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Montag, 27. April 2009

Von Top-Konfis und neuen Einsichten - Predigten im Abendmahlsgottesdienst und zur Konfirmation 2009



Predigt Abendmahlsgottesdienst 2009
Schriftlesung: Lk 15,11-32
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Eltern und Verwandte, liebe Gemeinde!
Wer von den Konfis hat es denn überhaupt verdient, konfirmiert zu werden? Vielleicht wäre Konfer ja witziger, wenn wir eine Konf-Casting-Show daraus machen würden. Richtsbergs next Topkonfi oder Richtsberg sucht den Superkonfi. Und zu solchen Castingshows gehört es ja auch, dass manchmal die Kandidaten gefragt werden, wen sie denn rauswerfen würden, wer es ihrer Meinung nach nicht verdient hat. Könnte ich ja mal versuchen - vielleicht würde ja auch jemand sich selbst rauswerfen, vielleicht andere, die es seiner oder ihrer Meinung nach nicht verdient haben. Wer von euch hat’s verdient - konfirmiert zu werden und wer hat verdient, dass für ihn oder für sie eine Feier ausgerichtet wird, die von einem selbst nicht bezahlt wird und zu der man auch noch Geschenke kriegt? Mal ehrlich!

Wollt ihr wissen, was ich denke, wer es verdient hat? Ich sag’s euch gern und ehrlich - KEINER! Keine Angst, ich kann euch und eure Eltern beruhigen! Ich schmeiß jetzt keinen mehr raus heute Abend, ihr werdet morgen konfirmiert. Wenn ihr selber morgen „Ja“ dazu sagt, wenn ich euch frage. Keiner hat’s verdient, weil es eben nichts ist, was man sich verdienen kann. Viele haben sich an die meistens Regeln gehalten, waren eigentlich immer da, haben, so gut sie konnten, das gelernt, was zu lernen war und waren in den Gottesdiensten und haben da sogar, so wie heute Abend ja auch, das ein oder andere gemacht. Manche haben meine Geduld da etwas mehr strapaziert. Aber ich will jetzt heute Abend keine Noten geben und von gestern erzählen. Denn genau das ist ja der Clou an der Geschichte, die ihr eben aus der Bibel vorgelesen habt, der Geschichte vom verlorenen Sohn. Die räumt auf mit unseren Vorstellungen davon, dass man sich alles verdienen muss und dass das Leben und vor allem der Glauben an Gott und die Kirche als Gemeinschaft der Menschen, die an Gott glauben, ein System von sich was verdienen müssen und dann dafür belohnt werden ist. Ich glaube, in unserem Alltag verstehen die meisten von uns den älteren Sohn in der Geschichte am besten. Der kleine Bruder hats doch selbst vergeigt. Der hat seine Chance gehabt, hat das Geld zum Fenster rausgeschmissen, Alkohol, Drogen, Frauen, dem war die Familie und der Hof egal. Der hats nicht verdient, dass für ihn ein tolles Fest ausgerichtet wird und dass er auch noch Geschenke kriegt. Der ältere Bruder hat doch Recht, wenn er sauer ist. Er schuftet sich ab, hält sich an die Regeln und dann wird der Vater weich und knickt ein. Aber ich finde nicht, dass der Vater hier einknickt. Der jüngere Sohn stellt nämlich keine Ansprüche. Er will einfach nur da sein dürfen, er will dazu gehören, und wenn’s am allerniedrigsten Platz ist. Er weiß, dass er es vergeigt hat und dass er das auch nicht auf die Umstände, die Schule, die Gesellschaft oder irgendjemand anders schieben kann. Und der Vater merkt das. Er merkt, dass der Wille da ist, neu anzufangen und er gibt eben die Chance, wieder richtig dazuzugehören. Einfach so. Nicht als Verdienst, sondern aus Liebe. Jesus erzählt die Geschichte, weil er klar machen will, wie Gott mit Menschen umgeht. Dass die Menschen sich die Liebe nicht verdienen können, dass Gott nicht nach Verdiensten bezahlt, sondern seine Liebe darauf wartet, dass Menschen zu ihm kommen wollen. Auch wenn sie es nach Ansicht von anderen nicht verdient haben. Gottes Liebe kann man nicht verdienen. Sie ist da. Man kann sie nur annehmen. Und deshalb finde ich es schwierig, wenn Menschen in der Kirche sagen: du musst dir was verdienen, zum Beispiel, dass du dazugehörst. Konfirmation, das Zeichen dafür, sozusagen erwachsen zur Gemeinschaft mit Gott zu gehören, kann man sich nicht verdienen. Deshalb hats von euch auch keiner verdient. Man kann sie nur wollen. Auch die, die sich nicht immer leicht damit getan haben, die Regeln, die ja auch dazu da sind, den gegenseitigen Respekt auszudrücken, einzuhalten, haben am Ende sich immer wieder aufgerafft und gezeigt, dass sie das wollen. Wie ernst und wie ehrlich das jeder einzelne meint - das kann ich nicht beurteilen. Ich kann jedem nur bis vor den Kopf und vor das Herz schauen. Lügen, Unehrlichkeit, das muss jeder mit sich selbst und mit Gott ausmachen. Nicht nur wenn’s um die Konfirmation geht. So, wie der jüngere Sohn auch dann, wenn man’s total vergeigt hat, ehrlich bleiben - das ist etwas, was ich nicht nur euch Konfis, sondern uns allen wünsche, dass wir das schaffen. Und dass wir es schaffen, auch zuzugeben, wenn wir versagt haben. Und den Mut haben, einen Neuanfang in die Hand zu nehmen und zu wagen. Und die Chance zum Neuanfang kriegen. Von Gott und von andern Menschen. Deshalb gehört gleich auch ein Sündenbekenntnis zum Gottesdienst. Keiner wird gezwungen, sich vor anderen dabei lächerlich zu machen oder Peinliches zu sagen. aber es ist eine Chance, ehrlich zu sich selbst und zu Gott zu sein. Und das Abendmahl ist das äußere Zeichen dafür, dass Gott uns einlädt, wirklich zu feiern, mit ihm, miteinander, die Liebe zu feiern, auch wenn wir nicht perfekt sind. Verdienen kann man sich das nicht. Nur annehmen und leben. Und deshalb habt ihr die Konfirmation nicht verdient - und ich konfirmiere euch gern. Nicht, weil ich euch loswerden will und froh bin, wenn ich euch nicht mehr sehen muss, sondern weil ich finde, dass ihr dazugehört und dass ich ein Stück ärmer wäre, wenn ich euch nicht kenne würde und dass sowohl unserer Gemeinde als auch der Gemeinschaft aller Christen ohne euch was fehlen würde.
Amen

Predigt Konfirmation 09, 26.04.09, Text: Ps 119,66 Herr, lehre mich heilsame Einsicht und Erkenntnis, denn ich traue deinen Geboten.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Eltern, Paten, Großeltern, Verwandte und Freunde, liebe Gemeinde!
Warum steht eigentlich eine Leiter hier vorne rum? Der Hausmeister hat nicht vergessen, die wegzuräumen. Sie steht hier, weil man da prima draufklettern kann. Und von hier oben sieht die Welt schon ganz anders aus. Man hat einen prima Überblick. Ich sehe viel besser, wer alles da ist. Ich sehe, wer vielleicht gerade Dummheiten macht und nicht aufpasst. Und außerdem: Wenn man oben steht, müssen alle zu einem aufschauen. Nicht umsonst steht ja auch bei Siegerehrungen der Erste immer ganz oben. Aber wer oben ist, kann auch leicht runterfallen. Kommt immer auf den Blickwinkel an, ob das gut ist oder schlecht, oben zu stehen. Auf alle Fälle kriegt man neue Einsichten, wenn an oben steht. Ich komm aber mal wieder runter. Und räum auch gleich die Leiter aus dem Blickfeld, damit sie nicht den Blick auf das Wesentliche, das gleich sein wird, verstellt.

Auf den Blickwinkel kommt’s an, auf die Einsichten und Erkenntnisse, die man gewinnt. Oben hat man einen guten Überblick, sieht viel, aber oben ist man auch einsam. Mittendrin ist es doch viel kuschliger. Da kann man sich ein bisschen verstecken, kann sehen, wie sich vorne einer oder eine abhampelt. Man sieht, wird aber nicht so gut gesehen. Und man gehört irgendwie dazu, wenn man mittendrin sitzt. Auch nicht schlecht. Aber heute merke ich: heute gehöre ich nicht hierhin. Das ist nicht mein Platz. Ich sehe ein, dass ich heute vielleicht doch auf der Kanzel stehen sollte. In einem Konfirmationsgottesdienst gehört sich das so. Auch wenn Dirk oder Jacqueline oder Bianca oder Aline oder jemand von den anderen wieder sagen, dass ich sowieso immer viel zu lang rede und eine von den Michelles oder Alex vielleicht zu Recht sagen: „Sie reden mal wieder viel zu kompliziert.“ Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Der erste Schritt - und nicht das Ende des Wegs.

Für mich ist deshalb die Konfirmation heute auch kein Schlusspunkt, nichts, mit dem etwas endgültig fertig wäre. Klar, die Zeit, in der ihr am Dienstagnachmittag hier sein musstet, ist vorbei. Auch die Zeit, in der ich drauf achte, wie oft ihr in den Gottesdienst kommt. Ich freue mich natürlich, wenn ich euch nicht nur in der Schule oder beim Rewe sehe, sondern auch mal sonntags hier. Aber die Zeit, in der das nicht immer so ganz freiwillig ist, die ist vorbei. Trotzdem ist die Konfirmation für mich kein Schlusspunkt, sondern höchstens eine Erholungspause auf dem Weg, sich zu dem Menschen zu entwickeln, der man im Guten sein kann. Man entwickelt sich durch die Einsichten und Erkenntnisse, die man im Leben entwickelt und bekommt. Man entwickelt sich durch die Fähigkeit, auch mal neue Sichtweisen auszuprobieren und dadurch auch das, von dem man glaubt, man kennt es ganz genau, mal ganz neu und anders zu sehen. Ich habe deshalb auch für heute keinen langen Bibeltext für die Predigt ausgesucht, sondern einen einzigen Vers: „Herr, lehre mich heilsame Einsicht und Erkenntnis, denn ich traue deinen Geboten.“ Das ist eigentlich das, was ich euch wünsche, was euch die Konfirmandenzeit gebracht hat: dass ihr Einsichten und Erkenntnisse bekommen habt, die euch gut tun und die euch ein Stück weiter gebracht haben. Natürlich habt ihr nichts erfahren, was unmittelbar für einen Schulabschluss oder einen Beruf unbedingt wichtig wäre. Aber ich glaube schon, dass mindestens ein paar von euch was erlebt haben: zum Beispiel, dass es gar nicht schlimm ist, mal den Blickwinkel zu tauschen und vorne zu stehen, statt immer nur mittendrin zu sitzen. Sogar heute, wo viele Verwandte und Freunde da sind, stellen sich ein paar von euch hier hin, zeigen sich, lesen etwas, tragen etwas vor. Ich finde das wichtig. Sich was zu trauen. Zu wissen: Ich kann was, ich bin was wert. Ich hoffe, dass auch sie als Eltern oder Verwandte oder ihr als Freunde durch die Konfirmandenzeit oder den Gottesdienst heute manche neue Einsicht oder manchen überraschenden Einblick bekommen habt. Manche, die im Moment in der Schule oder in anderen Bereichen ganz große Schwierigkeiten haben, haben immerhin Konfer durchgehalten und sich immer wieder aufgerafft, auch nach Tiefpunkten. Auch das finde ich eine wichtige Erkenntnis. Dass eben niemand nur so ist, wie ich ihn kenne - als Pfarrer, als Eltern, als Freundin oder Freund, sondern auch andere Seiten hat und haben kann. Oder dass man, auch wenn man sich dienstags wenig oder nichts zu sagen hat, in Fulda zusammen Spaß haben kann. Und wenn’s bei der nächtlichen Suche nach „Geldbeuteln“ ist, gell, Christian. Nein, im Ernst: Ich wünsche euch als bald Konfirmierte, ihnen als Eltern, Familien, Freunde, mir als Pfarrer, uns allen als Gemeinde, dass die Bitte, die heute auf dem Gottesdienstblatt steht, wirklich eure, ihre, unsere, meine Bitte wird: „Herr, lehre mich heilsame Einsicht und Erkenntnis.“ Gott, hilf mir nicht blind zu werden. Hilf mir, nicht immer nur das zu sehen, was ich sehen will und kenne, sondern hilf mir, Leben neu zu erkennen und neu zu entdecken. Hilf mir, das für mich Gute zu finden und nicht in Sachen, Meinungen und so weiter festzustecken, die mich gefangen nehmen und krank machen. Dazu braucht es Begleiter, die einem helfen, hinzuschauen. die einem manchmal auch helfen, das auszuhalten, was man nicht gern sieht. Die einem auch mal über Zweifel hinweg helfen. In der Geschichte aus der Bibel, die Frau Pieh eben vorgelesen hat, ging es ja um Thomas, der einfach etwas Greifbares für seinen Glauben brauchte. Der seine Zweifel hatte. Ich finde es wichtig, dass auch solche Geschichten in der Bibel stehen. Glauben hat nicht damit was zu tun, unmögliche oder unwahrscheinliche Dinge für wahr zu halten. Glauben heißt, dass ich weiß, dass es Wege gibt, die gut sind, auch wenn ich sie manchmal nicht sehen kann. Dass ich ehrlich sein darf. Auch zu mir selbst. Dass ich auch Angst und Zweifel haben darf und daran nicht kaputt gehe. Und da ist es wichtig, nicht allein zu sein. Und manchmal auch mehr zu haben als die Menschen, die sowieso um einen herum sind. Das drückt sich auch in manchen von den Konfirmationssprüchen aus, die ihr euch ausgesucht habt. Jacqueline und die beiden Michelles haben sich einen Spruch ausgesucht, der davon erzählt. Von dem Vertrauen, dass es auch Begleitung durch Gott gibt, wenn Menschen nicht greifbar sind. Davon, das es zum Leben gehört, einen oft unbekannten Weg zu gehen und davon, dass es gut ist, wenn manchmal einer von oben den Überblick behält und die Übersicht über das hat, was ich nicht sehe. In der Sprache der Bibel sind Engel, Boten Gottes, diese Begleiter und ihr Spruch heißt: Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe.

Dass es auf diesem Weg nicht immer einfach zugeht und dass ich auch als Getaufter und Konfirmierter Zeiten habe, in denen ich mich schlecht fühle, dass aber Gott einen auch da nicht allein lässt, davon erzählt der Spruch, den Dirk sich ausgesucht hat: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Von dem Selbstbewusstsein, mit dem wir durchs Leben gehen können, weil wir sehen dürfen, dass wir geliebt werden und uns was zugetraut wird, erzählen die Sprüche von Alex Ihr seid das Salz der Erde und Natalia Ihr seid das Licht der Welt. Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte. Aus diesem Selbstbewusstsein kann der Mut entstehen, Gutes an andere weiterzugeben, wovon die Sprüche von Karina Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit und Bianca Lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit erzählen. Das alles kann deshalb klappen, weil es ein sicheres Fundament gibt, eine Grundlage, auf die wir bauen können: die Liebe Gottes. Davon erzählen die Sprüche Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die Liebe ist aber die Größte unter ihnen, ausgesucht von Aline und Maxim, und Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm, ausgesucht von Christian. Zur Liebe, zum Fundament gehört auch mit dazu, dass wir wissen können, wo wir dran sind, was gut ist und Leben vorwärts bringt und was dem Leben schadet. Neue Einsichten gewinnen wir dann, wenn wir uns orientieren können und nicht in völliger Orientierungslosigkeit mal hierhin und mal dorthin gucken und nicht wissen, was los ist. Deshalb heißt es ja auch: Herr, lehre mich heilsame Einsicht und Erkenntnis, denn ich traue deinen Geboten. Menschen brauchen einen festen Grund, von dem aus und auf dem sie ihren Standpunkt finden und immer wieder überprüfen und neue finden können. Gottes Gebote wollen kein Gefängnis sein, sondern eine Einladung, im Guten auf Entdeckungsreise zu gehen, Höhenflüge zu machen, für andere vielleicht auch zu Engeln, Boten der Liebe Gottes zu werden. Wir dürfen oben stehen, herausgehoben sein, aber auch mal die Freiheit haben, einfach nur mittendrin zu sein. Gott lässt uns leben - nicht in einem Gefängnis, sondern auf einem Weg voller Möglichkeiten und Entdeckungen. Davon erzählt der Spruch von Claudius: Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit. Diese Freiheit, die hilft, mehr Leben zu entdecken und sich selbst, die Menschen und Gott zu lieben, die wünsche ich euch und uns allen. Amen

Donnerstag, 9. April 2009

Wie sie sehen, sehen sie nichts - Ostersonntag 2009, Reihe I

Text: Markus 16,1-8

Liebe Gemeinde!
Wissen sie, wer den Schlüssel zur Grabeskirche hat, dem Ort, an dem Jesu Grab gewesen sein soll und an dem sich demnach die Auferstehung ereignet hat? Wenn ja, gewinnen sie jetzt leider keine Traumreise oder viel Geld, wenn nein, brauchen sie auch keinen Telefonjoker, ich verrate es ihnen: ein palästinensischer Moslem. Und wissen sie auch, warum das so ist? Wieder gibt es kein Geld zu gewinnen und für die, die es nicht wissen, verrate ich es jetzt: Weil sich sonst, die Christen, die in der Kirche eigentlich Gottesdienst feiern und die sich als Hüter dieser besonderen Stätte fühlen, gegenseitig die Köpfe einschlagen würden. Das ist leider so. Sechs ihrem Selbstverständnis nach christliche Konfessionen wachen über den Ort der Auferstehung und ihr Verhältnis untereinander ist leider von Eifersucht, Missgunst, Neid und Gewalt geprägt, so dass sie nichtchristliche Schiedsrichter brauchen. Seit über 1000 Jahren. Als ich letzte Woche im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen habe, habe ich mich geschämt. Na dann: Frohe Ostern!
Ich denke, genau so was kommt davon, wenn man Ostern nicht ernst nimmt, weil man es zu ernst, zu genau nimmt. Wir Menschen, Christen und Nichtchristen, glauben immer wieder, dass wir etwas brauchen, an dem wir uns festhalten können. Orte, Menschen, historische Wahrheiten. Wir schauen auf Gutes zurück und möchten gern, dass die Zukunft am Besten so wird wie das, was wir in der Vergangenheit als gut erlebt haben. Wir wollen absichern, versichern, besitzen - und verlieren dabei das Leben, das Jesus Christus in seiner Auferstehung schenkt. Darum geht es doch in dem Osterevangelium, das uns Markus überliefert hat. Wer dieses Evangelium, diese frohe Botschaft ernst nimmt, der wird sich nicht am Grab festhalten wollen, der wird nicht um Orte kämpfen. Die Botschaft ist doch eindeutig: Weg vom Grab - hin in das Leben. „Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Geht! Er wird vor euch hergehen - nach Galiläa! Dort werdet ihr ihn sehen.“ Das ist die Osterbotschaft. Gottes Geschichte mit den Menschen, Gottes Liebe zu den Menschen ist nicht fertig. Gott ist nicht fertig mit uns, der Tod Jesu war nicht das Ende einer Geschichte, sondern die Liebe geht weiter. Die Liebe ist lebendig und begegnet - aber nicht dort, wo der Tod ist. Der Platz ist leer. Der Tod ist überwunden. Gottes Liebe begegnet dort, wo das Leben ist. Die Bewegung, die von Ostern ausgeht, ist nach vorn gerichtet, nicht zurück.
Den Frauen macht das Angst - „und sie fürchteten sich“, so schließt die eigentlich doch frohe Botschaft. Ich glaube, auch das gehört zu Ostern bis heute mit dazu, zum Ernstnehmen der Osterbotschaft. Wir müssen erkennen, dass uns das Unbekannte, das vor uns liegt, die Zukunft, oft mehr Angst macht als die Vergangenheit, auch wenn sie, wie bei den Frauen, die den Tod eines geliebten Menschen zu beklagen hatten, traurig war. Wir wissen, was war, wir lernen, damit mehr oder weniger umzugehen. Es ist sicher. Was sein wird - das ist immer unsicher, mit Risiko behaftet. Die Frauen, die zum Grab gingen, wollten die Vergangenheit bewahren, konservieren. Mit den besten Gefühlen und den besten Absichten. Sie hatten Öle mitgebracht, um dem Toten einen letzten Liebesdienst zu erweisen. Auch wenn ihre Liebe nun nicht mehr lebendig war - sie hatten einen Ort, der sie konservierte, sie konnten und wollten etwas tun. Aber schon hier wird deutlich: Liebe lässt sich nicht konservieren, einbalsamieren, an einem Ort ablegen. Aber Liebe bringt in Bewegung. Liebe bringt Menschen dazu, aufzubrechen. Genau das tun die Frauen ja. Sie vergraben sich nicht in ihrer Trauer, sie igeln sich nicht ein, sie brechen auf. En Schritt ins Leben. Ein Schritt hin zu dem, was Ostern ausmacht. Viele Anspielungen auf das Neue, dem die Frauen begegnen werden, hat Markus in seiner frohen Botschaft verpackt. Die Frauen machen sich auf am Beginn der neuen Woche, zu Sonnenaufgang. Lauter Zeichen für den Anbruch eines Neuanfangs. Aber noch sind sie mit ihrer Liebe auf die Vergangenheit fixiert. Sie sehen das, was war, das, was jetzt eben nicht mehr so sein kann, wie es früher einmal war. Und dann der erste Schreck: der Stein, den sie in ihrem Gespräch noch fast für unüberwindlich hielten, der Stein, der das Verlorene festhält und den Verlust sozusagen besiegelt, ist schon weggerückt. Ostern ist eigentlich ein verrücktes Fest. Das, was uns felsenfest sicher scheint, wird im wahrsten Sinn des Wortes verrückt. Und so öffnen sich neue, erstmal erschreckende oder zumindest verstörende Einsichten. Das Erwartete ist nicht mehr da. Der Leichnam, der tote Jesus, die gestorbene Liebe. Einfach weg. Da sitzt nur einer, der Hinweise gibt. Der auf eine Zukunft hinweist.
Für mich ist das eigentlich das schönste Bild von Ostern. Ein leeres Grab und einer, der in das Leben weist. Einer, der darauf dringt, Schritte ins Leben zu gehen, weil nur dort dem lebendigen Christus, der lebendigen Liebe begegnet werden kann. Menschen brauchen immer wieder den Anstoß von außen, neue Wege zu gehen, an neuen Orten zu suchen, nicht in der Vergangenheit zu bleiben. Gott gönnt uns und schickt uns solche Anstöße. Menschen, die einem Horizonte öffnen, die einem neue Ideen geben, die es einem aber nicht abnehmen, den Weg dorthin selbst zu gehen. Menschen, die manchmal etwas sagen, was ich gar nicht hören will. Die Frauen wollten das gar nicht hören. Die wollten hören: Jesus wird gleich wieder hier sein. Ich will manchmal auch nicht hören, dass ich meine Blickrichtung ändern muss, dass ich etwas, was mir lieb ist, zurücklassen muss, dass ich Gewohnheiten oder Sichtweisen aufgeben muss. Die Bedeutung von Gottes Liebe in meinem Leben und für mein Leben, die Bedeutung von Ostern, die werde ich nicht erkennen, wenn ich es festhalten will, nach hinten schaue, es an Orten festmache. Liebe werde ich nicht finden, wenn mein Denken und Handeln nach hinten geht. Das ist das Eine, das ich an diesem Bild so schön finde. Die Hilfe, die wir manchmal brauchen, um das Wesentliche erfassen zu können. Das andere, was ich gerade an diesem Bild so schön finde, ist, dass hier keine Biologie betrieben wird. Das Grab ist leer. Das ist die Botschaft. Nicht wie das biologisch ausgesehen haben kann, nicht wie es historisch genau war. Das Grab ist leer. Jesus lebt. Ostern ist so unerwartet, so unerklärlich, dass Raum bleibt. Natürlich gibt es in der Bibel auch Geschichten, die die Begegnung mit dem Auferstandenen erzählen. Aber die wichtigsten dieser Geschichten haben eines gemeinsam: erstmal wird der Auferstandene nicht erkannt. Maria Magdalena, so erzählt es Johannes, begegnet er in Gestalt eines Gärtners. Den Emmausjüngern begegnet er auf dem Weg, ohne dass sie ihn erkennen, erst an seinem Handeln, am Brotbrechen, wird er erkennbar. Paulus gar schreibt, dass der Auferstandene ihm als Frühgeburt erschienen ist. Es geht eben nicht um biologische Wahrheit und biologische Korrektheit und Beschreibbarkeit. Es geht nicht um Spekulationen, dass Jesus nur scheintot war oder sein Leichnam geraubt wurde. Es geht darum, dass das Grab leer ist, dass Jesus nicht länger begraben ist und dass gerade dadurch diese lebendige Liebe Gottes neu Gestalt gewinnen kann, dass gerade dadurch, dass etwas eben nicht auf eine bestimmte Erscheinungsform festgelegt ist, Zukunft und lebendige Begegnung mit der Leben schaffenden und Leben verändernden Liebe geschehen kann. Ostern ist ein Fest des leeren Grabes. Der Tod hat seine letzte Macht eingebüßt. Wie das Leben neue Gestalt gewinnt, wie die Liebe sichtbar wird, das lässt sich nicht festlegen und festschreiben, sondern nur erleben und immer wieder neu erfahren. Den Frauen am Grab fällt es schwer, mit dieser Unsicherheit zu leben. Sie fürchten sich. Wir wahrscheinlich auch. Wir wollen wissen, genau ergründen, festhalten, verstehen. Das ist auch nicht falsch. Aber lebendige Liebe, und dafür steht Ostern, lässt sich so nicht erleben. Durch das Loslassen von alten Ängsten, durch das Loslassen von dem, was gestorben ist, empfange ich neues Leben und neue Liebe. Wer besitzen, wer festhalten will, der wird auf Dauer nicht lieben können, sondern, wie die verschiedenen Konfessionen an der Grabeskirche, sich festfahren. Ich wünsche uns als Christen und als Menschen nicht nur zu Ostern den Mut, loszulassen, damit wir die Angst besiegen und neues Leben und neue Liebe erfahren können. Ostern ist ein Fest, das in Bewegung bringt, das zu Bewegung verhilft. Gebe Gott, dass wir uns in diese Bewegung mitnehmen lassen und nicht starr bleiben.
Amen

In Schönheit sterben? - Karfreitag 2009, Reihe I

Text: Johannes 19,16-30

Liebe Gemeinde!
So möchte ich einmal sterben. Nicht nur ich, sondern die meisten, mit denen ich über das Sterben geredet habe. Bis zuletzt klar im Kopf und in der Lage, mit den mir wichtigen Menschen, die selbstverständlich dabei sind, das Leben zu teilen und das Sterben zu ordnen. Für klare Verhältnisse sorgen. Und dann, ohne einen Schmerzenschrei oder sichtbares Leid abtreten. „Es ist vollbracht“ - mein Leben hat sein Ziel gefunden. Ideal, ein solches Sterben. Aber gefragt wird keiner von uns. Die Opfer des Erdbebens in Italien, die in der Nacht unvorbereitet aus dem Leben gerissen wurden. Der 37-jährige Vater und seine 12-jährige Tochter, durch einen Fahrfehler eines Busfahrers aus dem Leben gerissen. Die krebskranke Frau, die seit Monaten unvorstellbare Schmerzen leidet, die sterben will und doch nicht sterben kann, der an Demenz erkrankte Mann, der seiner Ehefrau und seinen Kindern gegenüber aggressiv wird, dessen Leben nicht mehr viel mit Selbstbestimmung zu tun hat. Die nach einer Operation Dahindämmernde 92-Jährige, die nur noch dank künstlicher Ernährung lebt, ohne Hoffnung, dass sie je wieder zu sich kommt.
Sterben kann nicht nur gelassen und sanft sein, sondern auch verdammt dreckig, gemein und wehtun. Es ist gut, dass die Bibel nicht nur auf eine so ideale Weise wie im Johannesevangelium vom Sterben Jesu erzählt. Markus und Matthäus erzählen von den Schmerzen und vom Blut, das geflossen ist. Sie erzählen, dass Jesus mit dem verzweifelten Ausruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ starb. Was ist denn nun die Wahrheit? Der verzweifelte Jesus, der wirklich leidet, von dem Matthäus und Markus erzählen? Der vertrauensvolle Jesus, von dem Lukas erzählt, der sich im Sterben mit den Worten: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“ ganz Gott anvertraut? Oder der Jesus, von dem Johannes erzählt? Der Jesus, der selbstbestimmt seinen Weg als Gottes Sohn zu Ende geht, der bis zum Schluss souverän handelt und mit dem selbstbewussten „Es ist vollbracht“ auf den Lippen stirbt?
Die Wahrheit ist die, dass es den idealen Tod nicht gibt. Die Wahrheit ist die, dass es, auch an Karfreitag, nicht um den Tod, sondern um das Leben geht. Karfreitag ist der große Tag des Protestes gegen die Macht, die der Tod hat. Als Mensch habe ich auch Angst vor dem Tod, Angst vor dem Leid. Und Dank der frohen Botschaft, die Matthäus und Markus weitererzählt haben, darf ich glauben und hoffen, dass Gott das Leid von Menschen, die Angst und die Einsamkeit angesichts des Todes nicht egal ist. Gott ist im Leid, in der Einsamkeit gegenwärtig. Als der, der mitleidet. Jesus läuft nicht weg vor dem letzten Schrecken, den Menschen aushalten müssen. Er bleibt Mensch - bis ans bittere Ende. Sein Tod ist ein einziger Protest gegen Grausamkeit, gegen sinnloses Leid. Dass dieser Protest gegen den Tod, dieser Aufstand gegen die Macht des Todes nicht erst mit Ostern, mit dem neuen Leben, seine Wendung zum Guten findet, macht die frohe Botschaft, die Johannes erzählt deutlich. Es ist derselbe Jesus, der stirbt. Aber Johannes erzählt neu, anders von ihm. Klar, geschichtlich gesehen kann nur eine der Sichtweisen stimmen. Wahrheit in diesem Sinn lässt sich aber nicht mehr feststellen. Aber neben der Wahrheit, die man äußerlich nachprüfen kann, gibt es eine innere Wahrheit. Und diese innere Wahrheit ist, dass die Wahrheit über den Tod, über das Sterben, und damit auch über das Leben, erst dann zu Tage tritt, wenn kein Teil der Wahrheit ausgeblendet wird. Deshalb ist es gut, dass die Evangelisten, die Überlieferer der frohen Botschaft, die Wahrheit der Gegenwart Gottes in Jesus aus verschiedenen Blickwinkeln beschreiben und so der ganzen und großen Wahrheit zum Durchbruch verhelfen.
Durch die Art und Weise, wie Johannes das Sterben Jesu beschreibt, wird erkennbar, dass der Tod schon jetzt seine letzte Macht verloren hat. Er ist noch da, er lässt sich nicht verleugnen, aber das von Jesus geschenkte neue Leben ist stärker. Jesus verweist die, die um ihn trauern werden, die wegen der Grausamkeit, die ihm angetan wird, leiden, zurück in ihr Leben. Seine Mutter und der Jünger, von dem Johannes erzählt, dass er Jesus besonders nahe war, werden nicht auf ein Später vertröstet, sondern in diesem Leben zusammengebracht. „Siehe, dein Sohn! - Siehe, deine Mutter“. Der Blick bleibt nicht am Tod, am Verlust hängen, sondern geht in die Zukunft, ins Leben. Das ist die Sichtweise, die wir im Glauben an Jesus Christus dem Karfreitag verdanken können: der Tod ist eine Wirklichkeit, die ernst zu nehmen ist, eine Wirklichkeit, die weh tut. Aber der Blick, mit dem Gott uns ansieht, geht in das Leben. Aber dieses Leben geht eben nicht bruchlos weiter, so, als ob nichts geschehen wäre. Es ändert sich, neue Beziehungen sind nötig. Und es braucht, trotz allem, Zeit - zum Trauern, zum Loslassen. Maria und der Lieblingsjünger sind ja auch nicht gleich freudestrahlend vom Kreuz weg gesprungen, haben schnell noch gerufen „Danke, lieber Jesus“ und ein neues Leben gestartet. Es braucht Zeit, bis der Blick auf das Leben und in das Leben wieder scharf werden kann und die Tränen über den Tod nicht alles wie einen Schleier verwischen. Wörtlich und bildlich.
Denn es wäre zu billig, dem Vater eine 3-jährigen Jungen, der seine hochschwangere Frau bei einem Autounfall verloren hat, den Eltern, deren Kinder bei dem Amoklauf getötet wurden, der Ehefrau, die mit ansehen musste, wie ihr Mann elend und schmerzvoll starb, und so vielen anderen, die den Tod alles andere als sanft oder erlösend erleben mussten, zu sagen: „Wird schon wieder, wechselt doch einfach mal den Blickwinkel, Gott ist schon mit euch!“ Das kann nicht verordnet werden. Das kann nur wachsen. Manchmal unerträglich langsam.
„Es ist vollbracht“ - vielleicht müssen wir, manchmal traurig genug, ernst nehmen, dass diese Worte tatsächlich Jesu Worte sind und nicht Worte von uns Menschen. In Jesus hat Gott sich wortwörtlich festnageln lassen - ich denke, wir dürfen das im übertragenen Sinn auch tun. Wir dürfen - und müssen - ihn darauf ansprechen, dass er ein Gott des Lebens ist, wo im Leben oft so viel Tod spürbar ist. Wir müssen ihn darauf ansprechen, dass er uns immer wieder neu die Augen für das Leben öffnen möge und unseren Blick nicht am Kreuz, am Leiden, damals und vor allem heute, gefangen halten möge.
Wie gesagt, ich denke erst in der ganzen Breite, in der die frohe Botschaft von ihren Boten erzählt wird, wird die Wahrheit Gottes über uns, unser Leben, den Tod und das wahre Leben, das stärker ist, deutlich. Deshalb finde ich es manchmal schade, dass nur im Zusammenhang von einem selbstbestimmten Tod, bei dem der Sterbende bis zuletzt alle Fäden in der Hand hält, von einem gnädigen und wünschenswerten Tod die Rede ist. So, als ob Gott nicht da wäre, wenn der Tod anders ist. Es gibt nicht den idealen, gnädigen Tod. Tod tut weh. Weil er das Leben derer, die in diesem Leben bleiben, verändert. Weil er einen Bruch darstellt, der spürbar bleibt. Es gibt aber keinen Tod, der uns von Gott trennen würde. Jesus will uns von der Sorge befreien, was danach kommt, er will uns von der Sorge befreien, dass wir die idealen Umstände für das Sterben oder den guten Tod schaffen müssten. Wir müssen nichts schaffen. Wir müssen uns nicht sorgen, weil für uns gesorgt ist. Wir müssen uns nicht von der Sorge um den Tod gefangen nehmen lassen, sondern wir dürfen uns dem Leben zuwenden. Immer wieder. So, wie Paulus es im Römerbrief sagt: „Niemand lebt für sich selber und niemand stirbt für sich selber. Ganz gleich, ob wir leben oder sterben: Wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben und zu neuem Leben auferstanden, um Herr über die Toten und die Lebenden zu sein.“ Gebe Gott, dass wir gerade am Karfreitag, gerade dann, wenn uns der Tod als bestimmende Macht zu begegnen scheint, diese Botschaft annehmen und uns ins Leben weisen lassen. So wie Maria und der Lieblingsjünger. Nicht, weil wir den Tod verdrängen und vor ihm weglaufen wollen, sondern weil wir ihm ins Auge sehen können. Gott sei Dank.
Amen

Dienstleistungsabend - Gründonnerstag 2009, Reihe I

Text: Johannes 13,1-15
Liebe Gemeinde!
Zeigt her eure Füße! Wenn ich sie jetzt bitten würde, ihre Schuhe und Strümpfe auszuziehen und ich mich hinknien würde, um ihnen die Füße zu waschen - wenn sie mich nicht gleich für verrückt halten würden, wären die meisten doch peinlich berührt. Dabei sagt Jesus doch ausdrücklich: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe“. Und in Rom wird der Papst heute in der Gründonnerstagsliturgie tatsächlich einigen ausgewählten Menschen die Füße waschen. Ich habe vor vielen Jahren mal versucht, mit Konfirmanden als wir das Thema Abendmahl hatten, eine Fußwaschung mit einzubauen - es ging grandios daneben. Mir zeigt diese Fußwaschung, wie schwer es ist, die Bibel einfach so eins zu eins wörtlich zu nehmen. Heute würde das, was zur Zeit Jesu zwar anstößig, aber Teil der Kultur war, vorwiegend Beklemmung und Kopfschütteln auslösen und den Blick auf das, was Jesus eigentlich will, verstellen.
Was Jesus hier tut, ist eigentlich ungeheuerlich. Dass ein guter Gastgeber dafür sorgt, dass den Gästen zur Erfrischung die Füße gewaschen werden, in einer staubigen Weltgegend, in der es heiß ist und die Menschen in einfachen Sandalen unterwegs waren, war nichts Ungewöhnliches. Wer etwas auf sich hielt als Gastgeber, hat den Gästen das zukommen lassen. Aber er hat es eben nicht selber gemacht. Es war eine typische Sklavenarbeit. Sie war, im wahrsten Sinn des Wortes, erniedrigend.
Und hier ist für mich der erste wichtige Punkt, an dem sich das letzte Abendmahl, von dem die anderen drei berichten, die Fußwaschung, von der Johannes erzählt, und unser Leben heute berühren. Jesus gibt sich ganz und gar hin. Seine Herrschaft erfüllt sich im Dienen. Nachfolge Jesu ist immer zuerst Dienstleistung. Als einzelner Christ, als einzelne Christin, als Gemeinde, als Kirche im Ganzen. Dienstleistung für den Nächsten. Natürlich geht es auch darum, die guten Dienste, die in der Nachfolge Jesu geleistet werden, bekannt zu machen. Aber wo Machterhalt und Machtgewinn, wo Einfluss und Bekanntheitsgrad von Spitzenpersonen Antriebsfeder oder Messlatte für die Qualität und den Erfolg kirchlicher Arbeit sind, läuft etwas gehörig schief.
Eine andere wichtige Gemeinsamkeit von letztem Abendmahl, Fußwaschung und Gemeinde in der Nachfolge Jesu 2009 ist, dass Jesus nicht in die Gemeinschaft der absolut Reinen und Vollkommenen beruft und die Gemeinschaft, die sich um Jesus schart, nicht die perfekte Gemeinschaft ist. Hier, bei der Fußwaschung, wird das in zwei Momenten deutlich: der Verräter wird nicht weggeschickt. Er behält seinen Platz. Jesus macht sich vor ihm genauso klein, er bückt sich vor ihm genauso wie vor allen anderen. Es ist nicht Jesus, der den Verräter ausschließt, sondern er schließt sich selbst aus. „Ihr seid rein, aber nicht alle“ - das liegt nicht daran, dass Jesus es ihm nicht gönnen würde oder ihn anders behandelt, sondern es liegt daran, dass Judas bereit ist, einen Verrat zu begehen. Gott lädt in Jesus wirklich jeden ein, zu ihm zu kommen, sich von ihm dienen zu lassen. Was Menschen aus dieser Einladung machen - das steht dann auf einem anderen Blatt. Aber gerade wenn es um das Abendmahl geht, dann machen mir dieser Gründonnerstag und das, was über ihn in der Bibel steht, noch einmal sehr deutlich, dass nicht wir Menschen die Einladenden sind. Kein Kirchenvorstand, kein Pfarrer, kein Bischof. Jesus lädt ein. Und kein Mensch, und sei er auch noch so hoch in kirchlichen Hierarchien aufgestiegen, hat das Recht, andere auszuladen. Wer darin eine Kritik an der katholischen Kirche hören will, hat Recht. So sehr ich die Ökumene liebe, so sehr leide ich auch darunter, dass die Einladung, die Gott uns in Jesus und diesem Mahl, in dem wir seine lebendige Gegenwart feiern, nicht an alle weitergegeben wird. Aber auch wir Evangelischen sollten hier die Nase nicht zu hoch tragen. Gerade im evangelischen Bereich gibt es eine lange und, wie ich finde, unrühmliche Geschichte der Kirchenzucht, in der Pfarrer oder Kirchenvorstände Menschen, die sie für unwürdig hielten, von der Teilnahme am Abendmahl ausschlossen. Wenn Jesus sogar seinen Verräter einlädt, weshalb sollten unsere Herzen dann so eng sein?
Der zweite Moment, in dem deutlich wird, wie gemischt die Gemeinschaft ist, die eingeladen ist, zeigt sich, als Jesus den übereifrigen Petrus zurechtweist. Petrus möchte mal wieder besser sein als alle anderen. „Nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!“ So hätte er es gern. Die Übereifrigen, diejenigen, die immer noch mehr wollen und vielleicht auch brauchen - auch sie sind Teil der Gemeinschaft. Heil wirst du, heil wird dein Leben nicht durch die Masse der guten Dienstleistungen, die du vielleicht auch über dich ergehen lässt und für dich forderst. Heil wirst du dadurch, dass du die Liebe Gottes, die in Jesus Gestalt gewonnen hat, einfach geschehen lässt. Heil wird dein Leben dann, wenn du Liebe wirklich annehmen kannst. Das ist ja das Problem, das Petrus hatte. Er wollte die Liebe, die Jesus ihm zeigte, nicht annehmen und nicht geschehen lassen. Lieber wollte er selbst was tun. Und vielleicht ist Petrus da ja auch ganz modern. Etwas schaffen, etwas verdienen, damit können wir ganz leicht etwas anfangen. Aber Liebe einfach so anzunehmen, ohne Gegenleistung, einfach sich was Gutes tun zu lassen - das fällt oft nicht leicht. Ich meine nicht die manchmal zu weit verbreitete Haltung: Ich nehme, was ich kriegen kann, egal, ob es mir zusteht. Ich meine nicht das Schmarotzertum, das lügt und betrügt und sich alles irgendwie zusammenschnorrt. Um diese Haltung geht es hier nicht. Hier geht es um die Grundhaltung, dass ich glaube, mir Liebe verdienen zu müssen. Aber nur der, der Liebe erst einmal annehmen kann, wird fähig, selber zu lieben. Nur der, der Dienste annehmen kann, wird mit freiem Herzen, ohne Hintergedanken, dienen können. Nur wenn ich weiß, dass ich etwas wert bin, werde ich andere wirklich wertschätzen können. Das ist das Geschenk, das Jesus hier macht: die voraussetzungslose Liebe, der stärkende Dienst, die Freiheit, die aus der Grunderfahrung entsteht, dass ich geliebt und angenommen bin. Du musst nicht um dein Leben, um deinen Wert kämpfen. Du musst dich nicht groß machen, denn du bist schon längst etwas. Um dieses Geschenk Jesu geht es. Das ist das Vermächtnis, das er am Abend vor seiner Gefangennahme und Hinrichtung seinen Jüngern hinterlassen hat. Wir feiern gerade heute, am Gründonnerstag, die Liebe, die Gott uns in Jesus Christus geschenkt hat. Die lebendige Gegenwart dieser Liebe, die eben auch erträgt, dass die Gemeinschaft derer, die mitfeiern, nicht vollkommen ist. Die Liebe, die nicht ausgrenzt, sondern hereinholen will. Sowenig, wie wir heute ein richtiges Passahmahl feiern, so wenig waschen wir uns dabei auch untereinander die Füße. Entscheidend möge aber sein, dass wir die Worte Jesu nicht vergessen: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.“ Es geht nicht darum, wortwörtlich Jesus abzubilden. Das könnten wir gar nicht. Es geht darum, seine Liebe weiterzutragen. Als dienende Liebe, die nicht den eigenen Vorteil sucht. Als offene Liebe, die auch die erträgt, die nach unseren Maßstäben der Liebe nicht wert sind. Als einladende Liebe, die Mut auch in schweren Zeiten macht. Aus dem Bewusstsein heraus, dass wir alle längst geliebt und wertvoll sind.
Amen

Sonntag, 5. April 2009

Angesteckt vom Leben - Palmsonntag, 5.4.2009, Reihe I

Text: Johannes 12,12-19

Liebe Gemeinde!
1910 - Kaiser Wilhelm kommt in die Stadt. Alle haben sich fein herausgeputzt, Fähnchen werden geschwenkt, alle jubeln, der Männergesangverein und das Blasorchester stimmen „Heil dir im Siegerkranz“, die Nationalhymne, an, als der ersehnte Gast auftaucht.
15. März 1938 - Eine unüberschaubare Menge hat sich auf dem Heldenplatz in Wien versammelt, um IHM zuzujubeln. Als er auftaucht, gibt es kein Halten mehr. Zehtausendfach „Heil Hitler“, da ist er, von dem man sich Heil verspricht, der es geschafft hat, Österreich dem Deutschen Reich einzuverleiben.
30. September 1989 - Tausende DDR-Flüchtlinge im Garten der Deutschen Botschaft in Prag starren erwartungsvoll auf den Mann im gelben Pullunder, der auf dem Balkon steht. Hans-Dietrich Genscher, der Außenminister der Bundesrepublik, beginnt: „Ich bin gekommen, um ihnen mitzuteilen…“ Weiter kommt er nicht, alles andere geht im Jubel unter.
20. Januar 2009, Washington DC. Millionen stehen auf den Straßen, um ihm zuzujubeln, ihm, der als kleiner Fleck auf den Stufen des Kapitols gerade so auszumachen ist, der später meist im schwarzen Wagen sitzt. Ihm, von dem sie sich Glück, Verbesserung ihrer Verhältnisse, eine Wende in der Weltpolitik versprechen.
Berlin, im Februar 2009. Tausende stehen frierend vor dem Sony-Center am Potsdamer Platz, in dem an diesem Abend der neue Film von Brad Pitt Premiere hat. Als er mit seiner Frau Angelina Jolie auf dem roten Teppich erscheint, bricht Geschrei und Jubel aus. Tausende wollen den sehen, den sie für den schönsten Mann der Welt halten.
Menschen jubeln, immer wieder. Begeisterung ist ansteckend - auch wenn sie manchmal falschen Zielen oder falschen Menschen gilt. Heute ist es einfach zu sagen: „Wie konntet ihr nur Hitler zujubeln?“ Aber wenn ich vor gut 70 Jahren gelebt hätte - ich weiß nicht, ob ich so vernünftig gewesen wäre, nicht mit zu jubeln! Menschen erwarten immer wieder, dass jemand kommt, der ihnen Gutes tut, der ihnen die Schwierigkeiten im Leben erleichtert - und nicht immer setzen sie dabei auf den Richtigen. Menschen lassen sich verführen, von den falschen Menschen für falsche Ziele einspannen. Menschen jubeln - und manche stehen daneben und schütteln mit dem Kopf. Sie sind nachdenklich, ob wirklich dem Richtigen zugejubelt wird. Oder sie sind neidisch, weil man ihnen nicht zujubelt.
Ich kann die Pharisäer gut verstehen, von denen die Bibel erzählt, dass sie mit dem Jubel um Jesus, als er nach Jerusalem kommt, nichts anfangen konnten. „Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet! Alle Welt läuft ihm nach!“ Da wird einer zum Liebling der Massen - das kann doch nicht gut gehen! Der ist doch so anders. Der erzählt von Gott nicht als dem strengen Richter, der nach Gut und Böse sortiert und bestraft, sondern der erzählt von dem Gott, der Schuld vergibt. Der lässt sich mit denen ein, die einen schlechten Ruf haben. Mit Prostituierten, Ehebrechern, Armen, Kranken, mit Frauen, mit Ausländern. Zu neu, zu anders. Kein Wunder, dass sie dem Jubel nicht trauen.
Lange her, dass Jesus in Jerusalem so begrüßt worden ist. Für mich aber nicht lang genug, um mir und uns die Frage zu stellen: Wo wären wir damals gewesen? Hätte ich, hätten sie mitgejubelt? Oder wie die Pharisäer den Kopf geschüttelt? Oder, wie wahrscheinlich ganz viele, von denen nichts in der Bibel steht, gesagt: „Was geht mich das an? Ich hab genug mit mir und meinem Leben zu tun!“
Ich finde es schön, wenn man sich begeistern und mitreißen lassen kann. Und ich hoffe, dass das auch heute noch klappt. Dass Menschen sich für das Leben begeistern. Darum geht es doch hier. Die Menschen jubeln, erzählt Johannes, weil sie von den Zeichen gehört haben, die Jesus gesetzt hat. Ein Toter ist ins Leben zurückgekehrt. Ich glaube mal, dass die Menschen damals nicht so blöd waren, dass sie geglaubt haben, dass jetzt jeder Tote einfach so weiter lebt in dieser Welt und sich nichts mehr ändert. Aber das Zeichen war klar: Da ist einer, der nimmt unsere Angst, unsere Trauer ernst. Da ist einer, der kümmert sich nicht um ein Jenseits, sondern der setzt Zeichen der Hoffnung hier und jetzt! Da ist einer, der bringt Gott zu den Menschen. Da ist einer, der nicht verlangt, dass die Menschen perfekt werden müssen und Mätzchen machen, damit Gott sie liebt, sondern der macht deutlich: die Liebe ist da. Jetzt. Auch wenn nicht alles in Ordnung ist. Da ist einer, der bringt Leben und Freude. Die anderen Zeichen haben das ja schon vorbereitet. Da wird Wasser zu Wein, da gibt’s Essen im Überfluss, da werden einem Blinden die Augen geöffnet und einer, der sich nicht bewegen kann, wird mobil. Frauen, die nichts galten, werden ernst genommen und Menschen, die Falsches getan haben, nicht verdammt. Da geht es ums Leben! Die Menschen spüren: Wir müssen nicht in ein Raster passen, sondern da ist einer, der interessiert sich für uns, für unser Leben, der steht auf unserer Seite. Ob der Glauben an Gott, die Begegnung mit Jesus auch heute noch eine solche Begeisterung auslösen kann? Ich hoffe es, vor allem, wenn Menschen spüren, dass es gerade im Glauben nicht darauf ankommt, den Vorstellungen von anderen zu entsprechen und bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, sondern dass es wirklich darum geht, dass Gott den Menschen ganz nahe kommt.
Ich glaube nicht, dass die Menschen, die damals gejubelt haben, erwartet haben, dass ihr Leben durch Jesus perfekt wird. Ich glaube, dass auch sie gespürt haben, dass die Zeichen auf etwas hinweisen, das noch nicht da ist. Nicht alle Menschen wurden und werden gesund. Der Tod spielt immer noch eine Rolle. Trauer gibt es immer noch. Aber das alles hat nicht das letzte Wort. Die Menschen damals haben Jesus als König begrüßt. Die Jünger, die ihn kannten, haben sich gewundert. Weil er so gar nichts von einem König hatte. Er stammte nicht aus den angesehensten Familien, er hat nicht auf militärische Stärke oder Gewalt gesetzt, er hat nicht beansprucht, neue Gesetze zu erlassen, er kam nicht reich und prächtig daher. Hinterher, als Jesus am Kreuz hing, starb, da verstanden auch die: Ja, das ist wirklich der wahre König. Nicht der, der Gewalt ausübt, der seine Macht darauf baut, dass andere Angst haben, ist wirklich stark, sondern wirkliche Macht hat der, der es auch aushält, Opfer zu sein. Der sich zum Opfer macht, damit die, die von anderen zu Opfern gemacht werden, neuen Mut schöpfen können. Der vor dem Leiden nicht wegläuft, sondern der durch sein Leiden sich ein für allemal auf die Seite des Lebens stellt und dem Leben zum Sieg verhilft.
Es geht nicht darum, auch nicht im Glauben, sich etwas schön zu reden. Und vor lauter Begeisterung die Augen zuzumachen. Wie wenig perfekt die Menschen sind, das sieht man ja auch in der Fortsetzung der Geschichte. Diejenigen, die Jesus so begeistert empfangen haben, haben keine Woche später geschrieen: „Lasst den Verbrecher Barrabas frei und kreuzigt Jesus!“ Es geht nur darum, sich die Begeisterung nicht schlecht reden oder kaputt machen zu lassen. Mit offenen Augen zu leben und zu glauben. Den Blick nicht einseitig immer nur auf das zu richten, was nicht in Ordnung ist, im eigenen Leben, in der Gesellschaft, in der Kirche, im Glauben, sondern auch offene Augen zu haben für das, was gut ist und gut tut. Für die Zeichen des Lebens, die Gott auch durch Jesus gesetzt hat. Manchmal sind das Kleinigkeiten. wie die zwei Jugendlichen, die mir letzte Woche klar gemacht haben, dass ich sie nicht per SMS erinnern muss, mir zu helfen, sondern die zu Recht gesagt haben: „Sie können sich schon auf uns verlassen.“
Ja, Augen auf. Es gibt Grund, zu jubeln. Auch mitten in der Passionszeit. Auch mitten im Leid. Denn unser Gott ist ein Gott des Lebens.
Amen.