Text: 1. Kor 1,26-31 (Übersetzung: Basisbibel)
Liebe Gemeinde!
Wenn wir uns mal umschauen, so, wie Paulus es von der Gemeinde in Korinth vor langer Zeit gefordert hat, wen sehen wir da bei uns hier heute Morgen im Gottesdienst? Ist das so wie vor fast 2000 Jahren in Korinth? Nach menschlichem Maßstab gibt es, so schreibt Paulus, nicht viele Weise, also kluge Menschen. Das kann ich nicht wirklich beurteilen, die Maßstäbe sind sicher unterschiedlich. Aber wenn man mal die Anzahl der Gymnasiasten unter den Konfis als Maßstab nimmt, sind es weniger als der Durchschnitt und Professoren findet man bei uns auch nicht so viele. Beides gibt es, aber anderswo findet man sicher mehr. Dann schreibt Paulus noch: nicht viele Einflussreiche sind dabei. Das ist sicher richtig. Außer aus dem Ortsbeirat gehören keine Politiker zu unserer Gemeinde, keine Inhaber größerer Firmen oder wichtige Berater von Institutionen. Und Paulus schreibt auch, dass nicht viele aus vornehmen Familien zur Gemeinde in Korinth gehörten. Das ist, glaube ich, bei uns gar nicht anders. Also: wenn wir die Aufforderung von Paulus ernst nehmen und uns umschauen, entdecken wir zuerst einmal etwas ganz Ähnliches. Aber wie ist es denn mit dem, was Paulus dann als positive Beschreibung nachschiebt, wer alles von Gott auserwählt wurde? Paulus schreibt, dass Gott die auserwählt hat, die von der Welt für dumm gehalten werden. Genauso wie die, die als schwach gelten und die, die nach den Maßstäben der Welt völlig bedeutungslos sind. Nehmen wir das gern als positive Beschreibung unserer Gemeinde oder von Christen überhaupt an? Dumm, schwach und bedeutungslos – ich jedenfalls tu mich schwer damit, mich so beschreiben zu lassen. Wer Christ ist, der gehört zu den Losern, zu den Opfern, zu den Schwächlingen? Ich glaube, selbst wenn man tatsächlich dazu gehört, zu den Armen, zu den Schwachen und Opfern, hört man das alles andere als gern. Viel lieber möchte man anders sein. Geachtet. Klug. Reich. Vielleicht auch einflussreich. Vielleicht widersprechen mir auch manche. Bei einer Predigt sagt man das ja nicht laut dazwischen. Aber vielleicht denken manche jetzt: Pfarrer, das kannst du aber nicht so allgemein sagen! Gerade als entschiedener und bewusster Christ
bin ich gern arm und verzichte auf Macht. Kann sein. Und ich habe ganz großen Respekt vor den Armutsbewegungen, die es schon immer bei den Christen gab. Den Anfängen der Bettelorden wie den Franziskanern im Mittelalter, vielen sozial orientierten christlichen Bewegungen bis heute, bei denen die Menschen bewusst auf Reichtum und äußere Würden verzichten, um Benachteiligten und Menschen am Rand zu helfen. Trotzdem: zum einen waren das immer Bewe-gungen von kleinen Minderheiten. Zum zweiten haben auch solche entschieden und konsequent die Nachfolge Jesu lebenden Menschen Schwierigkeiten damit, sich als dumm oder töricht bezeichnen zu lassen. Und zum dritten gibt es da manchmal auch die Versuchung, sich selbst, weil man so konsequent leben kann, zu einer Elite zu zäh-len und sich für besser als andere zu halten.
Sitzt man als Christ also in der Falle, aus der man nicht mehr rauskommt, in der man eigentlich alles nur falsch und nichts richtig machen kann? Oder war es schlicht und einfach früher, als Paulus gelebt hat, viel einfacher und Christsein ist halt in der modernen Welt besonders schwer oder vielleicht auch nur was für Leute mit hoher Leidensbereitschaft oder für die, die den Anschluss an moderne Zeiten verpasst haben? Nein, wir sitzen nicht in der Falle. Nein, Christsein ist durchaus was für Menschen, die im 21. Jahrhundert leben. Und nein, früher, zu Zeiten von Paulus, war auch nichts besser und einfacher. Denn das, was wir für moderne Probleme und Fragen halten, war eigentlich damals auch schon vorhanden.
Die Gemeinde in Korinth, der Paulus den Brief schreibt, ist die Gemeinde, mit der Paulus am meisten zu tun hat. Keine einfache Gemeinde. Keine perfekte Gemeinde. Aber eine Gemeinde, die ihm vielleicht gerade deshalb besonders am Herzen liegt. Und in dieser Gemeinde fingen die Leute langsam an, echte Unterschiede zu machen und sich voneinander abzugrenzen. Beliebt war es, sich besser zu fühlen, weil man von einem scheinbar begabteren oder angeseheneren Menschen getauft wurde. Oder Unterschiede zu machen, weil man einen angeseheneren Beruf hatte und vielleicht auch mehr spenden oder zum Unterhalt der Gemeinde beitragen konnte. Oder aber die Begabungen, die Gott den Menschen mitgegeben hatte und die ganz verschieden sind, in Wichtigkeiten einzuteilen. Viele Möglichkeiten. Und genau das, was in der Welt außerhalb der Gemeinde vorkam und normal war, die Aufteilung der Menschen nach Ansehen, scheinbarer Wichtigkeit, Besitz, das passierte nun auch in der Gemeinde selbst. Paulus setzt nun nicht noch einen drauf und behauptet, dass er alles besser weiß und weil er schon länger Christ ist und sich besser auskennt und ein höheres Ansehen haben sollte, müssten alle gefälligst machen, was er sagt. Damit würde er ja genau wieder in die Falle tappen. Er zeigt einen Weg aus der Falle, der, finde ich, bis heute eigentlich richtig und gut ist.
Der Schlüssel zu dem Weg steckt in der Art, wie Paulus die Menschen anredet und sieht: „Brüder und Schwes-tern!“ Gut, wörtlich steht da nur Brüder, aber Gott sei Dank haben mittlerweile fast alle anerkannt, dass vor Gott nicht nur theoretisch sondern auch praktisch alle Menschen nicht nur unabhängig von ihrer Hautfarbe, Sprache oder Herkunft, sondern auch von ihrem Geschlecht gleich sind. Natürlich kann man die Anrede für albern, veraltet oder typisch nichtssagend kirchlich halten. Aber für mich steckt da ganz viel drin.
Paulus begegnet den Menschen auf Augenhöhe. Auch denen, die, seiner Meinung nach, auf einem falschen Weg sind. Er redet nicht wie ein bestimmender Vater zu Kin-dern, die noch viel lernen müssen, sondern von gleich zu gleich. Auch wenn es sich noch so altmodisch und viel-leicht auch abgedroschen und tausendmal gehört anhört: Unabhängig von unserem Alter, Wissen, Können, Ge-schlecht, Nationalität, Sprache gehören wir vor Gott zu-sammen. Geschwister kann man sich nicht aussuchen. Das ist auch gut so. Man kann und muss sich vielleicht auch manchmal streiten und man darf auch Dinge sagen, mit denen man nicht einverstanden ist. Aber wir sind über alle Uneinigkeit hinaus verbunden. Und zwar ohne Ansehensgefälle. Für Paulus war klar: auch wenn manche ihm mit ihrem Verhalten weh tun, fallen sie nicht aus der Geschwisterlichkeit vor Gott. Wenn alle gleich denken und handeln würden, wäre es auf Dauer doch langweilig und es würde keinen Fortschritt geben. Auch nicht in der Entwicklung der Liebe zueinander, auch nicht im Bezug auf das, was ich von Jesus erkennen kann. Wenn alle das Gleiche wie ich sehen, dann sehe ich doch nie was Neues. Erst dann, wenn ich mich mit neuen, anderen Sichtweisen auseinandersetzen kann, habe ich die Chance, auch für meinen Glauben Bereicherndes zu entdecken. Die Konsequenz daraus, sich als Geschwister zu verstehen, ist ja auch, dass es auf einen selbst, auf die eigene Familie sozusagen, zurückfällt, wenn man andere klein macht und über andere schlecht redet, wenn man glaubt, man wäre besser.
Nicht die Perfektion oder die Gleichförmigkeit hält uns zusammen, sondern dass Gott uns schon längst durch Jesus auf den Weg geschickt hat. In der Welt, zu ihm hin. Miteinander, nicht allein.
Und auf diesem Weg bleibt es der notwendige Antrieb, der notwendige Stachel im Fleisch, dass Gott uns manchmal ziemlich schmerzhaft deutlich macht, dass er mit anderen Maßstäben misst als wir. Macht, Geld, Einfluss, Wissen: was für uns so wichtig erscheint, ist kein Maßstab für seine Gerechtigkeit, für seine Liebe. Wir haben uns nicht ausgesucht, dass wir in dieser Welt sind. Wir haben es uns nicht ausgesucht, dass wir mit dem Glauben an Jesus in Berührung gekommen sind. Nichts, worauf wir stolz sein könnten, sondern Gottes Liebe, der Glauben, das Leben: alles geschenkt.
Wir dürfen klug sein, wir dürfen Besitz haben, aber bes-ser als andere macht uns das nicht. Im Gegenteil: manchmal führt uns das auf falsche Wege. Indem wir viel zu viel Kraft dafür verbrauchen, das, was wir haben, zu verteidigen oder uns auf Kosten von anderen groß zu ma-chen. Gottes Kraft zeigt sich da, wo Menschen bereit sind, zu ihrer Ohnmacht, auch zu Angst und Zweifel zu stehen, wo nicht künstlich Stärke und Macht aufgebläht wird und wo Menschen sich nicht von dem irre machen lassen, was scheinbar als alternativloses Verhalten in der Welt angepriesen wird.
Christen, Gemeinden sind in ihrem Verhalten nicht feh-lerfrei. Bis heute. Je nach persönlichem Hintergrund oder Vorliebe scheint es ja durchaus eine Rolle zu spielen, ob man in der Elisabethkirche oder der Thomaskirche ist. Ob man die Landeskirche besser findet oder eine freie Ge-meinde. Aber sobald man denkt, man wäre besser, tappt man in die Falle. Der Schlüssel zum Weg aus der Falle liegt für mich tatsächlich in der Geschwisterlichkeit. wir gehören zusammen, gehen vielleicht nicht immer auf dem gleichen Weg, sind aber zum gleichen Ziel hin unterwegs. Zu Christus und seiner Liebe. Die er nicht nach Ver-dienst, Ansehen, Größe des Geldbeutels, Alter des Kir-chengebäudes oder Modernität des Gebets schenkt. Gott sei Dank. Amen.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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