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Samstag, 24. Dezember 2011

Und wo sind die Engel? - Christvesper als Lichterkirche, Hl. Abend 2011

Johannes 1,14a in Verbindung mit Jacopo Tintoretto "Anbetung der Hirten"
Liebe Gemeinde!


Und wo sind die Engel? Wenn etwas zu Weihnachten gehört, dann doch die Engel! Die Menge der himmlischen Heerscharen, die den Hirten die frohe Botschaft von der Geburt Jesu erzählten. Der Engel, der Maria die Botschaft brachte, dass sie schwanger werden würde und dass sich ausgerechnet in ihrem Kind Gott den Menschen zeigen will. Der Engel, der, wie Matthäus es erzählt, Josef im Traum erschien und ihn dazu brachte, zu seiner Frau, die ganz offensichtlich nicht von ihm schwanger war, zu bleiben und der ihn rechtzeitig vor König Herodes warnte, der die neugeborenen Kinder umbringen ließ. Engel als Verbindung zwischen der Welt Gottes und der Welt der Menschen. Engel als diejenigen, die gute Nachrichten bringen oder vor Bösem warnen und so Leben beschützen. Engel haben nicht nur zu Weihnachten Hochkonjunktur. Wenn ich mit Eltern spreche, die ihr Kind taufen lassen wollen, dann ist oft die Hoffnung da, dass Gott dem Kind einen Engel an die Seite stellt. Den kann man, so glauben und hoffen sie, zwar nicht sehen, aber er ist eine Verbindung zu Gott. Und Jugendliche und auch richtig alte Menschen sind oft davon überzeugt, dass Engel für sie da sind. Manche Menschen tun sich schwer, an Gott zu glau-ben. Der scheint ihnen so weit weg, so fern und so groß und vor allem so unsichtbar zu sein, dass sie gar nicht wissen, ob es ihn gibt und was sie von ihm halten sollen. Engel sind da eine Nummer kleiner, menschlicher. Und deshalb fällt es vielen, glaube ich, leichter, an Engel zu glauben. Und jetzt sind ausgerechnet auf dem Bild, dass ich Ihnen und Euch zu Weihnachten schenken möchte, gar keine Engel drauf. Oder fast keine. Wenn man ganz genau hinschaut, dann schauen ganz oben in der Mitte kleine Engel staunend durch das kaputte Dach auf das, was sich da abspielt und was sie mit angerichtet haben. „Anbetung der Hirten“ heißt das Bild des venezianischen Künstlers Jacopo Tintoretto. Nachdem die Engel den Hirten erzählt haben, dass Gott sich in einem kleinen Kind der Welt zeigt und auch für sie da sein will, machen sie sich auf in den Stall. So erzählt es Lukas. Ich habe mir immer vorgestellt, dass die Hirten zwar schnell hingelaufen sind, dann aber vor Ehrfurcht still und andächtig das Kind betrachtet haben. Hier auf dem Bild passiert aber etwas anderes. Da ist wirklich Leben im Stall. Oben beten zwar zwei Hirten, aber der eine scheint entweder selber zu essen oder das Kind füttern zu wollen. Und unten, im eigentlichen Stall, da geht es sehr munter zu. Nicht so, als ob man Rücksicht auf das neugeborene Kind nehmen will, sondern so, dass man schon beim ersten Hinschauen merkt: Hier ist das Leben. Und die Frau unten rechts scheint sich auch gar nicht so für das Kind zu interessieren, einer der Hirten ist für sie interessanter. Gerade das ist für mich ein Bild für Weihnachten. Es interessiert gar nicht alle, was da passiert ist. Für manche, vielleicht sogar für viele Menschen, sind ganz andere Dinge im Moment viel spannender. Und trotzdem: genau in diese Welt, in diese Bruchbude von Welt kommt neues Leben – durch Gott. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit“ – so drückt es der Evangelist Johannes in seiner Sprache aus. Gott macht sich greifbar. Mitten im Leben. Das eben oft wie eine Bruchbude daherkommt. Und in dem es Zeiten gibt, in denen Gott alles andere als herrlich oder sichtbar zu sein scheint und in dem es Menschen gibt, die von ihm wenig oder nichts wissen wollen. Die ihren Blick auf andere Dinge richten. Bemerkenswert und, obwohl es alt ist, sehr zeitgemäß an diesem Bild finde ich, dass nicht nur die Engel kaum sichtbar am Rand des Bildes sind. Auch Jesus, das Kind in der Krippe, in dem sich Gott zeigt, ist nicht im Mittelpunkt und verschwindet fast vor den ganzen Ablenkungen für’s Auge.
Maria lüftet ein wenig das Tuch, um das Kind zu zeigen und etwas von dem Licht, von der Herrlichkeit Gottes, strahlen zu lassen. Wenn sie das nicht tun würde, dann würde man gar nichts besonders sehen können.

Wie gesagt, eigentlich ziemlich zeitgemäß. Es gibt sicher vieles, was es Menschen schwer macht, den Blick auf das zu richten, was Weihnachten wirklich wichtig ist. Ich denke an die Menschen, die sich manchmal an Äußerlichkeiten festbeißen und die glauben, nur mit Schnee in die richtige Weihnachtsstimmung zu kommen. Ich denke auch an die vielen, die Angst vor Weihnachten haben. An die, die das Schöne gar nicht sehen können, weil ein für sie wichtiger Mensch gestorben ist, weil sie allein oder krank sind. An die, die Angst vor Armut haben müssen und an die, die wirklich arm sind. An die Kinder, die zu Weihnachten geschlagen und misshandelt werden. Und an die, für die es einfach nur darum geht, möglichst viel zu trinken oder möglichst gut zu essen. Und ich denke an die in meinen Augen mehr als dämliche Media-Markt Werbung, die vorgaukeln will, dass Weihnachten unterm Baum entschieden wird und sich Menschen, und vor allem Kinder und Jugendliche, nur dann freuen, wenn sie teure Unterhaltungselektronik geschenkt bekommen. Weih-nachten wird nicht unterm Baum entschieden, sondern Weihnachten ist schon längst entschieden worden. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit“ – die ist schon da, diese Herrlichkeit. Auch wenn unsere Augen und Gedanken manchmal abgelenkt werden und anderes viel glitzernder, verlockender und toller zu sein scheint. Ich glaube, dass wir dann, wenn wir vor lauter Trubel oder auch vor lauter Trauer die Herrlichkeit nicht mehr sehen können, wirklich Engel brauchen. Da sind sie dann wieder, diese Boten Gottes. Wir brauchen Botschafter von Gott, die uns helfen, die Herrlichkeit zu sehen. Von allein wären die Hirten ja wohl auch nicht auf die Idee gekommen, in einen Stall zu gehen und in einem Kind dort Gott zu finden. Wir brauchen solche Boten. Und oft genug kommen, denke ich, diese Boten, diese Engel, ganz menschlich daher. In Gestalt von Menschen, die Zeit haben und offene Ohren für Sorgen, Trauer und Nöte, die einem nicht gleich einreden, dass alles wieder gut wird oder dass alles nicht schlimm sei, sondern die bei einem stehen und bleiben, bis man selbst wieder Licht im Dunkel, Gottes Herrlichkeit in aller Not sehen kann. Wir brauchen solche Boten Gottes. Ohne sie können wir die Herrlichkeit nicht sehen. Das müssen keine Pfarrer oder Profis sein. Wen Gott als Boten mitten ins Leben schickt, das lässt sich nicht voraussagen.

Vielleicht fragt jetzt ja auch jemand: Gibt’s denn eigentlich wirklich Engel? Da redet der Pfarrer die ganze Zeit davon, aber gesehen habe ich noch keinen! Ja, ich glaube, dass es Engel gibt. Dass Gott Verbindung schafft, damit wir spüren können: er ist da. Manchmal sind diese Engel recht menschlich. Denn das Wort Engel heißt übersetzt nichts anderes als „Botschafter“. Und manchmal ist es einfach ohne feste Gestalt die Erfahrung, dass Gott da ist – vielleicht, weil man bei einem schweren Unfall gut herausgekommen ist. Vielleicht, weil man trotz einer schweren Krankheit den Mut nicht verloren hat und das Lachen auch nicht. Da ist keine geflügelte Gestalt, die man zeichnen könnte, aber das feste Gefühl: mitten in MEINEM Leben ist jemand, der ganz für mich da ist und dem ich am Herzen liege, der mehr schenkt als alle anderen schenken können.

Und da sind wir wieder bei Weihnachten, dem Geschenk Gottes für uns. Weihnachten wird es nicht, weil wir Ge-schenke austauschen. Weihnachten wird es nicht, weil es im Winter schneit oder weil sich pfiffige Ladenbesitzer was zur Umsatzsteigerung ausgedacht haben. Weihnachten wird es nicht, weil wir in Stimmung sein müssten oder weil die Welt perfekt ist. Weihnachten wird es, weil Menschen den Boten, der Botschaft Gottes Vertrauen schenken: die Welt ist nicht verloren. In dem Kind und in dem, was aus diesem Kind wird, ist Gott lebendig und zu entdecken. Das Wort wird Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit – Gott bleibt nicht weit weg, sondern er ist mitten im Leben zu finden. Auch dann, wenn sich manche gar nicht drum kümmern. Weihnachten wird es, weil Gott nicht nur ein Freund, sondern der Geber, der Erhalter und der Vollender des Lebens ist. Weihnachten wird es, damit ALLE Menschen etwas vom Leben haben. Und nicht nur die, die schon immer auf der Sonnenseite stehen. Gebe Gott, dass wir uns von seinen Boten, von seiner Botschaft zum Leben anstiften lassen und gebe Gott, dass wir die Kraft und die Weisheit und die Einsicht finden und selbst zu Boten werden. Durch unser Leben, durch das, was wir tun und lassen. Nicht nur zu Weihnachten. Da, wo Leben möglich ist, trotz aller Widerstände, da, wo Menschen sich am Leben freuen können und andere mit ihrer Freude anstecken, da sind die Engel. Manchmal ziemlich mensch-lich. Und nicht nur zu Weihnachten. Gott sei Dank. Amen.

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