Beliebte Posts

Mittwoch, 28. Mai 2008

Wer, wenn nicht wir? 1. Sonntag nach Trinitatis 2008

Text: 5. Mose 6,4-9

Liebe Gemeinde!

Sie haben, ihr habt Glück gehabt, dass ihr ausgerechnet heute, am 25. Mai 2008, dem 1. Sonntag nach Trinitatis, in den Gottesdienst gekommen seid! Denn gerade eben habt ihr, haben sie so ziemlich die wichtigsten Worte gehört, die in der Bibel stehen! Als Jesus viele Jahrhunderte, nachdem diese Worte zum ersten Mal aufgeschrieben wurden, gefragt wurde: „Was ist denn das Allerwichtigste in der Bibel? Welche Gebote, welche Schriften muss ich unbedingt kennen?“, da hat er mit den ersten beiden Versen von dem Stück, das ich eben vorgelesen habe, geantwortet und gesagt: „und dazu noch das Gebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, dann hast du alles, was wirklich wichtig ist!“ Den Juden sind diese Worte bis heute so wichtig, dass sie sie auf kleine Rollen schreiben und in kleinen Behältern an ihre Haus- und Wohnungstüren hängen und in Kapseln an Gebetsriemen bei Gebeten wirklich auf der Stirn und an den Händen tragen. So soll immer wieder sichtbar daran erinnert und deutlich werden: Es ist der eine, einzige Gott, der uns und unser Leben bestimmt und begleitet.

Ich will jetzt keine religionsgeschichtliche Vorlesung halten. So interessant es ist, sich mit vielen Dingen aus der Geschichte dieser Verse zu beschäftigen: sie sind viel zu wichtig und wertvoll, um sie in der Vergangenheit zu lassen.

Wenn man die ersten beiden Worte, „Höre Israel“ weglässt und nur hört: „Der HERR ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“: Würde man wirklich erkennen können, ob ein Jude, ein Christ oder gar ein Muslim diese Worte spricht? Gerade Glaubensbekenntnisse wurden und werden immer wieder als Waffe gegen andere benutzt: Ich bin so, ich gehöre dazu! Du bist anders! Werde so wie ich oder weg mit dir! Gerade heute und vielleicht auch gerade auf dem Richtsberg mit seinen vielen arabischstämmigen Einwohnern und Kopftuch tragenden Frauen finde ich es wichtig, sich klarzumachen, dass Bekenntnisse nicht nur trennen, sondern dass uns das Bekenntnis zur Einzigkeit und Einzigartigkeit Gottes eint. Christen und Juden, Christen und Muslime, Juden und Muslime. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass wir aus der Geschichte der Menschen wenig gelernt haben. Nachdem in der Anfangszeit ganz kurz Christen auch von Juden verfolgt wurden, haben sich Christen über Jahrhunderte und Jahrtausende millionenfach an Juden schuldig gemacht, weil sie sich für anders, besser, hielten - und vielleicht auch hier und da noch halten. Und im Verhältnis mit Muslimen ist auf allen drei Seiten zu spüren, wie viel Missverständnisse, Hass und Gewalt Religion auch produzieren kann und wie stark man sich immer wieder voneinander abgrenzt. Aber wir brauchen ja gar nicht bis zu anderen Religionen zu gehen. Geben wir Christen untereinander ein besseres Beispiel? Evangelische und Katholiken, Freikirchen, Christustreff und Gemeinschaften - in Deutschland führen wir zwar seit über 100 Jahren keine Kriege mehr um die richtige Konfession, aber insgeheim sind wir doch sehr oft immer noch davon überzeugt, dass die anderen weniger Recht haben als wir und wir doch eigentlich wirklich Kirche sind. Wobei sich tatsächlich immer wieder jede christliche Konfession dieses „Wir“ anziehen muss. Wir bekennen mit unserem Mund die Einzigkeit, die Unteilbarkeit Gottes, aber so richtig ernst nehmen wir das Bekenntnis oft nicht. MEIN Gott. So wie ich ihn denke, glaube fühle, das ist der EINZIGE. Zumindest der einzig wahre. Gott ist einzig und einzigartig. Und deshalb garantiert größer als alle meine Gedanken, Vorstellungen und Gefühle. Auch wenn ich noch so schlau oder noch so fromm bin. Eigentlich wollte ich das jetzt gar nicht so lang und breit erzählen, aber gerade auch hier wird für mich deutlich, dass wir Erwachsenen, mich eingeschlossen, uns immer wieder fragen müssen: Welches Beispiel geben wir eigentlich den Kindern und Jugendlichen unter uns? Für mich ist ein Vers aus dem, was wir aus der Bibel gehört haben, ganz wichtig. Über diese wichtigen Worte, über dieses Bekenntnis heißt es: „diese Worte sollst du deinen Kindern einschärfen.“

Prima, könnte ich jetzt als Pfarrer sagen, dann lass ich doch die Konfirmandinnen und Konfirmanden diese Worte auswendig lernen. Aber so sehr ich persönlich es wichtig finde, dass man etwas auswendig kann: hier ist das nicht so gemeint. Es geht nicht um totes, auswendig gelerntes Wissen, das man bei Bedarf aufsagen kann, um einen guten Eindruck zu machen. Wenn hier in der Bibel die Rede davon ist, dass man diese wichtigen Worte den Kindern einschärfen soll und dass man zu Hause und unterwegs, in jeder Lebenslage davon reden soll und sie auch auf der Hand und zwischen den Augen tragen soll, im Herzen ja sowieso, dann heißt das nicht unbedingt, dass man sie ständig murmeln soll, sondern wirklich mit eigenem Leben füllen. Mein Sehen, mein Tun und Lassen, mein Fühlen, mein Umgang mit mir und mit anderen, das soll alles getragen sein von dem Bekenntnis zu dem einen, einzigen Gott. „Kinder lernen auf drei Arten“, hat einmal Albert Schweitzer gesagt: „Erstens durch Vorbild. Zweitens durch Vorbild. Drittens durch Vorbild.“ Und da frage ich mich schon, ob wir, nicht nur in Bezug auf das Miteinander der Menschen, die den einen, einzigen Gott bekennen, ein gutes Vorbild sind. Ein Vorbild, das Lust macht, Gott zu lieben und an ihn zu glauben.

Gott ist einzig und einzigartig - und was ist mit dem Geld? Ich bin kein Träumer, der denkt, ein Zusammenleben von Menschen wie vor Tausenden von Jahren, als es noch kein Geld gab und man für sich war, jagte und tauschte, wäre was Tolles. Ich lebe gern hier und heute und das geht nicht ohne Geld. Aber wenn ich als Erwachsener vorlebe, dass Geld sehr wohl eine Rolle dabei spielt, welche Chancen man in der Schule bekommt, welche Behandlung man in dem Fall bekommt, dass man krank wird, wie man im Alter gepflegt wird, dann muss ich mich nicht wundern, wenn Maßstäbe verloren gehen und Geld zum Götzen wird. Und äußere Zeichen viel zu wichtig werden - die teure Kleidung, das dicke Auto, die Playstation oder das Kabelfernsehabo. Ich finde es traurig, wenn Kinder sich schämen zu sagen, auf welche Schule sie gehen, wenn die Schule eben kein angesehenes Gymnasium ist. Menschen sind unterschiedlich leistungsfähig, aber denen, die nicht in die Norm passen, werden Arbeitsmöglichkeiten vorenthalten und die werden als dumm oder faul hingestellt, bestenfalls als hilfsbedürftige, die man irgendwie betreuen muss. Aber wer gibt den Kindern und Jugendlichen denn das Gefühl, dass es kein leeres Gerede, dass für Gott jeder Mensch wichtig ist, unabhängig von seiner Schule und seinem Geldbeutel? Dass sie was können, gewollt und geliebt sind, auch wenn sie nicht ins Raster von Gymnasium oder Realschule passen? Ich finde es auch traurig, wenn man sich den Körper so zurechtschnippeln und aufpumpen lässt, dass er in Scheinideale passt - aber wenn Alter, graue Haare, Falten und Einschränkungen in der Bewegungsfähigkeit von Erwachsenen als Katastrophe hingestellt werden und Opa auch mit 85 noch das Sportabzeichen super bestehen muss, dann ist das zwar im Einzelfall schön, dass ein Mensch so gesund ist, dass er das schafft, aber man muss sich dann auch nicht wundern, dass alles, was nicht jugendlich und sportlich ist, wegoperiert, weggefärbt und verleugnet wird. Und im Glauben: Bete ich denn als Erwachsener wirklich: „Dein Wille geschehe!“? Kann ich mich wirklich Gott anvertrauen, oder will ich seinen Willen nur so lange haben, wie er meinem Willen nicht widerspricht und mir hilft, gut und gesund dazustehen, als erster und Bester? Kann ich mich Gott anvertrauen, oder lebe ich vor, dass ich am Ende nur meiner Stärke, meinen Fähigkeiten, meinem Geld vertraue und Gott nur da Platzhalter ist, wo ich noch nicht oder nicht mehr genug eigene Kraft habe? Lasse ich Gott einzig und einzigartig sein oder mache ich ihn so, wie ich ihn will oder brauche? Ich will nicht meckern. Ich will auch nicht sagen, dass wir Erwachsenen alles oder zu viel falsch machen. Und erst recht will ich nicht den Eindruck erwecken, dass wir jetzt, Erwachsene, Jugendliche Kinder, loslaufen und alles irgendwie MACHEN müssen. Denn eins ist mir an diesen Worten aus der Bibel besonders wichtig. Das wir das erste Wort nicht vergessen. „Höre“. Ich darf mich auch mal zurücklehnen und einfach mal zuhören. Als Erwachsener, als Jugendlicher, als Kind. Aus dem Zuhören und hinhören wächst die Kraft, Gott zu bekennen, im Sinne des einen, einzigen und einzigartigen Gottes zu lieben, zu glauben, zu hoffen, zu handeln. Nicht von vornherein glauben, alles zu wissen, zu können, sondern hinhören. Auch auf das, was Menschen nicht sagen können. Auch auf das, was Gott uns, manchmal unter ganz vielen menschlichen Worten verborgen, sagen will. Erst hinhören, zuhören, erst sich Zeit dafür gönnen, dann handeln - damit wir die Chance haben nicht unseren Willen und unsere Begrenztheit mit Gottes Willen zu verwechseln. Damit wir auch die Kinder und Jugendlichen wahr- und ernstnehmen und dieses Gefühl, sich auf Gott als eigener Mensch wirklich verlassen zu können, weitergeben und ihnen nicht unsere Vorstellungen von Gott und dem was richtig ist, einfach überstülpen. Damit sie die Chance haben, Gott wirklich als den einen und einzigen zu entdecken und nicht nur auswendig wiederholen, was vorgesagt ist. Damit auf den verschiedenen Wegen, die wir gehen, der eine und einzige Gott erfahrbar wird und erlebt werden kann. Amen.

Keine Kommentare: