Die Predigt habe ich eigentlich am 19. n. Tri, dem 6.10.13, gehalten. Durch die Kirchenvorstandswahl in unserer Landeskirche haben wir Erntedank vorgezogen und ich wollte gern mal wieder die Zehn Gebote predigen
Liebe
Gemeinde!
Regeln,
die nicht durchgesetzt werden, sind nichts wert. Oder? In Marburg erlebe ich
unglaublich viele Fahrradfahrer, die garantiert älter als 12 Jahre sind und
trotzdem auf dem Bürgersteig fahren. Jeden Tag sehe ich jede Menge Leute, die
verbotenerweise mit dem Handy während des Autofahrens telefonieren oder, noch
gefährlicher, sogar Mitteilungen schreiben. Und an Geschwindigkeitsbeschränkungen
halte ich selbst mich ja vor allem dann, wenn ich weiß, dass da oft
kontrolliert wird. Sonst kann’s bei mir auch sein, dass ich leicht mal zu
schnell bin. Vom Kaugummiverbot in der Richtsbergschule will ich erst gar nicht
reden. Regeln, die nicht knallhart durchgesetzt werden, nützen wenig. Sagt man
wenigstens. Also: was nützen eigentlich die Zehn Gebote? Das werde ich
tatsächlich immer wieder gefragt. Von Schülern genauso wie von Konfis, von
jungen und alten Erwachsenen. Da hält sich doch sowieso keiner dran – ein Standardsatz
meiner Neunt- und Zehntklässler. einem, der nicht an Gott glaubt, geht es doch
sichtbar keinesfalls schlechter, jemandem, dem die Feiertage egal sind und der
sonntags voll durcharbeitet auch nicht – geht doch in unserer modernen
Gesellschaft auch nicht anders. Ehebruch??? Wen juckt denn das noch, schauen
sie sich mal die Scheidungszahlen und die Wirklichkeit in vielen Familien an,
Geklaut wird überall, und wenn’s das Paar Handschuhe aus der Firma ist oder die
Steuer, die eigentlich der Allgemeinheit zusteht und die durch Tricks und Lügen
nicht gezahlt wird. Okay, das mit den Eltern vielleicht… - aber wenn die zu mir
nicht nett waren und das muss sowieso jeder selber wissen. Alles Beobachtungen,
Aussagen, Meinungen, die ich nicht widerlegen kann, weil sie nicht so einfach
falsch sind. Und wahrscheinlich können die meisten hier das wahrscheinlich noch
aus eigener Erfahrung mit anderen Beispielen ergänzen. Nochmal: was nützen
eigentlich die Zehn Gebote, außer dass sie als Lernstoff zum Auswendiglernen für
Konfis gut sind, wenn sie ganz offensichtlich nicht mit Androhung von Gewalt
oder Strafe durchgesetzt werden?
Die
Zehn Gebote in der Form, wie die Bibel sie uns überliefert, sind ein mindestens
dreifaches Angebot Gottes. Und kein Gesetzbuch. Sie sind einmal ein Angebot, in
guter Beziehung zu Gott zu bleiben. Dann das Angebot, in guter Beziehung zu
Mitmenschen zu leben. Als drittes das Angebot, frei zu bleiben. Und vielleicht
fallen ja anderen hier im Gottesdienst noch ganz andere Gesichtspunkte und
Angebote ein. Ich bin neugierig. Sagt’s mir, sagen sie’s mir ruhig – wenn ihr,
wenn sie den Mut haben, ruhig während der Predigt, sonst gern auch nachher. Aber
jetzt zu den drei Angeboten.
Das
erste Angebot dieser zehn Gebote: eine gute Beziehung zu Gott. Wenn ich jetzt
frage: wie fangen die Zehn Gebote an?, dann würden die meisten, die in Konfer gelernt
haben, wohl antworten: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ Das
ist das erste Gebot. Ja, das ist das erste Gebot. Aber so fangen die Zehn
Gebote nicht ganz an. „Und Gott redete
alle diese Worte: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland aus
der Knechtschaft geführt habe“. Das ist sozusagen die Überschrift, unter
der alles, was dann kommt, gehört und verstanden werden will. Die Zehn Gebote
beginnen nicht mit Regeln und mit Verhaltensaufforderungen, nicht mit Verboten
oder anderem. Sondern damit, dass Gott redet. Das Gespräch sucht, eine
Beziehung herstellt. Es sind keine vom Himmel auf unerklärliche Weise
gefallenen Worte, sondern Ausdruck einer Beziehung. Anrede, die auf Antwort und
nicht auf blinden Gehorsam, der nicht nachdenkt und sich von dem, der die
Regeln setzt losgelöst hat, zielt. Die Gebote sind keine Befehle, die einfach
zu befolgen sind, ohne Nachdenken und ohne sie mit Leben zu füllen, sondern Angebote,
wie der Mensch sinnvoll auf die von Gott ins Leben gerufene Beziehung, auf die
von Gott geschenkte Freiheit antworten kann. Gott stellt sich vor. Er ist der,
der die Menschen aus der Knechtschaft, aus der Sklaverei, aus dem Leben, in dem
sie blind befolgen mussten,
was andere befohlen haben, in ein Leben in
Freiheit, in der sie selbst entscheiden dürfen und müssen, geführt hat.
Natürlich war keiner von uns hier Sklave im alten Ägypten und ist mit Mose
durch die Wüste gezogen in ein neues Land, in dem man das gemeinsame Leben
gestalten musste. Aber hinter dieser Befreiung, die in der Geschichte verankert
wird, steckt ja eine viel tiefere Einsicht. Die Menschen, zu denen Gott eine
Beziehung hat und denen er eine Beziehung anbietet, sind keine Sklaven anderer
Herren, sondern gleich an Rechten, gleich an Freiheit, gleich an Ansehen und
Liebe bei Gott. Und spätestens durch Jesus hat Gott ja ein für allemal klar
gemacht, dass dieses Angebot nicht nur für das Volk Israel gilt, sondern dass
er dieses Angebot der Freiheit an alle Menschen macht. Es ist ein Angebot, dass
dieses ICH Gottes dem DU des Menschen macht. Konkrete Bestrafungen für den
Fall, dass dieses Angebot nicht angenommen wird, finden sich hier nicht.
Relativ allgemeine Formulierungen dafür, dass es sich in dieser Beziehung der
Freiheit besser lebt, schon. Aber im Grunde ist diese Beziehung eine, die auf
Verantwortung und Freiwilligkeit beruht, eine echte Beziehung also. Und
vielleicht ja auch auf Dankbarkeit. Auf Dankbarkeit für das befreiende Handeln
Gottes. Die ersten Gebote zielen ja auf einen Erhalt dieser Freiheit durch eine
Beziehung zu dem lebendigen und befreienden Gott. „Du sollst keine andere Götter neben mir haben“ – du brauchst dich
nicht von Regen- oder Fruchtbarkeitsgöttern abhängig zu machen, du brauchst
dich nicht von einem besonderen Gott für jede Lebenslage, der im Zweifel noch
mit anderen Göttern kämpft, abhängig zu machen, und, für heute: erst recht
nicht vom Gott des vielen Geldes, der äußeren Schönheit und des möglichst hohen
Bildungsabschlusses. Leben fängt nicht erst mit dem Abitur, dem dicken Benz und
dem dicken Bankkonto an. Verehre nicht die falschen Götter, sondern bleibe bei
dem, der dich als Menschen sieht und will und liebt und befreit. „Du sollst dir kein Bild machen, das du
anbetest“ – ich bin immer größer, als du dir vorstellen kannst, du brauchst
mich nicht einzusperren. Und dein Bild von mir, deine Beziehung zu mir, darf
und wird sich im Laufe deines Lebens ändern. Sei so frei, das zu sehen. du sollst Gottes Namen nicht missbrauchen.
– Gott, der Glauben sind keine Waffe gegen andere. Auf Gott zu schwören, um
besser da zu stehen, andere zu beleidigen, in Gottes Namen das zu fordern, was
eigentlich mein persönlicher Wille ist – Bleibe frei, indem du unsere Beziehung
als Beziehung achtest und nicht als Waffe missbrauchst. Gedenke des Sabbattages, halte auch mal Ruhe – und nicht nur du,
sondern gönne auch allen, die von dir abhängig sind, diese Ruhe. Mache dich
frei vom Diktat der Wirtschaftlichkeit. Und mache dich so frei, auch die, die
von dir abhängen, nicht als weniger wert zu betrachten. Gönn dir Zeit für die
Beziehung zum Grund des Lebens – und der ist nicht die Arbeit, sondern Gott,
der die Welt ins Leben rief.
Das
zweite Angebot dieser Gebote: eine gute Beziehung zu den Menschen. Das fängt ja
schon in den ersten Geboten, in denen die gute Beziehung zum Grund des Lebens,
zu Gott, im Mittelpunkt steht, an. Und es geht dann ganz konkret weiter. Und es
setzt sich fort in den anderen Geboten, in denen es darum geht, die Menschen,
durch die ich in dieser Welt bin, nicht im Stich zu lassen. Es geht nicht
darum, dass Kinder blind den Willen der Eltern befolgen sollten. Es geht darum,
dass ein gutes Leben dann möglich ist, wenn Generationengerechtigkeit geübt
wird und Menschen nicht nach ihrer Arbeitskraft und Nützlichkeit beurteilt
werden. Dem anderen weder das Leben noch die Beziehung noch das Eigentum oder
die Würde zu nehmen, ihn als eigenen Menschen mit anderen Fähigkeiten und
anderem Besitz zu achten – auch und gerade das ermöglicht eigentlich erst Freiheit.
Freiheit, in der Vertrauen möglich ist, weil ich nicht Angst um mein Leben und
meine Beziehungen haben muss, Freiheit, die das Anderssein achtet und es mir
und dem anderen möglich macht, als eigener Mensch zu leben. Freiheit, die den
Schwachen schützt. Die Zehn Gebote sind auch das Angebot Gottes, auch im
Schwächeren den Menschen zu sehen und
Freiheit als Freiheit für alle und nicht nur für die Starken zu sehen. Als
Angebot, nicht nur selbst frei zu werden, sondern anderen zur Freiheit zu
verhelfen.
Da sind wir dann beim dritten Angebot dieser Sätze zum Leben in
Freiheit. Beim Angebot, nicht nur mit Gott und anderen gute Beziehungen zu
haben, sondern frei zu bleiben. Und damit sind wir auch wieder beim Anfang der
Predigt. Bei der Erfahrung, dass das alles nicht selbstverständlich ist,
sondern dass diese Beziehungsangebote oft nicht wahrgenommen werden. Nicht nur
von anderen, auch von uns, auch von mir. Frei bleibe ich dann, wenn ich mir nichts
vormache, wenn ich mir meine Beziehungen, auch meine Beziehung zu Gott, nicht
schön rede, sondern wenn ich ehrlich bleibe. Zu Gott, zu den Menschen, zu mir. Und
wenn ich ehrlich bin, dann erkenne ich, auch durch diese Angebote zur Freiheit,
Angebote zur lebendigen Beziehungen, die Gott in den Zehn Geboten macht, dass
ich schuldig werde. an den Beziehungen. An Gott. An Mitmenschen. An mir. Ich
erkenne, dass ich auf Erbarmen und Erlösung angewiesen bleibe. Damit ich frei
bleibe und Freiheit gewähren kann. Ich bin der Gott, der dich befreit. Das
steht über allem anderen. Gott sei Dank ist Jesus seine größte Befreiungstat. Durch
ihn befreit uns Gott dazu, trotz aller Schuld und allem Versagen neu anfangen
zu dürfen. Amen
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