Hebr.6,19f. i.V. mit Rembrandt „Die Heilige Familie mit dem Vorhang“
Liebe
Gemeinde!
Vorhang
auf! Die Vorbereitungen sind zu Ende, jetzt darf das Wichtigste endlich gesehen
werden. Es ist ein spannender Moment, wenn man sich zum Beispiel für einen
anderen Menschen besonders schön macht – als Bräutigam oder als Braut oder
einfach so, weil man etwas Schönes feiern will, wenn man sich Mühe gibt – „eine
Minute noch, ich bin gleich so weit“ – und dann die Tür öffnet, den Vorhang der
Umkleidekabine oder was auch immer zur Seite zieht und den Blick frei gibt. Wird der andere mit staunend offenem Mund und offenen Augen da stehen – oder
wird er gleichgültig schauen? Wird es dem, für den man das macht, gefallen –
oder wird er etwas zu kritisieren haben und vielleicht nur aus Höflichkeit
schweigen. Vorhang auf – und dann gibt’s kein Zurück mehr. Vielleicht ist es
bei manchen heute Abend zu Hause ähnlich, mit einem schön geschmückten Zimmer –
was werden die, die mitfeiern, sagen, wenn die Tür aufgeht und sie es sehen?
Oder mit Geschenken. Liebevoll ausgesucht und verpackt und wenn dann zwar nicht
der Vorhang aufgeht, sondern das Geschenk ausgepackt wird, aber trotzdem dann
der Inhalt zu erkennen ist und die Frage im Raum steht: Gefällt es? Vorhang
auf! – genau das hat Rembrandt vor über 450 Jahren gemalt. Ich möchte Ihnen und
Euch dieses Bild in diesem Jahr schenken, mit nach Hause geben. Zu Weihnachten.
Vorhang auf für Weihnachten. Und was sehen wir, wenn wir den Vorhang öffnen,
die Karte aufklappen? Weihnachten? Das soll Weihnachten sein?
Gut,
manches mag am Licht heute Abend liegen. Da sieht man nicht so gut. Aber als
dieses Bild gemalt wurde da gab es auch keine perfekten Lampen, wenn man es
gegen Abend betrachtete, dann wird man nicht viel mehr gesehen haben, als jetzt
zu sehen ist. Vorhang auf also – und das soll dann Weihnachten sein? Da fehlt
doch alles, was Weihnachten ausmacht: die Engel, die Hirten, der Stall, der
Ochs und der Esel, der Heiligenschein, nichts davon da. Stattdessen: eine gut
angezogene Mutter, die ihr Kind liebevoll in den Arm nimmt. Ein Kind, gut
genährt, gut angezogen, das ein wenig neugierig auf die schaut, die es vor dem
Vorhang betrachten. Eine Katze, die sich an einem wärmenden Feuer kauert. Und
wenn man ganz genau hinschaut, im Hintergrund kein primitives Strohlager,
sondern ein Himmelbett auf der linken Seite und den Vater, der Holz hackt, auf
der rechten Seite. Wäre nicht die Wiege, in der das Kind offensichtlich
geschlafen hat, der hellste Ort auf dem Bild, würde die nicht die liebevolle
Umarmung von Mutter und Kind den Fußboden heller erstrahlen lassen als das
Feuer direkt daneben, niemand würde dann
auf die Idee kommen, dass es mit dieser Familie etwas ganz besonderes
auf sich haben könnte. Deshalb hieß das Bild auch eine Zeit lang einfach „Die
Holzhackerfamilie“ und nicht „Die Heilige Familie mit dem Vorhang“. So wenig
Weihnachten! Oder doch: so viel Weihnachten. Der Vorhang ist weg, und wir sehen
Gott, das Heiligste. Der Vorhang, der im Tempel Gott und Menschen trennte und
hinter den nur einmal im Jahr der Hohepriester treten durfte. Hier in dem Bild
steht der Vorhang dafür, dass wir den Blick auf Gott frei gemacht bekommen.
Dass das Geheimnis Gottes nicht exklusiv für wenige Auserwählte an besonderen
Tagen sichtbar ist, sondern alle Welt kann Gott sehen. Weihnachten feiern wir,
dass Gott sich in dieser Welt zu erkennen gibt.
Und
das so, dass er so ganz und gar Mensch wird, dass er gar nicht als Gott erkannt
wird, schon gar nicht auf den ersten Blick. Es war und ist ja tatsächlich so,
dass es alles andere als selbstverständlich ist, in Jesus Gottes Sohn, das Heil
der Welt zu sehen. Es sind eben keine Äußerlichkeiten, die ihn unzweifelhaft
erkennbar machen, sondern es ist das, was sich in der Begegnung mit ihm
abspielt, es ist eine Beziehungs- und Glaubensfrage. Für mich drückt sich das
in dem Bild ganz unnachahmlich aus. Der Glanz liegt zum einen in der Wiege, dem
Ort, von dem aus das Kind aufgenommen wird. Er bleibt da, ein Ort göttlicher
Gegenwart. Aber da, wo die Frau das Kind aufnimmt,
wo eine Beziehung zu dem
Kind da ist, entsteht ein neuer Glanz, eine neue Wirklichkeit, die die Welt
heller macht als jedes Feuer das tun könnte. Dort, wo der Mensch die Beziehung
zu Gott, zu diesem Mensch gewordenen Gott, zu Jesus aufnimmt, wird die Welt hell. Und zwar nicht
nur für diesen einen Menschen, sondern auch für die Umgebung. Eine schöne
Botschaft der Hoffnung. Die andere schöne Botschaft der Hoffnung steckt für
mich darin, dass der Maler diese Heilige Familie, diesen Mensch gewordenen
Gott, in seine Zeit holt und das auch ganz konsequent ohne jede Anspielung auf
den Stall in Bethlehem oder andere beliebte biblische Motive. Gott wird Mensch,
Gott sucht Beziehung – Weihnachten ist eben nicht die Beschreibung eines geschichtlichen
Ereignisses, dass einmal war und an das man sich immer wieder gern erinnert,
sondern Weihnachten ist ein Prozess, eine Wirklichkeit, die die Gegenwart immer
wieder in eine neues Licht setzt. Das Gott Mensch wird, zu uns Menschen in Beziehung
tritt, das hat sich eben nicht am Anfang unserer Zeitrechnung erledigt, sondern
das ist nur dann wirklich wichtig, wenn es die Gegenwart immer wieder neu berührt
und verändert. Gott kommt in die kleinbürgerliche Holzhackerfamilie des 17. Jahrhunderts.
Er lässt sich da sehen und erfahren. Und er kommt in die Einsamkeit der alten
Frau in der Nachbarschaft, die sich von ihrer Umwelt hier auf dem Richtsberg
fast ganz abgekapselt hat und die Tür nur noch einen Spalt öffnet. Und in die
Welt der jungen Mutter in der Nachbarschaft, die ihre Eltern schon früh
verloren hat und die mit ihrem Freund, der eine sehr schwierige Vergangenheit
hat, zusammenlebt, und deren Kind noch vor Ende des 6. Schwangerschaftsmonats
geboren wurde und die sich einfach nur sorgt. Er kommt zu der Familie, in der
in diesem Jahr so viel Gutes passiert ist, genauso wie in die Familie, in der
sich die Eltern getrennt haben und die Kinder nicht mehr wissen, wo sie
hingehören. Er kommt in das Leben des Paares, das gesund und satt und zufrieden
lebt und zu dem Alkoholiker, der sich schon mittags kaum noch auf den Beinen
halten kann und der wirres Zeug redet. Weihnachten wird es nicht dadurch, dass
wir fromme Geschichten und Bilder der Vergangenheit immer wieder betrachten, sondern dass wir uns bereit
machen, in der Gegenwart, in unserem Leben, mit der Gegenwart der lebendigen
Liebe Gottes zu rechnen, in Beziehung treten und das so die Welt ein Stück
heller werden kann.
Aber
Moment, mag jetzt mancher sagen. Ist das nicht, genauso wie das Bild hier, zu
friedlich, zu idyllisch gedacht? Hast du, lieber Pfarrer, nicht gerade auch von
gescheitertem Leben erzählt? Darf man Weihnachten so idyllisch, so lieblich feiern?
Muss man nicht viel mehr und viel lauter von der Not der Menschen erzählen?
Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir uns zu sehr vor dem Guten, vor der
Hoffnung fürchten. Vor der Hoffnung darauf, dass Leben durch Gottes Liebe
wirklich gut werden kann. Mir kommt es manchmal so vor wie nach einer
Mathearbeit, bei der ein Schüler ein gutes Gefühl hat, sich aber nicht traut,
das zu sagen, aus Angst, enttäuscht zu werden. Wir Menschen, vielleicht bin ich
da auch allein, aber ich glaube es nicht, wir nehmen gern erst einmal Schlechteres
an, trauen uns nicht zu lieben, Liebe zu gestehen, aus Angst, enttäuscht zu
werden. Aber die Botschaft von Weihnachten ist doch eigentlich eine andere:
„Fürchte dich nicht!“ Und das heißt für mich ganz besonders auch: „Fürchte dich
nicht, zu hoffen“. Mir ist in diesem Jahr der Vers wirklich wichtig geworden,
der auch auf der Karte, die sie bekommen haben, aufgedruckt ist. Eigentlich ein
völlig unweihnachtlicher Vers aus dem Hebräerbrief: „Diese Hoffnung haben wir
als einen sicheren und festen Anker in unserer Seele, der auch hineinreicht bis
in das Innere hinter dem Vorhang. Dahinein ist der Vorläufer für uns gegangen,
Jesus.“ Das Leben erschöpft sich nicht in Idylle. Das fängt ja schon bei Jesus
an. Mutter sehr jung und unehelich schwanger, ungemütliche Geburt, Flucht als
Baby, Ärger mit den Eltern in der beginnenden Pubertät, Unverständnis in der eigenen
Familie, Verrat von Freunden, grausamer Tod. Genau davon erzählt die Bibel.
Nicht von einer heilen Welt, sondern von der Wirklichkeit. Das lehrt uns, die
Augen und die Ohren und die Herzen für die Welt und für die Nöte und Probleme
der Menschen weit, weit aufzumachen. Aber genau dabei bleibt die Botschaft eben
nicht stehen. Fürchte dich nicht, in dieser Welt zu lieben, zu leben, zu
hoffen. Die Lieblosigkeit, die Ungerechtigkeit, die zerbrochenen Beziehungen,
die Armut, die Trauer, die Einsamkeit, all das sind eben nicht Gottes Wille und
Gottes letzte Worte. Fürchte dich nicht vor der Hoffnung – denn genau die ist
gedeckt durch Jesus. Die Hoffnung, dass Gottes Willen eben ein Leben in Liebe,
Geborgenheit, Sicherheit, Frieden ist. Ein Leben, das ganz einfach gut ist. Ein
Leben in Beziehung. Vielleicht brauchen wir auch manchmal solche liebevollen,
idyllischen Bilder wie das Familienbild von Rembrandt. Bilder, die uns
vielleicht nicht zuerst zeigen, wie es ist, sondern wie es sein kann und sein
soll. Bilder, die Sehnsucht und Hoffnung wecken. Nicht, indem sie uns für diese
Welt blind machen, sondern indem sie uns helfen, diese Welt auszuhalten und uns
nicht von ihr verzehren lassen. Fürchte die nicht, zu leben, zu lieben, zu hoffen,
denn Gott ist da. In deinem Leben. In dieser Welt. Heute. Und nicht nur vor
2000 Jahren in einem Stall in Bethlehem.
Frohe
Weihnachten.
Amen
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