheit und oberflächliche Unterhaltsamkeit getrimmte Welt manchmal weismachen will. Die Bibel ist ein echtes interaktives Mitmachbuch, in dem es auch auf mich, meine Fragen, mein Leben ankommt. Und so ist es auch mit dieser Geschichte. Warum redet Jesus also so merkwürdig mit Petrus? Ich glaube, weil Jesus hier auch so ein interaktives Mitmachprogramm für Petrus
 in Gang setzt. Jesus gibt Petrus keine fertigen Rezepte, sondern er lässt ihn selbst zu den richtigen Erkenntnissen kommen. Das fängt mir der ersten Frage an: „Liebst du mich mehr als die anderen?“ Petrus antwortet nicht: „Ja, ich habe dich lieber als alle anderen!“, sondern: „Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“. Petrus vergleicht sich nicht. Früher war er manchmal anders. Boshaft könnte man sage, dass er ein echter Streberjünger war. Petrus war immer der erste bei allem, er nahm kurz vor der Verhaftung von Jesus den Mund besonders voll und sagte: „Auch wenn alle anderen dich verlassen, bin ich als einziger da“ und er hat auch noch einem derjenigen, die Jesus verhaftet haben, ein Schwert abgenommen und ein Ohr abgehauen. Und jetzt ein anderer Petrus. Es ist nicht wichtig, besser als die anderen zu sein, mehr Liebe als die anderen zu haben. Liebe braucht und duldet keine Vergleiche. Liebe lebt von der Einmaligkeit der Beziehung, in der keiner austauschbar wäre. Es ist egal, wie lieb andere Jesus haben, wichtig ist, dass ich ihn lieb habe. Insofern ist – übrigens in jeder Liebesbeziehung – „lieb haben“ die Steigerung von „lieber haben“. Denn durch den Verzicht auf den Vergleich wird deutlich, dass derjenige, der das sagt, weiß, dass er und seine Beziehung und seine Liebe wirklich einmalig ist und dass er oder sie in seinem und ihren Wert unabhängig von anderen sein kann und sein darf. Mir ist das auch in Bezug auf Gott, auf Jesus wirklich wichtig. Immer mal wieder fragen mich meine Schülerinnen und Schüler: „Wen haben sie eigentlich lieber, ihre Frau oder Jesus?“ Was kann ich darauf antworten außer: „Ich hab beide lieb“? Beziehungen sind unvergleichlich. Die Liebe zu meiner Frau ist anders als die Liebe zu Jesus, zu meinen Eltern, zu meiner Gemeinde, meiner Schwester oder meinen Freunden. Ich darf lieb haben ohne lieber haben zu müssen. Auch im Glauben an Jesus.
Dann kommt noch ein zweiter Punkt dazu. Jesus fragt Petrus drei Mal, ob er ihn denn liebe. Nach Jesu Verhaftung wurde Petrus drei Mal gefragt, ob er denn ein Freund von Jesus sei, und drei Mal hat er das bestritten. Jesus gibt Petrus die Möglichkeit, sich zu ändern, Fehler zu sehen und anders zu machen, ohne ihn bloßzustellen und ihm seine Fehler lange vorzuhalten und ihn zu demütigen. Vergebung zu gewähren heißt also nicht, Schuld aufzurechnen und andere zu demütigen und so Macht auszuspielen, sondern dem anderen zu helfen, die eigene Würde wieder zu finden und ein Bewusstsein für ein neues, anderes Verhalten zu ermöglichen. Vergebung ist nicht in erster Linie ein Akt der Macht, sondern, wenn sie wirklich etwas bewegen soll, ein Beziehungsgeschehen. Petrus erkennt, dass er lieben kann und darf, obwohl er vorher versagt hat. Er kann seine Liebe ausdrücken und als Teil seines Lebens annehmen. Und das, was in der deutschen Übersetzung so einfallslos als dreimaliges Fragen nach dem „Liebhaben“ daherkommen könnte, ist im Original etwas bewegter. Im Deutschen haben wir nur ein Wort für „Liebe“, hier im Evangelium wird nach zwei Gesichtspunkten von Liebe gefragt: zweimal nach der sich hingebenden, aufopfernden Liebe, einmal nach der freundschaftlichen, sich dem anderen als Mensch zuwendenden Liebe. Liebe ist sehr vielfältig. Auch das wird ausgesprochen.
Und noch etwas wird deutlich: Jesus gibt die Menschen, auch die Versager, auch die, die ihn verleugnet haben, nicht auf. Seine Liebe ist eine nachgehende Liebe, die immer wieder nachfragt, die auf Antwort wartet. Und diesem ehemaligen Versager, der dann neu lieben kann, dem gibt er einen Auftrag: „Weide meine Lämmer, hüte meine Schafe“. Sei für die da, die zu mir gehören. Für die lieben, braven genauso wie für die bockigen, schwierigen. Für die, die ganz viel Schutz brauchen genauso wie für die, die gut auf eigenen Füßen stehen können. Für die, die sich verirrt haben, die weit weg sind. Gehe ihnen nach, schau, wo sie Hilfe brauchen, zeige ihnen gute Weidegründe, gute Lebensmöglichkeiten, gehe ihnen nach, sei für sie da. In der Tradition legt man das oft so aus, als wären damit bis heute der Papst, die Bischöfe, die Pfarrer, die Gemeindeleiter, vielleicht auch die, deren Beruf es ist, wie Jugendarbeiter, Diakoninnen und Diakone und so weiter gemeint. Aber ich glaube, dass mit Petrus hier jede und jeder angeredet ist und dass Jesus nicht nur Pfarrer oder andere Berufschristen so anreden würde. Ich glaube, dass das zum Beispiel für Konfis wichtig sein kann. Als Pfarrer weiß ich nicht, wer zwar am nächsten Sonntag in der Kirche „Ja“ zu Jesus sagt, aber am Dienstag seinen Freunden oder Freundinnen erzählt, wie blöd doch alles war und ausrechnet, wieviel Geld ihm eine Stunde Konfer im Durchschnitt gebracht hat. Und keiner weiß, ob nicht eine oder einer, der jetzt wirklich aus voller Überzeugung „Ja“ zu Jesus sagt, nicht in 5 oder 15 oder 25 Jahren in eine totale Glaubenskrise kommt und sich erstmal dann auch ganz von der Kirche, der Gemeinde, dem Glauben abwendet. Aber ich glaube erstens, dass Jesus immer wieder nachfragt, das ganze Leben lang, immer wieder seine Liebe anbietet und dass man, wenn man, wie Petrus, wieder neu „Ja“ sagen kann, auch entdecken kann, wo man diese Liebe und diese Erfahrung von Neuanfang und Vergebung für andere einsetzen kann. In der Schule, im Beruf, in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Politik. „Weide meine Lämmer, hüte meine Schafe“ heißt eben nicht nur „sei in deiner Gemeinde aktiv“. Und auch für Erwachsene gilt das doch, auch wenn sie nicht hauptamtlich bei der Kirche arbeiten. Ein Beispiel ist für mich unser Richtsbergmobil. Vor allem ältere und alte Leute unterstützen das durch Mitarbeit und Spenden. Da werden Jugendliche nicht nur als anstrengende Störfaktoren gesehen, sondern da wird Verantwortung auch für Jugendliche übernommen, die man gar nicht kennt. Und es gibt noch viel mehr Beispiele, aber wenn ich die alle aufzählen würde, würde die Predigt viel zu lang. Sie ist jetzt schon viel zu lang, aber ich will doch noch was zum Ende des Gesprächs zwischen Jesus und Petrus sagen, weil da was deutlich wird, was für mich entscheidend für die Bibel überhaupt ist: Sie ist ehrlich und es steckt viel Trost in ihr.
Am Ende des Gesprächs redet Jesus davon, dass Petrus früher alles selbst in die Hand genommen hat, die Wege gegangen ist, die er gern gehen wollte, dass aber Zeiten kommen werden, in denen er auf Hilfe angewiesen sein wird, in denen er die Hände ausstrecken darf, er aber dann auch auf Wege geführt wird, die er lieber vermieden hätte. Wer wirklich mit der Liebe Jesu sich auf den Weg macht, der wird auch an Punkte kommen, wo es nicht einfach ist, wo er oder sie am liebsten weglaufen würde. Ehrlich. Nicht Beschönigend. Aber eben gerade dort werden sich die Stärke und die Liebe Gottes auch in seinem Leben zeigen. Eine andere Art, das zu sagen, ist im 23. Psalm: „und ob ich schon wanderte im finsteren Tal fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir“. Stärke zeigt nicht der, der meint, alles selbst schaffen zu können – auch nicht in der Gemeinde, als Pfarrer, Mitarbeiter, auch nicht in der Familie, in der Beziehung zu anderen Menschen oder zu Jesus. Stärke zeigt der, der erkennt, wo er selbst Hilfe braucht und Hilfe annehmen kann. Wo er den Mut hat, Hände auszustrecken, im Vertrauen darauf, dass Gott ihn führt und auch auf den schweren Wegen dabei ist. Die Aussicht dieser Nachfolge in der Liebe des Auferstandenen ist nicht ein leichtes Superleben, sondern ein Leben, dass auch dann noch was wert ist, wenn schwere Zeiten kommen, ein Leben, dass immer von der Liebe begleitet und gehalten wird. Auch noch im Tod und darüber hinaus. Dieser Weg wird kein leichter sein – aber es ist der Weg, auf dem die Liebe wirklich stark werden kann.
Amen.

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