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Mittwoch, 2. Januar 2013

Wo viel Licht ist, ist viel Schatten - Epiphanias, 6.1.13, Reihe V

Text: Jesaja 60,1-6
Liebe Gemeinde!
„Wo viel Licht ist, ist viel Schatten“ – ein Sprichwort, mehr nicht. Aber wie fast alle Sprichwörter und Lebensweisheiten hat es einen durchaus wahren Kern. Da, wo vieles in ein gutes Licht gerückt wird, da, wo vieles hell zu strahlen scheint, gibt es immer auch eine dunkle Seite. Etwas, das gern verborgen wird. Oder das, was an Schäden angeblich nicht zu vermeiden ist. Eindeutig gut, eindeutig im Licht stehen – das gibt es in dieser Welt nicht. Mich reizt der Bibeltext, der für den heutigen Tag als Predigttext vorgesehen ist, tatsächlich mal, nach den dunklen Seiten, nach den Schatten zu fragen. Es ist fast schon eine Überdosis Licht, die wir da abbekommen: Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir, so beginnt dieser Abschnitt aus dem Buch Jesaja. Schon wieder, wie zu Weihnachten auch, das hell strahlende Licht Gottes. Alles wird gut. Alles wird schön. Heute ist das letzte Fest im weihnachtlichen Festkreis. „Epiphanias“ heißt es. Wenn man diesen griechischen Namen ins Deutsche übersetzt, heißt das so viel wie „Erscheinung“ oder „Aufscheinen“. Gemeint ist, dass wir Christen feiern sollen, dass Gott in dieser Welt sichtbar geworden ist, dass etwas von seiner Herrlichkeit und von seinem Glanz in dieser Welt zu fassen ist. Deshalb der Predigttext. Und deshalb auch der beliebtere und bei den allermeisten Menschen auch bekanntere Name dieses Festes: Dreikönigstag. In Erinnerung an die drei gelehrten Männer aus dem Land des Sonnenaufgangs, von denen der Evangelist Matthäus erzählt. Die drei Gelehrten, die einen Stern sahen, in ihm die Ankunft eines besonderen Königs in dieser Welt sahen. Sie wussten nichts vom Gott Israels, von dem Gott, an den wir glauben. Sie machten sich auf, suchten im Palast. Dort fanden sie diesen König nicht. Aber sie entdeckten Gott als König der Welt in einem kleinen Kind, geboren in Bethlehem, dem sie wertvolle Geschenke mitbrachten. Gottes Herrlichkeit und Wirklichkeit wird in dieser Welt sichtbar: das erkennen die drei klugen Männer, die eigentlich an ganz andere Götter glaubten, aber in Jesus den wahren Gott sahen.  Davon erzählt eben auch auf andere Weise das Buch Jesaja. Und die, die in Jesus Gott erkannten, die bezogen dann diese Wort vom Licht auch auf ihn. Alles schön und gut. Aber mir manchmal auch ein bisschen zu gut. Die Feiertage sind vorbei, die Kerzen am Baum tauchen die Wirklichkeit vielleicht heute noch in ein etwas milderes Licht, aber dann geht der Alltag wieder los, spätestens doch nächste Woche, wenn auch die Weihnachtsferien vorbei sind.  Wie gesagt, wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Wie recht hier der Volksmund hat, merke ich an der Schwelle zwischen Festtagen und Alltag ganz deutlich. Gerade auch an der Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenland, dem Land des Sonnenaufgangs. Manche kennen sicher auch die Fortsetzung beziehungsweise das Ende der Geschichte: Aus Angst um seine eigene Herrschaft lässt König Herodes alle neu geborenen Jungen in Bethlehem töten. Jesus und seine Eltern können gerade noch rechtzeitig fliehen, weil ein Engel Josef im Traum erschienen ist. Aber zig Familien wurden ins Unglück gestürzt. Zig Jungen haben durch die Grausamkeit eines weltlichen Herrschers ihren ersten Geburtstag nicht erlebt.
Zwei dunkle Schatten wirft helle Licht für mich. Der erste dunkle Schatten: Warum hat Gott die anderen Familien nicht genauso vorgewarnt wie Josef, Maria und Jesus? Und der andere dunkle Schatten: Wie können Menschen nur so grausam sein und auf Befehl von wem auch immer einfach so kleine Kinder abschlachten?
 Ich habe auf beide Fragen keine befriedigenden Antworten. Sie bleiben. Wo viel Licht ist, viel Freude darüber, dass Gott sich auch von Menschen aus fremden Kulturen entdecken lässt, dass sein Licht ausgerechnet in einem kleinen Kind zu sehen ist, das unter ärmlichen Bedingungen geboren wird und nicht mit einem goldenen Löffel im Mund in einem Palast zur Welt kommt,  zu sehen ist, da ist auch viel Schatten. Die Erkenntnis, dass auch noch so viel Weihnachts- und Festtagsfreude mir die Erkenntnis nicht erspart, dass Gott eben doch oft genug der ganz andere ist. Der Gott, der mich vor ein Leben stellt und in ein Leben stellt, das ich nicht wirklich verstehe. Der Gott, der sich nicht nur als der ganz nahe, der ganz den Menschen zugewandte zeigt, wie wir es in diesen Tagen immer wieder gefeiert haben und wie ich es auch gern gepredigt habe, sondern auch der Gott, der uns Menschen und unserem Verstand fremd und entzogen ist. Und die Erkenntnis, dass Menschen sich auch über 2000 Jahre nach der Offenbarung von Gottes Liebe in der Welt immer noch gegenseitig das Leben zur Hölle machen können und sich durch Grausamkeiten und blinde Wut und gedankenlosen Gehorsam glauben, ihren Platz im Leben gegen andere sichern zu müssen. Ich denke dabei nicht nur an die größeren Schrecken dieser Tage. Zum Beispiel daran, dass Christen in Ägypten, Nigeria und anderen Ländern wieder verfolgt werden und in Angst um ihr Leben Gottesdienste feiern. Und zwar nicht deshalb, weil der Islam an sich eine grausame Religion wäre. Das ist er nicht, er ist als Religion nicht aggressiver, aber auch nicht friedlicher als unser christlicher Glauben. Gefährlich wird es, weil skrupellose Politiker und neidische Nachbarn Religion missbrauchen und vorschieben, um sich auf Kosten anderer bereichern zu können oder die eigene Macht zu sichern. Ich denke auch an die alltäglichen Grausamkeiten, zu denen Menschen fähig sind. Zum Beispiel an einen Streit unter zwei gut 50-jährigen Frauen über Lautstärke in Mietwohnungen, bei dem Der Sohn der einen den Kopf der anderen mit einem Baseballschläger zertrümmert hat. Kurz vor Silvester. Und an Kinder, die auch heute wieder, während wir hier Gottesdienst feiern, in vielfacher Hinsicht als Sexobjekte von Erwachsenen missbraucht werden.
Die großen, schönen Worte der Propheten, das hell erstrahlende Licht, die schönen Worte der Weihnachtsbotschaft, die Hoffnung auf das Licht der Welt, das in Jesus sichtbar geworden ist, all das zeigt mir umso schärfer, was alles im Dunkel steht und gar nicht leuchtet, sondern manchmal auch alles Licht zu verschlingen droht.
Was ist denn das jetzt für eine Predigt? So mag vielleicht jetzt mancher denken. Am Epiphanias- beziehungsweise Dreikönigstag, an dem Tag, der für uns westliche Christen die Weihnachtszeit im engeren Sinn abschließt und der, wegen der Ausrichtung nach dem julianischen, dem älteren, in Russland bis 1917 gebräuchlichen Kalender, für unsere orthodoxen Glaubensgeschwister den Beginn der Weihnachtszeit markiert, an diesem Tag so eine Predigt, die erst einmal vielleicht mehr Fragen aufwirft als beantwortet? Was soll das?
Gerade der Predigttext für heute,  der zu einer Zeit in das Buch Jesaja gekommen ist, als es für das Volk Israel auch nicht glänzend aussah, als sich manche Hoffnungen auf Neuanfang zerschlagen hatten, als es wirtschaftlich nicht besonders gut ging und als fremde Könige sehr viel mächtiger waren und das kleine Volk mit seinem Glauben auf das Wohlwollen andersgläubiger Herrscher angewiesen und diesen ausgeliefert war, gerade diese Worte und die Umstände, in denen sie überliefert wurden, machen mir deutlich: Gott zeigt sich nicht da, wo die Welt schon si ist, wie sie nach seinen Maßstäben sein sollte. Er zeigt sich nicht da, wo alles gut und schön ist und wo man ihn bequem konsumieren kann, wie einen netten Film, der Wohlgefühl hinterlässt. Gerade in all den Widersprüchen dieser Welt, in aller Zweifelhaftigkeit und in allen Fragen scheint etwas von der Möglichkeit auf, dass ein Leben mit Gott ganz anders und ganz gut sein wird. Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. In der Dunkelheit losgehen, nicht darauf warten, dass alles im grellen Licht steht, sondern in der Hoffnung auf das Ende der Finsternis vom Licht träumen, es klein entdecken und auch die Schatten nicht leugnen – davon erzählen mir diese Worte. Nicht davon, dass diese Welt, wie sie ist, gottgewollt perfekt wäre, sondern dass diese Welt mit aller Finsternis, mit allen Schattenseiten nicht gottlos ist. Sondern dass sie auch mit den Schattenseiten der Ort ist, an dem wir nicht nur leben, sondern an dem wir auch Liebe und das lebensnotwendige Licht erfahren und sehen können. Und der Ort, an dem selbst unvorstellbare menschliche Grausamkeit die Liebe nicht auslöschen kann. so, wie der brutale König Herodes und seine gedankenlosen und brutalen Helfer die sichtbare Liebe, das Licht der Menschen, nicht auslöschen können. Das ist die Hoffnung, zu der uns dieser Tag, zu der uns diese Zeit Mut machen will. Eine Hoffnung, die sicher nicht immer sichtbar ist, die sicher immer wieder auch in Frage gestellt wird. eine Hoffnung, die aber lebendig sein kann und will. die Leben verändern kann und will. Manchmal durch ein klitzekleines, unscheinbares Licht in aller Dunkelheit. „Wo viel Licht ist, ist viel Schatten“ – Ja, das ist so. Aber das Entscheidende sind nicht die Schatten. Das Entscheidende ist das Licht.

Amen.

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