Text: Lukas 9,10-17
Liebe
Gemeinde!
Wir
setzen uns jetzt mal alle zusammen und jeder holt raus, was er hat und dann
legen wir alles zusammen und teilen alles und dann hat nicht nur jeder von uns
genug zum Leben, sondern wenn das alle machen, wird die ganze Welt erleben, wie
viel Überfluss da ist und alle werden genug zum Leben haben.
Klar,
die Wundergeschichte, die ich eben vorgelesen habe, die erzählt davon, dass
ganz konkrete materielle Bedürfnisse von Menschen gestillt werden. Auch wenn in
der Bibel der Satz zu finden ist: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes ausgeht“, ist es ein ganz
wesentlicher Teil des Willens Gottes, der sich in den Worten von Jesus und den
Worten der Propheten, Psalmen und Gesetze des Alten Testaments ausdrückt, das
Menschen auch materielle Gerechtigkeit brauchen und die Sicherung grundlegender
materieller Bedürfnisse wie Essen, Trinken, sichere Wohnung ein Grundrecht des
Menschen ist. Klar, Jesus kümmert sich nicht nur um das seelische, sondern auch
um das leibliche wohl der Menschen. Und klar, „Geben ist seliger als Nehmen“,
auch das steht in der Bibel. Das alles ist richtig. Aber ich finde es trotzdem
schade, wenn man die Wundergeschichte, die Lukas in seinem Evangelium, seiner
frohen Botschaft für die Welt, weitererzählt, kleiner macht, als sie wirklich
ist, weil man sie entweder zu sehr durch die Brille der Vernunft allein
betrachtet oder zu sehr das wortwörtliche Wunder als alleinigen Maßstab dafür
nimmt, wie man die Geschichte verstehen kann.
Da
ist einmal die Vernunftbrille. Die lässt einen sehen: 5 Brote, 2 Fische, 5000
Leute, alles essen, 12 Körbe bleiben übrig – kann nicht funktionieren.
Andererseits: die Bibel lügt ja nicht. Also versuchen manche zu erklären: natürlich
hatten die Leute was dabei, aber keiner wollte es rausholen und teilen. Als die
Leute das Beispiel der Jünger gesehen haben und sich in kleinen Gruppen zusammensetzten
und Jesus dankte, da gingen ihnen die Herzen auf und sie teilten und es war
mehr als genug. Jesus öffnet die Herzen, das ist das Wunder, Menschen teilen –
und da, wo Menschen teilen, ist genug da. Vernünftig, möglich – aber in der
Geschichte steckt viel mehr.
Da
ist aber noch die andere Brille, die alles wortwörtlich nimmt. Jemand mit der
Brille würde vielleicht sagen: Jesus hat das wirklich vermehrt, der Mensch muss
sich um nichts kümmern, Jesus verwandelt die Welt in eine Art Schlaraffenland
für die, die bei ihm sind. Die müssen sich, solange sie auf sein Wort hören, um
nichts weiter kümmern. Aber die Geschichte ist keine Schlaraffenlandgeschichte.
Nirgends in der Bibel ist davon die Rede, das Gott die Menschen aus der
Verantwortung für das Leben entlässt.
Jesus
ist viel mehr als einer, der Menschen dazu bringt, ihre Vernunft zu gebrauchen
und viel, viel mehr als ein Wundertäter für manche Auserwählten. Die
Geschichte, so, wie Lukas sie uns weitererzählt, erzählt noch viel mehr und
kann noch viel mehr bedeuten.
Da
ist einmal der Anfang der Geschichte. Ganz wichtig: das alles war so nicht
geplant.
Eigentlich sollte es ein Stärkungs- und Rückzugstag, ein erholsamer
Ferientag für die Jünger von Jesus werden. Die kommen gerade von einem
Außeneinsatz zurück. Zum ersten Mal waren sie ohne Jesus unterwegs, haben
gepredigt, geheilt, sind in die Welt gegangen. Allein. Und sie sind ganz
begeistert von dem, was sie erlebt haben, wollen es mit den anderen teilen und
Stärkung erfahren. Und Jesus zieht sich mit ihnen zurück. Bis heute finde ich
wichtig, dass ganz offensichtlich also beides dazu gehört, wenn ich Jesus
nachfolge: Zeiten, in denen es nach außen geht, in die Welt, Zeiten aber auch,
in denen Rückzug nötig ist, Stärkung. Wer immer nur gibt, wer immer nur nach
außen geht, wird am Ende innerlich ganz leer. Und Jesus sagt eben nicht zu
seinen Jüngern: Ihr müsst immer nur arbeiten, sondern er ist es, der den
Rückzug veranlasst. Geben und Nehmen darf, und soll auch im Glauben, auch in
der Nachfolge Jesu im Einklang stehen.
Gut,
das mit der Ruhe geht dann schief. Die Leute kriegen mit, wo Jesus ist und sie
kommen zu ihm. Für mich ist gerade diese stelle eine Provokation. Nicht, weil
die Jünger in ihrer Ruhe gestört werden. Lukas erzählt ja nicht, dass die
Jünger gleich wieder voll eingespannt wurden, sondern Jesus selber ist für die
Menschen da. Jesus hat keine Sprechzeiten. Und bei ihm kommt keiner ungelegen.
Das unterscheidet ihn von allen Menschen, auch den Menschen in seiner
Nachfolge. Jesus heißt Menschen immer willkommen. Das ist für mich nicht
provozierend. Mich provoziert her, dass die Menschen nur so strömen. Wir hören
die Geschichte in den Sommerferien. Da strömen die Leute nicht in die
Gottesdienste, um von Jesus zu hören. Und wir erzählen immer wieder davon, dass
die Christen in unserem Land weniger werden, dass Gemeinden kleiner werden und
dass für die Kirche immer weniger Geld da ist und dass am Ende auch Gemeindehäuser,
Pfarrhäuser und sogar Kirchen aufgegeben werden müssen. In einer Zeit, die wir
oft als mangelhaft sehen – auch die Thomaskirche platzt ja nicht gerade aus
allen Nähten – erzählt die Bibel von totaler Fülle. Und ich glaube, dass wir
die Fülle auch heute sehen könnten, wenn wir den Blick nicht immer so eng
auf Tauf- und Sterbezahlen oder auf
unsere Gebäude richten. Das verstellt uns oft den Blick. Ich erlebe immer
wieder Menschen, die neugierig sind, die vielleicht, wie die Masse hier in der
Geschichte, für einen Moment da sind, aber eben nicht, wie die Jünger, den Weg
konsequent mitgehen. Ich erlebe Schüler, die gesegnet werden wollen, wenn sie
neue Abschnitte ihres Lebensweges gehen, ohne dass sie vorher getauft wurden.
Ich erlebe Menschen, denen zwar die Gottesdienste fremd sind, denen es aber
wichtig ist, dass sie an wichtigen Punkten ihres Lebens begleitet werden. Ich
erlebe Jugendliche, die danach fragen, ob man nicht auch mal in anderer Form
über den Glauben reden kann. Und die sind auch längst nicht alle getauft. Ich
er erlebe Schülerinnen, die in der Schule echt stören, die auf der Klassenfahrt
abends über Gott und die Welt reden und beten wollen. Und das ist ja nur ein winziger
Ausschnitt. Es ist für mich eine Provokation in der Geschichte, eben auch mit
denen zu rechnen, die nicht den ganzen Weg mitgehen, sondern die an Punkten da
sind. Und die an diesen Punkten durchaus die Fülle erleben. Und dann kommt das
entscheidende, das Wunder, das eben mehr ist als vernünftiges Teilen oder ein
unvernünftiger Glauben an Jesus als den, der allen alles gibt, gegen jedes
Naturgesetz.
Erst
am Abend tauchen die Jünger wieder auf. Und sie sind vernünftig. Menschlich.
Sie wollen den Menschen ermöglichen, sich selbst Lebensmittel und Unterkunft zu
organisieren. Jesus gibt den Jüngern
dann einen Auftrag: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Die Jünger schätzen ihre Möglichkeiten realistisch ein. „Das, was wir geben können,
reicht nicht, wir müssen einkaufen“. Für mich ist das hier ein Knackpunkt in
der Geschichte. Es geht um mehr als um das wortwörtliche Sattwerden. Jesus gibt
den Jüngern Verantwortung für die Menschen – und die sehen ihre begrenzten Mittel.
„Was ich habe, was ich kann, reicht nicht“ – das ist eine Erfahrung, die
Menschen bis heute machen, wenn sie sich in der Nachfolge Jesu der
Verantwortung für andere stellen. Nicht nur an materiellen Gaben. Auch an anderen
Gaben. Ich kann zwar einigermaßen gut predigen, aber ich kann nicht gut genug
Musik machen. Ich kann zwar gut auf Jugendliche zugehen, aber ich bin nicht
geduldig genug im Zuhören. Ich kann zwar gut mit Zahlen umgehen, aber ich habe
kein so großes Talent, wirklich andere anzuleiten. Ich bin zwar kreativ, aber
ich kann nicht besonders gut öffentlich reden. Und so weiter. Was ich habe
reicht nicht, um die Menschen, die auf der Suche sind, wirklich mit dem zu versorgen,
was sie brauchen. Die Verwandlung geschieht
in dem Moment, in dem die Jünger das wenige, das sie haben, Jesus übergeben.
Und er betet und dankt Gott und durch ihn verwandelt sich der offensichtliche
Mangel in Fülle. Es ist nicht das schlichte Teilen, das die Fülle schafft. Es
sind auch nicht die Jünger, die plötzlich übermenschliche Kräfte hätten – Jesus
verwandelt das Unzureichende, das Wenige in Fülle. Und ich glaube, dass das
nicht nur materiell zu verstehen ist. Da, wo wir begreifen, dass wir allein
durch unser Können und unsere Vernunft wirklich begrenzt sind, dort sorgt Gott
dafür, dass das wenige, das wir geben können, vielen wirklich ein Leben in
Fülle ermöglicht. Nicht meine Kraft, meine Gabe allein muss reichen – sondern
Gott sorgt dafür, dass auch durch meine Gabe genug zu allen kommt. Es ist mehr
als bloßes, vernünftiges Teilen. Es sind auch nicht die Jünger, die austeilen,
sondern dadurch, dass Jesus verteilt, reichen die Gaben der Jünger aus. Und ich
glaube, dass wir das auch auf das Leben in der Gemeinde übertragen können. Es
gibt keine perfekte Gemeinde, in der jeder alles kann und hat. Es gibt keinen,
der alles, was wichtig wäre, kann. Die Fülle, die stellt Jesus her – dadurch
dass das, was die, die ihm nachfolgen, mitbringen, ihm anvertraut wird. Und
dann bleibt jede Menge übrig. Genug, um es an die zu verteilen, die nicht dabei
sind. Für mich auch so ein schöner Aspekt der Geschichte. Die, die noch nicht
oder nicht mehr dabei sind, die geraten nicht aus dem Blick. Auch die bekommen
von der Fülle des Lebens, das Gott schenkt, ab. Auch die können und sollen
schmecken und sehen, wie freundlich Gott ist. Ich frage mich in diesen Tagen
auch wo unser Weihnachts- oder Osterzelt bleibt, in dem wir, wie unsere
muslimischen Mitbürger im Ramadanzelt, die Menschen einfach einladen, mitzufeiern
und mit zu essen. Wir leben aus der Fülle. Gott sei Dank.
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