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Donnerstag, 4. September 2008

Leben ist immer lebensgefährlich - 16. Sonntag n. Trinitatis

Reihe III „Wünsch dir was“ Predigt Klimawandel Text: Klagelieder 3,22-26.31-32

Liebe Gemeinde!

Wissen Sie, wie viel Energie ihr Kühlschrank verbraucht? Schalten Sie den Fernseher nur dann ein, wenn sie wirklich etwas sehen wollen und danach wieder richtig aus oder lassen sie ihn im Standbybetrieb Energie verschwenden? Wenn sie ein Auto haben: Verbraucht das wenigstens weniger als 7 Liter auf 100 km und hat einen CO2 Ausstoß von weniger als 140 g pro km? Kaufen sie wenigstens Obst und Gemüse der Saison und möglichst aus heimischem Anbau oder kaufen sie in Energie verschwendenden Gewächshäusern in aller Welt Gezogenes, das mit viel Aufwand hierher transportiert wird? Langweilen sie sich jetzt vielleicht? Prima, ich mich auch! Klimawandel war als Thema für diese Predigt gewünscht. Was hat der Pfarrer dazu zu sagen. Es vergeht ja praktisch kein Tag, an dem nicht in der Zeitung oder im Fernsehen darüber spekuliert wird, wo es in 20 Jahren nicht mehr schneien wird oder welche Landstriche in 30 Jahren verwüstet sein werden. Und spätestens seit ich vor ein paar Wochen gelesen habe, dass Bio-Rindfleisch klimaschädlicher als konventionelles sein soll, habe ich mir gedacht: am Besten nimmst du dir den Strick! Ich will’s nicht mehr hören! Ausatmen, auf Toilette gehen, Sport treiben, alles produziert CO2, lasst mich doch in Ruhe! Augen zu und durch, schon der Schriftsteller Erich Kästner hat gesagt: „Sein wir mal ehrlich, das Leben ist immer lebensgefährlich!“ Also, Klimawandel ist vielleicht ein Thema für die Nachrichten, für die Politik oder für Naturwissenschaftler, aber nicht für einen Gottesdienst. Was soll denn da rauskommen? Aufrufe wie „Als Christ darfst du kein Auto fahren und nicht in den Urlaub fliegen?“ Mal ehrlich, Christ bin ich nicht durch die Automarke, die ich fahre oder den Kühlschrank, den ich habe, sondern dadurch, dass ich Gott vertraue und mir das zu Herzen nehme, was er durch und in Jesus Christus den Menschen gezeigt hat.

Und als ich mir das so überlegt habe, da war ich dann doch plötzlich wieder beim Klimawandel, ohne dass ich es wollte. Wer heute jünger als 50 ist und in einem Land mit Industrie aufgewachsen ist, hat nie mitbekommen, dass eine Abhängigkeit von der Natur besteht. Und auch für die Älteren ist das erstmal nur Erinnerung an schlechte Kriegs- und Nachkriegszeiten. Ingenieure, Techniker, wissenschaftlicher Fortschritt, alles hat dafür gesorgt, das schlechtes Wetter bei uns keine Hungersnot mehr auslöst, dass die Folgen von extremen Wetterlagen gemildert werden und dass man das Gefühl haben konnte: mit wissenschaftlicher Hilfe kriegen wir alles in den Griff. Ungefähr in der Zeit als ich selbst Konfirmand war, gab es eine Studie, Global 2000 hieß die, in der ausgerechnet wurde, dass die Erde ungefähr im Jahr 2000 unbewohnbar sein wird, wenn man so weitermacht wie in den 70er Jahren. Die Weltbevölkerung, die Industrialisierung und der Rohstoffverbrauch sind mittlerweile viel stärker gestiegen, und doch war die Welt im Jahr 2000 noch gut bewohnbar. Weil Wissenschaft und Technik noch größere Fortschritte gemacht hatten. Eigentlich haben wir alles im Griff und das, was wir nicht im Griff haben, kriegen wir schon hin. Wo hinein können wir Vertrauen setzen? In Wissenschaft und Technik, die richten es schon. So war bis vor kurzem das allgemeine Lebensgefühl. Jetzt merken Menschen immer stärker: wir sind ausgeliefert. Und zwar der Natur. Nicht nur arme Menschen in Bangladesh, nicht nur Menschen in Afrika. Wir haben unsere Grenzen. Und auch die Fähigkeit, Probleme in den Griff zu kriegen, ist sehr beschränkt. Wir haben eben unser Leben und unsere Zukunft nicht wirklich in der Hand. Selbst wenn wir uns in Deutschland oder Europa einig wären und ganz vorbildlich leben würden: Was ist mit den Milliarden Chinesen, Indern? Weder wir selbst noch irgendwelche Politiker oder irgendwelche Wissenschaftler haben DEN Schlüssel für eine gute Zukunft. Es ist schwer, zu akzeptieren, dass man vieles im Leben nicht selbst in der Hand hat und ausgeliefert ist. Grenzen können wehtun. Übrigens nicht nur beim Klimawandel oder so. Sondern auch die Grenzen, die wir sonst spüren. Wenn Eltern ihren Kindern Grenzen setzen. Wenn Eltern merken, dass ihr Einfluss auf die Kinder nur begrenzt ist. Wenn Krankheiten oder auch der Tod uns unsere Grenzen sehr deutlich machen. Wem vertraue ich, worauf hoffe ich, wem vertraue ich, wenn ich meine Grenzen spüre? Das ist eine ganz wichtige Frage - und da wird für mich das Thema Klimawandel auch wieder ein Thema für die Kirche und für eine Predigt. Stecke ich den Kopf in den Sand, Ohren zu, ich will nichts hören, weil ich merke, dass ich die Grenzen nicht aushalte? Oder mache ich weiter, nicht nur wie immer, sondern eigentlich stärker, schlimmer, weil ich denke: es kann nicht sein, was nicht sein darf und wenn sowieso alles den Bach runtergeht, warum soll ich denn nicht das letzte bisschen Leben genießen? Oder schaffe ich es, Vertrauen zu haben, dass meine Grenzen nicht die absoluten Grenzen sind? Finde ich das Vertrauen, meine Grenzen anzunehmen, auszuloten, wo es geht, auch zu erweitern? Oder lasse ich mich von der Angst besiegen? Finde ich neue Spielräume zum Leben und Handeln dadurch, dass ich es aufgeben kann, alles in der Hand haben und bestimmen zu wollen? Kann ich auch andere Menschen, auch Wissenschaftler und Politiker, entlasten, indem ich nicht von ihnen alles erwarte, sondern Realist bleibe? Schaffe ich es, ehrlich in die Welt, in das Leben zu sehen, ohne an dem, was ich sehe, zu verzweifeln und zu Grunde zu gehen?

Für mich sind das Fragen, die nicht nur mit dem Klimawandel und unserem Umgang damit, sondern die mit meinem Umgang mit dem Leben überhaupt zu tun haben. Und da hat der Glaube an Gott eine ganze Menge Gutes und Richtiges zu sagen. Eine ganze Menge von dem, was Vertrauen ins Leben herstellen kann ohne dabei die Grenzen und Schwierigkeiten wegzudrücken. Eine für mich dabei ganz wichtige Bibelstelle findet sich im 3. Kapitel des Buches Klagelieder Jeremia und sie ist für den 16. Sonntag nach Trinitatis, den wir heute feiern, auch als Predigttext vorgeschlagen. Dort steht: 22 Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, 23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. 24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. 25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. 26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. 31 Denn der HERR verstößt nicht ewig; 32 sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.

Manchmal werden diese Worte aus dem ersten, dem Alten Testament so ausgelegt, dass gesagt wird: „Ist doch alles halb so schlimm, auf Regen folgt wieder Sonnenschein, der liebe Gott wird es schon richten!“ Aber so harmlos sind die Worte gar nicht gemeint. Als sie aufgeschrieben wurden, da war für die Menschen um Jeremia herum und für ihn selber eine Welt zusammengebrochen. Jeremia wurde verfolgt und gedemütigt, weil er im Auftrag Gottes dem Volk und dem Machthaber, dem König, schonungslos die Wahrheit sagte und deutlich machte, dass ein schlichtes „Weiter so“ den Untergang bedeutet. Hoffnung in die Vernunft und Klugheit von Menschen war nicht gerade von Erfolg gekrönt. Aber es war auch nicht so, dass Gott wie von Zauberhand plötzlich alles anders gemacht hätte, ohne das Zutun von anderen Menschen. Sondern Menschen haben auch in schwierigen Lagen nach Gott gefragt, haben ihre Grenzen gesehen und waren mit Gott zusammen in der Lage, etwas zu ändern. Gescheitert waren diejenigen, die glaubten, ohne Gott auskommen zu können und die sich allein auf ihre eigene Stärke, ihr eigenes Wissen oder ihre eigene Macht verlassen wollten. Auf Gottes Treue, auf seine Barmherzigkeit und Güte können wir trauen. Es geht nicht darum, sich selbst klein zumachen und Gott als eine Art Zaubermeister zu sehen, der alles irgendwie wieder hinbiegt. Sondern es geht darum, mit Gottes Hilfe Vertrauen nicht zu verlieren, Grenzen ehrlich zu sehen und neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. Ohne dieses Grundvertrauen, ohne das Eingeständnis auch eigener Rat- und Hilflosigkeit wird alles nur purer Aktionismus bleiben, der scheitert. Leben ist und bleibt tatsächlich lebensgefährlich. Wir haben nur ganz wenig, manchmal fast nichts in der Hand. Aber mit dem, was wir in der Hand haben und mit dem Vertrauen, zu dem wir fähig sind, mit der Rückbindung an den Grund allen Lebens könne wir aus dem, was wir in der Hand haben, etwas tun. Wir müssen weder den Kopf in den Sand stecken noch so tun, als wäre überhaupt nichts schlimm, noch verzweifeln. Die richtige Balance zu finden zwischen Tun und Lassen, zwischen Handeln und Hoffen, dazu helfe uns Gott immer wieder. Nicht nur, wenn’s um Fragen des Weltklimas geht. Gerade auch dann, wenn es um unser Leben auf und in dieser Welt geht. Um unsere Ratlosigkeit, mit der wir manchmal als Eltern und Kinder, als Paare und Einzelne leben. Um unsere Angst vor so vielem, um unsere Freude und Stärke. Wir können was, aber wir müssen nicht alles können. Gottes Treue, Güte und Barmherzigkeit haben kein Ende. Sie sind jeden Morgen neu. Weil wir immer wieder das brauchen: Liebe, gute Worte, Hilfe, denn unsere Macht und Kraft hat Grenzen.

Amen.

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