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Dienstag, 23. Dezember 2008

Endlich mal Hirte sein - 1. Weihnachtstag 2008


Text: Lukas 2,15-20

Liebe Gemeinde!

Ich wäre so gern mal ein Hirte gewesen! Nicht in Wirklichkeit, aber beim Krippenspiel in meinem Heimatdorf als ich noch ein Kind war. Ich war Kaiser Augustus und hab die Welt in Bewegung gesetzt. Ich war der fiese Herodes, ich war mal einer der drei Könige. Und als Josef musste ich meine schwangere Maria trösten und motivieren und mir Absagen bei den bösen Wirten, von denen ich vorher auch mal einer war, abholen. Als Hirte hätte ich dastehen können, hätte nichts oder nicht viel sagen müssen, wäre einfach mit den anderen zur Krippe gegangen, hätte mich hingekniet und das wäre es gewesen! In den Krippenspielen sind die Hirten bis heute oft die, die gebraucht werden, damit das Bild irgendwie stimmt. Vielleicht dürfen ein paar Hirten ihre Furcht vor den Engeln äußern oder der alte Oberhirte die anderen zum Mitgehen in den Stall auffordern. Aber die Helden sind die anderen. Eigentlich ungerecht. Denn die Hirten sind so etwas wie die wahren Helden der Weihnacht. Sie sind die Ersten, die die Weihnachtsbotschaft ernst nehmen: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Euch. Sie hatten das Vertrauen, wirklich gemeint zu sein. Sie haben die spektakuläre Himmelsshow der Engel, von der das Lukasevangelium erzählt, als das genommen, als dass sie gemeint war: als Einladung. Sie haben sie nicht kaputtgeredet und kaputtdiskutiert, sich nicht in Gesprächen darüber verloren, wie wahrscheinlich das alles ist und ob es nicht doch eine Sinnestäuschung sein könnte und so weiter. Sie haben sie nicht als das Wesentliche genommen, sich nicht vom Spektakulären einfangen lassen, sondern sind einfach losgegangen. Und haben in etwas ganz und gar Irdischem, in einem neugeborenen Kind, die Verbindung von Himmel und Erde sehen können, von Gottes großer Welt und dem manchmal ziemlich kleinen eigenen Leben. Gott meint mich - und das zeigt er mir hier! Hinter den großen, spektakulären Kulissen, im scheinbar einfachen Alltag. Und weil sie genau da innehalten können, weil sie hinschauen, vertrauen, entdecken sie viel mehr als eigentlich vor Augen ist. Der Alltag wird verwandelt, wird zum Fest. Durch das Hingehen und Hinschauen, durch das Annehmen und Weitersagen. Euch! Uns! Mir! Als Kind wollte ich Hirte sein, weil ich einfach nicht im Vordergrund stehen wollte, mitlaufen wollte, zu faul, längere Texte zu lernen. Heute hoffe ich, Hirte zu werden, vielleicht Hirte zu sein. Denn das Verhalten der Hirten zeigt, was Glauben, was Weihnachten eigentlich ausmacht.

Da ist einmal das Vertrauen. Das Vertrauen, dass der Weg, auf den ich geschickt werde, ein Ziel hat. Das Vertrauen, dass es sich lohnt, nicht bei dem zu bleiben, was ich kenne. Das Vertrauen, dass ich mich aus meinem Alltag, aus meiner Arbeit herausreißen lassen kann, ohne dass die ganze Welt gleich einstürzt. Vertrauen fällt oft schwer. Weil es immer ein Vorschuss ist - ohne Rückzahlungsgarantie. Im Vertrauen steckt immer auch das Moment der Unsicherheit. Es gibt keine Garantie - gerade im Glauben an Gott nicht. Es gibt keine Garantie, dass ich glücklicher werde, erfolgreicher, dass ich am Ende das sehe und erlebe, was ich mir erhoffe und vorstelle. Gerade das Letzte nicht. Ich glaube, alle, die an Gott glauben, werden sich wundern, wie Gott unsere menschlichen Vorstellungen über den Haufen wirft. So, wie er es durch Jesus ja auch getan hat. Aber ich glaube, dass es sich lohnt, dermaßen ent-täuscht zu werden, dass wir wirklich unsere Täuschungen und Selbsttäuschungen loswerden und das wahre Leben sehen. So wie die Hirten.

Euch! Uns! Mir! Ist heute der Heiland geboren! Können und wollen wir das heute, 2000 Jahre später noch hören? Brauchen wir jemanden, der unser Leben heil macht? Jemanden, der uns aus unguten Beziehungen, aus Verstrickungen erlöst? Ist „ja“ die Antwort auf diese Fragen oder schwanken wir zwischen „Ist doch alles in Ordnung, danke, brauche ich nicht!“ und „Mir kann ja doch keiner helfen!“? Und auch wenn ich diese Frage mit „Ja“ beantworte - vom wem erwarte ich Erlösung? Erwarte ich alles von mir selbst? Von meiner Vernunft? Von der Vernunft von Wissenschaftlern, die schon herausfinden werden, was gut und richtig ist? Von meinem Mann oder meiner Frau, meinen Freunden? Oder kann ich Gott vertrauen, dass er mir den geschickt hat, der mein Leben heil macht? Menschen können einander viel tun. Auch viel Gutes. Und ich kann mir auch viel Gutes tun. Ohne Frage. Aber wir Menschen können einander nicht zu 100% gerecht werden. Beim besten Willen nicht und auch zu Weihnachten nicht. Wir bleiben einander immer ein Stück fremd - und auch uns selbst. „Gott wird Mensch, dir, Mensch, zu Gute“. So haben wir es eben gesungen. Weihnachten geht es um uns. Um uns Menschen mit unseren Nöten und Freuden. Und darum, dass Gott in unser Leben kommt. Mitten hinein.

Und um das zu sehen, lohnt es sich auch wirklich, wie die Hirten zu werden. Da ist der Glanz, die manchmal Furcht einflössende Festlichkeit und das, was sich dem Verstand entzieht. Bei den Hirten die Engel, die die Botschaft vom Kind in der Krippe im wahrsten Sinn des Wortes zum Leuchten bringen. Und vielleicht sind ja heute für manchen die Lichter, die angezündet werden, die Beleuchtungen in den Straßen und Häusern ein wenn auch schwacher Abglanz der Engel. Die festlichen Bräuche, die sich auf unterschiedliche Art rund um dieses Fest gesponnen haben. Ich will das gar nicht schlecht machen. Wenn etwas ein solcher Aufwand, ein solcher Glanz verliehen wird, dann wird auch ausgedrückt, dass etwas ganz Besonderes dahinter steckt. Und manchmal braucht es, in all der Hektik und manchmal auch Armseligkeit oder Traurigkeit des Alltags ein wenig Glanz, um einem das Herz aufzuschließen. Aber die entscheidenden Schritte kommen dann. Die Hirten machen sich auf und suchen das Wesentliche, das, was hinter dem Glanz ist, worauf die Show hinweist. In dem kleinen Kind, am Rand der Welt geboren, entdecken sie den, der ihr Leben verändert und hell macht. Sie nehmen sich Zeit, schauen hin, staunen. Auf besonders eindrückliche Art hat das vor über 360 Jahren Rembrandt gemalt. Selbst der, der nicht direkt an der Krippe steht, bekommt noch etwas von dem Licht ab, das von diesem Kind ausgeht. Aber das wichtige ist an diesem Bild ist auch, dass man den Eindruck hat, bei aller Ruhe, das es nur eine Momentaufnahme ist. Der Anfang einer Geschichte ist gemacht. Die Hirten nehmen sich Zeit, sehen, staunen, lassen sich im wahrsten Sinn erleuchten - aber sie werden nicht bleiben, sie werden weitergehen. Und das Kind wird nicht Kind bleiben. Weihnachten geht es nicht darum, sich an dem Kind festzuhalten und es auf das Kindsein festzulegen, sondern darum, ins Leben aufzubrechen. Ruhe und Kraft zu finden, um gestärkt ins Leben zu gehen. Aus dem Kind in der Krippe wird der Mann Jesus, der sich bewusst den Menschen am Rand, den Bedürftigen, denen, die unter der Last ihres Lebens, unter ihrer Schuld, unter Krankheit und Armut leiden, zuwendet. Der Mann Jesus, der zur Umkehr von falschen Wegen ruft. Und aus dem Mann Jesus wird der Christus am Kreuz. Gott, der so weit Mensch wird, dass er auch den Tod auf sich nimmt. Und der dabei nicht stehen bleibt. Unseretwegen. Weihnachten, das Fest der Geburt, ist der Anfang. Die Hirten bleiben nicht, sie gehen in ihr Leben, in die Welt zurück und erzählen von dem, was ihr Leben hell gemacht hat. Ob sie Glauben gefunden haben? Zumindest bei einer haben die Worte der Hirten etwas angerichtet. „Maria behielt diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“, so heißt es in der Übersetzung. In der griechischen Sprache, in der diese Geschichte ursprünglich aufgeschrieben wurde, heißt es wörtlich: „sie warf die Worte zusammen“. Das ist das Gegenteil von dem, was das Gegengöttliche, Gottes Widersacher, tut. „Durcheinanderwerfer“ heißt er im Griechischen. Der, der verwirrt und so den Blick auf den Sinn verstellt. Hier, bei Maria und den Hirten, ergibt sich Sinn, wird Wahrheit erkennbar., Dadurch, dass Menschen von ihrem Glauben erzählen, von dem, was sie bewegt, was ihnen aufgeschlossen wurde, schließt sich Sinn auch für andere auf. Und so wünsche ich uns allen, dass Weihnachten uns zu Hirten werden lässt. Dass wir Zeit finden, hinzuschauen. Dass wir uns nicht vom Festglanz blenden lassen, sondern hinter den Glanz schauen. Dass wir dort, im Kleinen und Unscheinbaren, die Nähe Gottes finden, die Leben verändert und hell macht. Dass wir nicht den schönen Augenblick festhalten wollen, sondern das Vertrauen haben, dass die Begegnung mit der guten Botschaft Gottes, mit seiner Liebe auch im Alltag trägt. Und dass wir davon nicht schweigen, sondern wie die Hirten in unserem Alltag erzählen.

Amen.

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