Text: 1. Kor 15,1-11
Liebe Gemeinde!
Gleich geht hier vorne die Tür auf. Da kommt ein Überraschungsgast, der eben noch mit mir gefrühstückt hat, aus der Sakristei. Er wollte sich nur noch schnell frisch machen. Ich verrate ihnen schon mal, wie er aussieht. Es ist ein Mann, ungefähr so groß wie ich. Viel schlanker als ich, lange braune Haare. Einen Vollbart hat er. Gut, er ist ein bisschen merkwürdig angezogen. Er bevorzugt weiße Umhänge. An den Füßen hat er gern Lederschläppchen, so eine Art Sandale. Und an den Händen und Füßen sieht man noch Narben von den Wunden. Jeden Augenblick kann er kommen. Klar, Jesus ist es, der gleich auftauchen wird.
Nein, ich hab zum Frühstück nicht zu viel Sekt getrunken. Ich will sie auch nicht auf den Arm nehmen oder irgendetwas lächerlich machen. Aber wenn ich wirklich glaube, dass Jesus nicht tot geblieben ist, sondern dass er lebt: die Vorstellung, dass er sich auch mir zeigen könnte, dass er mir begegnet, die dürfte doch dann weder verboten noch lächerlich sein. Trotzdem kommt uns diese Vorstellung aber seltsam vor.
Ich glaube nämlich, wir haben uns in unserem Alltag mit zwei Voraussetzungen ganz gut eingerichtet. Die erste ist die, dass die Auferstehung was ist, was zwar in der Bibel steht und vielleicht gar nicht so schlecht für Momente der Trauer oder Beerdigungen ist, was aber sonst höchstens einmal im Jahr, im Ostergottesdienst, wirklich wichtig ist. Über was sollte man denn da sonst predigen? Und die zweite Voraussetzung ist die, dass wir glauben, schon Ahnung davon zu haben, wie Jesus jetzt wohl aussehen würde. Irgendwie langhaarig, alternativ, hippieartig. Und natürlich auch erhaben und gutmütig. So, wie auf vielen Bildern. Ich will jetzt niemandem was Falsches unterstel-len. Aber ich glaube schon, dass jeder von uns ein Bild von Jesus im Kopf hat. Und dass sich fast jeder von uns, mich eingeschlossen, wundern würde, wenn Jesus mir, ihnen, dir, uns sozusagen körperlich begegnen würde. Jesus lebt! Das bekennen wir jedes Mal, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen, das besingen wir in den Osterliedern. Aber im Alltag? Wenn ich ehrlich bin, dann genügt mir oft genug der tote Jesus, der Jesus bis zum Karfreitag. Da reicht es mir oft genug, dass er ein Vorbild war, wenn es darum geht, sich um die Armen zu küm-mern oder um die Traurigen. Einer, der Vergebung gelebt hat. Da genügt es mir, dass Gott in einem begegnet, der konsequent bis zum Äußersten ist und sich auch vor den wirklich schlimmen Erfahrungen, vor Quälerei und Tod nicht drückt. Wirklich verrückt ist es nicht, in einem Kind, das geboren wird, Gott zu erkennen oder in einem, der wirklich leidet und erst recht nicht in einem, der ganz und gar in seinem Leben für die Menschen da ist. Wirk-lich verrückt wird es erst, wenn ich das Ganze nicht als Geschichte von einem Vorbild, das irgendwann mal ge-lebt hat und mir zeigen soll, was im Leben wichtig ist, lese oder höre. Wirklich verrückt ist es eigentlich, davon auszugehen, dass da nicht von irgendeiner Vergangenheit erzählt wird, sondern von einer Wirklichkeit, die den Tod tatsächlich besiegt hat. Und zwar nicht dadurch, dass plötzliche übernatürliche Kräfte Jesus vor dem Tod bewahrt hätten und er gar nicht gestorben wäre, scheintot geblieben wäre oder so, sondern dadurch, dass sich in Jesus Gott selbst dem Tod gestellt hat und dass so aus dem Tod was Neues entstehen konnte, das mit dem Alten, was vorher war, verbunden ist. Auch wenn es ganz anders ist.
Wahrscheinlich hört sich das jetzt alles verwirrend an. Und vermutlich denken einige: okay, und was hat das mit mir zu tun? Heute, Ostern 2010?
Das Verwirrende kann ich vielleicht gar nicht ganz vermeiden. Ostern ist so unglaublich, so gegen unseren Alltag gebürstet, dass ich es nicht in Häppchen zerlegen und Mund oder Hirn gerecht präsentieren kann. Paulus erzählt ja auch etwas total Verrücktes. Er erzählt, wem der Auferstandene alles erschienen ist. Mir fällt erst mal auf: er hat die Frauen vergessen. In allen Evangelien spielen die Frauen eine große Rolle. Paulus beschränkt sich auf die Männer. Nur die waren damals als Zeugen zugelassen, die Aussage einer Frau zählte nicht. So kann man es vielleicht erklären. Als Mann kann ich es viel-leicht auch so entschuldigen. Als Frau würde mir das be-stimmt schwerer fallen. Und insgesamt hat das auch mit dazu beigetragen, dass Frauen erst seit kurzem in den meisten evangelischen und einigen wenigen anderen Kirchen verkündigen dürfen. In vielen Kirchen, nicht nur in der katholischen, geht das leider noch nicht. Also, Paulus zählt eine Menge Männer auf, denen Jesus erschienen ist. Natürlich auch sich selber. Jetzt kommt da aber etwas noch Merkwürdigeres. Als Paulus ihn gesehen haben will, da haben alle andern schon längst erzählt, dass Jesus, selbst wenn er lebendig ist, nicht mehr auf der Erde, sondern bei gott ist. Und trotzdem erzählt Paulus, dass Jesus ihm erschienen ist. Ausgerechnet ihm. Er bezeichnet sich selbst als Missgeburt, als Scheusal. Er ist Täter gewesen. Hat Christen wegen ihres Glaubens verfolgt, dafür gesorgt, dass sie umgebracht wurden. So einem erscheint der lebendige Gott. Da ist ein Täter, der zu seinen Taten steht. Der nicht nach Entschuldigungen sucht. Wie wahr die Begegnung mit dem Auferstanden in unserem alltäglichen Sinn, dass man sie dann mit Fotoapparat oder Videokamera hätte aufnehmen können, ist, das lässt sich nicht beweisen. Darauf kommt es nicht an. Wahr ist, dass diese Begegnung etwas bewirkt hat. Dass die Rede vom neuen Leben, das in der Begegnung mit dem Auferstandenen steckt, kein leeres Gerede, keine theologisch richtige Konstruktion geblieben ist, sondern dass die Begegnung, die man nicht beweisen kann, die sich nur im Glauben erschließt, den Menschen völlig geändert hat. Ihm die Kraft gegeben hat, nicht mehr Tod und Schrecken zu verbreiten. Ihm den Mut gegeben hat, an Meinungen, auch am Glauben, am eigenen Glauben zu zweifeln, sich selbst in Frage zu stellen.
Ostern, die Begegnung mit dem Auferstandenen, heißt nicht: ich muss meinen Verstand vor der Kirchentür oder wo auch immer abgeben. Sondern Ostern will Mut machen, sich den Zweifeln zu stellen und im Zweifel zu erleben, dass Gott auf der Seite des Lebens steht. Ostern stellt uns vor die Grenzen unseres Lebens.
Wir haben es nicht in der Hand. Sicher, wir können uns und anderen das Leben leichter oder schwerer machen. Und Menschen löschen Leben aus – eigenes und fremdes. Aber keiner von uns kann sagen, was morgen sein wird. Keiner von uns hat es sich selbst ausgesucht, zu leben. Ostern macht mir klar: Ich kann mich zwar durch Gewalt, Reichtum oder Klugheit zum Herrn über das Leben aufspielen, aber letztlich kann ich auch mein Leben nur sehr begrenzt planen und über das, was nach dem Tod kommt, kann ich keine sichere Aussage machen. Leben ist ein Risiko, Glauben auch. Im Vertrauen auf den lebendigen Gott, den lebendigen Christus kann ich etwas erfahren und Kraft für dieses Leben bekommen, die tiefer geht als alles, was ich mir selbst herstellen kann. Wenn ich nur an meiner eigenen Kraft hänge, muss ich ständig darum kämpfen, genug zu bekommen und an den Grenzen wirklich verzweifeln. Wenn ich weiß, dass es mehr gibt, kann ich über meine Grenzen hinaus hoffen.
Paulus hat den Mut, sich und seine Erfahrung mit dem lebendigen Gott in eine lange Reihe von Erfahrungen zu stellen. Und er hat den Mut, auf Ausschmückungen zu verzichten. Er sagt nicht, wie toll das war und wie arm doch die dran sind, die nicht seien Erfahrungen gemacht haben. Für mich heißt das auch: Der lebendige Gott, der lebendige Jesus entzieht sich unseren Versuchen, ihn auf unsere Lieblingsbilder festzulegen. Jesus, die neue, Leben schaffende und stärkende Kraft, kann sich überall zeigen. Nicht nur da, wo es schön ist, wo ich mir über alles klar bin und alles toll finden. Der lebendige Jesus ist mehr als ein schönes Bild, das man sich gern an die Wand hängt. Er stellt uns vor große Herausforderungen. Es ist viel einfacher, ihn zu leugnen, als sich auf ihn einzulassen. Aber wenn ich mich auf ihn einlasse, dann kann ich erkennen, dass selbst da, wo ich im Moment nur Dunkel und Tod wahrnehmen kann, tatsächlich Leben ist. Weil der Lebendige, weil das Leben, weil Gott als das Leben immer wieder unsere Vorstellungen von dem, wie er zu sein hat, wie Leben zu sein hat, wo und wie er sich zeigen solle, durchkreuzt. Ostern macht Gott einen großen Strich durch unsere Rechnung. Durch unseren Glauben, dass wir wissen könnten, wie Leben funktioniert, durch unsere Versuche, ihn auf bestimmte Erscheinungsbilder festzunageln. Das Leben bricht sich seine Bahn. Gott ist dort lebendig, wo man, wo ich, ihn am wenigsten vermute. Vielleicht kommt er ja tatsächlich auch in unseren Gottesdienst. In unser Leben. Aber so, glaube ich, dass wir ihn erst einmal gar nicht erkennen. Weil wir sehen müssen und lernen müssen, dass es wirklich ums Leben geht. Und nicht um unsere Bilder und Vorurteile vom Leben und von Menschen. Tschüss Bilder. Willkommen Leben. Frohe Ostern.
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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