Liebe
Gemeinde!
„Ich
bin nur noch zornig und wütend“ – so endete die Mail eines Freundes aus Fulda,
seit langem ein hochengagierter Christ. Zornig und wütend darüber, dass Gott es
zulässt, dass ein junger Mann, ehemaliger Konfirmand von mir, mit 32 Jahren
stirbt. Das allein wäre tragisch genug. Vor zwei Jahren starb die Mutter des
jungen Mannes, gerade mal 49 Jahre alt, vor 7 Jahren der Vater, damals 48 Jahre
alt. Alle drei waren elend lang krank. Übrig bleibt der Jüngste, gerade 26, ein
guter Freund der Kinder meines Fuldaer Freundes, mir als Konfirmand und
langjähriger Mitarbeiter ebenfalls sehr gut bekannt. In 7 Jahren drei Mal
elendes Sterben in einer Familie, in der bisher niemand den 50. Geburtstag
feiern konnte. Wie kann da der Glauben an einen guten, einen liebenden Gott, an
Jesus, Freund der Menschen und Heiland, wieder wachsen? Stärke den Glauben! Ich
denke, dass nicht nur mein Fuldaer Freund und der übriggebliebene junge Mann
sich der Bitte der Apostel anschließen können, wenn sie überhaupt die Kraft
dazu haben und nicht „Lass mich doch in Ruhe!“ sagen würden.
Stärke
den Glauben – ich denke, dass vielen von uns diese Bitte auf den Lippen und im
Herzen liegt. Bilder des Elends in der Welt, vom Krieg und Flüchtlingen in
Syrien. Krankheit, am eigenen Leib zu spüren, die Leben schwer, manchmal
unerträglich macht. Eltern, die so krank sind, dass sie sich im Moment gar
nicht richtig um die Kinder kümmern können. Jugendliche, denen so Schlimmes passiert
ist, dass sie sich im Leben nicht mehr zurecht finden und an der Seele richtig
krank geworden sind, die dabei sind, sich selbst zu zerstören. Menschen die
sagen: „Du mit deinem Jesus, du bildest dir doch was ein, Naturwissenschaften
sind das einzig Wahre!“ Hohn und Spott. Oder erlebte Gleichgültigkeit,
Lieblosigkeit. Stärke den Glauben! – Es ist im Alltag nicht immer leicht,
Glauben zu finden und zu behalten. Glauben an Gott. Glauben an den Vater, den
Schöpfer und Freund des Lebens. Glauben an Jesus, den Heiland und Erlöser.
Glauben an den Heiligen Geist, der Kraft und Mut gibt, im Alltag zu lieben, zu
hoffen.
Stärke
den Glauben! – Es wäre super, wenn’s da ein Rezept, ein Zaubermittelchen, einen
garantiert wirksamen Segen geben würde, der Zweifel und Fragen einfach
wegpustet und Sicherheit gibt. Die Sicherheit, richtig zu liegen. Leider gibt’s
das nicht. Und das gab’s auch nicht von Jesus direkt. Glauben ist kein Panzer
um den Körper und die Seele, an dem alles Böse einfach abprallen würde und der
einem ein starkes Superheldenleben garantieren könnte. Und das war er auch ganz
offensichtlich für die Apostel nicht. Apostel, das sind diejenigen, die von
Jesus selbst in die Welt, zu den Menschen geschickt werden und die den Auftrag
haben, den Glauben an Gott und Jesus als Gottes Sohn zu verkünden, zu wecken,
zu stärken. Und diese Leute, die Jesus selber kennen, ihn erleben und denen
Jesus eine ganz entscheidende Aufgabe gibt und durch die wir alle letztlich ja
erst den Glauben an Gott vermittelt bekommen haben, die brauchen Glaubensstärkung.
Das sind also keine Superhelden, die immer einen superstarken Glauben ohne jede
Anfechtung, ohne jede Frage, ohne jeden Zweifel gehabt hätten. Obwohl sie Jesus
im wahrsten Sinne des Wortes direkt vor Augen gehabt haben, erfahren sie ihren
eigenen Glauben nicht als etwas, das ständig nur toll ist und bergauf geht,
sondern als etwas, das schwankt, müde werden kann, eben: Stärkung braucht, damit
es weitergeht. Und mit diesen Leuten kann und will Jesus etwas anfangen. Und diese
Leute haben das auf die Reihe gekriegt –
sonst würden wir heute ja nicht hier sitzen und nachdenken, beten, hoffen,
feiern, glauben und lieben. Für mich ist das die schönste Einladung, Jesus zu
vertrauen: diese Einladung, ehrlich zu sein. Nicht irgendwas Starkes vorspielen
zu müssen, sondern auch Fragen, Zweifel und auch mal Wut und Zorn haben zu
dürfen. Und trotzdem immer wieder eingeladen zu werden, zu glauben, zu vertrauen,
zu hoffen und zu lieben. Glauben – und gerade auch die Einladung zum Glauben,
die Mission, braucht keine weltfremden Superhelden,
sondern Menschen, die im
Leben stehen. Menschen, die das Leben kennen. Stärke uns den Glauben – als
Pfarrer oder Konfirmandin, als Rentner oder von Jesus begeisterte
Mitarbeiterin, als Zweifler oder als einer, dem gerade alles gelingt – wir
haben das immer wieder nötig, mit den Aposteln diese Bitte zu sprechen.
Interessant
ist, wie Jesus auf diese Bitte reagiert. Ich finde wenigstens, dass das
interessant ist. Jesus zaubert nicht, er legt keine Hand auf, pustet nicht an,
gibt keinen Glaubensvorrat mit auf den Weg. Jesus antwortet mit einem Bild. „Wenn euer Glaube so groß wie ein Senfkorn
wäre – also wirklich winzig klein – dann könntet ihr zu dem Baum sagen: Reiß
dich aus, setz dich ins Meer! Und es würde passieren!“ In einem anderen
Gespräch sagt Jesus auch mal, dass Glaube Berge versetzen kann. Das, was Jesus
sagt, kann man doppelt missverstehen. Einmal kann man denken: Jesus kritisiert
die Apostel, weil sie in seinen Augen nicht genug glauben. Wenn sie nur mehr
glauben würden, dann hätten sie ganz tolle Kräfte und müssten keine so dummen
Bitten äußern. Das ist falsch. Jesus will mit dem, was er sagt, die Apostel
nicht zusammenfalten, sondern ihnen Mut machen. Das andere Missverständnis
wäre, das Bild nicht als Bild, sondern wörtlich zu verstehen und zu glauben,
dass mein Glauben nur dann richtig und stark genug wäre, wenn ich durch ihn
naturwissenschaftlich unwahrscheinliche bis unmögliche Dinge erledige. Auch
falsch. Glauben ist keine sinnfreie Zauberei, sondern eine Grundlage und Hilfe,
mein Leben anzunehmen und mich und andere zu verstehen.
Was
mir Mut macht in diesem Bild ist, dass ich nicht den Superglauben brauche, um
die Wirklichkeit zu verändern. Vielleicht hilft es ja einem, der traurig,
zornig, wütend ist, weil er Schlimmes erlebt hat, mehr, zu hören: „Ich halt das
jetzt mit dir zusammen aus. Ich hab keine Antwort, ich hab auch Fragen. Aber
ich mach mich mit dir auf die Suche nach Möglichkeiten, zu leben. Ich glaub an
Gott, aber ich verstehe ihn oft auch nicht!“
als hingeknallt zu bekommen: „Jesus ist die Lösung deiner Probleme, wenn
du an ihn glaubst, so wie ich seit meiner Bekehrung am 7. März 2009, dann wirst
auch du sehen, das alles gut wird.“ Beim
ersten fühle ICH mich angenommen, eingeladen, beim zweiten fühle ICH mich
klein, weil es mir eben nicht so geht, weil ich meinen Mangel noch viel mehr
spüre und mich frage, warum Gott mir am 8. September 2013 nicht das Gleiche
schenkt, wie dem anderen am 7.3.2009. Hat Gott mich vergessen und nicht lieb?
Glauben schafft keine Helden und braucht keine Helden, sondern Glauben braucht
Menschen, die helfen, Menschlichkeit zu entdecken, zu fördern, zu leben. Denn
der Kern der Menschlichkeit ist, dass wir Gottes geliebte Menschen sind.
Wertvoll in seinen Augen. So wertvoll, dass er sich selbst für uns gegeben hat.
Für uns, mit unseren Fragen, unseren Zweifeln, unserer Trauer, unserer Freude
und unserer Fähigkeit, glauben, hoffen und lieben zu können.
Stärke
uns den Glauben! Die Antwort Jesu auf diese Bitte lenkt den Blick auf die
scheinbaren Kleinigkeiten, weg von der großen Show. Traut diesen Kleinigkeiten
was zu! Ganz konkret ist das für mich auch in der Entstehung unserer Jugendarbeit
greifbar. Der Anfang waren schlechte Erfahrungen mit Konfis und ihren Kumpels
und die klitzekleine Hoffnung, dass es im Sinne Jesu vielleicht doch einen anderen
Weg als Polizei und Strafe und Verbote geben könnte. Es gab noch keine Mitarbeiter,
kein Geld, nichts. Außer traurigen Erfahrungen, die das bisschen Hoffnung immer
wieder in Frage gestellt haben. Es ist was gewachsen. Die Wirklichkeit hat sich
massiv geändert. Stärke uns den Glauben – und die Antwort Jesu: verachte den
kleinen Glauben nicht, du darfst ihm was zutrauen.
Und
noch etwas steckt in der Art und Weise, wie Jesus auf die Bitte der Apostel
reagiert. Seine Weigerung, etwas auf Vorrat zu geben, macht deutlich, dass
Glauben kein Besitz ist. Glauben ereignet sich jeden Tag, in jeder Situation
neu. Glauben ist lebendig, ein Prozess, und kein Sparbuch, keine
Lebensversicherung, wo ich einzahle und dann mit Zinsen hoffentlich einen
kleinen Schatz anhäufe. Für mich drückt das eine Aussage von Dietrich
Bonhoeffer, dem evangelischen Pfarrer, der gegen die Nazis kämpfte, dafür ins Gefängnis
kam und kurz vor dem Ende ihrer Herrschaft von den Nazis umgebracht wurde, aus.
Im Gefängnis, in einer eigenen Notlage, in der er auch viele Fragen und Zweifel
hatte und manchmal auch seinen Glauben in Frage stellte, hat er geschrieben: „Ich
glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie
wir sie brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns
selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“
Schöner
kann man es meiner Meinung nach nicht sagen.
Amen.
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