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Sonntag, 4. September 2011

Huren im Himmel? - 11. . Trinitatis, Reihe V (statt III)

(Die Predigt wurde zu einem Gemeindefest mit der Überschrift "Dem Himmel so nah" gehalten)

Text: Lukas 7,36-50 (Gute Nachricht, weil das die Übersetzung ist, die die Konfis haben)

Liebe Gemeinde!


Ganz nah am Himmel sind wir hier auf dem Richtsberg – zumindest ein paar Meter näher dran als auf dem Schlossberg. Ganz nah am Himmel sind wir auch mit dem, was die Geschichte erzählt, die ein paar von den Konfis eben vorgelesen haben und über die ich heute predigen will. Klar, die meisten werden mit recht sagen: auf dem Richtsberg geht’s nicht immer gerade himmlisch zu. Und manche wundert’s vielleicht auch, dass in der Bibel was von Prostituierten steht. Und das soll himmlisch sein? Wenn ich jetzt mal eine Spontanumfrage machen würde, käme wahrscheinlich raus: Himmel, das ist doch was anderes. Ein perfekter Ort. Ein Ort, an dem es nichts Böses gibt. Ein Ort, an dem niemand mehr unter Gewalt leiden muss. Ein Ort, an dem Engel sind, die auf eine aufpassen, die einem helfen. Ein Ort ohne Trauer, ohne Leiden, ohne Tränen, ohne jedes Böse. Ein Ort, an dem man sich leicht und gut fühlt. So oder so ähnlich sind wahrscheinlich die Antworten auf das, was den Himmel ausmacht. Und dann so was, so eine Geschichte, in der sogar von einer Prostituierten, einer Frau, die ihren Körper an Männer verkauft, die Rede ist! Das steht in der Bibel? So haben sich manche meiner Konfis, mit denen ich vor ein paar Wochen über die Geschichte gesprochen habe, gewundert. Ja, das steht in der Bibel. Und das das drinsteht, ist für mich schon ein Stück vom Himmel.
Die Bibel zeigt uns Menschen, was Gott mit uns, mit der Welt vorhat. Die Bibel erzählt uns davon, wie Gott, wie Jesus, in dem die Menschen Gott sehen konnten und sehen können, ist. Und ich finde es im wahrsten Sinn des Wortes himmlisch, dass Jesus, dass Gott, das Leben ehrlich wahrnimmt. Da wird keine Show gemacht und von einem Leben erzählt, das es in Wirk-lichkeit nicht gibt. Himmel auf Erden. Für mich fängt das da an, wo die Augen vor den Problemen und Schattensei-ten des Lebens nicht zugemacht werden. Vor knapp zwei Wochen habe ich in Frankfurt eine Fortbildung gemacht. Wir haben mit Bänkern gesprochen und mit anderen, die Milliarden an Vermögen verwalten. Und wir haben die Schattenseiten gesehen. Die Drogensüchtigen, die Druckräume, in denen sie Heroin spritzen können, die Bordelle, die Teenager, die sich verkaufen, um an Geld für Drogen zu kommen. Wir haben von Frauen gehört, die wie Sklaven verschleppt und gehandelt werden. Die sich erniedrigen lassen müssen, die keine Stimme haben, die in Abschiebehaft kommen, wenn sie auffliegen, trotz aller Gewalt und Misshandlungen, die sie erfahren. Frauen, mit denen niemand was zu tun haben will. Offiziell. Denn wenn nicht tausende von Männern täglich zu ihnen gehen würden, wären sie gar nicht hier. Aber das sagt natürlich keiner. Hier in dieser Geschichte aus der Bibel darf die Frau im Mittelpunkt stehen. Sie darf da sein. Jesus schmeißt sie nicht raus. Er sagt nicht: „Mit dir will ich nichts zu tun haben, weil du nicht so lebst, wie Gottes Gebote es wollen“. Er lässt einfach geschehen, dass diese Frau ihn liebt, ihn berührt, dass ihr die Worte fehlen, vielleicht auch, weil sie spürt, wie elend ihr Leben ist. Er nimmt sie ernst. Sie muss sich nicht verstecken, sie darf da sein, sie darf Mensch sein und ihr ganzes Elend in Tränen fassen. Sie muss nicht einer sensationslüsternen, gaffenden Menge schmutzige Details erzählen. Sie darf da sein, lieben und weinen. Himmlisch, weil Jesus ihr ihre Würde als Mensch zurückgibt.

Für die, die ein bisschen griechisch können und Lust daran haben, auch noch ein bisschen mehr als auf den ersten Blick sichtbar ist, in Bibelgeschichten zu entdecken, noch ein kleiner Hinweis: Jesus ist ja für die, die an ihn glauben, der Christus. Das ist kein Nachname wie Kling-Böhm, sondern ein griechischer Titel: „der Gesalbte“. Gesalbt wurden Könige mit kostbarem Öl durch Priester und Propheten. Jesus der Gesalbte, der König der Welt. Aber hier ist es kein Priester, kein Prophet, nicht wie im Mittelalter bei den Kaisern der Papst, der die Salbung vornimmt. Eine Frau mit einem schlechten Ruf und ganz viel Liebe in sich. Eine Frau, die in Jesus ihre Rettung sieht. Eine Frau, die liebt und darauf vertraut, dass Gott vergeben und einen Neuanfang schenken kann. Nicht die Anerkennung durch die, die von anderen Menschen für besonders wichtig, wertvoll und angesehen gehalten werden, macht Jesus groß, sondern die Liebe der Menschen, die in Not sind, die von anderen ausgestoßen werden, die sich ihm ganz anvertrauen können. Vor seiner Geburt singt Maria über ihren Sohn ein Lied, in dem heißt es: „Er stürzt die Gewaltigen vom Thron und richtet die Unterdrückten auf“.

Himmel ist schon in dieser Welt da, wo Menschen ihre Würde als geliebtes Geschöpf Gottes erfahren dürfen! Himmel ist da, wo Ansehen bei den Menschen keine Rol-le spielt und Unterdrückte aufgerichtet werden. Ein Stück Himmel, unsere Geschichte.

Für mich aber auch durch Simon, den Gastgeber. Simon lädt Jesus zum Essen ein. Erst mal nichts Ungewöhnli-ches. Wenn Simon nicht ein Pharisäer wäre. Wer sich in der Bibel ein bisschen auskennt, der weiß vielleicht, dass die Pharisäer ganz besonders ernsthafte Menschen waren, die sich streng an Gottes Gebote gehalten haben. Die Bi-bel erzählt, dass sie nicht damit zurechtkamen, dass Jesus sich auch für die Menschen geöffnet hat, die weniger ge-setzestreu lebten und dass er die Gebote Gottes immer im so ausgelegt hat, dass sie den Menschen dienen. Kurz be-vor Lukas in seinem Evangelium diese Geschichte er-zählt, erzählt er davon, dass die Pharisäer Jesus nicht verstehen wollten. Und da geht Jesus hin. Für mich auch ein Stück Himmel, dass Jesus seine Kritiker nicht zurück-weist. Und er verurteilt Simon ja nicht. Er stellt Simon nicht bloß und spielt nicht die Frau gegen den frommen Simon aus. Er sagt ihm: „du kannst nicht so stark wie die Frau lieben, weil du nicht weißt, wie es ganz unten aussieht. Dein Bemühen um ein Leben, das vor Gott gut ist, ist ja nicht schlecht. Aber du hast nicht so viel, was zu vergeben ist, du kennst die Schattenseiten nicht so und große Liebe braucht vielleicht auch die Schattenseiten.“ Jesus schließt auch den Pharisäer nicht aus. Er geht auch zu seinen Kritikern. Ein Stück Himmel auf der Erde, wo Menschen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wo auch Menschen mit anderer Meinung ernst genommen werden. Jesus bringt dadurch auch ein Stück Himmel zu Simon. Mir kommt wieder Frankfurt in den Sinn. Wir waren bei der Deutschen Bank. Zum Zuhören, nicht zum Anklagen. Schon das stößt manchen kritischen Christen auf. „Mit denen kann man doch nicht reden, mit ihren Billionenspielereien sind sie doch Schuld an viel Elend!“ Wir haben zugehört. Auch als einer aus den oberen Etagen der Bank sagte: „Wir waren zu gierig. Wir müssen Wege finden, die richtigen Anreize zu setzen und Gier einzudämmen.“ Für mich auch ein Stück Himmel, wenn Menschen in der Lage sind, Fehler, auch eigene Fehler zu sehen, einzugestehen und umkehren zu wollen. Dem Himmel so nah, wenn Menschen miteinander reden, sich zuhören, wahrnehmen, Chancen zur Umkehr öffnen statt sich zu verurteilen und alles besser als der andere zu wissen.

Jesus wendet sich auch seinen Kritikern zu. Vielleicht heißt Nachfolge also auch davor nicht die Augen zuzumachen, sondern mit offenen Augen, Ohren, Herzen und Händen durchs Leben zu gehen. Dem Himmel so nah, wo nicht Ausgrenzung, sondern die Suche nach Miteinander passiert. Dem Himmel so nah – aber eben noch nicht im perfekten Himmel.

Und wie ist das hier auf dem Richtsberg, nicht nur vor 2000 Jahren in Israel oder während einer Fortbildung in Frankfurt? Sind wir dem Himmel deshalb nah, weil wir der höchstgelegene Stadtteil der Kernstadt sind oder gibt es vielleicht doch mehr? Wenn wir ehrlich sind, gibt es beides. Zustände, die alles andere als himmlisch sind. Menschen, die an Alkohol und Drogen kaputt gehen. Armut. Kinder, die vernachlässigt und misshandelt werden. Jugendliche, die Täter und Opfer von Mobbing und Gewalt sind. Böse Worte und Angst. Davor dürfen wir nicht die Augen zu machen. Himmel, das zeigt mir die Geschichte aus der Bibel, beginnt da, wo Not und Elend nicht versteckt werden, sondern in den Blick kommen. Aber es gibt eben auch das andere. Erzieherinnen in den Kitas, die trotz der vielen Steine, die ihnen in den Weg gelegt werden und mancher Niederlagen immer wieder versuchen, jedem Kind einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Christen, die sich engagieren, die auf Menschen in Not zu gehen. Mitarbeiter im Konfi-Café, die sich auch von derber Sprache und provozierendem Verhalten nicht davon abhalten lassen, mit Jugendlichen zu reden. Ältere Menschen, die auch schwierigen Jugendlichen eine Chance geben. Jugendliche, die sich in Konfer trauen, ein bisschen anders als in der Schule zu sein. Viele Menschen mit offenen Augen und Ohren und einem Lächeln, das sie schenken. Ein Stück Himmel – nicht der ganze Himmel. Dem Himmel so nah – aber noch nicht im Himmel. Ganz nah am Himmel sind wir auch am Richtsberg. Und damit es so bleibt, höre ich jetzt endlich auf, damit nicht zu viele vielleicht auch manchmal unnötige Worte vor dem Himmel stehen.

Amen.

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