Text: Lukas 5,1-11
Liebe Gemeinde!
Was haben wohl seine Frau und seine Kinder gesagt, als Petrus eines Tages nicht mehr nach Hause gekommen ist? Als Fischer hat er die Familie ernährt, sicher hat die Familie nicht im Luxus gelebt, aber sie hatten durch den Beruf des Vaters ihr Auskommen. Und dann geht er weg. Geht mit einem, der ihn, so heißt es hier wörtlich, zu einem machen will, der Menschen fängt. Petrus war verheiratet, davon erzählt das Neue Testament. Und vermutlich hat er auch Kinder gehabt. Wenn er getrunken hätte und seine Familie verprügelt hätte, dann wären sie vielleicht froh gewesen, ihn endlich los zu sein. Aber so? Klar, er ist nicht wegen einer jüngeren Frau weggelaufen. Aber macht es das wirklich besser? Da kommt einer, kann offensichtlich toll reden, denn ihm wollten ja so viele zuhören, dass er das Boot von Petrus als Bühne brauchte, weil am Ufer nicht genug Platz war. Da kommt einer, erzählt von Gott, sagt: „Folge mir nach, du wirst Menschen fangen!“ Und schon lässt er sich einfangen und gibt alles auf.
Für Männer, die von Freiheit träumen, ist Petrus vielleicht eine Art Vorbild. „Das ist ein echter Kerl, der zieht sein Ding durch, ein Mann muss halt konsequent sein!“ Für Frauen, die ihre Kinder allein erziehen, weil sich der Erzeuger aus dem Staub gemacht hat, für Kinder, die ihren Vater kaum kennen, weil er sich einfach abgemacht hat, ist Petrus vielleicht höchstens ein weiteres Beispiel für „noch so einen Typen, auf den man sich halt nicht verlassen kann!“ Vielleicht war es nicht wirklich so dramatisch, die Bibel erzählt davon, dass Petrus später seine kranke Schwiegermutter besuchte und Jesus sie heilte. Aber mir macht diese Geschichte deutlich, dass wir uns vor zweierlei hüten müssen. Zum einen davor, zu leicht und zu schnell zu sagen: „Im christlichen Glauben geht es um die heile Familie, darin spiegelt sich Jesus wieder.“ Und zum anderen davor, so zu tun, als würde einen der Glauben an Gott davor bewahren, unbequeme Entscheidungen treffen zu müssen.
Natürlich ist es toll, wenn Familien funktionieren. Es ist schön, wenn beide Elternteile Verantwortung übernehmen und sich auch unabhängig von einem gemeinsamen Kind lieben. Aber ich finde es, gerade um der vielen Menschen willen, die eben, auch hier bei uns, keine in diesem Sinn heile Familie haben, wichtig zu sehen, dass Gott keine Lebensform bevorzugt und dass diejenigen, die eben nicht in heilen Familien leben, für Gott nicht minderwertig sind. Damit kein Missverständnis aufkommt: Das soll keine Entschuldigung für verantwortungslose Männer sein, sich abzumachen. Zum Kreis um Jesus gehörten, das wird an anderer Stelle deutlich, auch Frauen, die mit Männern sehr schlechte Erfahrungen machten.
Unbequeme Entscheidungen zu treffen, wenn es um den Glauben geht - auch darum geht es hier in der Geschichte von Petrus. Was steht an erster Stelle? Familie, Freundschaft - oder das, was wahr, richtig und für das Leben gut ist? Gott sei Dank ist das ja nicht unbedingt ein Gegensatz. Aber mich beschäftigt immer noch ein Fall von Kindesmissbrauch hier am Richtsberg, bei dem sehr lange geschwiegen wurde, um die Familie zusammenzuhalten. Oder die Frage, ob ich es sagen darf, wenn ein Freund klaut, Drogen nimmt, Schlägereien anzettelt, Schwächere mobbt - Wenn ich es ernst nehme, dass Gott die Liebe ist, dass Gott ein Gott des Lebens ist, dass der Glaube Menschen zum Leben führt, dann muss ich mich vielleicht manchmal gegen die Freundschaft, oder sogar gegen die Familie stellen. Unbequeme Wahrheiten sagen, auch deshalb, weil der andere nur dann eine Chance hat, sich zum Guten zu ändern, wenn er merkt, was falsch ist.
Wo jetzt schon mal das Stichwort „gut“ gefallen ist: Vielleicht fragt sich ja der eine oder die andere, wo in meiner Predigt das Gute bleibt, gerade heute, wo wir doch auch Taufe feiern? Ja, ich könnte noch mehr Negatives sagen: Darüber, dass ich es nicht gut finde, dass Petrus Menschen fangen soll. Glauben, das zeigt doch eigentlich die Art und Weise, wie Jesus mit Menschen umgeht, fängt Leute doch nicht gegen ihren Willen ein, sondern er öffnet ihnen die Augen, damit sie einen guten Weg finden und von falschen Wegen umkehren. In Freiheit, freiwillig, nicht gezwungen. Aber jetzt endlich zum Guten. Das Beste kommt eben zum Schluss. In dieser Erzählung von Petrus steckt als eine ganz wichtige, richtig gute Erkenntnis, dass der Mut, Vertrauen zu haben und Entscheidungen zu treffen, belohnt wird. Petrus war Fischer. In seinem Beruf weiß er, dass man Fische in einem See entweder frühmorgens oder spätabends und nachts fängt, wenn es kühler wird und die Fische wieder zur Wasseroberfläche kommen. In der Tageshitze fängt man nichts. Trotzdem hat er den Mut, Jesus zu vertrauen und sich nicht nur auf seine Erfahrung zu verlassen. Er wird nicht enttäuscht. Vertrauen lohnt sich - nicht, weil wir irgendwelche spektakulären Wunder erleben werden, sondern weil wir durch das Vertrauen in Gottes Liebe, in Jesus, Lebensmöglichkeiten im Überfluss bekommen. Dafür steht der große Fischfang. Überfluss nicht in dem Sinn, dass wir Paläste, Villen, Champagner und Diener bekämen, sondern in dem Sinn, dass wir immer wieder auch in schweren Situationen sehen werden, dass Leben möglich ist und Gott bei uns ist.
Mut zur Hoffnung, Mut zum Vertrauen, Mut auch zu unbequemen Entscheidungen, das wünsche ich nicht nur Anastasia (und Andreas), die wir heute getauft haben. Sondern das wünsche ich uns allen. Ich wünsche den Kindern und uns Erwachsenen, dass wir Halt in der Familie finden, keine Frage. Ich wünsche Anastasia, Andreas und uns allen, dass wir in ihr das erfahren, was in dieser Geschichte angelegt ist: dass wir sie als Ort erleben, an dem wir eigene Wege gehen können, der uns Raum dafür lässt und uns den Weg der Liebe, der Gerechtigkeit und der Wahrheit gehen lässt. Dass wir aber auch da, wo wir erleben, dass das anders ist, nicht die Biologie vor Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit stellen, sondern den Mut haben, auf dem Weg Jesu zu bleiben. Und ich wünsche uns, dass wir so offen werden für die Vielfalt der Lebensmöglichkeiten wie es die Gemeinschaft um Jesus war. Dass niemand sich schlecht fühlen muss, weil er anders leben will oder leben muss als wir es normalerweise richtig finden. Amen.
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