Liebe Gemeinde!
Mein Leben gehört mir! Zumindest in den Ferien oder im Urlaub! Kein Zwang mehr, zu einer bestimmten Zeit aufstehen zu müssen, sich auf etwas vorbereiten zu müssen, Aufgaben abarbeiten zu müssen, sich morgens immer zu rasieren oder was man sonst als manchmal lästige Pflicht empfindet. Mein Leben gehört mir! Endlich kann ich sein wie ich will! Mein Leben gehört mir – ein gern ausgesprochener und erst gemeinter Satz, wenn Eltern gerade älteren Jugendlichen oder gerade erwachsen gewordenen Kindern versuchen, Ratschläge mitzugeben und Richtungen aufzuzeigen, die denen, für die diese Ratschläge gedacht sind, nicht so ganz passen. Mein Leben gehört mir! Ein Satz, den ich auch von Erwachsenen immer wieder mal höre, wenn es um die Frage des Lebensendes geht. Mein Leben gehört mir – ich will darüber bestimmen, wann es Zeit ist, dass dieses Leben zu Ende geht, bevor Ärzte das Kommando übernehmen oder Schmerzen übermächtig werden. Mein Leben gehört mir! Ein Satz, den ich oft höre, wenn Erwachsene in der Mitte ihres Lebens zum Teil langjährige Beziehungen oder Ehen beenden. Mein Leben gehört mir – aber die Ferien oder der Urlaub gehen zu Ende, und dann? Mein Leben gehört mir – und dann sind da auch in den Ferien, auch im Urlaub, die Verwandten und Freunde, die man ja schon lange mal besuchen wollte, die Renovierungsaktion, die man sich vorgenommen hatte, der Garten, der dringend auf Vordermann gebracht werden muss, der Schreibtisch, der nach Aufräumen schriet, die vielen schönen Dinge, die alle unternommen werden müssen, damit sich der Urlaub, die Ferien wirklich lohnen – und am Ende bleibt das Gefühl, dass man längst nicht alles geschafft hat. Mein Leben gehört mir – ich kann bestimmen, wann es zu Ende ist. Aber: hast du den Anfang bestimmt? Hast du es dir verdient oder gekauft? Was ist mit den Leuten, die eine Beziehung zu dir haben? Genau, mein Leben gehört mir – und was ist mit dem Menschen, der dir bis vor kurzem gut genug war, deine Launen zu ertragen, die Kinder durchzubringen, für dich was zu tun?
„Freiheit ist das einzige, was zählt – Freiheit ist das einzige, was fehlt“ – so endet ein Lied von Marius Müller-Westernhagen, das vor gut zwanzig Jahren überall in Deutschland rauf und runter gesungen wurde. Aber ist es wirklich Freiheit, einfach so zu sagen: „mein Leben gehört mir“? Bleibe ich da nicht gefangen in meinen Bildern, in meinen Wünschen, in meinen Vorstellungen, in mir selber? Wird das nicht unglaublich eng und am Ende unfrei, wenn ich nur mich und mein Leben sehe?
Mein Leben gehört mir? Oder wem? In dem Predigttext heute aus dem Buch Jesaja haben wir etwas von Gott gehört, das für mich zu dem Schönsten gehört, das in der Bibel steht: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ Mein Leben gehört mir? Dein Leben gehört mir, sagt Gott. Manchem stellen sich vielleicht die Nackenhaare hoch. Das ist doch das Gegenteil
von Freiheit, denken sie. Gott mit seinen ganzen Regeln und Geboten, der macht doch nicht frei. Ich erlebe es anders. Ich erlebe es als eine ganz große Befreiung und Freiheit, Gott gehören zu dürfen. Wer wäre ich denn, wenn ich mir selbst gehören würde? Wäre ich dann wirklich viel mehr als ein Gefangener meiner Launen und zufälligen Bekanntschaften und Freundschaften? Wäre ich dann wirklich fähig dazu, echte Beziehungen unter gleichberechtigten und gleichwertigen Menschen einzugehen oder müsste ich immer wieder um meinen Status, mein Ansehen, mich selbst kämpfen? Würde ich meinen Wert verlieren, wenn ich nicht mehr mit mir zufrieden bin? Und was wäre mit meinem Versagen, mit meiner Schuld? Gott macht mich wirklich frei, er gibt mir eine Freiheit, die größer ist als die Freiheit, die ich mir selbst geben kann. So erlebe ich es. Warum das so ist und wie das so sein kann, dazu erzählt auch das, was hier beim Propheten Jesaja steht, mehr.
Das erste Stichwort: „Fürchte dich nicht!“ Gott will mir Furcht nehmen. Furcht vor den Menschen, Furcht vor dem Versagen. In der Bibel ist oft davon die Rede, dass wir Gott fürchten sollen. Wie passt das zusammen? Gott fürchten – das heißt eigentlich nichts anderes, als Ehrfurcht und Respekt vor ihm haben. Nicht Angst. Glauben, der sich auf Angst gründet, passt nicht zu Gott. Ich brauche keine Angst vor Gott zu haben, denn er ist auf meiner Seite. Es ist nicht immer schön, was ich dadurch sehe. Ich sehe auch, wo ich versage, ich sehe, wo Liebe fehlt – auch bei mir selber. Ich sehe, wo ich und wo andere versagen. Das alles und noch viel mehr. Aber der Grundgedanke des Glaubens ist nicht: Gott wird mich deshalb vernichten. Der Grundgedanke ist: Gott bleibt trotzdem bei mir und hilft mir, es anders und besser zu machen. Gott hilft mir, Angst auszuhalten und mich nicht von Angst auffressen zu lassen. Im Neuen Testament wird diese Grundbotschaft „Fürchte dich nicht“ aufgegriffen und erläutert. Die ersten, die von der Geburt Jesu hören, die Hirten auf dem Feld von Bethlehem, bekommen genau das gesagt: „Fürchtet euch nicht!“ Eine Grundbotschaft des Glaubens an Gott. Und im 1. Johannesbrief wird auch erklärt, warum dies die Grundbotschaft ist. „Furcht ist nicht in der Liebe“, heißt es da, „sondern die wahre Liebe treibt die Furcht aus. Gott ist die Liebe“. „Fürchte dich nicht“ – werde frei von Angst. Ein wichtiger Schritt in die Freiheit.
Der zweite Schritt: „ich habe dich erlöst“. Erlösung – ursprünglich hatte das erstmal nur am Rande mit Gott zu tun. Wenn ein Mensch Schulden hatte und diese Schulden als Zwangsarbeiter abarbeiten musste, dann war der nächste Verwandte, der es sich leisten konnte, verpflichtet, die Schulden zu bezahlen und den, der Schulden hatte, aus der Zwangsarbeit zu befreien. Er war dann der Löser beziehungsweise Erlöser. Gott sieht sich sozusagen in der Pflicht, uns zu befreien. Auch dann, wenn wir durch eigene Schuld unfrei geworden sind. Ein irrer Gedanke. Durch Jesus hat Gott das wirklich auf alle Menschen ausgedehnt. Aber auch schon in der Zeit vorher war Gott der Gott, der Menschen befreit. Ganz konkret hier beim Propheten Jesaja aus der Gefangenschaft in Babylon. In diese Gefangenschaft sind die Menschen aus dem Volk Israel nicht zufällig gekommen, sondern weil sie so dumm waren, einen Krieg zu führen, vor dem Gottes Propheten sie gewarnt haben. Aber Gott sagt offensichtlich eben nicht: „Ätschibätsch, selber schuld!“. Gott bindet sich an die Menschen und verhilft ihnen zur Freiheit. Und durch Jesus hat Gott uns alle noch viel deutlicher vor unsere Schuld gestellt. Davor, wo wir Liebe schuldig bleiben, anderen, uns selbst und Gott. Davor, wo wir Beziehungen verraten. Aber Gottes Botschaft ist eben nicht: „Ich hab euch ja gewarnt, jetzt seht mal zu, wie ihr da rauskommt“ – seine Botschaft ist: „Ich führe euch da raus!“ Erlösung zu erfahren – das ist auch die Einladung, zu sehen, wovon ich Befreiung brauche. Was mich gefangen nimmt. Auch aus eigener Schuld. Aber nicht nur aus eigener Schuld. Das kann eben auch der Anspruch sein, der beste Schüler sein zu müssen. Oder der Anspruch, meinen Kindern alles ermöglichen zu müssen. Oder der Anspruch, im Job andere übertrumpfen zu müssen, sichtbar durch das dickste Auto oder die tollste Wohnung. Ich muss nicht den Ansprüchen, die andere an mich stellen, gerecht werden, denn dann kommt der dritte Schritt: „ich habe dich bei deinem Namen gerufen“. Gott kennt mich und meint mich. Gott hat diese Welt – und auch mich ins Leben gerufen. Der Name drückt eine unverwechselbare Beziehung aus. Ich bin keine Nummer, nicht verwechselbar. Ich bin nicht in erster Linie Vater oder Mutter oder Kind meiner Eltern oder Ehemann oder Ehefrau oder Schüler oder Angestellter oder, oder, oder. Ich bin in erster Linie eigener Mensch. Mit eigener, unverwechselbarer Beziehung zu Gott: „Du bist mein!“ Das sagt Gott zu mir und das ist der vierte Schritt zu echter Freiheit. In der Bibel folgen jetzt eine große Liebeserklärung und auch die Zusicherung, dass Feuer und Wasser, die größten damals vorstellbaren Gewalten, diese Beziehung nicht auslöschen können. Die Beziehung ist bedroht. Das erleben wir auch heute immer wieder. Vieles kann die Beziehung zu Gott bedrohen. Auch ganz böse eigene Erfahrungen. Aber Gott sagt: Ich helfe dir da durch. Dich wird nichts wirklich kaputt machen. Am Ende ist die Beziehung zu dieser Liebe, die dir Freiheit schenkt, wirklich größer und stärker.
Wir sind frei – aber Freiheit hat eben nicht nur die Seite, von etwas frei zu sein, sondern auch, zu etwas frei zu sein. Mein Leben gehört Gott – deshalb kann ich so frei sein, nicht um die eigene Bedeutung kämpfen zu müssen, sondern anderen zu helfen, ihren Wert entdecken zu können. Ich muss andere nicht klein und fertig machen, ich darf ihnen zu Erfolgen verhelfen. Zum Beispiel. Ich bin so frei, Beziehungen eingehen zu können. Ich muss mich nicht dauernd selbst bestätigen, sondern ich kann mich auf andere einlassen. Auch so ein Geschenk der Freiheit. Meinen Wert beziehe ich nicht aus dem, was andere von mir halten, nicht aus dem, was ich tue und lasse, sondern aus dem, was ich bin: Gottes Eigentum, ein eigener Mensch, der Liebe wert, so frei, mit anderen leben zu können, andere ihren Wert lassen zu können. so frei, selbst eigene Schuld sehen und anderen Schuld vergeben zu können.
Gott sei Dank!
Amen
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