Text: Jesaja 63,15-64,4
Liebe Gemeinde!
Manchmal gebe ich die Hoffnung auf, mit den Achtklässlern, die ich in Religion unterrichten muss, zurechtkommen und gut reden zu können. Und dann schaffen sie es doch, mich mit guten Einsichten und Fragen aus der totalen Hoffnungslosigkeit rauszuholen. Wenigstens für einen Moment. Hoffnung ist hier das Stichwort. In der letzten Stunde hatten wir uns mit dem Bibelvers „Nun aber bleiben Glauben, Hoffnung, Liebe, diese drei; die Liebe ist aber die Größte unter ihnen“ beschäftigt. Ich habe gedacht, dass gerade die Mädchen das genauso bestätigen. Aber die wollten das gar nicht einsehen. Die meisten sagten mir: „Aber die Hoffnung ist doch wichtiger. Um lieben zu können, brauche ich doch die Hoffnung, dass das funktioniert. Und ein Leben ohne Hoffnung ist doch mindestens so arm wie eins ohne Liebe. Wenn ich ohne Liebe lebe, dann kann ich doch wenigstens noch die Hoffnung haben, dass das anders wird.“ Die Diskussion ging noch weiter – aber mich hat aus vielen Gründen in dieser Woche die Frage nicht mehr losgelassen, welchen Wert die Hoffnung eigentlich hat. Und von welcher Hoffnung ich heute am 2. Advent ihnen und euch etwas erzählen soll.
Wie ein Geschenk kamen mir dann die Verse aus dem Buch Jesaja vor, die für heute als Predigttext vorgesehen sind. Schon die Form der Worte hat für mich viel mit dem zu tun, was ich in diesem Advent erlebe und gern weitersagen möchte. Da redet keiner, der gerade erzählt, wie toll alles bei ihm ist und wie super alles läuft, auch im Glauben, wie einfach es ist, an Gott zu glauben und wie sich dann alles von selbst zum Guten verändert. Da beten Menschen. Das, was da in der Bibel steht, was ich eben vorgelesen habe, das ist nichts andres als ein Gebet. Da beten Menschen, die Angst davor haben, dass ihnen die Hoffnung ganz wegbricht. Da reden Menschen zu Gott, die, in unsere Alltagssprache übersetzt, zu ihm sagen: „Du bist so weit oben im Himmel, so wunderbar und hast früher den Menschen, geholfen – wir merken im Moment aber gar nichts davon! Wir haben das Gefühl, dass du uns gar nicht mehr siehst und dass wir dich nicht erkennen können. Du bist doch unser Vater – aber das Gute, dass du unseren Vorfahren, Abraham und Jakob - Israel, geschenkt hast, das ist längst aufgebraucht. Zeige dich endlich wieder als der Gott, der die Welt verändert. Wir brauchen dich!“
Vielleicht ist ja in dem Moment noch nicht einmal wirklich Hoffnung da. Ich weiß es nicht. Hoffnung heißt ja, davon auszugehen, dass sich wirklich etwas ändern kann. Vielleicht ist es erst einmal nur die kleine Schwester der Hoffnung, die Sehnsucht, die da ist. Sehnsucht – für mich heißt das, dass eine Ahnung davon da ist,
dass es ganz anders, viel besser sein kann, als es im Moment ist. Vielleicht erst einmal nur ein Traum, der möglicherweise gar nicht Wirklichkeit wird. Aber ein Traum, der einen, wenn auch manchmal nur klitzekleinen, Anker in der Wirklichkeit hat. Vielleicht ist Hoffnung manchmal wirklich ein sehr großes Wort, wenn man in seinem Leben in einem ganz dunklen Tal ist. Vielleicht ist im Moment gar keine Hoffnung da, jemals wieder Licht zu sehen – aber die Sehnsucht nach dem Licht kann trotzdem ganz groß sein. Und ich glaube, dass es diese Sehnsucht ist, diese Ahnung, dass da doch etwas ganz anderes möglich ist, die die Menschen damals dazu angetrieben hat, ihre Sache im Gebet vor Gott zu bringen. Und ich glaube, dass das auch heute eine Möglichkeit ist, in einem hoffnungsarmen, manchmal vielleicht auch hoffnungslosen dunklen Tal etwas zu verändern, wenn die Sehnsucht nach einem ganz anderem, gelingenden Leben, mich, oder jemand anderen dazu bringt, Gott an das zu erinnern, was er versprochen hat. An ein anderes, gerechtes, friedliches Leben voller Liebe. Sehnsucht, die aus der fernen Erinnerung an Gott dazu treibt, mit ihm zu reden, kann der Hoffnung langsam auf die Beine helfen und Nahrung geben.
Was mir an diesem Gebet ganz wichtig geworden ist, ist, dass die Menschen nicht Gott die Schuld für ihre schlechte Situation geben. Bei denen ist eine Ahnung da, dass sie es verbockt haben. „Warum hast du uns von den falschen Wegen nicht abgehalten und unser Herz so kalt und hart werden lassen?“ Das ist keine Anklage an Gott, die ihm die Schuld für das eigene Versagen in die Schuhe schieben will. Hier ist es wirklich die Einsicht, dass es die Schuld der Menschen ist, das Gute, dass sie kennen konnten, den Weg der Gerechtigkeit, des Friedens, der Liebe nicht gegangen zu sein. Und dass sie ihn so weit gegangen sind, dass sie von allein da nicht wieder raus kommen.
Für mich ist das eine Botschaft, die gut in den Advent passt. Wenn du die Sehnsucht nach Hoffnung hast und wenn Gott deiner Hoffnung neue Nahrung gibt, dann heißt das auch, dass du erkennst, wo du selbst der Hoff-nung im Weg stehst. Wenn Advent heißt, sich selbst auch darauf vorzubereiten, die Botschaft, dass Gott in die Welt gekommen ist, um sie zum Guten zu verändern, wirklich fassen und mit Leben füllen zu können, dann gehört zum Advent eben auch, eigene Schuld, eigenes Versagen sehen und eingestehen zu können. Vor Gott kann ich nicht und muss ich nicht besser sein als ich bin. Im Gegenteil. Ich kann und darf mich trauen, ihm auch meine Schuld und meine Zweifel zu sagen. Genauso wie meine Sehnsucht und meine Fragen.
Und diese Sehnsucht nach Hoffnung und einer neuen Welt, die drückt sich in einem der für mich schönsten und radikalsten Bilder der Bibel aus: Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zer-flössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! Reiß den Himmel auf, halte dich nicht mehr fern von uns Menschen, verändere die Welt – auch wenn es weh tut, du wirst es so viel besser machen als alles, was ist! Krieg in Afghanistan, Weltpolitikkrise, Klimakatastrophe, Unschuldige, die zum Tode verurteilt werden, Rechtsradikale, die Ausländer ermorden, junge Menschen, die viel zu früh sterben, Kinder, die unheilbar krank sind, Eltern, die ihre Kinder mit Psychoterror demütigen und fertig machen – im Advent 2011 gibt es so viel, bei dem wahrscheinlich nicht nur bei mir der Schrei nach Gott, der all dem und noch viel mehr endlich ein Ende machen soll, der nicht mehr fern im Himmel bleiben möge, sondern den Himmel aufreißen und die Welt radikal umgestalten möge, auf den Lippen. Die Sehnsucht ist da. Und was ist mit der Hoffnung? Solange ich mich traue, mit Gott zu reden und zu beten, ist sie als Funke noch da. Und wenn nicht? Vielleicht gibt es dann andere, die sich trauen, für mich zu hoffen, die meine Sehnsucht und dann auch meine Hoffnung neu anfachen.
Was mir Hoffnung macht, ist das Lied, das wir gleich sin-gen. Gedichtet wurde es von Friedrich Spee, einem katholischen Priester im 17. Jahrhundert, der das erste große Buch gegen den Hexenwahn seiner Zeit herausbrachte und der in seiner Arbeit als Seelsorger für Pestkranke in Trier starb. Er hat erkannt, was auch in der Kirche und mit kirchlicher Billigung falsch läuft, wo Glauben und Macht missbraucht werden. Er hat sich nicht den Armen und Bedürftigen entzogen. Er hat viel Elend gesehen und wurde persönlich bedroht. Vielleicht haben die Worte, die heute Predigttext sind und die er zu einem Lied umgedichtet hat, ihm die Kraft gegeben, in allem Elend, in aller Not, in aller Anfechtung die Hoffnung und die Liebe nicht zu verlieren. Das andere in dunkler Zeit gehofft, gebetet, gehandelt haben, dass die Sehnsucht nach einer besseren Welt mit Gott nicht läh-men und vom Alltag wegführen, sondern den Alltag zu leben hilft, macht mir Mut.
Genauso wie Schülerinnen und Schüler, die überraschende Einsichten und Fragen haben und so einen Pfarrer am Rande der Hoffnungslosigkeit was diese Klasse betrifft wirklich begeistern können.
Das alles hält weder bei mir noch bei anderen, die viel-leicht ähnliche, vielleicht andere Hoffnungserfahrungen gemacht haben oder machen, nicht ewig. Aber nicht nur im Advent schenkt Gott uns die Möglichkeit, unsere Sehnsucht und alles, was Hoffnung schwer macht und Sehnsucht fast vertreibt, mit ihm selbst auszumachen und ihn nach dem zu fragen und an das zu erinnern, was Leben in seinem Sinn gut sein lässt. Und auch dabei dem eigenen Leben und der eigenen Schuld ins Gesicht zu se-hen. Durch Jesus will er uns allen, aller Welt helfen, die-sen Blick, diese Erkenntnis auszuhalten und mit neuer Kraft zu leben. bis der Himmel wirklich zerrissen ist und Himmel und Erde eins sind.
Amen.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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