Text: Markus 2,23-28
Liebe
Gemeinde!
Heute
ist Elisabethmarkt. Verkaufsoffen in der Oberstadt, Innenstadtkirmes und rund
um die Elisabethkirche ist auch ein Sozialmarkt, auf dem sich verschiedene
soziale Einrichtungen und Projekte präsentieren. Unter anderem sind auch Doreen
und ich mit dem Richtsberg- bzw. auja-Mobil unserer Kirchengemeinde da. Ein
Glück, werden sicher manche sagen. Endlich mal wieder ein Sonntag im Herbst, an
dem man nicht vor der Glotze hängen muss und sich langweilt, sondern wo man ein
Ziel hat, wo was los ist. In der Schule und im Konfirmandenunterricht ist es
seit vielen, vielen Jahren so, dass der Sonntag mit Abstand der langweiligste
und unbeliebteste Wochentag ist, wenn ich über das Feiertagsgebot spreche.
Gerade im Herbst, im Winter und bei schlechtem Wetter. Ruhe halten geht gar
nicht – wie man auch an den Diskussionen über das Tanzverbot am Karfreitag
sieht, die seit ein paar Jahren immer schärfer geführt werden. Das Problem, von
dem Markus hier in seinem Evangelium erzählt, ist heute für die meisten wahrscheinlich
völlig unverständlich. Und deshalb wird der Satz, den Jesus am Ende sagt,
nämlich: „Der Sabbat, also der Ruhetag, ist für den Menschen gemacht worden und
nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn, also Jesus
selbst, auch Herr über den Sabbat“, gern viel zu einfach ausgelegt. Wenn die
Leute überhaupt noch in die Bibel schauen und sich dafür interessieren, sagen
sie es oft so: „Alle Regeln und Gebote sollen für die Menschen gut sein und
nicht umgekehrt – und weil sowieso jeder am besten weiß, was für ihn gut ist,
soll doch jeder selber sehen, wie er sich daran hält oder nicht. Schon Jesus
akzeptiert doch keine Einschränkungen.“ Ich glaube aber, dass dieser Erklärungsversuch
zu kurz greift. Ich glaube auch, dass nicht nur das Sabbatgebot, sondern jedes
Gebot der Zehn Gebote nicht nur gut für den Menschen ist, sondern auch für ihn
als Lebenshilfe gemacht ist. Und nicht umgekehrt die Menschen dazu da sind, Regeln
möglichst genau zu befolgen. Aber der Schluss, das deshalb jeder selber wissen
muss, was gut und richtig ist, greift zu kurz. Ich glaube, dass Jesus, in dem
wir Gott sozusagen bei der Arbeit sehen, uns helfen will, zu erkennen, wozu
Gebote gut sind und nicht, Gebote einfach streichen will. Es geht darum, den
Sinn der Gebote zu verstehen und nicht die Erklärungsversuche von Menschen, ob
das damals Schriftgelehrte und Pharisäer oder Hohepriester waren oder heute
Theologie Professoren oder Pfarrer oder Relilehrer oder Menschen, die sich für
besonders berufen halten sind, wichtiger zu nehmen als die Gebote selbst.
Jesus, und in ihm Gott selbst, ist Herr über die Gebote, und nicht der
Pharisäer, der Pfarrer oder der besonders berufene Christ mit seinen
zusätzlichen Regeln, die er oft zur scheinbaren Erklärung aufstellt.
Wie
gesagt, den Konflikt, den Markus in der Bibel beschreibt, den können wir kaum
verstehen. Erstens: Unser Ruhetag ist, wenn überhaupt, der Sonntag und nicht
der Sabbat, der von Freitagabend bis Samstagabend geht. Und zweitens: die
ersten gut 300 Jahre ihrer Geschichte kamen Christen gut damit aus, am Sonntag
zwar Gottesdienste zu feiern, aber nicht unbedingt Ruhe zu halten. Die Mehrheit
lebte im römischen Umfeld und da war der Ruhetag nicht wichtig. Für die
Christen, und das gilt eigentlich auch für Martin Luther und noch lange, lange
nach ihm, war es sowieso nicht wichtig, Ruhe zu halten. Feiertagsgebot, das
hieß: Man soll in den Gottesdienst gehen und in dieser Zeit nicht arbeiten.
Komplett arbeitsfreie Ruhetage sind in christlich geprägten Gegenden dieser
Welt eine sehr moderne Erfindung, die erst in der Zeit der Industrialisierung weniger
von der Kirche als vielmehr von der Arbeiterbewegung durchgesetzt wurde.
Diejenigen,
denen meine Predigten sowieso immer zu lang sind, die könnten jetzt sagen: Na,
dann ist ja gut! Dann haben wir als Christen sowieso relativ wenig damit zu
tun. Also tschüss,
auf zum Einkaufen in die Stadt, gebetet und gesungen haben
wir ja schließlich schon!
Aber
erstens finde ich es schade, wenn man sich nicht beschenken lässt und zweitens
rede und erkläre ich halt schon ganz gern. Aber wichtiger ist das erste.
Der
Ruhetag, ob, wie im Original, als Sabbat oder, wie bei uns üblich, am Sonntag,
ist ein Geschenk Gottes und unserer jüdischen Geschwister an uns. Er ist, so
hat es ein jüdischer Philosoph einmal ausgedrückt, ein Palast in der Zeit. Ein
Palast, geschenkt von Gott, in den man hineingehen, darf, in dem man wohnen und
sich ausruhen darf. Ein Palast, errichtet von einem König, der seine Menschen
nicht unterdrückt, sondern befreit und liebt. Ein Palast für das Volk.
Um
ein bisschen zu verstehen, wie wichtig der Sabbat für die Juden ist, müssen wir
eine kleine Zeitreise machen, ungefähr in die Zeit 600 Jahre bevor Jesus
geboren wurde. Die Menschen, deren Gott auch unser Gott ist, das Volk Israel,
hatte einen Krieg verloren. Viele wurden verschleppt. Der Tempel, der Ort, an
dem die Gottesdienste gefeiert wurden, war weit weg und außerdem zerstört.
Viele der Bücher und Schriften, die von Gott erzählten, waren nicht mehr da.
Müssen wir so werden wie die Menschen um uns? Können wir ohne Tempel, ohne die
Schriften und Priester Gottesdienst feiern? Wie können wir spüren und zeigen,
dass Gott noch da ist, auch bei uns in der Fremde? Fragen, die da waren. Und
dann kam die Antwort: Das, was uns unterscheidet, was uns Identität gibt, ist
unser Ruhetag. Ein Geschenk Gottes. Freiheit von dem Zwang zur Arbeit. Freiheit
von dem Zwang, zu funktionieren. Ein Geschenk in Erinnerung an die Freiheit,
die Gott beim Auszug aus Ägypten, bei der Beendigung der Sklaverei geschenkt
hat. Freiheit, Gott auch in der Ruhe zu begegnen, weil Gott selbst die Ruhe bei
der Schöpfung der Welt mitbedacht hat. Der Sabbat als Ruhetag hat den Menschen
damals geholfen, bei Gott zu bleiben, sich als Gemeinschaft zu erleben, zu
spüren, dass Gott noch da ist. Ohne den Sabbat wären die vielen Verschleppten
vermutlich in der Masse der anderen einfach aufgegangen. Und deshalb ist er
sehr, sehr viel wichtiger als der Sonntag für uns Christen. Aber was ist dann
passiert? Nicht lange konnten die Menschen dieses Geschenk einfach so als
Geschenk nehmen, sondern sie wollten, weil es so wichtig war, es möglichst gut
und richtig mit dem Sabbat machen. Sie fingen an, zu definieren und zu bestimmen,
was Ruhe alles bedeutet. Und deshalb wurde mit der Zeit aus der großartigen
Einladung: du darfst einen Tag lang wirklich ruhen, du musst dich nicht rechtfertigen,
dass du nichts tust, sondern es ist Gottes Geschenk an dich und an die Gemeinschaft,
in der du lebst – denn alle sollten die Ruhe genießen, auch die Angestellten,
auch die Fremden, die Menschen mit anderer Religion, jeder sollte diese
Freiheit spüren und die Freundlichkeit Gottes entdecken dürfen, was anderes.
Aus dieser großartigen Einladung wurde Zwang. Es wurde bestimmt, was alles
nicht Ruhe ist: da durfte kein Feuer gemacht werden, da durfte nur eine
bestimmt Anzahl an Schritten gegangen werden und selbst Hunger durfte nicht gestillt
werden, wenn es mit mehr verbunden war, als einfach nur die Hand zum Mund zu führen.
Und dann war eben die Pflicht, Regeln zu beachten größer als das Geschenk,
Freiheit entdecken zu dürfen. Darum geht es eigentlich in der Geschichte, die
Markus uns hier überliefert. Gottes Regeln, auch die der Ruhe, sind Einladungen,
Freiheit zu entdecken, Menschlichkeit zu erfahren, Gemeinschaft zu finden – untereinander
und mit ihm, mit Gott. Und kein blinder Zwang, Regeln genau zu befolgen, damit
Gott bestätigt bekommt, wie mächtig er ist. Dazu braucht er unsere
kleinkarierten Versuche, Liebe und Freiheit in Regeln zu packen, glaube ich,
wirklich nicht.
Von
diesen Gedanken her möchte ich mir gern den Palast, den Gott uns in der Zeit
schenkt, noch einmal anschauen. Es ist ein eminent soziales Geschenk. Weil es
darauf aufmerksam macht, dass Ruhe, Freiheit, Lebenslust nicht auf Kosten
anderer, schon gar nicht wirtschaftlich abhängiger Menschen, ausgelebt werden
soll. Da ist die Einladung, den Menschen mit seiner Lebenszeit vor den
Scheinzwang zur Wirtschaftlichkeit zu stellen. Wenn jetzt das Argument kommt:
alles gut, dann soll doch jeder seinen eigenen Ruhetag festlegen, dann ist das
nur halb richtig. Bei einzeln festgelegten Ruhetagen muss ich mich immer dafür
rechtfertigen, warum ich ausgerechnet dann Ruhe halten möchte und ob nicht doch
was anderes wichtiger wäre. Glauben sie mir, als Pfarrer kenne ich das zur
Genüge. Für das Geschenk des gemeinsamen, von Gott gesetzten Ruhetages muss
sich keiner rechtfertigen. Ich darf ohne schlechtes Gewissen ruhig sein. Und:
ich habe Zeit, Gemeinsamkeit und Gemeinschaft zu entdecken. Weil alle Zeit für
Ruhe haben. Und auch da weiß ich, wovon ich spreche. Viele unserer Freunde
haben Berufe mit sehr individuellen Zeitanforderungen. Gemeinsame Zeiten zu
finden ist schwer. Gott schenkt uns die Freiheit, Gemeinschaft zu entdecken.
Mit sich und mit anderen. Auch so ein Geschenk des Ruhepalastes in der Zeit.
Und für mich das größte Geschenk: Gott macht uns deutlich, dass kein Mensch
Herr über das Leben ist, sondern das wir miteinander auch mit anderen
Geschöpfen von ihm geliebt sind und von ihm bedacht werden. „Weder du noch
deine Kinder noch deine Angestellten noch dein Vieh noch die Fremden bei dir
sollen arbeiten, alle sollen ruhen könne wie du und mich und meine Geschenke
entdecken und genießen können. Der Sabbat, der Ruhetag, ist für den Menschen
da. Und der Menschensohn, Jesus, in dem wir Gott sehen und begegnen, ist der
Herr über diese Ruhe. Und kein Mensch. Gott sei Dank.
Amen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen