Liebe
Gemeinde!
„Der
Tod war für ihn eine Erlösung.“ Immer wieder habe ich diesen Satz in den
vergangenen zweiundzwanzig Jahren bei Beerdigungsgesprächen gehört. Er muss nun
nicht mehr leiden. Sie muss nun nicht mehr bei wachem Verstand miterleben, wie
die Krankheit ihr jede Freiheit nimmt. Er liegt nun nicht mehr als wimmerndes
Häufchen Elend im Bett eines Altersheims, wo er doch so stolz auf das eigene Haus
und seine Körperkraft war. Sie muss nun nicht mehr die Schmerzen aushalten, die
ihr der Krebs bereitet hat. Der Tod als Erlösung. Immer mal wieder. Immer mal
wieder, wenn auch seltener, höre ich: „Der Tod war für uns eine Erlösung“.
Jetzt müssen wir nicht mehr die Schreie in der Nacht hören, nicht mehr
mitansehen, wie die geliebte Mutter uns fremd wird, nicht mehr im eigenen Haus
gefangen sein, weil sich alles nur noch um die Pflege dreht. Erlösung,
Freiheit. Hier oft sehr dramatisch, manchmal im Alltag viel weniger dramatisch.
In
zwölf Tagen sind die Schülerinnen und Schüler erst einmal von dem Stress
erlöst, gerade in der Adventszeit unheimlich viele Arbeiten schrieben zu
müssen, Angst vor dem eigenen Nichtwissen zu haben und morgens früh aufstehen
zu müssen. Und die Lehrer sind dann von motzigen, unmotivierten Schülern
erlöst. Freiheit auf Zeit, ein Stück Erlösung, immerhin.
Erlösend
ist es auch, wenn die Angebetete endlich „Ja“ sagt – oder der Angebetete.
Frisch verliebt, man weiß nicht, wohin mit den Gefühlen, dann die Angst: „Liebt
er, liebt sie mich auch? Blamiere ich mich, wenn ich meine Liebe gestehe?“
Nächte, schwitzige Hände – und dann: die Liebe ist gegenseitig! Eine Erlösung!
Endlich frei von Angst und freie Fahrt für die Liebe. Welche Erlösung!
Und
wir beten um Erlösung. Immer neu, immer wieder, manchmal auch ernsthaft und
nicht nur, weil’s im Gottesdienst oder in Konfer gerade alle sprechen. „Erlöse
uns von dem Bösen“. Mache uns frei, im Kopf, im Herzen, in den Händen, wirklich
das Richtige zu tun. Lass uns so frei sein, unserem Egoismus ein Schnippchen zu
schlagen. Hilf uns, so frei zu sein, nicht zu verzweifeln und nicht nur das
Dunkle zu sehen. gib uns den Mut, zu handeln, wenn es nötig ist und etwas zu
lassen, wenn es falsch ist. Mach uns frei. Zum Guten. Erlöse uns. Von dem
Bösen.
Von
einer Erlösung erzählt auch der Predigttext für heute. Lukas hat die Geschichte
von der Geburt Johannes des Täufers aufgeschrieben. Und dabei erzählt er, wie
Zacharias, der Vater von Johannes, erlöst wird.
Lesen: Lk
1,57-66
Zacharias
wird erlöst. Er kann wieder sprechen, jubeln, danken, loben – und später
vielleicht auch mal mit seinem Kind schimpfen, das sicher auch – aber er wird
frei. Seine Zunge löst sich. Erlösung. Und die Leute drumherum, die Nachbarn,
Verwandten, Freunde, danach auch viele
Fremde, überall in der Gegend, die sehen hier Gott am Werk. Wenn schon die
Namensgebung eines Kindes so was auslösen kann, was muss das dann für ein Kind
sein? Das kann nur mit Gott in Verbindung sein. Da sind sie sich einig. Und
irgendwie ist ihnen das unheimlich. Aber der Reihe nach.
Wie
kommt es überhaupt dazu, dass Zacharias seine Sprache verliert und kein Wort
mehr rausbringt? Wieso braucht er überhaupt Erlösung? Zacharias war Priester.
Ein guter, frommer Mann. Er und
seine Frau Elisabet waren schon richtig alt.
Viel zu alt zum Kinderkriegen. Eine Schande in der damaligen Zeit. Und alle
dachten, auch wenn sie es nicht laut sagten, dass Gott da Zacharias und
Elisabet wohl für irgendetwas bestraft. die beiden waren traurig, klar. Aber
sie haben den Glauben nicht verloren, immer wieder um Kinder gebetet. Und als
es endlich soweit war, als die Gebete erhört wurden und Elisabet trotz ihres
eigentlich viel zu hohen Alters schwanger wurde, da konnte und wollte Zacharias
es nicht wahrhaben. „Das kann nicht sein!“ Zacharias glaubte, es besser als
Gott zu wissen. Er war, obwohl er so fromm war, noch nicht bereit, die Gnade,
das Geschenk von Gott, wirklich anzunehmen. Johannes – „Gott ist gnädig“ oder
„Gott hat Gnade gezeigt“ oder, übertragen, auch „Geschenk Gottes“, so sollte
das Kind heißen. Johannes kann das noch nicht annehmen. Er bleibt gefangen. In
seiner Welt, in seinem Denken und ihm fehlen dann die Worte, tatsächlich im
wahrsten Sinne des Wortes.
Und
dann ist das Kind da. Und wie das so ist: Jeder weiß alles besser. Ich glaube,
manche Eltern können ein Lied davon singen, wie gutgemeinte Ratschläge von
Verwandten und Freunden manchmal ein wenig viel werden. „Das Kind muss wie der
Vater heißen!“ „Wenigstens doch wie ein anderer Verwandter, du kannst doch die
Verwandten nicht so einfach übergehen!“ Ich stelle mir ein ziemliches
Durcheinander vor, dass Elisabeth, die Mutter, auszuhalten hatte. Viele Leute,
viel Gewusel – und jeder weiß es besser. Auf die Mutter, die ja alt und noch
dazu unerfahren ist, da wird erst mal keine Rücksicht genommen. Typisch?!
Auf
jeden Fall soll dann der Vater ran. Und ein Machtwort sprechen. Ach ja,
sprechen kann er ja nicht. also: ein Machtwort schreiben! Der wird schon den
richtigen Namen wissen und der Menge, die wenigstens auf einen Verwandtennamen
besteht, Recht geben. Und wenn’s aus Stolz ist. So kalkuliert die Menge. Aber
Zacharias reagiert eben anders. Gottes Geschenk, Gott hat sich gnädig gezeigt –
Johannes, so, wie es Gottes Wille ist, so, wie Elisabeth, seine Frau wollte, so
soll es sein. Und in dem Moment, in dem er sich einklinken kann in den Weg
Gottes mit ihm und seiner Familie, in dem Moment, in dem er das Geschenk
wirklich aus ganzem Herzen annehmen kann, findet er Erlösung. Seine Zunge löst
sich. Er findet die Worte wieder. Dank, Jubel, Freude, das alles bricht aus ihm
heraus.
Erlösung
heißt nicht Freiheit um jeden Preis, nicht totale Selbstverwirklichung.
Erlösung heißt loslassen können, abgeben können, sich in Gottes Hand geben
können, Vertrauen zu finden. Das macht für mich nicht nur diese Bibelgeschichte
deutlich, das zeigen für mich auch die Alltagsbeispiele vom Anfang. Die Ferien
zum Beispiel, die sind ja keine echte, dauernde Erlösung, sondern Atempause,
Zeit zum Luftholen, dann geht’s mit dem, was manchmal schön, manchmal aber auch
nervig und schwer ist, weiter. Anders ist das beim Tod und in der Liebe. Um den
Tod als Erlösung wirklich annehmen oder erfahren zu können, muss ich auch den
Schmerz eingestehen können, den der Tod bereitet. Und wenn ich keine Hoffnung
habe für das, was kommt, dann werde ich auch nicht wirklich die Erlösung
fühlen. Erlösung werde ich, glaube ich wenigstens, am ehesten dann spüren, wenn
ich als der, der in diesem Leben zurückbleibt, darauf hoffen kann, dass Gottes
Hand und Liebe auch da halten und keine Grenze haben, wo mein wollen, Können
und Verstehen an ein totales Ende kommt. Und wenn ich als der, der aus dieser
Welt geht, hoffen kann, dass die, die bleiben, und ich, der geht, nicht in ein
Loch fallen, sondern von Gott gehalten werden, dann kann ich zwar nicht leicht,
aber leichter loslassen und ein Stück Erlösung fühlen. Hoffe ich wenigstens.
Und
in der Liebe: wenn ich mich nicht traue, einem andere Menschen Liebe zu zeigen
und Liebe zu gestehen und mich nicht
verletzlich mache, werde ich nie erfahren, was es bedeutet und wie es sich
anfühlt, wenn Liebe erwidert wird.
Und
hier bin ich wieder bei Gott und Zacharias und Johannes und Jesus. Gott zwingt
Menschen nicht, seine Geschenke, seine Gnade und Liebe anzunehmen. Menschen
brauchen oft Zeit, wie Zacharias. Aber wer das Geschenk annehmen will, wer
Gnade und Liebe erfahren will, wer Erlösung erleben will, der muss wohl auch
loslassen können. Eigene Vorstellungen genauso wie die Einflüsterungen von
denen, die immer alles besser wissen. Als Zacharias seien Vorstellungen
loslassen kann und nicht auf die hört, die angeblich alles besser wissen,
erfährt er Erlösung. Der Weg Gottes ist es, Gnade, Liebe, Geschenke anzubieten.
Der Weg des Menschen, unser Weg, ist es, die dann auch anzunehmen und etwas
damit zu wagen. Darauf hat dann Johannes, das Geschenk Gottes, der Sohn von
Elisabeth und Zacharias, hingewiesen. Liebe erfahre ich nicht ohne Umkehr von
falschen Wegen. Die Liebe ist zwar da, aber die Kraft der Liebe erfahre ich
erst, wenn ich falsche Wege verlasse und mich auf den Weg der Liebe begebe. So
hat er auf Jesus hingewiesen. Und so verstehe ich auch Advent. wir feiern
nicht, dass Gottes Liebe und Gnade ankommt. Sie ist ja schon längst da. Sondern
wir feiern, dass er uns immer wieder neu die Gelegenheit gibt, diese Liebe und
Gnade nicht nur zu sehen, sondern sie auch anzunehmen, das Geschenk auszupacken
und Erlösung zu erleben. Besinnung, die sich nicht in Plätzchen, Tee oder
Glühwein und Kerzen erschöpft, sondern Besinnung, die mir hilft, loszulassen.
Meine Vorstellungen, Wünsche, Vermutungen, die mir oft den Blick auf das
verstellen, was nötig und gut ist. Für mich und andere. Gebe Gott, dass wir
wirklich zur Besinnung kommen.
Amen.
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