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Sonntag, 24. Juni 2012

Trösten - Johannistag (3.n.Tr.), 24.06.2012, Reihe IV

Text: Jesaja 40,1-8
Liebe Gemeinde!


Wie viel Trost werden wohl in den nächsten Tagen Schülerinnen und Schüler brauchen? Es gibt mal wieder Zeugnisse. Und da bekommt man es schwarz auf weiß: gut in Mathe! Oder eben vielleicht doch nur ausreichend oder sogar mangelhaft. Sehr gut in Deutsch oder doch nur gerade so ausreichend oder sogar ungenügend. Du darfst weitermachen oder du wirst nicht versetzt, du genügst den Ansprüchen nicht. Und dann mache ich gerade bei den Schülern im 9. und 10. Schuljahr, die schon an Bewerbungen oder einen Schulwechsel denken müssen, die Erfahrung, dass sie unbedingt wissen wollen, wie ich ihr Arbeits- und Sozialverhalten beurteile, die Kopfnoten. Gut, sehr gut – oder doch nur ausreichend oder mangelhaft? Welcher Betrieb wird einen schon in eine Ausbildung über-nehmen, wenn einem bescheinigt wird, dass das Arbeitsver-halten gerade mal ausreichend war oder das Sozialverhalten nicht gut ist? Und dann kommt bei manchen noch das Gefühl dazu, ungerecht beurteilt worden zu sein. Nur weil man Widerworte gegeben hat, wird man schlechter beurteilt. Nur weil man MAAAAAAAAL die Hausaufgaben nicht hatte, bekommt man schlechtere Noten. Ob gerecht oder ungerecht: Manchmal braucht man sicher ganz schön viel Trost, wenn einem ein Zeugnis gegeben wird. Und wieviel Trost werden manche Eltern in diesen Tagen brauchen? Eltern, die Pläne und Hoffnungen für ihre Kinder und mit ihnen hatten, die merken, wie die Kinder leiden und nicht richtig wissen, wie sie ihnen helfen sollen. Eltern, die vielleicht auch merken: meinen Kindern scheint das völlig egal zu sein. Die machen sich nichts aus den Noten, denen ist ihre Zukunft egal, Hauptsache Spaß, was sollen wir da noch machen? Eltern, die sich schuldig fühlen, weil sie ratlos sind? Wie viel Trost wird nötig sein in der nächsten Zeit? Für Kinder und Eltern, für manche von uns in vielleicht ganz anderen Situationen, in denen wir merken: unser Leben würde als Note nicht gerade eine „1“ kriegen. Weil wir selber Sachen falsch gemacht haben, weil wir merken, dass unser Glauben, unsere Hoffnung, unsere Liebe an deutliche Grenzen gestoßen sind, weil uns das Leben mit seiner Härte eingeholt hat und Krankheit oder Tod, Arbeitslosigkeit oder Geldmangel einfach schwer zu ertragen sind?

„Tröstet, tröstet mein Volk“ – der Anfang von dem Predigt-text für heute scheint genau so gemacht worden zu sein, dass er in diese Zeugnistage hinein passt. Natürlich ist er das nicht. Die ersten, die das gehört haben, waren keine traurigen Schüler oder verzweifelten Eltern. Aber es waren Menschen, die merkten: das Zeugnis über mein Leben fällt eigentlich nicht besonders aus – und vielleicht hat das auch was mit mir zu tun und vielleicht hat das auch was damit zu tun, dass Gott eigentlich gute Wege zeigen wollte, die wir als Menschen nicht gegangen sind. Die Menschen, die als erste diese Trostbotschaft hörten, waren Menschen aus Israel, die vor gut 2500 Jahren nach einem verlorenen Krieg aus ihrer Heimat vertreiben wurden und sich im Land des Siegers, ungefähr im heutigen Irak neu ansiedeln mussten. Es ging ihnen nicht furchtbar schlecht, man darf sich das nicht als eine Art KZ vorstellen.
Wie alle anderen aus fremden Völkern mussten sie dem fremden König Steuern zahlen und gelegentlich für ihn arbeiten, aber sonst wurden sie weitgehend in Ruhe gelassen. Aber trotzdem fühlten sie sich fremd. Und sie wussten: es ist unsere Schuld, dass wir uns auf den Krieg eingelassen haben und die Heimat verloren haben. Gott hat durch Jeremia vorher gewarnt, dass der Weg, auf dem sich Israel befand, falsch war. Niemand wollte die Warnungen hören, alle dachten: es geht immer gut weiter. Falsch gedacht. Verloren. Versagt. Nicht aus irgendwelchem unergründlichen Schicksal, sondern aus eigener Schuld, aus eigenem Versagen. Nicht versetzt, lauter Fünfen, weil man meinte, Bequemlichkeit reiche.

Was ich an dieser Geschichte und an dem Predigttext für heute so wunderschön finde, ist das, was da von Gott erzählt wird. Der stellt sich nicht hin wie ein böser Vater und droht: Ich hab’s dir ja schon immer gesagt! Da hast du deine gerechte Strafe! Jetzt setz dich auf den Hosenboden und sieh zu, wie du da rauskommst! Mir geht hier das Bild durch den Kopf, das Gott hier wie die Eltern auftritt, die mit ihrem Kind mitleiden, obwohl sie genau wissen, dass das Kind es selbst verbockt hat und die jede Menge Warnungen und Hilfestellungen gegeben haben, die das Kind arrogant und besserwisserisch ausgeschlagen hat. Und trotzdem bleibt da die Liebe und der eigene Kummer über die Traurigkeit des Kindes, auch wenn es noch so sehr selbst schuld an seiner Lage hat. „Tröstet, tröstet mein Volk! Redet mit Jerusalem freundlich!“ – Das ist die Grund-botschaft, so ist Gott. Für mich ein schönes Bild, das Mut macht.

Aber was ist eigentlich Trost? Manche glauben, Trost wäre, einfach alles zuzukleistern, so zu tun, als wäre nichts gewesen und die Augen vor der Wahrheit zuzumachen. Ich glaube, dass Trost etwas anderes ist. Trost hilft, die Wahrheit anzunehmen und auszuhalten, nicht die Wahrheit zu ignorieren. Wenn Trost wirklich langfristig halten soll, dann kann er an der Wahrheit nicht vorbeigehen und so tun, als wäre sie nicht da. Ich glaube, dass das auch und gerade für den Trost gilt, der von Gott kommt und mit der er trösten will.

In dem Stück aus dem Buch Jesaja, das ich eben vorgelesen habe, ist auch von einer Stimme die Rede, die gerade in die lebensfeindliche Umwelt der Wüste und dort, wo sich ganz viele Hindernisse auftürmen, die Herrlichkeit Gottes erfahr-bar machen will und die darauf hinweist, dass die Hinder-nisse am Ende nicht mehr sein werden. Wir feiern heute den Johannistag, die Erinnerung an Johannes, den Täufer. Er hat nicht nur Jesus getauft, er hat den Menschen unbequeme Wahrheiten gesagt und sie zur Umkehr aufgerufen. Gottes letztes Wort war dann die Vergebung, die Versöhnung, ist Jesus, der die Hindernisse aus dem Weg räumt. Aber Jesus ist nicht ohne Johannes zu haben. Trost nicht ohne die Erkenntnis der Wahrheit, Vergebung nicht ohne die Einsicht in die Schuld. Gott lässt uns, die Menschen nicht mit Schuld und Versagen allein – er hilft uns, das auszuhalten. Es braucht beides – die Erkenntnis der Schuld, das Eingeständnis eigener Fehler – und die Zusage des Trostes, die Erfahrung, dass die Hindernisse nicht mehr zwischen uns und der Herrlichkeit Gottes stehen. Gott lässt uns mit unserem Lebenszeugnis nicht allein, er hilft uns mit ihm zu leben. Er hilft uns, zu wachsen und zu lernen – auch wenn wir immer wieder scheitern werden und die Erfahrung machen, dass man eben nicht immer aus Schaden klug wird. Das gilt für Eltern und Kinder, für Jugendliche und Erwachsene, für Menschen, die ganz fest an Gott glauben und für solche, die noch nicht oder nicht mehr wissen, an was sie glauben sollen und ob sie wirklich lieben, hoffen und Gott vertrauen können.

Gerade im Blick auf die letzten Verse aus der Bibel, die ich vorgelesen habe, ist mir das besonders wichtig. Da steht: Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. Da könnte man ja beinahe wieder depressiv werden. Der Mensch ist wie Gras, das vertrocknet, das Gute, das er machen kann, wie eine Blume, die verwelkt – wo ist da denn der Trost? Für mich steckt sogar ein doppelter, eigentlich ein dreifacher Trost darin: Erstens: Gott kennt schon längst unsere Beschränktheit. Wir haben als Menschen unsere Grenzen. wir müssen nichts für die Ewigkeit herstellen, es reicht, wenn wir akzeptieren, dass selbst das Beste, dass wir tun können, nie vollkommen sein wird. Der erste Trost ist für mich die Befreiung von dem Wahn, perfekt werden zu müssen. Der zweite Trost liegt auch in der Vergänglichkeit: Wenn schon das Gute eben nicht ewig halten wird, gilt das auch für das Versagen. Wir sind eben auch nicht auf ewig auf unser Versagen festgelegt. Wir dürfen Mensch sein. Mit Grenzen. Wir müssen nicht Gott spielen. Auch ein Trost. Und der dritte Trost ist für mich der letzte Satz: das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich! Da ist etwas, auf das wir uns verlassen können und das uns weiterhilft, das nicht, wie Dinge, die wir Menschen tun, mal so und mal so ist und brüchig wird, sondern etwas, auf das ich immer wieder zurückkommen kann. Und was ist dieses Wort? Tröstet, tröstet mein Volk! Redet mit Jerusalem freundlich! Das, worauf wir uns verlassen können, ist Gottes Hingehen zu den Menschen auch dort, wo sie, wo wir, weit weg von ihm sind. Seine endgültige Erfüllung findet dieses Trostwort in Jesus, der alle Menschen in diese Liebe und diesen Trost Gottes mit hineingenommen hat. Den Trost, den es nicht ohne die Wahrheit, die Johannes ans Licht bringt, gibt, der aber dann wirklich Bestand hat. Ich wünsche nicht nur den Kindern und Eltern, die in den nächsten Tagen Trost wegen schlechter Schulzeugnisse brauchen, diese gute Erfahrung mit Gott, ich wünsche uns allen, dass wir Gott immer wieder als den erfahren, der er wirklich ist. Als den, dessen Trost und Liebe ewigen Bestand hat. Als den, der uns trotz unserer Grenzen nahe sein will, als den, der uns liebt und tröstet und so fähig dazu macht, Liebe und Trost weiter zu schenken.



Amen.

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